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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

erzählte mir ein Ranchero, er habe den Mann ge­sehen, wie er auf Leetown zuhielt, und, sicher genug, als ich Leetown berührte, fand ich heraus, daß er in einem Dobis- Haus* wohne, grad' außerhalb der Stadt. Da waren zwei Hotels, und ich geh in das erste hinein und sage:" Wo ist der Friedensrichter?" , Wo ist der Friedensrichter?" sage ich zu dem Ausschenker.

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Entschluß. Ueberdies besaß er etwas, das wenigen Menschen eigen ist, die Gabe nämlich, die Wahrheit zu erzählen. Er sah die Dinge, wie sie waren, und berichtete sie ebenso genau; er sagte nie eine Un­wahrheit, wenn ihn nicht ein ganz gewichtiger Grund dazu veranlaßte. Er hatte keine Vorurtheile, son dern sah auf seine Mitmenschen mit einer gewissen

Da ist kein Friedensrichter," sagt er, der Nachsicht. Freilich fand er auch nichts darin, daß Friedensrichter wurde erschossen."

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Gut, wo ist denn der Constable?" sage ich. " Nun, es war grad' er, der den Friedensrichter getödtet," sagte er; er ist jeẞt mit einem Biindel Pferde irgendwo hier in der Gegend unterwegs."

, Gut, ist denn da in der Stadt nicht irgend ein Beamter vom Gesez noch übrig?" frage ich.

" D, allerdings, selbstverständlich!" sagt er," da ist noch ein bestätigter Nichter; er mag jeßt wohl eben hinter der Bar( Schänk- und Auslagetisch) stehen, da weiter unten im Goodhope- Hotel."

So bog ich denn hinunter nach dem Goodhope­Hotel und ging da hinein.

" Morgen," sage ich.

er selber dann und wann den road- agent oder der gleichen gemacht hatte. Zu der Zeit, als ich ihn kennen lernte, lag das allerdings längst hinter ihm; er war nunmehr ein Mann mit etwas Wohlstand und hatte jetzt selber ein Interesse an der Aufrecht­erhaltung bestehender Ordnungen. Er sprach nicht viel von seiner vergangenen Laufbahn, und wenn er's that, berichtete er ihre Zufälligkeiten vollkommen natürlich und einfach als Thatsache, ohne irgendwelche Bezugnahme auf ihren ethischen Werth oder Unwerth.

Eines Tages waren wir auf einem furzen Jagd­gang und badeten uns gegen Abend in einem kleinen See. Ich bemerkte, daß er an einem Fuß eine Narbe hatte und fragte ihn, wie er zu derselben gekommen. Einen gleichgültigen Blick auf dieselbe werfend, erwiderte er leichthin: ,,, das da! Nun, ,, Das ist's, was ich bin," sagt er. Was habt ein Mann schoß nach mir, um mich mal tanzen zu Ihr denn?" fragt er.

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, Morgen," sagt er.

" Ihr seid der Richter?" sage ich.

,, Ich will mein Recht," sage ich.

,, Was für'n Art Recht ist es denn, das Ihr wollt?" sagt er; ,, um was handelt es sich?"

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Es ist wegen Pferdediebstahl," sage ich.

,, Dann sollt Ihr es auch bekommen," sagt er. ,, Wer stahl das Pferd?"

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,, Es ist ein Mann, der in einem Lehmhause wohnt, hier gerade außerhalb der Stadt," sage ich. ,, Gut, und von woher kommt Ihr selbst denn?" sagt er.

Von Little- Junta," sage ich.

Damit verging ihm aber doch wohl die Lust an der ganzen Sache; er schüttelte den Kopf und sagte: ,, Da wird keine Jury von Leetown einen Mann von Leetown hängen, weil er einem Mann von Little Junta ein Pferd gestohlen hat," sagt er.

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,, Und was habe ich denn zu thun wegen meines Pferdes?" sage ich.

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,, Thun?" sagt er. ,, Nun, Ihr wißt, wo der Mann wohnt, nicht wahr?" sagt er. ,, Dann setzt Euch bei seinem Hause nieder und erschießt ihn, wenn er heimkommt," sagt er ,,, und macht weg mit dem Pferd."**

machen, das ist Alles."

Ich konnte meine Neugierde nicht ganz verhehlen, und er fuhr fort:

,, Nun, das ist der Hergang. Als ich da weiter unten in Neu- Merito einen ,, Saloon" hielt, war da ein Mann, der hieß Jim Turner, und auf den war eine Belohnung von zweitausend Dollar gesetzt-"

,, Also man führte Turner vor den Friedens­richter. Dieser war ein Türke."

,, Aber was meint Ihr damit, Fletcher?" unter­brach ich ihn wieder.

,, Num, er kam irgendwo aus der Türkei her," sagte Fletcher.

Ich war starr und wunderte mich, welcher Zufall wohl irgend einen Auswurf von der Mittelland­Seeküste her durch Neu- Merifo verschlagen haben könnte, damit Letzterer hier Friedensrichter werde. Fletcher lachte und erzählte weiter!

,, Der Turner, der war ein pußiger Bursche. Der Türke hatte ihn verhaftet, aber Turner stand auf und schlug ihn nieder und zwang den Türken, ihn fortgehen zu lassen. Nebenbei wurde der Leßtere ängstlich und glaubte, Turner würde sich noch weiter rächen wollen. So kam er denn zu mir und bot mir zwanzig Dollar den Tag, um ihn zu beschüßen. Ich ging dann zu Turner, und, Turner', sage ich, der Türke hat mir zwanzig Dollar geboten, damit er sicher vor Euch sein möge. Nun möchte ich nicht gerade erschossen werden für zwanzig Dollar den Tag, und wenn Ihr ihn tödten wollt, so sagt's nur grad' heraus; aber wenn Ihr dem Türken nichts thun wollt, so ist auch gar kein Grund vorhanden, daß ich den Verdienst fahren lassen sollte. Und Turner sagte:, Den Türken will ich nicht anrühren, geht nur stracks hin und beschützt ihn.""

So beschüßte" Fletcher denn den Friedens­richter vor der eingebildeten Gefahr. Das ging so eine Woche hindurch gut, und die zwanzig Dollar den Tag" wurden auch bezahlt. Da ging er, Fletcher, eines Tages aus und begegnete Turner. Fletcher fuhr fort: ,, In dem Augenblick, als ich ihn gewahrte, sah ich auch, daß er feinen guten Tag und Böses im Sinn hatte, und er schoß nach meinen ,, Halt mal an," unterbrach ich wieder ,,, auf ihn Füßen. Ich hatte fein Gewehr und mußte eben gesezt von seiner Frau, sagtet Ihr?"

,, Auf ihn gesetzt vom Staat?" unterbrach ich ihn. ,, Nein, von seiner Frau," sagte mein Gefährte, ,, und war dieser-"

,, Ja, von seiner Frau. Beide hatten in einer Goldmine bei S. Diego( Kalifornien ) herum Bank gehalten, seht Ihr; sie stritten sich aber um den Gewinn und er hielt es daher gleich für vortheil­hafter, mit dem Gold allein abzureisen, und daher setzte sie eben eine Belohnung auf ihn, und so fam-" Entschuldigt," sagte ich ,,, aber meint Ihr damit, daß dieser Preis öffentlich ausgesetzt war?"

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Mit einer leichten Erregung darüber, immer unterbrochen zu werden, erwiderte er: ,, nein, nicht öffentlich. Sie hatte es nur eben erwähnt gegen sechs oder sieben intimere Freunde."

,, Dann erzählt nur weiter," antwortete ich, ein wenig überrascht durch die recht einfache Weise, wie man in Neu- Merito eheliche Zwiſtigkeiten zuweilen erledige, und er berichtete weiter:

,, Nun, zwei Männer famen eines Tages an­geritten, um meine Büchsen zu leihen. Es war Colt's System. Sie waren neu aufgekommen da­mals und die einzigen in der Stadt. mals und die einzigen in der Stadt. Die Beiden kamen zu mir, und, Fletcher', sagen sie ,, wir möchten Büchsen leihen; wir wollen Jim Turner tödten.

, Nun gut," sage ich ,,, das ist's, was ich thun will", und ging weg nach dem Hause hin und legte mich hinter einem Haufen Hartgras nieder, um auf den Dieb zu warten. Er war nicht zu Hause, aber ich konnte seine Frau sehen, die sich im Hause manchmal hin und her bewegte. Ich wartete und wartete, und es wurde dunkler, und ich sagte da bald zu mir selbst: Nun liegst Du hier, um den Mann zu er schießen, wenn er heimkommt, und es wird dunkel, und Du kennst ihn nicht, und wenn Du wirklich auf den nächsten Mann anlegst, der da in's Haus geht, könnt' es ja vielleicht der rechte Mann über-, Halt mal eben an', sage ich ,, die Büchsen da will haupt nicht sein, sondern ein vollkommen unschuldiger Mann, der mal zufällig was zu thun hat in dem Hause." So stand ich denn auf und sattelte den Schwarzhengst und machte mich wieder mit ihm nach Hause," schloß der Erzähler, und zwar mit der Miene eines Mannes, der mit Recht ein wenig stolz sein konnte auf seine Selbstbeherrschung.

ich Euch schon leihen, aber ich brauche nicht zu wissen, was Ihr damit thun wollt, wirklich nicht; aber natürlich, Ihr könnt die beiden da haben." Hier hellte sich meines Begleiters Gesicht auf und er fuhr fort: ,, Nun, Ihr mögt's glauben, daß ich am nächsten Tage nicht wenig erstaunte, als Jim Turner dahergeritten fam, und, Fletcher', sagte er,

Einer unserer näheren Bekannten in den Bergen, hier sind Deine Gewehre. Er hatte jene beiden war ein Mann, der eine eigene Art hatte, sich zwischen gewissen moralischen Konflikten und konventionellen Verbindlichkeiten ziemlich leichtherzig hindurchzuwinden, daneben war er aber ein Mann von bewunderns­werthem Scharfsinn, großem Muth und kühnem

* Von adobis: große, an der Sonne getrocknete Lehmziegel.

** Ein derartiger richterlicher Ausspruch sanktionirt für den betreffenden Fall die Selbsthülfe und enthebt den Thäter jeglicher Verantwortlichkeit.

Männer erschossen. Aber Jim', sage ich ,, wenn ich gewußt hätte, daß sie Euch nachstellten, würde ich ihnen die Büchsen auf keinen Fall gegeben haben, sage ich. Das stimmte nun nicht genau, denn ich wußte es, hatte aber doch keine Ursache, ihm das zu erzählen."

Ich murmelte eine beifällige Bemerkung über die bewiesene Vorsicht, und Fletcher's Augen glänzten, als ob die Erinnerung Licht und Wärme in ihm

erweckte.

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Stand halten, bis etwas Anderes seine Aufmerk­samkeit ablenkte. Dann ging ich nach Hause, um mein Gewehr zu holen, denn ich wollte mich rächen, doch wollte ich es vollkommen gesezmäßig thun und ging zum Mayor( Bürgermeister) er spielte ge­rade eine Partie Karten mit einem der Richter und sage zu ihm: Mr. Mayor, sage ich ,, ich will dem Turner mal Recht und Anstand lehren.' Und der Mayor stand von seinem Stuhl auf, nahm mich bei der Hand und sagte:, Mr. Fletcher, wenn Ihr's thut, will ich zu Euch stehen. Und der Richter, der sagte: Ich will Euch den Bon( Sicher­heitsschein) ausstellen.""

Ermuthigt durch die Zustimmung der behördlichen Vertreter ging Mr. Fletcher ab und auf die Suche. Mittlerweile hatte der gemeingefährliche Turner aber schon einen anderen angesehenen Bürger bedroht, und man hatte ihn bereits im Gefängniß. Die Freunde für Recht und Ordnung, die hinsichtlich der Andauer ihres Gefühls und Eifers für Gerechtigkeit wohl ein wenig Mißtrauen gegen sich selber hegten, hielten es für's Beste, die Angelegenheit gleich zu erledigen, bevor sie Zeit zur Abkühlung hätten. Und dem­gemäß traten der Mayor, der Richter, jener Türke und andere angesehene Bürger zusammen, begaben sich unter Fletcher's Führung nach dem Gefängniß und hängten Turner.

Unausgesezt entströmen dem Osten überflüssige Menschenkräfte. Theils der Noth, theils dem eig'nen Trieb gehorchend, entweichen sie den dichter bevöl­ferten Gebieten und brechen, oft mit ihrem Leben, der Kultur die Wege. Unaufhaltsam folgt ihnen diese westwärts, doch wird es noch lange dauern, bis sie etwa die Rocky- Mountains erreicht oder gar über dieselbe hinaus und allenthalben an's Meer hinaus­dringt. Manche schauervolle, wüstengleiche Einöden, wie ,, Bad lands" und" los campos de la muerte" ( Felder des Todes) in ihren massigen, seltsamen Steingebilden und ihrer flimmernden Gluthofenluft, sie werden wohl ewig bleiben, was sie vor un­denklichen Zeiten geworden: grausige Massengräber einer längst versunkenen Thier- und Pflanzenwelt.-

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