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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
" Nein!" Wieder dies kurze rauhe Nein. Und dann nichts mehr.
Draußen flatscht der Regen, der Blick durchdringt nicht das Grau Alles trüb, Alles düster. - Und nun ein zuckender Blizstrahl! Grell beleuchtet er die schwarze Höhlung. Der Mann sieht des Weibes Haupt hintenübergebogen; die Lippen ge öffnet, die Augen groß, starrt sie mit einem Ausdruck in's Leere, einem Ausdruck
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Keuchend ist er neben ihr, er reißt sie an sich Welt, Blitz auf Bliz, Donner auf Donner
Braut, morgen, Alles vergessen! Er sucht ihren Mund, er füßt sie. Fiir Augenblicke und doch für Ewigkeiten fühlt er ihre Lippen an den seinen hängen, ihren zitternden Körper an den seinen gedrängt damit einem unartikulirten Laut mit einem unartikulirten Laut stößt sie ihn von sich. Die Augen unnatürlich weit geöffnet, weicht sie zurück.
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Er will ihre Hand fassen, ihr Kleid immer weiter tritt sie von ihm: schon strömt der Regen auf ihr Haupt, unter den nassen, schweren Haarsträhnen glühen ihn die aufgerissenen Augen an
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aus dem gespenstisch leuchtenden Gesicht. Sie hebt die Handes sieht aus wie eine Drohung halblaut murmelt sie, ohne den Blick von ihm zu wenden langsam, langsam weicht sie einen Schritt
nach dem anderen zurück:
„ Die Lippen, die sich so berührt,
Sind rettungslos gefangen; Spät oder früh, sie müssen doch Sich tödtlich heimverlangen!"
( Fortsetzung folgt.)
مسة
Ein Zweikampf. Die Schul' ist aus! Während die Mädchen eilfertig nach Hauſe trippeln, löst sich die Schaar der Buben bald in einzelne Gruppen auf. Der hat mit Diefem Etwas auszumachen, ein Anderer mit Jenem. Auf einmal fliegt ein Schimpfwort auf. Der, auf den es gemünzt, wirft den Kopf empor und mißt den Feind mit wägendem Blick. Er ist nicht zu groß, er ist nicht zu start, es kann gehen. Und sofort erfolgt feine Antwort. Sie ist so gepfeffert, daß der Angreifer unmöglich schweigen kann. Im Handumdrehen ist das schönste Zankduett im Gange. Das haben die Schulbuben mit den homerischen Helden gemein: Ehe sie raufen, schimpfen sie. Sie bleiben aber während des Schimpfens nicht stehen; bald dahin geht's, bald dorthin, und ge= treulich folgen ihnen die Kameraden. Endlich ist man an einen abgelegenen Plaz gekommen. Der Eine hat den Zungenstreit satt, er stellt sich in Positur und schreit: Willst vielleicht was?... Komm' her!" Einen Augenblick sehen die Beiden einander in die zornfunkelnden Augen, dann fliegen die Schulranzen auf die Erde, die Rauferei beginnt. Beinstellen ist bei den Schulbuben sehr beliebt. Wer die Kunst versteht, wirft seinen Gegner fast unfehlbar. Und so dauert es denn garnicht lange, und die beiden Streithähne wälzen sich am Boden. Der, welcher oben zu liegen gekommen ist, sucht seinen Widerpart so fest auf die Erde zu drücken, daß er sich nicht mehr rühren kann und sich als besiegt erklären muß. Der Andere, versucht natürlich, Luft zu bekommen, strampelt mit den Beinen, fährt dem Gegner in die Haare, wagt auch wohl zu fragen und zu beißen. Und Beide schreien. Diesen Moment hat Ludwig Knaus , der Maler unseres heutigen Bildes, zur Darstellung gewählt. Der Kampf steht knapp vor der Entscheidung. Und da können sich auch die Zuschauer nicht mehr halten und verrathen ihr Interesse, ihre Theilnahme. Der Knabe in der Pelzmüße erscheint in der Rolle des„ Unparteiischen". Er streckt abwehrend die Hand aus und schreit wohl auch:„ Ausraufen lassen! Ausraufen lassen!" Sein Nebenmann hat beide Hände geballt und bewegt sie stoßweise auf und nieder: " Feste, feste, uf de Weste!" Der im bloßen Kopf hält es augenscheinlich mit dem Untenliegenden. Er verdreht Arm und Hand in der Weise, wie man es bei Kegelschiebern sieht, wenn die Kugel fehl gehen will:" Dreh' Dich! Dreh' Dich! Dann kommst Du vor." Nur die beiden Herrchen in Kniehosen äußern ihre Theilnahme weniger auffallend; sie sind zu wohlerzogen, vielleicht auch schon etwas blafirt. Unser Bild wirkt humoristisch. Warum? Weil der zum Vorschein kommende bittere Ernst der Kämpfenden und Zuschauer im Gegensatz steht zu der winzigen Ursache des Streites, weil der Beschauer des Bildes sich seiner Jugendzeit erinnert und weiß, daß das Resultat des Kampfes höchstens in einem Büschel ausgerissener Haare, einem Riß in der Hofe oder einigen Krazern besteht. Er erinnert sich, daß die meisten dieser Zweikämpfe, an denen er betheiligt war, ein sehr schnelles Ende nahmen, weil ein Haselnußstecken oder ein Besenstiel in Sicht kam, und er schmunzelt und lächelt.-
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Der Name China ist den Chinesen selber vollständig fremd. Sie bezeichnen ihr Land immer nach dem Namen der jeweilig herrschenden Dynastie. Gegenwärtig nennen sie es Thai- tsching- kue, d. h. Neich der großen Reinen, nach dem seit Mitte des 17. Jahrhunderts regierenden Fürstenhause der Tsching, das sind die Reinen. Der Name China hat einen eigenartigen Ursprung. Im Nordwesten des gewaltigen Reiches, in der Provinz Schen- si, liegt ein Gebiet mit Namen Thin( etwa wie Zinn ausgesprochen), das vor über 2000 Jahren einem chinesischen Kaisergeschlechte den Namen gab. Der Dynastie Thin ( sie herrschte von 255-206 v. Chr.) entstammte der berüchtigte Thin- Schi- hoang- ti. Dieser ließ 460 Gelehrte, die gegen sein brutales autokratisches Regiment zu protestiren wagten, verbrennen, er gebot auch, alle Bücher in seinem Lande zu vernichten. Manches unschätzbare Werk des chinesischen Alterthums mag zu jener Zeit dem Untergange geweiht worden sein. Diesem Kaiser nach Einigen ist er der Begründer, nach Anderen der Vollender der chinesischen Mauer- gelang es indessen, die eine Zeit lang getrennten chinesischen Stämme zu einigen und sein Reich zu dem gebietenden fast in ganz Asien zu machen. Der Name Thin mochte aber den Bewohnern der Nachbarreiche nicht mundgerecht sein, denn schon zu
Feuilleton.
den Zeiten dieses Herrschers hatten die Hindus und Perser ein Sin, Zina, Dschia oder Tschina daraus gemacht. In dieser Form erhielt sich der Name jenes Geschlechts, dem noch heute in China ein Fluch nachgerufen wird, verschiedene Jahrhunderte. Die Namen der nächsten Fürstenhäuser konnten im Ausland dagegen wenig auffommen. Zufällig führte nun ein mächtiges Geschlecht, das China von 265-420 n. Chr. beherrschte, wieder den Namen Thin. Das chinesische Schriftzeichen für diesen Namen ist freilich ein verschiedenes, und auch die Aussprache mag eine etwas andere gewesen sein; doch wurde die feine Nüancirung von den Ausländern kaum bemerkt. Die zweite Dynastie Thin, deren Macht man bis an die Grenzen des heutigen Frans huldigte, frischte den schon etwas verblichenen Glanz des Namens Thin wieder auf. Bei den asiatischen Völkern erhielt er sich jetzt für immer. Die ersten Europäer, die diesen Namen hörten, waren portugiesische Seefahrer im 16. Jahrhundert. Ihnen wurde, ohne daß sie das eigentliche China gesehen oder betreten hatten, der Name Tschina von den Malaien mitgetheilt, die ihn ihrerseits wahrscheinlich auch erst aus zweiter Hand empfangen haben. Der malaiischen Aussprache Tschina, die sich mit dem portugiesisch- spanischen Idiom vortrefflich deckt, paßten sich nun, mit Ausnahme Rußlands , alle Völker Europas , je nach ihrer Aussprache, des„ ch" an. Die Russen nennen das Land.„ Kitai". Sie machten zuerst die Bekanntschaft der Mongolen, deren Land sie mit diesem Namen bezeichneten, da in der Mongolei bis etwa zur Zeit ihres ersten Eingreifens Mongolei bis etwa zur Zeit ihres ersten Eingreifens das tungusische Geschlecht der Kitans herrschte. Diesen Namen wandten sie mit der Zeit auf ganz China an, da dieses ihnen als der südliche Theil der Mongolei erschien. So hat er sich als Bezeichnung für China bis auf den heutigen Tag bei ihnen erhalten. Von den Mongolen mag auch der berühmte venetianische Reisende Marco Polo ( 1254-1323), der erste Europäer, der jene Gebiete betreten hat, den ähnlich klingenden Namen „ Cataja" für China mitgebracht haben. Allerdings wurde Marco Polo von seinen Zeitgenossen in Europa wenig beachtet. Außer dem oben erwähnten, bei den Chinesen selbst gebräuchlichen Namen nach der jetzt herrschenden Dynastie ist bei ihnen die Benennung Tschung- fue, Reich der Mitte, in gleichem Maße verbreitet. Weniger bekannt, und wohl nur bei Gelehrten und Dichtern im Gebrauch, sind die phantafievollen Bezeichnungen Tschung= hua, Blume der Mitte, und Thian- hia, Himmelsunterlage oder Weltriese.
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―e.
Die Augen der niederen Thiere sind von dem kunstvollen Organ, durch welches bei den Menschen und den höheren Thieren das Sehen vermittelt wird, außerordentlich verschieden. Die einfachsten Organe für Lichtempfindung sind wohl die sogenannten Augenpunkte, wie sie sich zum Beispiel bei den Medusen finden, einer im Meere lebenden Quallenart, die fast wie Pilze aussehen. Das Auge besteht hier lediglich aus einer durchfichtigen Decke, unter welcher sich das äußere Ende eines Nerven befindet, der für Lichtreize empfindlich ist. Natürlich fann bei einem derartigen Auge von einem eigentlichen Sehen, einem Wahrnehmen der Formen irgend eines Körpers, von dem Licht ausgeht, keine Rede sein; die betreffenden Thiere empfinden höchstens ganz allgemein den Unterschied zwischen Helligkeit und Dunkelheit, wie wir etwa selbst bei geschlossenen Augen empfinden, ob wir uns in einem völlig dunklen oder hellen Raume befinden. Nur wenn das Licht, das von jedem Punkte eines Gegenstandes ausgeht, auf eine besondere Nervenfaser trifft, kann an ein Auffassen der Form eines Körpers mittelst des Auges gedacht werden. Dies ist bereits bei dem sogenannten Facettenauge vieler Insekten der Fall. Von dem knotenförmig verdickten Ende des Sehnerven geht hier eine große Reihe feiner Nervenfasern oder Nervenstäbe nach allen Richtungen aus, die sich an dem Ende zu einem durchsichtigen, das Licht stark brechenden Regel, dem sogenannten Krystallfegel, verstärken. Diese Kegel sind von einem Pigment bis an ihre Basis um= geben, so daß nur solche Lichtstrahlen, die senkrecht auf die Endfläche eines Kegels fallen, in ihn hinein gelangen fönnen. Obwohl daher das ganze Auge ein sehr großes Gesichtsfeld umspannt, weil die einzelnen Nervenfasern
mit ihren Krystallfegeln strahlförmig auseinandergehen,
kommt von jedem einzelnen Theile desselben doch nur
sehr wenig Licht in das Auge. Das mit einem solchen Auge ausgerüstete Thier kann daher zwar die Formen der Gegenstände in seinem Gesichtsfelde erkennen, indem es die einzelnen Punkte nebeinander wahrnimmit; aber iroz des überaus kunstvollen Baues dieses Organs hält das dadurch ermöglichte Sehen keinen Vergleich mit dem der höheren Thiere aus, wo von jedem Punkte aus eine große Lichtfülle in das Auge dringt und dort durch Brechung an der Krystalllinse wieder in einem Punkt vereinigt wird. Manche Forscher bezweifeln überhaupt, daß die Insekten mit ihren Facettenaugen im eigentlichen Sinne sehen und gar Erinnerungsbilder der gesehenen Gegenstände bewahren. Das Facettenauge ermöglicht zwar mehr als die bloße Unterscheidung zwischen Hell und Dunkel, vor Allem giebt es auch die Richtung an, aus welcher ein Lichtreiz kommt; ob aber mehr als ein instinktartiges, immer gleichmäßiges Reagiren auf diese Reize, also ein bewußtes Sehen dabei stattfinden kann, ist doch zweifelhaft.-
a.
Unbewußte Blausäurevergiftung. Kleine Kinder haben bekanntlich die Gewohnheit, Alles in den Mund zu stecken. Es ist daher nur eine vernünftige gesetzliche Bestimmung, daß Kinderspielzeug nicht mit giftigen Farben gefärbt sein soll. Auch schärfen sorgsame Eltern ihren Kindern wohl ein, keine Beeren, Blumen, Blätter und Pilze in den Mund zu nehmen oder zu essen, da es unter diesen viele schädliche und giftige giebt, und Kinder thatsächlich schon mehrfach durch Genuß von Tollfirschbeeren, Einbeeren, Seidelbaftbeeren, Herbstzeitloseblüthen und verschiedene Pilzarten ihr Leben eingebüßt haben. Eine Vergiftungsmöglichkeit, der nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene sich häufig aussehen, wird aber fast garnicht erwähnt. Das ist der Genuß der Kerne vieler Obstarten, der Pflaumen, Kirschen, Aepfel, Aprifosen, Pfirsiche und namentlich der bitteren Mandeln, die sämmtlich Blausäure in Form von Amygdalin enthalten. Prof. Lehmann( Robert's Lehrbuch der Intoricationen S. 511) fand in den Kernen von Aepfeln 0,6, Kirschen 0,82, Pflaumen 0,96, Pfirsichen 2,35, bitteren Mandeln 2,5-4,0 Prozent Amygdalin. Wenn man nun erwägt, daß 17 Theile Amygdalin einem Theil reiner, wasserfreier Blausäure entsprechen, und daß von dieser der zwanzigste Theil eines Gramms genügt, um einen erwachsenen Menschen zu tödten, so wird Prof. Dr. Robert in Leipzig wohl Recht haben, wenn er behauptet, daß durch Genuß dieser Samen häufiger Vergiftungen erfolgen, als man allgemein annimmt. Prof. Hofmann in Leipzig hat einen dreijährigen Knaben secirt, der nach dem Genuß von 8-10 bitteren Mandeln gestorben war, und eine Frau, in deren Magen sich viele zerfaute bittere Mandeln fanden. Glücklicher Weise verlaufen diese Vergiftungen nicht immer tödtlich. Es zeigt sich nur Krazen im Halje, Huften, erschwertes Athmen, Mattigfeit, Hinfälligkeit, abgeschwächtes Gefühl und bleibende Schwäche in Muskeln und Nerven, Mangel an Eßluſt und heftige Kopfschmerzen; und es dauert oft Tage lang, ehe diese schlimmen Wirkungen des Giftes wieder völlig verschwinden. Daher schärfe man den Kindern nicht nur ein, feine unbekannten Beeren und Pilze zu essen, sondern ebenso keine Kerne von bitteren Mandeln, Aprikosen, Pflaumen, Kirschen und Aepfeln. Auch die Früchte der Vogelbeeren, des Weißdorns, Nothdorns und des Faulbaumes find blausäurehaltig. Aber auch der Genuß von größeren Mengen mittelst der genannten Samen hergestellter Genußmittel, wie Marzipan, Mandelfrême, Kirsch' wasser, Zwetschengeist, Rosoglio, Persico, Maraschino 2c. fann zu einer mehr oder weniger erheblichen Blausäurevergiftung führen.-
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Die Dichter, das sind die großen Träumer ihres Volkes... die Träumer seiner Sehnsucht.
Nachdruck des Inhalts verboten!
Alle für die Redaktion der Neuen Welt" beſtimmten Sendungen sind nach Berlin , SW 19, Beuthstraße 2, zu richten.
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