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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
triibsinnig enthielten und durch Abtödtung der warmen, farbigen Sinnlichkeit fast zu kalten Gespenstern verblichen sind! Ja, ich sage es bestimmt, unsere Nachkommen werden schöner und glücklicher sein, als wir. Denn ich glaube an den Fortschritt, ich glaube, die Menschheit ist zur Glückseligkeit bestimmt, und ich hege also eine größere Meinung von der Gottheit, als jene frommen Leute, die da wähnen, sie habe den Menschen nur zum Leiden erschaffen. Schon hier auf Erden möchte ich durch die Segnungen freier, politischer und industrieller Institutionen jene Seligkeit etabliren, die nach der Meinung der Frommen erst am jüngsten Tage im Himmel stattfinden soll." So trunken von dem Glücke kommender Zeiten, sang Heine das Hohelied von der Versöhnung des Fleisches mit dem Geiste, und er weckte damit ein vielstimmiges, enthusiastisches Echo. Der deutsche Dichterwald klang wider von Feiergesängen auf die Freiheit, auf die Zwangslosigkeit der Neigungen, auf das Recht der Materie, sich ungebunden ausleben zu können. Im Jungen Europa " Laube's suchte sich die freie Liebe kihn ein Eristenzrecht zu erfämpfen. Und immer mächtiger, immer schrankenloser griff der Freiheitsgedanke aus. Es ist, als hätten die Wortführer des„ Jungen Deutschland" ihre Seele ganz dem Kultus der freien Liebe verschrieben, so oft kehrt sie in ihren Schriften wieder. Ihr opfert ein Guzkow in seiner Vorrede zu Schleier macher's Vertrauten Briefen über Schlegel's Lucinde", ihr ein Mundt in seiner, Madonna" in seinem Triumphgesang auf das„ freie Weib". Und nicht nur in der ersten Liebe sieht Guzkow wirkliche Reinheit und Weihe, sondern auch in den späteren Liebesbiinden. Begeistert predigt er die Emanzipation der Ehe von der Kirche. Der einzige Priester, der die Herzen traue," so schreibt er, sei ein entzückender Augenblick, nicht die Kirche mit ihrer Zeremonie und ihren gescheitelten Dienern. Die Sittlichkeit im Verkehr der Geschlechter, wenn ihn die Liebe heiligt, hängt am schlechtesten mit der Gewohnheit zusammen, welche auch immer das Gewöhnliche ist."
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In dem fleisch- und blutlosen Romane Guzkows, ,, Wally," tauchen die Probleme der Zeit in bunter Mannigfaltigkeit auf. Die tief steptischen und atheistischen Ideenreihen des Romans bereiteten den Frommen im Lande ein ungeheures Aergerniß, gerade wie die abgeschmackte Sigunenszene, in der sich die Heldin in natürlicher Schönheit geistig dem Helden antraute.
Viele der herzlich unbedeutenden Schöpfungen des jungen Deutschland " wären schnell der Vergessenheit anheimgefallen, hätte nicht der„ Franzosenfresser" Wolfgang Menzel mit grober, polternder Fuhrmannsstimme die Obrigkeit auf die schweren Gefahren hingewiesen, die ihr von den Höllengeistern, den Guzkows, Laubes und Konsorten drohten.
Nach den Schilderungen eines Menzel mußte sich inmitten unserer frommen deutschen Kinderstube ein wahres Sodom und Gomorrha etablirt haben. Sicherlich war die Muse des jungen Deutschlands dem Straßenkothe entstiegen, sie war eine Gefährtin und Freundin der öffentlichen Mädchen der Lufthäuser. Die Lehren dieser jungen Poeten schmeichelten ,, der Bestialität und Raublust, die in den Höhlen der Verworfenheit, in Schmutz und Branntwein der großen Haupt- und Fabrikstädte noch schlummern, aber leicht zu wecken sind".
Die laute Lärmtrompete, die Menzel zum Schutz von Staat und Gesellschaft blies, erscholl der Reaktion und Polizei gerade zur rechten Stunde. Die ehren werthen Nagler, Rochus von Nochow, Tzschoppe, alle die dienstfertigen Werkzeuge der Geheimpolizei, deren einziger Lebenszweck sich in der Verfolgung aller der Gedanken und Empfindungen erschöpfte, die über das niedrige Niveau des absoluten Staates hinausgingen, sie eröffneten jezt eine wilde, verwegene Jagd auf die Wortführer des" jungen Deutsch land ".
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So viele schöne Seelen und dennoch ein Gedanke, eine wunderbare Uebereinstimmung im ganzen Fühlen und Denken! Man weiß nicht, ob das Herz oder der Verstand dieser staatsrettenden Gesellschaft verfaulter war. Einerseits treten vor unsere geistigen Augen die Schatten der in dumpfer Kerkerluft dahin gestorbenen Studenten und jungen Leute, die schmach
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volle Schändung und Verstümmelung unserer Presse durch die Zensoren, der organisirte Briefdiebstahl der Post und andererseits tanzen an uns die und andererseits tanzen an uns die Narrenstreiche von so ehrenwerthen Männern wie Pape und Dambach vorüber, die einst ein frommes Kirchenlied aus dem alten Porst für ein blutrünstiges revolutionäres Gedicht hielten.
In allen Werkstätten der Geheimpolizei setzte nun ein überaus geschäftiges Treiben ein: da öff neten unterwürfige Postbeamte die Briefe der jungdeutschen Revolutionäre, da tauschten die Gesandtdeutschen Revolutionäre, da tauschten die Gesandtschaften ihre gegenseitigen Beobachtungen über die schaften ihre gegenseitigen Beobachtungen über die verdächtigen Personen aus, da schlichen nichtswürdige, bezahlte Subjekte den verfehmten Schriftstellern auf Schritt und Tritt nach. Welche rege Korrespondenz entspann sich zwischen den großen Knotenpunkten der preußischen Spionage, zwischen Berlin , Frankfurt , Zürich , Bern und Paris ! In der Schweiz hatte Zürich , Bern und Paris ! In der Schweiz hatte der edle Rochus von Rochow die preußische Gesandtschaft förmlich in eine Polizeiwache verwandelt. Dieser Mann, ein Büttelcharakter durch und durch, Dieser Mann, ein Büttelcharakter durch und durch, der in Metternich einen Staatsmann von wahrhaft antifer Größe sah, und der mit Hülfe des Säbels und Polizeifnüttels alle großen politischen Fragen zu lösen gedachte, verfolgte mit athemloser Spannung alle Bewegungen in dem revolutionären Lager. Er wurde nie müde, sein künstlich erschnüffeltes und zusammengelogenes Material dem Polizeiagenten Kelchner in Frankfurt mitzutheilen. Wie vor einem lieben Freunde, so schüttete der edle Rochus von Rochow sein Herz vor diesem treuen, dienstbeslissenen Beamten aus. Wenn ihn bange Sorgen um das Heil seines lieben preußischen Polizeistaats driickten, weil die jungdeutschen Schriftsteller so frech ihre literarischen Brandstiftereien betrieben, dann hatte Kelchner ganz sein Ohr. Lasse man alle politische Gährung und Gebrechen bei Seite," so flagt er einmal seinem lieben Kelchner, und fasse nur Das jenige auf, was in der Unterhaltungsliteratur, in Schauspielen, in der Literatur- Revue enthalten ist, so geht schon aus diesem die Gewißheit hervor, daß die Nation im innersten Mark verderbt sein muß, eben weil man ihr solche Dinge zur Ergöglichkeit darbietet."
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( Schluß folgt.)
Bom Berstand der Ameisen.
Von B. Erdmann.
er hat nicht schon von der Klugheit der Ameisen, dieser kleinen, arbeitsamen Inseften gehört, die mit ausdauernder Beharrlichkeit ihrer Arbeit nachgehen, ihr Nest in Stand halten, Futter für sich und ihre Brut herbeiholen und tapfer fremde Eindringlinge abzuwehren wissen! Daß die Thiere keinen Verstand haben, sondern alle ihre oft sehr komplizirten Handlungen instinktmäßig verrichten, ohne daß sie einer verstandesmäßigen Ueberlegung fähig sind, ist ein veraltetes und überlebtes Vorurtheil. Wir kennen eine ungeheure Anzahl von Thieren, bei denen wir zweifellos feststellen können, daß sie Erfahrungen sammeln, daß sie die Erinnerung an Erlebtes bewahren und auf Grund derselben ihr Handeln einrichten. Vom Elephanten, vom Pferd, vom Hund z. B. sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen die Thiere Ueberlegung und Verstand nach Art des menschlichen gezeigt haben. Das Maß oder die Größe ihrer Intelligenz wird aber nach der allgemeinen Auffassung von dem Verstande vieler Insekten, unter denen die Ameisen obenan stehen, ganz erheblich übertroffen. So beginnt z. B. der englische Forscher Lubbock die Einleitung zu seinen Untersuchungen über Ameisen, Bienen und Wespen mit den Worten:„ Die anthropoiden Affen nähern sich offenbar in ihrem Körperbau dem Menschen mehr als alle anderen Thiere. Wenn wir jedoch die Lebensweise der Ameisen betrachten, ihre soziale Organisation, ihre großen Gemeinwesen, ihre Heer straßen, ihren Besitz von Hausthieren und in einigen Fällen von Sklaven, so müssen wir zugestehen, daß sie auf der Stufenleiter der Intelligenz dem Menschen zunächst zu stehen beanspruchen können." Man unterscheidet denn auch verschiedene Kultur- und Zivili
sationsstufen bei den Staaten oder Kolonien der Ameisen ganz nach Art der verschiedenen menschlichen Kulturstufen; man kennt jagende, vom Raube lebende Ameisen und solche, die von dem Safte anderer Thiere leben und diese Thiere gleichsam als Melkfühe nicht nur gelegentlich benutzen, sondern auch in ihre Nester aufnehmen, sie bewachen und vor Feinden schüßen, ihre Brut aufziehen und sich so ganze Heerden nüßlicher Hausthiere zulegen. Als am weitesten fortgeschritten in der Kultur werden die ackerbauenden Ameisen betrachtet; die„ reisbauenden Ameisen" in Texas reinigen den Umkreis ihres Nestes vollständig von wilden Pflanzen und lassen nur den sogenannten Ameisenreis gedeihen, dessen Körner sie einbringen und zur Nahrung benutzen. Ja, es wurde sogar behauptet, daß sie ihr Getreide in aller Form säen; doch zweifeln selbst sehr begeisterte Propheten des Ameisenverstandes an der Zuverlässigkeit dieser letzteren Berichte. Immerhin wird die Meinung vertreten, daß bei dem ewigen Kampfe um's Dasein, den alle Ameisenarten miteinander führen, die Heerdenbefizenden die Jäger verdrängen werden, dann aber wieder selbst den Ackerbauern werden weichen müssen, deren Kultur sich vielleicht noch nach Art der menschlichen zu ungeahnter Höhe entwickeln wird.
Wie bei den Menschen die Entwickelung der höheren Kulturstufen den Weg über die Sklaverei genommen hat, die vor vierzig Jahren noch in den Vereinigten Staaten von Nordamerika blühte und auch jetzt noch trog aller offiziellen Ableugnungen in vielen Theilen der Welt ungehindert besteht, so finden wir auch bei den Ameisen einige Arten, die sich Sklaven halten. Bei den heftigen Kämpfen, die nicht blos Ameisen verschiedener Arten, sondern auch Ameisen verschiedener Kolonien derselben Art gegen einander führen, werden den Besiegten die Puppen fortgenommen und von den Siegern verzehrt; zum Theil werden sie auch aufgezogen und als Arbeiter verwandt, und aus solchen Arbeitern kann sich, wie manche Forscher meinen, das Institut der Sklaverei entwickelt haben. Jedenfalls haben viele Ameisen Sklaven, d. h. es wohnen andere Ameisen mit ihnen zusammen in demselben Nest, welche die Arbeiten für die Herren besorgen, während diese hauptsächlich den Schutz gegen Feinde übernehmen. Am vollständigsten ist das Sklavenwesen bei der großen Amazonenameise entwickelt; diese ist des Arbeitens so vollständig unfähig, daß sie in die vollste Abhängigkeit von ihren Sklaven gerathen ist. Sie kann absolut nichts Anderes thun, als Puppen von anderen Ameisenarten rauben, worauf die ausgekrochenen Thiere nicht nur alle Arbeit verrichten, sondern die Herren sogar reinigen und füttern müssen; denn diese besigen nicht einmal Kauwerkzeuge; ihre Zangen stellen blos noch Angriffswaffen dar, so daß sie ohne fremde Hülfe elend zu Grunde gehen müssen. Ein Beobachter sperrte dreißig Amazonenameisen mit Larven und Honig in eine Schachtel, und fand nach zwei Tagen trotz der reichlichen Nahrung mehr als die Hälfte von ihnen verhungert. Als er nun zu den Ueberlebenden einen einzigen Sklaven ließ, wurden sie von diesem sofort gefüttert; dann grub er ein Loch in die Erde, in das er die Larven unterbrachte, den jungen Thieren beim Auskriechen half und der ganzen Gesellschaft somit das Leben rettete. Die Beobachtung wird als Beispiel dafür angeführt, bis zu welchem Grade körperlicher und sittlicher Verkommenheit die Sklaverei auch für die Sklavenhalter führt. Ohne gegen diese moralische Schäßung der Sklaverei etwas einwenden zu wollen, scheint mir diese Beobachtung doch gegen die so viel und hoch gerühmte Intelligenz der Ameisen zu sprechen. Warum hat denn der Sklave die Herren nicht ihrem Schicksal überlassen und nur für sich gesorgt? Waren die halbverhungerten Amazonen noch kräftig genug, ihn zur Arbeit zu zwingen? Außerdem wird nicht berichtet, ob der Sklave schon vorher in einem Amazonenneste thätig gewesen ist, oder nur einer oft als Sklave dienenden Art angehörte. War dieses Letztere der Fall, so würde sein Verhalten noch mehr gegen seinen Verstand sprechen.
Ueberhaupt wird es gut sein, bei der Beobachtung von Ameisen und anderen ähnlichen Thieren die vorgefaßte Meinung, daß es sich bei ihnen um die Bethätigung einer menschlichen Intelligenz handele, fallen