Die rene Welt

Nr. 19

( Fortsetzung.)

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

ustav Büttner war mit diesem Häschte be­sonders befreundet gewesen. Sie hatten zu­sammen die Leiden der Rekrutenzeit durch­gemacht, waren auf derselben Stube und in dem nämlichen Beritt gewesen. Daß Büttner bald zum Gefreiten befördert wurde, während Häschte Ge­meiner blieb, hatte keine eigentliche Scheidewand zwischen ihnen aufgerichtet. Häschke war und blieb einer der beliebtesten und angesehensten Kameraden, obgleich ihm die Vorgesezten nicht wohl wollten, seines losen Maules und seiner Leichtfertigkeit wegen. Mutterwiß und Gewandtheit brachten ihn bei seines gleichen desto mehr zur Geltung.

Jetzt wurden alle diese Erinnerungen wieder auf gefrischt. Vom schnauzigen Wachtmeister und vom schneidigen Herrn Rittmeister erzählte man sich, und mancher lustige Streich aus dem Manöver und dem Garnisonsleben wurde an's Tageslicht gezogen.

Häschte war natürlich Gustav's Gast. Als er erfahren hatte, daß der Weitgereiste heute noch nichts Ordentliches in den Magen bekommen, bestellte Gustav Butterbrot und Wurst für ihn.

Auf diese Weise war der Nachmittag vergangen. Die heranbrechende. Dunkelheit mahnte zum Auf­bruch. Gustav dachte mit geheimer Besorgniß an die hohe Zeche, die er gemacht hatte. Aber er hiifete sich wohl, davon etwas merken zu lassen. Im Gegen­theil! Den Staschels wollte er grade mal zeigen, daß es ihm auf ein paar Mart nicht ankomme. Und er bestellte für die ganze Gesellschaft noch einen Storn zum Rachenpuzen!"

"

Als man den Kretscham verließ, schloß Häschke fich Gustav an. Sobald sie ohne Zeugen waren, begann der Handwerksbursche zu klagen, wie schlecht es ihm gehe. Seit vierzehn Tagen sei er in fein ver­nünftiges Bett gekommen. Die letzten Sparpfennige waren in den Pennen drauf gegangen. Die Kleider fingen an zu zerreißen und die Füße schmerzten in dem elenden Schuhwerk. Er sah in der That abgerissen Er fragte Gustav, ob er ihm nicht aus alter Kameradschaft etwas vorschießen könne. Dann wolle er die Eisenbahn benußen oder er sich in der Kundensprache ausdrückte dem Feurigen walzen", und ihm von seiner Heimath aus das Erborgte zurückerstatten.

genug aus.

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wie

» mit

Gustav hatte das Gewissen bereits gepeinigt wegen der heutigen Zeche. Das war von den Er­sparnissen gegangen, die er für die Hochzeit bestimmt hatte. Es wurde ihm schwer, dem alten Kameraden die Bitte abzuschlagen, aber es ging nicht anders! Er war nicht mehr nichtern, wie er jetzt erst merkte, wo er sich in freier Luft befand, aber er fand noch so viel lleberlegung, dem Anderen zu erklären, daß

Der Büttnerbauer.

Roman von Wilhelm von Polenz .

er nichts ausleihen könne, er sei selbst nicht in der besten Lage und wolle nächstens heirathen.

Häschke bat, daß er ihm dann wenigstens Unter­funft für ein paar Tage verschaffen möge. Er wolle kunft für ein paar Tage verschaffen möge. Er wolle sich seine Sachen in Stand seßen und seine Füße ausheilen lassen. Wenn er sich wieder etwas her­ausgemacht haben würde, werde er seine Straße weiterziehen.

Diese Bitte fonnte Gustav unmöglich abschlagen. Er überlegte: Bei den Eltern war ja Plaz. Häschte behauptete, mit jedem Fleckchen, und sei es auf dem Boden oder im Schuppen, zufrieden zu sein, und wenn es nur eine Bucht wäre von Heu. Gustav erklärte, es werde sich wohl noch ein Bett für ihn finden.

Er brachte also den Fremden mit nach Haus. Dort saß die Familie bereits beim Abendbrot. Die Angetrunkenheit löste Gustav's Zunge. Mit größerem Wortreichthum, als man sonst an ihm gewohnt war, stellte er den Fremdling als einen ehemaligen Kameraden und Freund vor, dem man Obdach ge­währen müsse.

Die Frauen blickten verdußt auf den bärtigen Wanderburschen, der in der trüben Beleuchtung des schwachen Dellämpchens nicht gerade vertrauen­erweckend sich ausnahm. Der alte Bauer sagte nichts; ihn brachte jezt nicht so leicht mehr etwas aus seiner verstockten Gelassenheit. In früheren Zeiten würde er Dem schön gekommen sein, der ihm solch' einen Strolch in's Haus gebracht hätte. Aber jezt nahm er auch das mit in den Kauf zu dem Uebrigen. Die Bäuerin war gewiß nicht erbaut über den Gast; doch wagte sie nichts zu äußern, aus Furcht, Gustav zu reizen. Therese war die Erste, welche Worte fand. Als Gustav fragte, wo ein Lager für den Fremden zu finden sei, meinte sie trocken, drüben bei den Schweinen stehe noch ein Roben leer. Eine Bemerkung, welche ihr Gatte Karl, nachdem er den Sinn erst begriffen, so aus gezeichnet fand, daß er in ein Gelächter ausbrach, welches an diesem Abende nicht mehr enden zu wollen schien.

Gustav erbleichte vor Zorn. Dann wird Häschke eben in meinem Bette schlafen!" sagte er." Mir soll Keiner nachsagen, daß ich einen Kameraden auf der Straße hätte liegen lassen. Komm, mei Häschte!"

Und wu wirst Du denne schlafen alsdann, Gustav?" fragte die Mutter besorgt, da sie sah, daß der Sohn Ernst machen wollte mit seinem Vorhaben. Mutter, ich weeß schon an Fleck für mich!" sagte Gustav.

"

Und in der That, es gab in Halbenau einen Platz für ihn, wo er freudige Aufnahme fand, zu Tages- und Nachtzeit.

XVII.

1898

Obgleich gerade Gustav es gewesen war, der dem Aufseheragenten das Geschäft in Halbenau ge­legt hatte, ließ ihm doch der Gedanke an den Mann und was er gesagt hatte, keine Ruhe. Er hatte neulich die ganze Sache als Schwindel und Menschen­fang bezeichnet, aber im Stillen gedachte er jetzt mit heimlich zehrender Sehnsucht der goldenen Berge, die Jener in Aussicht gestellt hatte. doch etwas an der Sache war! der Luft gegriffen konnte das Alles unmöglich sein. Gustav entsann sich der gedruckten Formulare, die der Mann vorgezeigt hatte; sogar Stempel von Behörden waren darauf zu sehen gewesen.

Wenn nun

Gänzlich aus

Der junge Mann befand sich in eigenthümlicher Lage. Seine Seelenstimmung war getheilt. Die Anerbietungen des Agenten lockten; auf der anderen Seite scheute er sich, wieder in den Bannkreis des Mannes zu gerathen, den er soeben mit Erfolg be­kämpft hatte. Und schließlich schämte er sich auch vor den Dorfgenossen, die sein Auftreten im Kretscham mit erlebt und Beifall geklatscht hatten.

Er hielt sich dem Werber vorläufig ferne, aber in den Blättern verfolgte er die weiteren Schritte des Mannes mit Spannung.

In allen Ortschaften ringsum rührte Zittwiß die Werbetrommel, und wie es den Anschein hatte, mit großem Erfolge. Seine Kontrakte bedeckten sich allmälig mit Hunderten von Unterschriften.

Es lag etwas Ansteckendes in dieser Bewegung. Man wollte sich einmal verändern, wollte sein Glück in der Ferne versuchen. Der Agent schilderte die Verhältnisse da draußen im Westen in verlockenden Farben. Und wenn der Mann vielleicht auch Schön­färberei trieb, seines Geschäftes wegen, schließlich schlimmer als daheim konnte es dort wohl auch nicht sein. Und der Gedanke, zu wandern, ein Stück Welt zu sehen, packte die Gemüther mächtig. Die Fremde lockte mit ihren unklaren, dem Auge im bläulichen Dunst der Ferne verschwimmenden Dingen. Das Frühjahr stand vor der Thür; da sind die Hoffnungen leicht erregbar in der Menschenbrust. Da wachsen und quellen heimliche Wünsche, ein un­verständlicher Drang treibt, ein süßes und beun­ruhigendes Gefühl quält den jungen Menschen und reizt ihn zu Neuem, Unentdecktem. Der tief in die Menschennatur gesenkte Trieb, sich zu verändern, der Wandertrieb, regte sich.

Wie die Zugvögel kamen sie zusammen. Einer sagte es dem Anderen; überall in den Schänkstuben, des Sonntags vor der Kirche, bei gemeinsamer Arbeit, wo immer Menschen zusammen kamen, wurde das Für und Wider eifrig besprochen. Die Hoffnungs­freudigen steckten die Verzagten an, wer bereits imter­