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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Piècen zu Ende spielte. Ebenso naturgetreu arbeiteten die schreibenden und zeichnenden Automaten, zwei Knaben im Alter von etwa vier Jahren.

Ein völlig ungerechtfertigtes Aufsehen erregte ein im Jahre 1769 auftauchender Automat, Kempelen's  Schachspieler, welcher allerdings dem Publikum schon deshalb imponirte, weil er die gewiegtesten Gegner matt setzte. Das hätte aber gerade die Schau­lustigen stußig machen sollen, denn daß auch der vollkommenste Automat nicht geistig arbeiten kann, hätte auch der Ungeschulteste begreifen müssen. Ein automatischer Schachspieler hätte sehr wohl mit einer zweiten zweckmäßig eingerichteten Figur oder auch mit einem zuvor instruirten Menschen genau fest gesetzte Partien spielen, in einem völlig harmlosen Besucher aber nie den geeigneten Partner finden können. Es stellte sich denn auch sehr bald heraus, daß im Innern der Figur ein kleiner Mann saß, der allerdings ein ganz vorzüglicher Schachspieler war. Sobald dem Publikum das Innere des Auto­maten gezeigt wurde, rückte er schnell von einem Winkel der Figur in den anderen und entzog sich so stets den Blicken der Neugierigen. Ganz ebenso bestellt war es mit einem zweiten Schachspieler, der später unter dem Namen Ajeeb gezeigt wurde, aber bei ernsthaften Menschen von vornherein feinen Glauben fand.

Diese ganze Affaire erinnert an einen ähnlichen, von Guillaume de Rubruquis  , welchen der heilige Ludwig   im Jahre 1253 mit irgend einer Mission nach der Tatarei an den Hof des Khans entsandte, berichteten Vorgang. Rubruquis sah dort einen aus 1500 Pfund Silber gefertigten Tafelaufsatz, der mit sehr kunstreich ausgeführten, die verschiedensten Getränke ausspeienden Thieren geschmückt war. Diesen Aufsaz sollte ursprünglich ein blasender Engel krönen, um bei der Tafel die Gäste des Khans durch fröh liche Melodien zu überraschen. Das war sehr schön durchdacht, doch fehlten dem Künstler die technischen Mittel, diese Hauptaufgabe zu vollbringen. So mußte man sich denn mit dem stummen Engel begnügen und im Inneren des sehr umfangreichen Tafelaufsages einen Trompetenbläser einquartieren, der, sobald die Figur das Instrument an den Mund nahm, seine muntere Weisen ertönen ließ.

In unserer Zeit, in der die automatischen Musik instrumente bis zur höchsten Vollkommenheit aus­gebildet wurden, ist nun vortrefflich gelungen, was dem mittelalterlichen Künstler unüberwindliche Schwie­rigkeiten bereitete. Im Jahre 1807 fertigte Kauf­mann in Dresden   und später auch Mäßt in Wien  automatische Trompetenbläser, welche überall die leb­hafteste Bewunderung fanden.

Im Grunde verdienen alle diese mehr oder minder sinnreich konstruirten Puppen aber keineswegs eine so große Bewunderung, als man ihnen im All­gemeinen zu zollen pflegt. Ihre Mechanik ist bei genauerem Zusehen doch recht simpel und lediglich darauf berechnet, der naiven Menge zu gefallen, ohne irgend welche verdienstvolle Thätigkeit entfalten zu können. Was sind alle diese Automaten, von denen ich nur einige der berühmtesten hier erwähnt habe, im Vergleich zu unseren gebräuchlichsten indu­striellen Maschinen, welche die mannigfachsten Handels­artikel, selbst kunstreiche Gewebe und Stickereien in fiirzester Zeit fertig stellen, wenn ihnen nur das erforderliche Material zugeführt wird. Selbst unsere harmlosen Verkaufsautomaten, die sogenannten Selbst­kassirer, welche gegen Einwurf eines Geldstückes gewisse Gegenstände verabfolgen und so beim Umsatz von Massenartikeln den Verkäufer vollständig ersetzen, verdienen weit eher unsere Bewunderung, als solch ein automatischer Trompeten- und Flötenbläser, der, sobald er sein Repertoire heruntergespielt hat, am Ende seiner Weisheit ist. Wenn heute unsere Mechaniker Automaten bauen, so haben sie meist sehr praktische Zwecke im Auge, wie dies auch der Sandwichmann des Herrn Pérew beweist. Es ist dies der erste wohlgelungene Versuch, figürliche Automaten zu einer praktischen Thätigkeit heran­zuziehen, und es ist wahrscheinlich, daß man, in Rück­sicht auf das große Interesse des Publikums an der­artigen Figuren, auf diesem Wege fortschreiten wird.

Im fernen Westen.

Nach eigener Anschauung erzählt von Julius Schwarten.

ort, wo die mächtigen Nebenströme des Missouri  und Mississippi   von den Rocky Mountains  her durch unabsehbare Prärien fließen, wo weiter südlich der Rio Colorado   und der Rio Grande mit ihren langen, aber meist unschiffbaren Wasser­läufen sich durch unzugängliche, schaurig tiefe Cañons zwängen, wo der einsame Nanchero mit seinen Vagueros oder Cowboys Hunderte von halbwilden Pferden oder Rindern oder Tausende von Schafen auf ungemessenen Steppenflächen weidet und züchtet, da verlieren sich die Spuren der östlichen Kultur, da verlieren sich die Spuren der östlichen Kultur, da ist der, wilde Westen".

Hier, an der Grenze der Wildniß, sind die Lebens­bedingungen einfach und beschränkt. Die Leiden­schaften und Begierden jener harten Jäger der Berge und jener ungestümen rauhen Reiter sind einseitiger, aber stärker, als die Gefühle und Wünsche derjenigen Menschen, die in geordneten und verfeinerten Ver­hältnissen der menschlichen Gesellschaft wohnen. So bald Gemeinschaften sich hier fest und geschlossen ansiedeln, gewinnt des Amerikaners Gefühl für Recht ansiedeln, gewinnt des Amerikaners Gefühl für Recht und Gesetz die Oberhand; aber in den vorhergehenden Stadien ist jedes Individuum gezwungen, sich selber Gesetz zu sein und sein Recht ob num vermeintliches oder thatsächliches mit starker Hand zu schüßen. Natürlich sind die Uebergänge von der Ungebunden heit zur Seßhaftigkeit, von fast ziigelloser Freiheit bis zur willigen Unterordnung unter die Sagungen und Forderungen der neuen Gemeinsamkeit nicht und Forderungen der neuen Gemeinsamkeit nicht mit einem Schlage fertig und widerspruchslos vollzogen; denn diese Naturmenschen mit ihrer stark ausgeprägten Eigenart können ihre Be­ziehungen zum Geseze nicht so schnell mit solcher ziehungen zum Geseze nicht so schnell mit solcher Genauigkeit regeln, verstehen nicht gleich, sich in die Interessen der Gesammtheit so willig einzufügen. Die etwa über Nacht zu ihnen gedrungene Kultur betrachten sie unwillkürlich als Vernichterin ihrer freien Eristenz, ihres ihnen liebgewordenen Lebens und stellen sich ihr oft drohend und schroff entgegen. Daneben halten sie an gewissen rauhen Tugenden fest, und an Charakterstärke kommt ihnen ein Sohn der verweichlichenden, überall bevormundenden Zivili­sation selten gleich.

Mancher jener Desperados, jener man- killer ( Menschentödter), train- stoppers und road- agents ( Eisenbahn- und Straßenräuber) hat seine guten Cha­rafterseiten. Oft sind es Leute, die in der Zivilisation unter gewissen Bedingungen gutes Werk thun oder gethan haben, die aber, wenn solche Bedingungen nicht mehr vorhanden sind, sich von Umständen um­drängt finden, die ihre schlechten Eigenschaften heraus­fordern und ihre besseren unterdrücken. Wenn jene angedeuteten Uebergänge sich nicht so plötzlich voll­zögen, sondern sich etwa über ein Menschenalter oder ein Jahrhundert hinaus erstreckten, dann möchten jene Desperados und ihre Nachkommen sich den allmälig wechselnden Verhältnissen auch sehr wohl anpassen. Aber im fernen Westen geht jener Ueber­gang mit einer wunderbaren Schnelligkeit vor sich.

Innerhalb weniger Wochen entsteht an einer günstig gelegenen Flußbiegung, an einem auf getheilten Indianerterritorium oder einem neu ent­deckten Goldfelde eine Stadt, genau nach Straßen und Blocks abgetheilt, mit Verwaltungs- und Gerichts­behörden, mit Eisenbahn- und Beleuchtungsanlagen, überhaupt allen Erfordernissen eines modernen Ge­meinwesens oberflächlich versehen, nach der einen Seite hin durch den bald fertigen Bahndamm mit der Kultur verbunden, nach etwa drei Seiten hin von fast jungfräulicher Prärie und den an ihrem Horizont sich entlang ziehenden Gebirgen und tiefen Waldungen umgeben. Diese Gebiete gehören aber zu dem neuen County mit seiner eben fertig ge­wordenen Stadt und sind ihrer wordenen Stadt und sind ihrer wir möchten Jurisdiktion unterstellt. Reicht leßtere sagen nun auch nominell meilenweit in die Wildniß hinein, so ist das doch thatsächlich nicht der Fall, denn der Einfluß der Behörden ist viel zu schwach und ihr Arm viel zu kurz, um hier wirklich richten und Arm viel zu kurz, um hier wirklich richten und schlichten zu können. Dieser Umstand, sowie der,

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daß es mancher Natur nicht gegeben ist, sich der neuen Ordnung so schnell anzubequemen, verursachen jene Gewaltthätigkeiten, jene ungestüme Selbsthilfe und jene blutigen Konflikte, an denen der wilde Westen" so reich ist, deren Urheber allerdings über kurz oder lang doch ein plößliches Ende nimmt, sei es durch das Gesetz, sei es durch Einzelrache oder Lynchjustiz.

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Die meisten der Grenzbewohner, mit denen mich der Zufall auf längere oder fürzere Zeit zusammen­führte, waren durchweg" good fellows" hart arbeitend, entschlossen und verläßlich. Zuweilen aller­dings wurden sie durch den Drang der Zustände oder die Ungunst des Augenblicks zu Thaten ver­anlaßt, die den Bewohner der Stadt und der älteren Ansiedelung nicht wenig überraschen möchten. Manches wird ihnen freilich nachgesehen, und sie selber zeigen eine recht weit gehende Toleranz gegeneinander; dennoch giebt es gewisse Uebelthaten, die auch unter ihnen verpönt sind: wie Gewalt und Willkür gegen Frauen, Beraubung eines Freundes, feiger, hinter­listiger Mord und dergleichen Verbrechen, die schwer­lich von ihnen vergessen und vergeben werden. Aber die Thatsache etwa, daß Jemand, als die Gegend noch eine Wildniß war, had gone to the road," d. h. ein highwayman, vulgo Straßenräuber, oder das Haupt einer Anzahl Desperados gewesen war, wog in der öffentlichen Meinung" selten schwer gegen ihn; dergleichen wurde zwar als ein bedauerns­werther, aber nicht gerade entehrender Zug seiner Vergangenheit betrachtet. Er wurde von seinen Nach­barn mit derselben Toleranz beurtheilt, wie etwa in unseren südlichen Gebirgsgegenden der im gesell­schaftlichen Zusammenleben sonst ehrenhafte oder doch wieder ehrlich" gewordene Schmuggler oder Wil­derer. Selbstverständlich hat die Vergangenheit jener Art Leute meist ihre eigene Geschichte, und wenn ihnen diese ohne Weiterees von Hinz oder Kunz ab­gefragt würde, möchten sie die Erzählung derselben wohl verweigern oder unwahr wiedergeben; doch wenn sie gelernt haben, einen Mann als Freund oder Gefährten zu betrachten, pflegen sie vielfach That­sachen ihres Lebens mit vollkommener Offenheit zu erzählen. Und da sie das mit einem gewissen, meist unbeabsichtigten Humor thun und jeglichen Anschein, als sei da etwas besonders merkwürdig in ihren Mit­theilungen, stets vermeiden, so sind diese immer unterhaltend.

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Einst im Frühjahr-es mag jetzt acht Jahre her sein her sein ritten wir zur Ausmessung eines ge­wissen Landkomplexes nach einem etwa dreißig Meilen entfernten Hügelgelände im Gebiete des Gilaflusses.

Vorher wollte ich noch einen mir bekannten, seitwärts gelegenen Rancho( Viehhaltung) aufsuchen. Unterwegs wurde ich von einem furchtbaren Un­wetter überrascht, erreichte aber doch glücklich mein Ziel. In dem aus festen Grassoden und Balken aufgerichteten, mit Schindeln überdachten und mit einem Lehmboden versehenen Gastraum traf ich zwei Bekannte: einen arizonensischen Vichzüchter und den Sohn eines benachbarten Ranchero, Beide selber Gäste. Sie hießen mich in ihrer knappen, aber herzlichen Weise willkommen; ich machte es mir vor dem prasselnden Scheitfeuer bequem und wärmte­mich schnell, daß die Kleider dampften. Ein gutes Abendessen, bestehend aus Brot, eigenthümlich, aber trefflich zubereiteten Bohnen( im Spanischen   ,, frijoles  " genannt), Hammelfleisch mit süßem Thee, ließ mich bald das ausgestandene Ungemach vergessen. Meine beiden Gefährten wurden sehr gesellig und erzählten einander, über ihre Kurzpfeifen hinweg, mancherlei Dinge. An der einen Seite unseres gastlichen Naumes waren zwei übereinander liegende, ziemlich breite Kojen angebracht. Ich kletterte in die obere und überließ die untere meinen beiden Gefährten. Diese aber saßen vorerst noch auf einer Bank und plau­derten über Vorkommnisse, die sich während des Winters in ihrem eigenen Leben oder doch in ihrem Interessenbereich zugetragen hatten. Dabei erkundigte sich der Eine, was aus einem gewissen Pferd einem auch mir bekannten Rassethier geworden sei. Diese Frage rief in dem Anderen die Er­innerung an ein ihm widerfahrenes Unrecht wach, das noch nicht ganz verwunden schien, und er begann:

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