( Fortsetzung.)
Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
rich Dorn hatte sich die Novellen von Irene Lang kommen lassen, der Freund hatte sie ihm besorgt. Nun lag es vor ihm, ein mäßiges Bändchen, schreiend gelb broschirt, wie die moderne Buchhändlerreklame es liebt. Mit spizen Fingern legte der Mann den gelben Band auf den Tisch neben seinem Bett; er selbst warf sich in die Kissen und ließ das Licht brennen.
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Nacht war's. Durch das offene Fenster flogen Motten in's Zimmer, grauschwärzliche mit dicken Leibern, und umspielten die slackernde Kerze. Laue, durchduftete Luft kam mitgezogen- sie duftete nach Wald, nach Heu, nach warmem Stall dumpf brüllte eine Stuh auf, und eine Ziege meckerte gedämpft. Jetzt schrie drüben ein Kind, ein einziges Mal, schwach, halb im Schlaf; schon war's still, die Mutter drückte es wohl an die warme Brust und sang es ein. Alles nächtliche Laute, in sanftes Moll getaucht.
Verschwommenen Riesenlinien gleich ragten die Berge zum Fenster herein, dem Mann im Bett dinkten sie geheimnißvolle Schatten. Er stemmte den Ellenbogen auf; so, halb sizend, halb liegend, starrte er am flackernden Kerzenlicht vorbei in's Ungewisse lange.
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Ein Tag, zwei Tage, drei, vier, fünf Tage zogen an ihm vorüber, alle in jenes erwartungsvolle Grau getaucht keine Sonne, fein Regen- man wußte nicht, was da werden wollte. Und sie immer an seiner Seite.
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Auf den Berg waren sie miteinander gestiegen, gleich am ersten Tag. Sie hatten nicht viel gesprochen, der steile Aufstieg benahm ihnen den Athem. Sie war vor ihm hergegangen mit weit ausholendem Schritt; das braune Haar, von Schweiß gefeuchtet, flebte in Ringeln im Nacken, unter der leichten Blouse zeichnete sich jede Bewegung ab. Oben hatte sie sich nach ihm umgedreht, das heiße Gesicht vom verwehten Haar umflattert; mit einer raschen Bewegung wies fie hinüber zu den grotesken Felsmassen, die tief in der Mulde ein dunkles, freisrundes Gewässer umschlossen.
Als hätten Riesenhände hier Ball gespielt, so lagen Blöcke und Zacken versteinerter Lava auf der dürren Halde, hierhin geworfen, dorthin geworfen, Zeichen einer Vergangenheit. Und das Wasser unten, glatt, schwer wie flüssiges Pech.
Sie sagte nichts, nur ihr Auge leuchtete; es sprach deutlich: Wie schön! Fühlst Du's mit mir?" Und er fühlte es mit ihr.
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Ziehende Wolken über ihnen, tiefste Schatten im dunklen Spiegel; geheimnißvoll grau die Ferne, alle Berge verschwommen, von Thälern nichts zu sehen.
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So saßen sie stumm nebeneinander unten am Rand auf dem mageren Rasen, aus der weiten Welt hier zusammengeweht ganz allein. Kein Vogelruf, kein Froschgequat, todt der Spiegel des Wassers, todt die schwärzlichen Felsblöcke rundum; nur die Herzen nicht todt, die nebeneinander pochten.
Langsam erhob sich die Frau und kletterte über's Geröll ein Stück aufwärts. Dort stand sie auf dem Zacken, ein Wind hatte sich aufgemacht und blähte ihr dunkles Tuch; den Kopf vorgeneigt, stand fie sinnend. Wieder dies lauschende Erwarten im Ausdruck!
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Der Mann war ihr mit dem Blick gefolgt, er fonnte ihn nicht wenden was sie wohl dachte? was sie wohl dachte? Er mußte sie sprechen hören. Was denken Sie?" rief er ihr zu und erschrat. dann fast vor der eigenen Stimme; was ging's ihn an war es nicht indiskret, so zu fragen?
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" Ich?" Sie wendete den Kopf nicht nach ihm, mit einem starren, tiefen Blick schien sie sich gleichsam in die Landschaft einzubohren; als spräche sie allein zu sich, so fielen ihr die Worte von den Lippen. " Wenn ich ein Maler wäre, ich würde das hier malen, so grau in der Ferne, die schwärzlichen Felsen ringsum, das todte Wasser und den armen Rasen, am Himmel die jagenden Wolfenballen. Eine bleierne
Vor Thau und Tag.
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Luft müßte über dem Bilde ſein man müßte die fühlen fühlen und darunter schrieb ich: Melancholie!- weiter nichts."
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,, Oder eine Gestalt müßte auf dem Felsen stehen," fiel er hastig ein ,, so wie Sie da oben stehen, den Kopf lauschend geneigt. Eine große Frauen gestalt mit spähenden Augen von dunklen Mantel umflattert. Und drunter schrieb ich:" Sehnsucht!" " Sie haben recht," sagte sie langsam, und kam über's Geröll wieder auf ihn zu; vor ihm stehend, sah sie ihm voll in die Augen; wir verstehen uns; ein Tag gemeinsam in der Natur bringt die Menschen einander näher, als ein Jahr zwischen den Mauern der Stadt. Wir verstehen uns."
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Von da ab war sie ganz freundschaftlich mit ihm gewesen, so, als ob sie ihn schon länger geihm gewesen, so, als ob sie ihn schon länger gekannt hätte. Keine Spur von Gefallsucht in ihrem tannt hätte. Keine Spur von Gefallsucht in ihrem Wesen oder von Unweiblichkeit, sie war nur frei und offen. Daß sie noch Eltern hatte, wußte Dorn bald, alte, einfache Leute im Rahmen der Provinzialstadt. Voller Pietät gedachte die Tochter ihrer, mit Begeisterung aber sprach sie von ihrer Kunst. Da flammte ihr Auge auf in schönem Feuer, ein sehnsüchtiges Licht brannte darin; die eine Hand in die Falten des Kleides geballt, die andere gegen die Bruſt geſtemmt, mit fliegendem Athem wünschte sie sich an's Ziel, das Ziel, etwas Großes zu leisten. „ Und" ihre Lippen öffneten sich durstig, ein zitternder Klang war in ihrer Stimme ich frage mich oft bang: werd' ich's erreichen?"
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Gewiß, Sie werden!" Er sah sie bewundernd von der Seite an; so gefiel sie ihm ausnehmend mit den weltentrückten Augen und der fiebernden Gluth auf den Backen. Er hörte ihr rasches Athmen neben sich und spürte die Wärme, die von ihr ausging. Es war keine Schmeichelei, die ihm die Worte auf die Lippen drängte:„ Sie werden, Sie müssen viel erreichen! So sieht nur Jemand aus, so empfindet nur Der, dem das Geschick einen besonderen Kuß auf die Stirn gedrückt hat. Wir werden Ihren Namen noch feiern. Sie haben schon Aufsehen erregt; in furzer Zeit, was wird da sein?"
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Nichts," sagte sie hart und maß ihn mit einem seltsamen Blick. Nur wenn die Sonne, die uns Allen im Leben einmal scheinen sollte, auch mir Allen im Leben einmal scheinen sollte, auch mir scheint, dann dann werde ich das Ziel erreichen! In der Dämmerung wird man nichts, da bleibt man ewig eine Frage ohne Antwort."
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Ein merkwürdiges Frauenzimmer! Die Nacht nach dem Spaziergang hatte Dorn nicht gut geschlafen, mit Ungeduld wartete er auf's Morgengrauen; er hatte dann dem Freund geschrieben, ihm sofort den Novellenband von Irene Lang zu schicken. Er mußte den lesen, eine neugierige Spannung quälte ihn.
Und nun war das Buch da.
des.
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Bröfer. Unwillfürlich mußte Dorn an seine Braut denken; ob sie je wohl so etwas empfunden hatte, wie es hier in diesem Buche empfunden war, das, durchdrängt von leidenschaftlichem Sehnsuchtsgefühl, wie ein Nothschrei aus Weibesseele gellte? Alles zittert, drängt dem Licht entgegen vor Thau und Tag.
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Da die Kerze flackerte noch einmal auf und erlosch. Das Buch war zu Ende.
Draußen frähte ein Hahn, scharf gellend; er stand wohl auf dem Zaun und schlug mit den Flügeln. Im Nachbarhof antwortete der zweite, ein anderer in der Ferne; der Schall pflanzte sich fort in's Weite. Ueber das holperige Pflaster der Gasse trabte ein Frühaufsteher; in wunderbar trüber Farblosigkeit blickten die Berge in's Fenster. Morgengrauen. Durchfröstelt drückte sich der Uebernächtige fester in die Kissen, der gelbe Band fiel ihm aus der müden Hand; er zog die Decke bis an's Kinn. Der neue Tag brach an.
Auf dem Frühstückstisch fand der Doktor einen Brief seiner Braut; schon von Weitem glänzten ihm die steifen, regelmäßigen Schriftzüge entgegen.
Lieber Erich!" schrieb Anna,„ da es doch eigentlich natürlich ist, wenn wir zusammen sind, und alle Bekannten hier im Seebad fragen, wo Du eigentlich bist, haben wir den Entschluß gefaßt, unseren hiesigen Aufenthalt abzubrechen und zu Dir zu kommen. Die Eltern sind ganz einverstanden, Brautleute gehören doch zueinander, und nebenbei ist Gebirgsluft nach der See sehr gesund. Also, lieber Grich, wir reisen übermorgen von hier ab, am zwanzigsten August spätestens können wir bei Dir sein. Wir machen noch einen kleinen Abstecher über Köln , wo ich mir geschnitzte Möbel ansehen will; unser Eßzimmer muß alt- eichen sein, meinst Du nicht? Für den Salon finde ich N... am hübschesten; Du doch auch? Ich kann mir denken, wie Du Dich auf uns freuſt! Es grüßt und füßt Dich in Eile Deine Anna."
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So?" Erich brachte nur das eine Wort hervor, und dann fuhr er sich durch die Haare und stand und starrte wie ein Ernüchterter auf das weiße Papier mit den regelmäßigen Buchstaben. Sie fam! Zorn wallte in ihm auf gegen das ruhige Puppengesicht; war's nicht genug, wenn er das sein ganzes Leben lang neben sich hatte, mußte es auch jetzt kommen und ihn stören? Am Zwanzigsten. Und heute war der Achtzehnte! Noch zwei Tage Freiheit, noch zwei Tage ungestörten Genusses- was wohl Irene Lang sagen würde? Er hatte ihr wenig von seiner Braut gesprochen, kaum so, wie man eine gleichgültige Thatsache berichtet; sie hatte kaum gefragt, da war so viel Anderes, was sie miteinander zu reden hatten.
Eine Art Gier überkam ihn, sie zu sehen, zu Der Mann im Bett faßte nach dem gelben sprechen; diese zwei Tage auszunußen! Er riß den Band und rückte sich das Licht näher.
Vor Thau und Tag," das war der Gesammttitel. Und nun las er. Sein dunkler Kopf blieb gleichmäßig in derselben Stellung; ob das Genic nicht schmerzte? Das Licht brannte tief herab, die Flamme flackerte im Zugwind, verbrannte Motten lagen am Fuß des Leuchters; die Hand, die das Buch hielt, zitterte leichter las. Draußen tutete der Nachtwächter in sein Horn und stampfte die Gasse hinunter Gasse hinunter er hörte es nicht.
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Da war derselbe wolkenverhangene Himmel über diesen Geschichten, wie er gestern und vorgestern und alle Tage schon hier über den Bergen gehangen. Ein Frösteln, ein Schauern ging durch diese Zeilen, wie es die Natur hat auf der Scheide zwischen wie es die Natur hat auf der Scheide zwischen Nacht und Morgen; ein leidenschaftliches Erzittern in Busch und Baum, tief neigen sich die Blumen, den befruchtenden Thau im Schooße zu empfangen den befruchtenden Thau im Schooße zu empfangen
aber er fällt noch nicht, er hängt fest in den Nebeln der Nacht, die Sonne geht noch nicht auf.
Vor Thau und Tag! Das war freilich keine Lektire für die runden, blauen Augen von Anna
Hut vom Nagel und sprang in großen Säßen, wie ein Schulfnabe, über die Straße.
Er hatte das Nachbargrundstück noch nie be= treten; im rauchigen Flur, unten an der hölzernen Stiege, tam ihm die alte Wirthin entgegen; sie maß den hübschen Mann mit wohlwollenden Blicken:
Ah, Sie sein den Herr von driwen, der immer mit unsem Fräulein geht! Jao, jao, se is im Garten." Sie schob ihn durch den Flur, mit einem freundschaftlichen Buff stieß sie ihn durch die enge Thür an der Rückwand.
Er war im Garten, einem kleinen, melancholischen Berggarten, mit dem knorrigen Birnbaum in der Mitte; am Zaun ein paar armselige Blumenbeete, verkümmerte Rosen darauf und zerzauster Eisenhut, dazwischen wucherndes Unkraut. Nach dem dunklen Flur blendete ihn draußen die Helle, zitterndes Licht tanzte ihm vor den Augen und streute grünrothe Funken über den verwachsenen Weg- da stand sie, mitten im Garten unter'm Birnbaum.
Mit einem Aufleuchten im Gesicht sah sie ihm entgegen, sie hatte ein Lachen um den Mund.