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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Freilich- Sie haben ja Ihre Gedanken, wie konnte ich fragen? Gestatten Sie, mein Fräulein, daß ich Ihnen meine Anerkennung ausspreche; ich weiß sehr wohl, mit wem ich die Ehre habe Irene Lang ein Freund, auf dessen literarisches Urtheil ich viel gebe, hat mir kürzlich mit Begeisterung von Ihrem Novellenbuch gesprochen. Selbst habe ich es leider noch nicht gelesen, aber ich werde es nach= holen, rasch nachholen; jedenfalls werde ich dem Urtheil beipflichten!"

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So? Das glaube ich nicht. Dem Buch fehlt etwas!" Sie schlug die Augen nieder, während sie sprach; ein mädchenhafter, schüchterner Ausdruck ließ ihr Gesicht jünger erscheinen, die stolze Gestalt sank in sich zusammen. Ich " Ich bin nicht zufrieden mit dem Geleisteten, ich könnte Anderes schaffen, Besseres! Ha ihre Brust dehnte sich, die Flügel der fräftigen Nase zitterten leicht, ein glänzendes, hoff­

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nungsfreudiges Aufleuchten zog über ihr Gesicht- wenn-!" ich wiirde Besseres schaffen, wenn Sie athmete rasch, dann stockte sie plöglich. Nun? Wenn wenn" drängte er. " O, nichts!" Sie schüttelte den Kopf und stand dann hastig auf. Ich gehe jetzt nach Hause, es ist Mittagszeit. Adieu!"

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Mit ausgestreckter Hand sprang er auf. Sagen wir auf Wiedersehen, Fräulein Lang! Auf gute Nachbarschaft, ja?" Er sah sie bittend und lächelnd an. Wir sind hier, wie zwei Verschlagene auf einer Inselflippe; statt des Meeres rauschen grüne Wälder um uns und die Welt liegt hinter Bergen untergegangen. Ich meine, wir könnten hier ein bischen zusammenhalten ja, wollen Sie?"

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Sollte man es dem klugen Rechenmeister, dem praktischen Philosophen zutrauen, daß er noch so viel vom großen Jungen an sich hatte? Zuweilen kam

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Feuilleton.

der noch zum Vorschein, und dann war Doktor Dorn sehr liebenswürdig.

,, Ja, wollen wir morgen zusammen hier auf den Berg steigen und die Sonne suchen? Vielleicht scheint sie uns! Ein Gewitter nuß   bald Klärung schaffen, die Luft ist drückend schwiil."

" Ja!" Sie athmete schwer, und dann legte sie ihre Hand in seine; bis in die Fingerspißen fühlte er das Blut unter der glatten Frauenhaut Klopfen. Auf Wiedersehen!"

Sie ging mit raschen, festen Schritten, und er sah ihr nach, bis der letzte Zipfel ihres Kleides ver­schwunden war. Kein Windzug machte das helle Gewand flattern, glatt und schwer wie ein schlaffes Segel hing es um die schlanke Gestalt.

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Im Wald war, es stumm, fein Insektengesurr, fein Blätterlispeln, bleiern die Lust die Stille vor dem Sturm. ( Fortsetzung folgt.)

Maimorgen. Und wieder vollzieht sich vor unseren Augen das holde Wunder. Mit jedem Tage steigt die Sonne höher, mit jedem Tage entfesseln ihre wärmeren Strahlen neue Kräfte. Von keiner Jahreszeit wird der Mensch stärker berührt als von dem Frühling mit seinem quellenden Leben. Zu Heldensagen hat sich der Sieg der Sonne in der Phantasie der Völker ver­dichtet; in fröhlichen Volksgebräuchen wird er noch heute vielfach auf dem Lande gefeiert. Jeder Einzelne erlebt den Frühling in sich mit gewiß nicht Jeder in der= selben Weise. Daß es verschiedene Temperamente giebt, kommt auf unserem Bilde, das Ernst Hildebrand  gemalt hat, sogar sehr drollig zum Ausdruck. Da geht das eine der beiden Mädchen höchst sittsam einher. Um ihre Schultern ist ein schüßendes Tuch geschlungen; sie fönnte sich ja an dem Maimorgen erfälten. Den Rock hebt sie auf, daß ihn der frische Thau nicht beneße, und vor den fröhlichen Sonnenstrahlen behütet sie der Schirm. Aber auch sie hat eine seltsame Rührung, von der sie sich feine Rechenschaft geben kann, überkommen. Leise singt sie vor sich hin. Im weißen Sommerkleide, sorglos, ohne Schirm, tänzelnd im Ueberschwang des Gefühls, hüpft die Andere neben ihr her, zieht sie mit. Jauchzend schmettert sie ihr Lied hinaus. Ihr ist, als müßte sie die Welt umarmen. So geht's auf der Höhe hin unter blüthen­bejäeten Obstbäumen. Das wird ein herrlicher Tag. Die Sonne hat sich fiegreich durch die Nebel gekämpft. Drunten, am Fuße des Hügels, liegen zwischen blühenden Bäumen die Häuschen des Dorfes. Weithin dehnt sich das Land in gleißendem Licht. Ueberall Jubel.

Frühlingsblüthen. Ein heller, sonniger Sonntag­morgen im Mai. Mit den Rothschwänzchen zugleich schier ist heute die kleine Anna aufgestanden, hat die Mutter gebeten und gedrängt, fie anzuziehen, und hat keinen Fried gegeben, bis sie Ja gesagt. Und die Mutter hat sie ge­waschen, fein, sauber und gründlich, hat ihr die kleinen, blonden Zöpfe geflochten und wie ein Krönchen um's Haupt gelegt, hat ihr den guten Rock angezogen und die weiße, frisch gewaschene Jacke, und hat ihr sogar ein weißes Krägelchen umgethan, das man mit einem feinen Bande enger und weiter machen kann. Und schon war die Kleine aus dem Hause. Weit hat sie sich allerdings nicht fort getraut, das Maurerskind mag die progigen Bauern­buben nicht. Gleich am Zaune neben der Dorfstraße, dort, wo der alte Birnbaum mit einem blüthenschweren Arm herüberlangt, hat sie Posto gefaßt, lauscht auf das Summen der Bienen über ihrem Haupte, sieht den schießenden Schwalben nach, betrachtet eine raufende Spaßenschaar, freut sich an dem Sonnengeriesel, merkt, wie das Land weit hinten im Sonnendunst verschwindet. So schaut, sinnt und träumt die Kleine mit ernſten Augen, Stunden lang, bis die Mutter sie wieder in's Haus ruft. Und dann kann sie sich ihrer Fragen kaum erwehren: was die Schwalben wollen, wenn sie schreien, warum die Spaßzen raufen, die doch noch so klein sind. Und sie weiß keine Antwort und sagt nur immer: Aber Dummchen!" In sich hinein aber lacht sie, sie weiß, daß ihre Kleine ihr nachgerathen wird, daß sie einst mit hellent, ernsten Augen in's Leben sehen wird, wie es für ein Kind des Volkes natürlich ist. Carl Banker, der Schöpfer des Bildes, das unserem Holzschnitt als Vorlage gedient, lebt in Dresden   und ist dort einer der Führer der Sezession.­

Feldblumensträuße. Mit den wilden Blumen hat man die Erfahrung gemacht, daß es keine erfreuliche Wirkung giebt, wenn man sie in der Vase bunt durch= einander mischt. Die Dotterblumen, Primeln, Anemonen nahmen sich am freundlichsten aus, wenn man sie wie die wilden Maiglöckchen mit ihren eigenen Blättern, deren Grün stets ant zartesten zu der Blumenfarbe steht, in einer einfachen Base oder einem Glase zusammenstellt. Die zarte Qualität ihrer Farbe und der Adel ihrer Form kommen dadurch reiner zur Geltung.

Für die Vereinigung verschiedener Blumen zu einem Strauße mit einheitlicher Wirkung fanden Naturbeobachter einen eigenen Weg. Wer sich vom Spazierganz wilde Blumen mitbrachte, lernte herausfühlen, daß eine Zu­sammenordnung nur bei solchen eine edlere Wirkung giebt, die denselben Standort theilen. Seerosen und Korn­blumen wirken, auch abgesehen von der unzarten Farben­harmonie, befremdend, Seerosen und Vergißmeinnicht erwecken die Erinnerung an dasselbe Landschaftsbild. Aus diesem Gefühl stellte man sich ganz neue Aufgaben. Vor einer blumigen Wiese warf man die Frage auf: wie läßt sich in einem Strauß dieser Eindruck wieder­geben? Und der Versuch ergab bei treffender Auswahl eine Wirkung von ungeahntem Reiz. Der Brachacker, die Haide, ein Stück Moor  , der Waldrand, der Knick, die Lichtung stellten ähnliche Probleme, und das Ergebniß war nicht nur eine subtilere Harmonie der Farben und Formen, sondern obendrein eine ganz neue Welt von Erinnerungsbildern, eine Art Landschaftsmalerei in Blumensträußen.

Allerdings wird diese Kunst noch kaum ernsthaft ausgeübt. Aber wer sich ihr hingiebt, dem bieten seine Spaziergänge einen auf tieferer Beobachtung und ein­gehenderem Verständniß beruhenden Naturgenuß. Und wie den Kindern bei solcher Thätigkeit Herz und Sinne aufgehen!

Aus Lichtwart's Matartbouquet und Blumenstrauß", München, Bruckmann. Singende Flammen sind den Physikern bereits seit mehr als 100 Jahren bekannt. Wird über die Flanime irgend eines Gases oder über Dampf eine Nöhre ge­halten, so entsteht ein Ton, der von der Länge der Röhre abhängt, und zwar wird er um so tiefer, je länger die Röhre ist. Zieht man in einem schnell rotirenden Spiegel das Bild der Flamme zu einem Lichtbande aus, so be­merkt man, daß die Flammenbilder im Spiegel keine ununterbrochene Linie bilden, sondern ein gezacktes Aus­sehen darbieten; man erkennt daraus, daß die Flamme nicht ruhig und gleichmäßig brennt, sondern beständig zusammenzuckt, fast erlischt, und dann gleich wieder auf­flammt. Auch freie Gasflammen zeigen oftmals eine außerordentliche Empfindlichkeit, indem sie beim Sprechen und selbst bei leisen Geräuschen ihre Gestalt ändern und in heftige Zuckungen gerathen.

Eine noch größere Empfindlichkeit ist vor Kurzem von Dr. Simon in Erlangen   an elektrischen Bogen­lampen beobachtet worden, so daß der Lichtbogen derselben geradezu als Telephon oder Mikrophon benutzt werden fann. In die Stromleitung des elektrischen Flammen­bogens wird eine Drahtrolle( Induktionsspule) ein­geschaltet, in welche eine zweite Rolle hineingeschoben wird; diese zweite Rolle wird entweder mit einem Mikrophon oder Telephon verbunden. Spricht, pfeift, flopft, singt man gegen das Telephon oder das noch empfindlichere Mikrophon, so giebt der Flammenbogen die Töne auf das Deutlichste wieder, mit jeder feinsten Schattirung der Klangfarbe. Der im Mikrophon oder Telephon beim Sprechen erzeugte resp. veränderte elektrische Strom wirft eben auf den Strom der Bogenlampe durch In­duktion abwechselnd schwächend und verstärkend ein; so überaus gering diese Aenderungen auch sind, so reichen sie doch aus, in dem Flammenbogen fleine Temperatur­schwankungen hervorzurufen. Allerdings erreichen diese Temperaturänderungen noch nicht einen halben Grad; trotzdem aber machen sie sich in der umgebenden Luft be= merkbar: bei der Abkühlung zieht sich die Luft etwas zu­sammen, bei der Erwärmung dehnt sie sich wieder aus. Es folgen Verdichtungen und Verdünnungen der Luft schnell aufeinander, genau so, wie beim Ertönen irgend einer Schallquelle, und dadurch wird der in einem fernen Raum am Mikrophon oder Telephon hervorgerufene Ton wieder erzeugt.

Verantwortlicher Rebatteur: Oscar Kühl in Charlottenburg  .

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Ebenso können die Flammen umgekehrt wirken;

spricht man gegen den Lichtbogen, so wird jetzt um= gefehrt durch die ankommenden Verdichtungen und Ver­dünnungen der Luft seine Temperatur abwechselnd ge= ändert; dadurch entstehen geringe Aenderungen der Strom­stärke, die, auf ein entferntes Telephon übertragen, dasselbe zum Tönen bringen.

Physikalisch sind diese Versuche überaus interessant; da die Temperatur des Flammenbogens etwa 3000 Grad beträgt, so erreicht die Temperaturänderung noch nicht den 6000. Theil dieser Größe, und doch rust diese thermo­metrisch faum nachweisbare Größe Luftbewegungen her­vor, die wir mit unserem Ohre als Ton wahrnehmen. Ob diese Thatsachen auch technisch Verwerthung finden können, scheint bei der großen Vervollkommnung, die das Telephon und Mikrophon bereits gefunden haben, aller­dings zweifelhaft. Freilich kann man ja nie vorher wissen, was die Techniker oft aus anscheinend unbeden­―d. tenden Entdeckungen machen.

Der geborene Spitel. Dmitri Drill erzählt in seinem Buche Die jugendlichen Verbrecher": Es giebt daselbst einen Sträfling, Namens Kataeff, der eine wahre Plage für seine Mitgefangenen und nicht minder für das Gefängnißpersonal ist. Er ist ein schlauer, ungemein verschlagener und lebhafter, zugleich aber im höchsten Grade liederlicher Mensch, der mit einem so unruhigen und thatenlustigen Charakter begabt ist, daß er auch nicht einen Tag leben kann, ohne irgend einen neuen Streich auszuführen oder auszuhecken. Bald suchte dieser Kataeff seinen Mitgefangenen allerhand aufzuschwaßen oder hinter irgend ein Verbrechen derselben zu kommen, bald fälschte er Siegel, bald denunzirte er seine Genossen. Er wußte sich in das Vertrauen seiner Mitgefangenen einzuschleichen, indem er ihnen allerhand Nathschläge ertheilte. Aus den Deserteuren( Entsprungenen) wußte er den wahren Namen und ihre Vergehen heraus zu locken und gab ihnen dann heuchlerisch Anweisung, wie sie die Gerichte hintergehen fönnten. Einigen Sträflingen, die Kataeff's Nathschläge befolgt hatten, war es wirklich gelungen, daß sie frei­gesprochen wurden, oder daß wenigstens die Zuchthaus­strafe in Deportation verwandelt wurde. Dann aber, wenn Kataeff die Vergehen jedes Einzelnen kannte, ver= rieth er sie, brachte die Beweise gegen seine früheren Ge­nossen bei und stürzte sie so in's Verderben. Von diesen Denunziationen hatte er feinerlei persönlichen Vortheil, sondern that dies Alles nur, weil er ein feiges Vergnügen daran empfano, Andere leiden zu sehen. Schließlich wurden diese Denunziationen sein eigentliches Element, und bald genügten ihm Sträflinge und Gefängnißwärter nicht mehr. Er begann nun Schriftstücke zu verfassen, die den Vorgesetzten in die Hände gespielt wurden, schrieb anonyme Briefe an die höheren Beamten, in denen er eine Menge Personen in den verschiedensten Städten und Provinzen des russischen Reiches als aller erdenklichen Verbrechen schuldig denunzirte. Er ließ Strafen über Strafen auf die Gefängnißwärter herabregnen, er demum­zirte seine Mitgefangenen den Beamten, denunzirte diese Beamten selber wieder ihren Vorgesetzten und verlangte alle Augenblicke, den Polizeichef zu sprechen, um ihm ein außerordentlich wichtiges Staatsgeheimniß anzuvertrauen. Wenn er von den Gefängnißwärtern irgend eine Ver= günstigung erlangen konnte, so denunzirte er die be= treffenden Wärter gleich darauf eben wegen dieser ihm gewährten Vergünstigungen."

Nachdruck des Inhalts verboten!

Alle für die Redaktion der Neuen Welt" bestimmten Sendungen sind nach Berlin  , SW 19, Beuthstraße 2, zu richten.

Berlag: Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg  . Druck: Mar Bading in Berlin  .

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