Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Wir liebten uns. Ich saß an deinem Lager Und sah auf Deinen todesmatten Mund. Dein Huge suchte mich, ein blasser Frager: Hörst Du den Sensenschnitt im Wiesengrund?

Um Pfingsten ist's. Die Stadt war ausgeflogen In hellen Kleidern und im Frühlingshut, Wir waren um den schönsten Tag betrogen, O Tag, sei gnädig ihrer Fiebergluth.

Der Maibaum.

Von Detlev v. Liliencron .

Zu Deinem Haupte bog, zu Deinen Füßen Bog sich ein grünes Birkenbäumchen vor, Sie sollten Dich vom heiligen Leben grüßen, Ein letzter Gruß Dir sein am schwarzen Thor.

Ich hatte gestern sie für Dich geschnitten, Hn einer Stelle, die Dir wohlbekannt, Zu der wir ausgelassen oft geschritten, An der wir oft gesessen Hand in Hand.

Weißt Du den Abend noch, wir saßen lange, Ein nahendes Gewitter hielt uns fest An unserm Weidenbusch, Du fragtest bange, Es klang so zag: Und wenn Du mich verläßt?

Un jenem Ort steht eine alte Weide, Vor Neid und Sonne unsre Schützerin, Da ist es still und überall die Haide, Um Sinster zittert die Libelle hin. Am

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Ein Wasser schwazt sich selig durch's Gelände, Ein reifer Roggenstrich schließt ab nach Süd, Da stützt Natur die Stirne in die Hände Und ruht sich aus, von ihrer Arbeit müd'.

Sieh zu mir auf, beschirmt von Birkenzweigen, Ich war Dir treu, wir haben uns geglaubt. Hus Wüsten zieht auf Wolken her das Schweigen, Die Sense sirrt und sterbend sinkt Dein Haupt.

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( Fortsetzung.)

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swar eine große Ueberraschung für Familie Bröfer, als der Bräutigam am siebenten Tage den Vorschlag machte, abzureisen. Er habe zu Hause Verpflichtungen, er sei des Nichtsthuns satt, auch bekomme ihm die Luft hier nicht, er sei frank. Damit log er nicht; er sah zum Erbarmen aus, tiefe Schatten unter den Augen, zwei eingegrabene Falten um den Mund.

Anna war wirklich in Sorge, sie fragte ihn die Stunde mindestens zehnmal, wie ihm nun sei; sie schloß Thür und Fenster aus Furcht, es könne ihm ziehen; sie ruhte nicht eher, als bis er sich auf's Sopha legte, und stüßte ihm den schmerzenden Kopf mit Kissen. Ihre weißen, fühlen Finger strichen ihm über die Stirn, immer hin und her, bis ihm die Augen zufielen. Dann setzte sie sich still an's Fenster mit einer Handarbeit; es war eine Stickerei für ihre Ausstattung, sie stichelte emsig und warf ab und zu einen Blick hinüber zu ihm.

Er lag lange ruhig, er schien zu schlafen, dann blinzelte er und guckte unter halbgesenkten Lidern zu seiner Braut herüber. Ihr hübscher, blonder Kopf hob sich lichtumsponnen vom Fenster ab, um die Schläfen fräuselten sich die sorgsam gewundenen Löckchen es war doch ein angenehmes Bild, immer so was um sich zu sehen, besonders in einem Es trug Gimmer mit allem Komfort ausgestattet. Es trug sich Alles besser in schönen Umgebungen, und ewiges Nechnen

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Aeh!" er warf sich mit einem Nuck auf die die andere Seite. Anna, fomm' mal zu mir!" Gehorsam stand sie auf, legte sorgsam ihre Handarbeit nieder und kam mit zierlichen Schritten auf ihn zu. Anna" er zog sie neben sich nieder

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möchtest Du nicht bei den Eltern durchseßen, daß wir bald abreisen morgen- rasch- rasch ich halt's nicht mehr aus hier, wahrhaftig, ich halt's nicht aus!" Seine Stirn glühte, er ächzte.

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Verwundert sah sie ihn an. Natürlich, lieber Erich, wenn Du willst, reisen wir- mein Gott, Du hast ja Fieber!"

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Vor Thau und Tag.

Von Clara Viebig .

Gepäck fortschaffte; es hatte sich kaum gelohnt, alle die Koffer herzuschleppen.

Das Ehepaar Bröfer war der Abglanz der Tochter, zufrieden, wenn diese zufrieden war; so Tochter, zufrieden, wenn diese zufrieden war; so auch heute. Und Anna war zufrieden; sie zog den blauen Schleier sorgfältig um das rosige Gesicht, sie sah nicht, wie ihr Bräutigam in qualvoller Unruhe den Blick nach rechts und links wandte und zurück.

Von Irene Lang nichts zu sehen- Gott sei Dank und doch preßte es ihm das Herz ab. In verzweifelter Pein dachte er an sie; er fühlte noch ihre Küsse in der stillen Nacht, das Mondlicht spiegelte sich in den Tropfen auf ihren Wangen nur noch sehen, nur noch einmal!

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Ihr Fenster war fest verschlossen, die Gardinen vorgezogen; sie hatte sein schriftliches Lebewohl gestern Abend längst empfangen. All seinen Schmerz und die Qual des Entsagens hatte er in wenige Zeilen gepreßt eine kleine stilistische Meisterleistung er war über sich selbst erstaunt, als er sein Schreiben noch einmal durchlas. Und doch keine Antwort! Er sah sie nicht mehr.

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Sie aber sah ihn. Sie stand hinter der Gardine versteckt, das Haar wirr um die Schläfen, mit hohlen Augen auf die Gasse stierend. So hatte sie die lange Nacht auf ihrem Bettrand gesessen, die Hände ineinander gerungen, mit eintöniger Stimme mur­vorbei!" melnd: Ich wußte es ich wußte es Vorbei Sie hörte die Räder nicht mehr; die Straße war wieder still.

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,, Ach!" Mit einem unterdrückten Schrei der Ver­zweiflung trat sie vom Fenster zurück und schlug die Hände vor's Gesicht, warum liebte sie ihn, wußte sie nicht, daß er schwach war, daß er nicht Kraft genug hatte, Mann zu sein, sich das zu erkämpfen, was ihm begehrenswerth dünkte? Wäre es denn so schwer gewesen? Er hatte es nicht einmal versucht.

Ihre Thränen rannen, heiß, unaufhaltsam; in ihrem Herzen eine Dede, die sie angrinste wie die Wüste mit endlosem Sand.

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Sand

Und endloser Sand die Welt draußen. Keine Anna, liebst Du mich?" Er sah sie bang' Schönheit mehr, fein Berg, kein Thal, kein Baum, Sand feine Blume forschend, flehend an. Sand. Wie ein abgeschiedener Geist wandelte Irene über Tag die wohlbekannten Wege; warum blieb sie noch hier? Sie fragte es sich selbst und wußte doch keine Antwort. Sie konnte nicht fort, sie mußte noch warten, warten auf was?!

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Natürlich, lieber Erich!" Sie patschte ihm leicht auf die Backe. Du hast auch ganz recht" ihr kleiner Mund verzog sich zum Gähnen ,, es ist sehr langweilig hier!"

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So war es beschlossene Sache, sie reiſten am anderen Morgen.

Der Zweispänner rasselte über das holperige Pflaster, noch ein Einspänner hinterdrein, der das

Eine todtbange Einsamkeit rundum, starr der Körper, starr der Geist; so verging der erste Tag, so der zweite. Lebte sie noch, war sie schon gestorben?

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Es war am Morgen des dritten Tages, Irene Lang saß im Wald, dort, wo der Fels jäh in die Schlucht abfällt. Weiter mochte sie nicht gehen; hier hockte sie auf einem Stein und starrte mit gram­vollen Augen hinunter in die Tiefe wer da unten läge! Es müßte eine Wohlthat sein, die zerschellten Glieder im schäumenden Bergwasser zu betten. Aber so hinwelken vor Thau und Tag, im Dämmerschein sie schauderte und biß die Zähne aufeinander. Tief beugte sich ihr Kopf, bis er auf den Knieen lag nichts sehen, nichts hören, nichts denken! Sie achtete es nicht, daß Schritte hinter ihr auf dem Felspfad erklangen; die wurden eiliger, je näher sie kamen. Eine Männergestalt sprang hastig über den unebenen Weg; polternd, prasselnd stürzten Steine diesseits, jenseits in den Abgrund. Jetzt die Einsame schreckte zusammen, sie sprang auf, die Augen weit geöffnet, die Hände vorgestreckt. Ein einziger gellender Schrei. Und dann glühende Hände an ihrem Kleid, glühendere Lippen auf den ihren, tiefste Nacht und blendendstes Licht vor Beider Augen. Sie sahen nichts nur sich.

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Du Du Du kommst zurück zu mir!?" Hinsterbende Zärtlichkeit, scheue Seligkeit in der Stimme des Weibes.

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Ich konnte es nicht ertragen mußte Dich ſehen ich ich" er umklammerte sie, er riß ihr Haupt an seine Brust ich bin ihnen ent­wischt, sie glauben mich bei einem Studienfreund am Rhein , sie sind schon nach Hause, laß sie und nun füß mich, sag' mir, daß Du mich liebst, sag's noch einmal, noch einmal! Ich bin zu Dir zurückgekehrt noch einen langen, langen, seligen Tag und dann- Abschied!"

" Abschied?!" Die Arme, die ihn eben noch umschlossen hatten, sanken wie gelähmt herunter; sie sah ihn an, als ob er im Irrsinn spräche. Einen langen, seligen Tag- und und dann dann Ab- schied?" Sie stammelte.

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Er wurde glühend roth und dann sehr blaẞ, stumm nickte er und starrte vor sich hin.

Ihr Blick hing an ihm, als wollte er ihm die Worte von den Lippen saugen; so mag Einer vor den Schranken an den Lippen des Richters hängen, die ihm das Todesurtheil oder das Lebe!" sprechen. Ab- schied? Nur einen einzi- gen Tag?"

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" Ich muß, Irene, ich kann nicht anders!" In qualvoller Verlegenheit fuhr er sich durch die Haare. Foltere mich nicht, sieh mich nicht so an sieh mich nicht so an!" Mit ausbrechender Hestigkeit stampfte er auf den Boden. Ich kann einmal nicht anders, ich habe schon mein Wort gegeben