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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

ließen zum Aufruhr gegen die Großen der Welt, in denen er die Macht verkörpert sah, die ihn am meisten bedrickte: der Feudalismus ?

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schaft war auch Alles nach neuestem Zuschnitt. Das Nindvieh bekam Rübenschnigel als Futter. Troz der vielen Kühe und großartigen Ställe, war die Milchwirthschaft doch nur unbedeutend. Das Vich kam von auswärts in großen Transporten herein werde. im und stand nur zur Mast da. Kälber wurden nicht Nur des Düngers wegen schien man angebunden.

llud lag der letzte und tiefste Grund der Un­bilden, die dem Bauern widerfuhren, nicht gerade im Wesen der Wirthschaftsverfassung selbst Kapitalismus , der die Kleinen mitleidslos zerrieb und dem Großgrundbesitzer und Wucherer auf Gnade und Ungnade auslieferte?

Der Büttnerbauer wußte von der Geschichte und der Entwickelung seines Standes nichts. Kenntniß und Interesse für das Vergangene sind gering beim Bauern; auch hat er wenig Standesbewußtsein, feinen Zusammenhalt mit Seinesgleichen. Ihn kümmern nur die Nöthe und Bedürfnisse, die ihm gerade im Augenblicke auf den Nägeln brennen. Er weiß von der Welt und ihrem Gange meist nur das Nothdürftigste, was er in der Schule erlernt, was er erlebt und erfahren hat, und zur Noth das Wenige von der Vergangenheit, was ihm die Eltern mitgetheilt haben.

Traugott Büttner hatte nur ein dumpfes Ge­fühl, eine dunkle Ahnung, daß ihm großes Unrecht widerfahre. Aber wer wußte denn zu sagen: wie und von wem? Wen sollte er anklagen? Das war ja gerade das Unheimliche, daß es eine Er­klärung nicht gab. Das Verderben war gekommen über Nacht, er wußte nicht, von wannen. Menschen hatten Rechte über ihn und sein Eigenthum ge­wonnen, Fremde, die ihm vor zwei Jahren nicht einmal dem Namen nach bekannt waren. Er hatte diesen Leuten nichts Böses angethan, nur ihre Hülfe, die sie ihm aufgenöthigt hatten, in Anspruch ge= genommen. Und daraus waren, durch Vorgänge und Wendungen, die er nicht verstand, Rechte er= wachsen, durch die er diesen Menschen hülflos in die Hände gegeben war. Er mochte sich den Kopf zermartern, er konnte das Ganze nicht begreifen.

Eines blieb als Untergrund aller seiner Ge­danken und Gefühle: ein dumpfer, schwelender In­grimm. Ihm war unsagbares Unrecht geschehen. Sein Mund verstummte: hätte er ihn aufgethan, es wäre eine Klage erschollen, die kein Nichter dieser Welt angenommen hätte.

XXI.

Die Sachsengänger waren an ihrem Bestimmungs­orte eingetroffen. Leiterwagen vom Rittergute Welz­leben hatten sie an der Station abgeholt und nach dem Vorwerke Habeldamm gebracht. Hier waren sie vom Inspektor in ihre Kaserne eingewiesen worden.

Am nächsten Morgen bereits ging's mit der Feld­arbeit los.

Die Rüben waren eben erst aufgegangen; an ihnen gab es also noch keine Arbeit. Die Mädchen wurden daher mit Behacken des Wintergetreides be­schäftigt, während die Männer bei der Frühjahrs­bestellung zu helfen hatten.

Es waren völlig neue Verhältnisse hier im Westen, in welche diese Ostländer ganz unvermittelt versetzt wurden. Weit und breit fruchttragende ebene Fluren. Feld an Feld, Schlag an Schlag, die das Auge kaum zu übersehen vermochte, durchquert von grad­linigen Kunststraßen und Obstalleen. Jede Hand­breit Land war hier ausgenußt. So kostbar schien dieser Boden, daß man keinem wilden Baum, feinem Strauch in der Feldmark das Leben gönnte. Nirgends fiel der Blick auf Unland. Sorgfältig waren die Steine aus dem Acker entfernt. Am Horizonte fehlte der Kiefernbusch, der im Osten fast überall das landschaftliche Bild einrahmt. Kein Wald, fein Ge­büsch, feine Hutung zu erblicken. Wenig Wiese; die Ackerscholle beherrschte hier Alles. An Stelle des buntscheckigen Planes von winzigen Fleckchen und Streifchen, wie es die Sachsengänger von ihrer Heimath her gewöhnt waren, breitete sich hier das Zuckerrübenfeld mit den endlosen Reihen der ge­drillten Nübenpflänzchen; giftgrüne Streifen auf dunkelbraunem Untergrunde.

Und nun erst die Bestellung! Spatenarbeit kannte man hier nicht, der Handpflug war an vielen Stellen vom Dampfpfluge verdrängt. Das Getreide wurde mit der Dampfmaschine ausgedroschen, die Saaten mit der Drillmaschine bestellt. Und in der Wirth­

Rindvieh zu halten.

Und die Dörfer! Da tam man sich vor, wie in der Stadt. Die Häuser eng beieinander, den Nach­barn gleichend wie ein Ei dem anderen, weißgetiincht, kahl mit Ziegeln abgedeckt. Kein Fachwerk, kein Strohdach. Hin und wieder war einmal der Ansatz zu einem Gärtchen zu erblicken, hinter steifem Sta­ketenzaune. Der Grasgarten, die Obstbäume, die der ärmste Häusler des Ostens gern um sein An­wesen hat, fehlten ganz. Und wo waren die Dinger­stätten, das Göpelwerk, der Taubenschlag, die Enten­pfüße? Diese Menschen nannten keine Kuh, kein pfüße? Diese Menschen nannten feine Kuh, fein Schwein, kein Federvieh ihr eigen.

Dabei schien es hier eigentliche Armuth nicht zu geben. Die Leute ließen sich nichts abgehen. Sie gingen einher in städtischer Kleidung. Bloße Waden gab's hier freilich nicht zu sehen; selbst die Kinder liefen nicht barfuß.

Die wenigen Bauern waren große Herren. Sie ritten und fuhren einher, wie die Rittergutsbesizer, wohnten in großen stattlichen Häusern und schickten ihre Kinder zur Schule in die Stadt. Wenn sie untereinander waren, redeten sie sich mit Sie" an, und an einem Tische mit seinem Gesinde wollte von diesen großen Herren auch keiner mehr zum Essen niedersitzen.

Da es teine Berge hier zu Lande gab, die Bäume in der Landschaft selten und die Kirchthürme flein und unansehnlich waren, so hätte es eigentlich nichts in die Augen Fallendes gegeben, wären nicht die Essen gewesen, die sich allerorten neugierig und gleichsam waghalsig emporreckten. Hier eine von einer Zuckerfabrik, dort von einer Ziegelei oder Brennerei.

Auch auf dem Vorwerke Habeldamm gab es solch eine Esse, die zur Brennerei gehörte. Der Wirthschaftshof wurde von lauter neuen einstöckigen Gebäuden gebildet. Wie auf dem Präsentirbrett lag das Ganze da, mit seinen blißblanken gefalften Wänden, hellrothen Ziegeldächern, mitten in den grünen Rübenfeldern, die sich bis dicht an die Ge­grünen Rübenfeldern, die sich bis dicht an die Ge­bäude zogen. Eine größere Bahn ging in weiter Kurve über andere Rübengüter nach der Zucker­fabrik. Diese Fabrik war ein Aktienunternehmen der umliegenden Grundbesizer.

Etwas abseits vom eigentlichen Wirthschafts­hofe lag die Wohnung der Wanderarbeiter, die Es Es " Kaserne", wie sie furzweg bezeichnet wurde. war ein mäßig großes, einstöckiges Haus, genau nach der polizeilichen Vorschrift erbaut", wie der Inspektor nicht zu bemerken verfehlte, als er Gustav mit seinen Leuten einwies. Zu ebener Erde be­fanden sich zwei saalartige Räume, der größere für die Mädchen zum Wohnen und Speisen, der andere für die Männer bestimmt, ferner eine Stiche mit für die Männer bestimmt, ferner eine Küche mit neumodischem Herd und eine Wasch- und Spül­einrichtung. Im ersten Stock waren die Schlaf­einrichtung. Im ersten Stock waren die Schlaf­räume untergebracht, die Mädchenkammer getrennt von der der Männer durch die Wohnung des Auf­sehers", wie Gustav jest titulirt wurde.

Der Inspektor, ein jüngerer Herr, dessen Schnurr­bart und schneidiger Ton feinen Zweifel dariiber aufkommen ließen, daß er Reserveoffizier sei, führte Gustav in sämmtlichen Räumen umher, übergab ihm den Hauptschlüssel, und machte den Aufseher darauf aufmerksam, daß man sich von Seiten der Guts­verwaltung für jede Schweinerei", die hier etwa vorkommen würde, an ihn halten werde.

Gustav fand die Einrichtung, in der sie fortan hausen sollten, weit besser, als er's erwartet hatte. Die tasernenartige Eintheilung des Hauses heimelte ihn, wie eine Erinnerung an die Soldatenzeit, an. Pauline hatte sich freilich mehr Traulichkeit gewünscht in ihrer Stube, die außer Bett, Schrank, Tisch und Stühlen nichts enthielt. Aber man mußte schließ lich froh sein! Hatte man doch ein Dach über sich und eine Diele unter den Jüßen.

wareit.

Mit dem Küchenherde konnte sie auch zufrieden sein. Gut, daß ihr die neumodischen Kochvorrich­tungen vom Rittergute daheim einigermaßen bekannt Der Inspektor hatte darauf hingewiesen, daß hier das zukünftige Feld ihrer Thätigkeit sein Die Kartoffeln werde sie wöchentlich zu­gemessen erhalten für die ganze Gesellschaft". Was sie damit anfange, sei ihre Sache. Darum fönnen wir uns nicht auch noch scheeren; da hätten wir viel zu thun!" hieß es in kurzer schneidiger Ansprache. Von den Arbeitern fanden sich nicht alle sofort in die neuen Verhältnisse.

Der Pole Rogalla räſonnirte laut, allerdings auf polnisch, was Niemandem etwas that, weil Niemand es verstand. Bedenklicher war, daß er sich weigerte, in dem gemeinsamen Männerschlafsaale zu über­nachten. Häschke sprach die Vermuthung aus, daß dem Pollacken die gewohnte Bucht mit den Neichs­fäfern" fehle. Gustav redete ein Wörtlein deutsch mit dem Polen . Rogalla suchte darauf hin zwar die gemeinsame Bettstatt auf, in der Nacht aber stahl er sich hinweg. Er mußte irgendwo eine seinem Geschmacke mehr zusagende Schlafstätte ausfindig gemacht haben.

Auch einige von den Mädchen stellten sich äußerst gefährlich an. Vor Allem ein Schwesternpaar Helfner. Sie stammten aus dem Armenhause. Helfners waren eine berüchtigte Familie in Halbenau. Gustav hatte sich daher längere Zeit bedacht, ob er das Schwestern­paar mitnehmen solle. Aber sie hatten die heiligsten Versprechungen gegeben, sich gut aufführen zu wollen. Jezt fanden sie Alles schlecht: die Wohnung, das Essen. Die Arbeit war ihnen zu viel. Als Gustav sie etwas scharf' rannahm, verschwanden sie in einer Kammer und schlossen die Thür hinter sich zu. Da blieben sie und kamen nicht zur Arbeit. Gustav war rathlos. Männer zu kommandiren, das hatte er als Unteroffizier gelernt, aber mit widerspenstigen Frauenzimmern fertig werden, das war noch ein ander Ding. Pauline konnte ihm dabei nicht helfen, sie war zu weich, um ihresgleichen zu beherrschen.

Da fand der Aufseher unerwartete Hülfe und Unterstiigung in seiner kleinen Schwester. Schon auf der Reise hatte es sich gezeigt, daß Ernestine unter den Mädchen die Führerrolle an sich gerissen habe, obgleich sie eine der jüngsten war. Die Anderen, unter denen manches bärenstarke Frauenzimmer sich befand, beugten sich doch der Energie und Klugheit dieser kleinen Person. Jeßt war Ernestine die Ein­zige, die sich Eingang zu dem aufsässigen Schwestern­paare zu verschaffen wußte, ja die Helfners schließlich dazu bewog, die Arbeit aufzunehmen.

Eine äußerst brauchbare Zugabe für den Auf­seher bildete auch Häschke. Das war ein hart­gefottener Sünder, der schon durch manches enge Loch in seinem Leben hindurchgekrochen sein mochte, der mit allen Hunden geheßt war. So Einen konnte man hier gebrauchen. Dabei war Häschtefarl ein grundgutmüthiger Geselle und seinesgleichen gegen­über stets zur Hülfe bereit. Aber Häschte's freund­schaftliche Gesinnung verwandelte sich sofort in's Gegentheil, wenn er es mit einem Höhergestellten zu thun hatte. Da wurde aus diesem lustigen Bruder ein mißtrauisch hämischer Geselle.

Auf den Inspektor hatte Häschtekarl sofort seinen ganzen Haß geworfen. Er lag Gustav in den Ohren, daß er sich von dem Affen" ja nichts gefallen lasse. Der großschnäuzige Kert" werde sie noch lange nicht dumm machen".

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Sehr schnell hatte es Häschke hingegen verstanden, sich drüben im Vorwerk beim Gesinde gute Freunde zu machen. Von dort brachte er allerhand interessante Nachrichten mit: Herr Hallstädt, der Besizer von Welzleben, sei mehrfacher Millionär. Sein Ver­mögen habe er durch Nübenwirthschaft und Zucker­fabrikation gemacht. Er selbst sei ein Geizhals, aber seine Söhne, die Offiziere waren, sorgten dafür, daß das Geld ihres Alten unter die Leute komme.

Auch über den Herrn Inspektor wußte Häschte­karl allerhand zu berichten. Den Knechten gegen­über sei der ein Wütherich, gegen die Mägde hin­gegen oftmals nur allzu freundlich. Im vorigen Jahre sei der Mann aber mal an den Richtigen gekommen. Ein Knecht, der nicht mit sich hatte