( Schluß.)

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

angsam dämmerte der Abend herauf. Wo war der Tag geblieben? Sie wußten es nicht. Sie sprachen nicht von Abschied, sie waren übereingekommen, sie reisten am Abend Beide ab. So würden sie wenigstens die Nacht noch zusammen fahren bis gegen Morgen, dann kam der Kreuzungs­punkt der Eisenbahn, wo sie sich trennen mußten, er nach Osten, fie nach Westen aber noch blieb die Nacht, die eine Nacht! Sie waren unnatürlich gesprächig, als müßten sie sich für ewiges Schweigen schadlos halten; sie sprachen von Dem, was ihnen augenblicklich am fernsten lag, am meisten; von Per= sönlichem wenig. Er hatte eine unbestimmte Angst, sich zu verstricken; sie die Furcht, sich zu verrathen. Sie sprachen nicht von Liebe, sie trauten sich nicht mehr. Und doch funkelten die Augen des Mannes, und auf des Weibes Gesicht brannten rothe Flecken.

Unten im verräucherten Flur schwelte die düstere Petroleumlampe, als sie das Haus betraten. Es war Zeit, daß Irene ihre Sachen zusammenpackte, die Schatten draußen wurden lang; noch eine Stunde oder zwei, dann kam der Wagen, der sie zur Bahn­station bringen würde. Drinnen in der Küche hörte man die alte Wirthin zum Abendbrot die Töpfe rücken, das Feuer vom offenen Herd warf einen schmalen, röthlichen Schein zur Thürspalte hinaus. Niemand ließ sich sehen.

Irene ging langsam mit gesenktem Kopfe der Treppe zu; auf der untersten Stufe hielt sie inne und wendete sich um.

Da stand er im Flur, den Kopf vorgestreckt, und blickte ihr nach:" Irene!" Es klang merk­würdig heiser.

Sie schreckte zusammen und sah ihn an; es war ein langes Ineinandertauchen der Blicke, ein Sich­ganz- und- gar- umfassen.

Beklommen die Luft im Flur, eng der Raum; der röthliche Feuerschein wob einen Schimmer von Traulichkeit um die armen Wände. Man war sich hier näher gerückt, kein offenes Himmelsauge sah, fein Bäumerauschen sprach drein.

Irene!" Er griff nach ihrem Kleide, er hielt es fest. Irene!"

"

Was willst Du?" Ihre Stimme war heiser

wie die seine.

"

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,, Laß mich mit Dir gehen laß mich!" Sein haftiger Athem überschauerte sie. Irene- laß mich!" laß mich!" Es war fast dunkel im Flur, die Gesichter ein weißer Fleck, nur die Augen blizten einander an und fuhren glitzernd hin und her.

Sie stand wie angewurzelt auf der untersten Stufe, seine Finger hielten sie wie in Klammern- da plötzlich ein Ruck, sie zerrte ihm das Kleid aus der Hand, sie stieß ihn zurück, sie jagte die Treppe hinan, riß die Thür auf und riegelte hinter

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sich 311.

Mit wildem Schluchzen warf sie sich auf den Stuhl am Bett. Sie weinte und weinte, und da­zwischen hob sie den Kopf aus den Händen und lauschte nach unten auf seinen Tritt. Das war sein wohlbekannter Schritt im Flur- nun draußen auf dem Pflaster immer ungeduldig hin und her, her und hin. Jetzt sprach er die Wirthin stand wohl die Wirthin stand wohl in der Thür er mußte einen Scherz gemacht haben, die Alte lachte fichernd, und nun lachte er auch. Wie konnte er jetzt lachen und scherzen?!

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Sie sprang auf und tastete mit bebenden Fingern um sich, bis sie das Feuerzeug fand; sie zündete Licht an, beim Vorübergehen sah sie im Spiegel ihr trauriges, entstelltes Gesicht. In fiebernder Geschäftig­feit raffte sie ihre Sachen zusammen und warf sie in den Stoffer; als sie den Deckel schloß, gab's einen dumpfen Krach. Aus-! Mit lautem Stöhnen griff sie sich in die Haare.

hin

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Unten immer noch der ungeduldige Schritt, hin und her, her und hin hin her her geistesabwesend stierte sie vor sich hin in's Leere. Da horch! Jezt Poltern, Rasseln, der Wagen fährt vor!

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Vor Thau und Tag. des

Von Clara Viebig .

Verstimmt saßen sie auf dem engen Siz neben­einander. Der Wagen stieß und schwankte.

Die Nachtluft feuchtkalt, graue Nebel rechts und links. Unter der Decke, die über die Kniee gebreitet lag, faßte er endlich nach ihrer Hand und hielt sie fest- das war Alles. Sprechen konnten sie kaum, der herbe Wind riß ihnen die Worte vom Munde. Kalt, leblos ruhten ihre Finger in den seinen; er drückte sie, sie erwiderte den Druck nicht." Irene!" Sie nickte kaum merklich mit dem Kopf. Eine beklommene, verlegene Stille war zwischen ihnen.

Die Sterne am Himmel hatten sich verkrochen, nun traten sie plößlich hervor, aber mit faltem Glanz. Fraßenhaft tauchten die Bäume am Wege auf. Mau fuhr durch stille Dörfer, die hell­getünchten Mauern schimmerten nüchtern, die Luft war ohne jede Wärme.

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Der Sommer is vorbei," sagte der Kutscher eintönig und drückte sich mit der freien Hand die Müze fester auf den Kopf, so hat alle Freud ' schnell ein End' jao, jao! hii, hott!" Er knallte Er knallte auf die Gäule.

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" 1

Alle Freud' schnell ein End'! Ein Ende, ehe sie noch recht angefangen.

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Das rauhe Organ des Kutschers flang dumpf durch die Stille. Die Beiden im Wagen fröstelten, aber sie rückten nicht näher zu einander; sie sahen sich nur an mit traurigem, scheuem Blick.

So fuhren sie weiter. Die Füße wurden eis­kalt, der Rücken steif. Und endlich Lichter in der Ferne und schwärzliche, klumpige Massen. Tief im Thal tauchte das Städtchen auf; noch führte der Weg eine lange Strecke in gewundenen Serpentinen hinab.

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Zehn Minuten und abermals zehn Minuten! Der Kutscher bremste, die Pferde schnauften jest schlug ein Hund an, und nun noch einer, heiseres Gefläff ertönte aus den Höfen. Unter den Hufen sprühte das Pflaster Funken sprühte das Pflaster Funken vorbei die Häuser, vorbei der Marktplatz mit der Kirche und dem ver­schlafenen Brunnen da, feurige Augen funkeln durch die Nacht ein langer Schienenstrang mit zwei, drei Geleisen der Wärter hebt die Barrière, der Wagen poltert hinüber.

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Nun war man am Bahnhof, bald Mitternacht. In nervöser Hast raffte Dorn das Gepäck zusammen, ohne sich umzusehen, eilte er in's Haus hinein, sie folgte schweigend.

Und jetzt saß man im Nachtzug; gegen die Kühle draußen schwüle Luft in den Coupés. Alles überfüllt. Die Einen schwaßten, die Anderen schliefen, Diese rauchten, Jene rekelten sich gähnend; mit sechs anderen zusammengepfercht saßen Dorn und Irene.

Sie drückte ihr bleiches Gesicht an's Fenster. Tropfen rieselten an der Scheibe herunter; war es der heiße Boden des Raumes, der sich in Wasser auflöſte, oder war es salziges Naß aus todes­traurigen Augen?

Draußen jagten Berge wie dunkle Klumpen vorbei, ab und zu eine weißlich schimmernde Chaussee mit unkenntlichen Baumreihen; in langen, schwarzen Streifen zog sich der Wald. Durch kleine, schlafende Stationen raste der Zug, weiter, immer weiter näher, immer näher dem Trennungsort.

Im Coupé war es still geworden, einer nach dem anderen schlummerte ein; verstohlen legte Dorn seinen Arm um Irene's Leib. Sie schwankte hin und her, er fühlte das Beben ihrer Glieder; schwer, wie widerwillig, lehnte sich ihr Kopf an seine Schulter. Er flüsterte mit ihr Schulter. Er flüsterte mit ihr unnöthige, belang­lose Worte, er wußte selbst nicht, was er sprach; zu anderen Zeiten würde er über diese schülerhafte Sentimentalität gelächelt haben.

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Sein Kopf war schwer, die Augen brannten ihm wie Feuer sie rührte sich nicht, sie sprach nicht eine quälende Ungeduld war in ihm; wie viel Uhr mochte es sein? Besser schon, die Tren­

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nungsstunde war da, als dieses peinvolle Warten. Er seufzte.

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Wie viel Uhr ist es?" fragte sie plötzlich und hob den Kopf von seiner Schulter. Er sah nach.

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Bald drei!"

Bald drei!" Sie griff nach dem Herzen und krampfte die Hand in das Kleid, ihre Lider senkten sich, die Lippen wurden weiß und zitterten.

Schrecken überfam ihn, sie sah aus wie eine Sterbende; eine heiße, zornige Angst überlief ihn- wenn sie ihm nun eine Szene machte?!

" Hab' keine Furcht," sagte sie langsam, als hätte sie seine Gedanken errathen, ich bleibe ruhig. Jezt ist es bald Zeit!" Sie entwand sich ihm und fing an, ihr Gepäck zu ordnen; sie rückte ihren Hut zurecht und band den Mantel um. Dann saß sie ferzengrade aufgerichtet und spähte mit weiten Augen hinaus in die Nacht. Edel in den Linien, groß, im Schmerz versteinert, hob sich ihr Profil vom dunklen Fenster ab.

Eine wahnsinnige Sehnsucht erfaßte ihn nach ihr und zugleich Wuth gegen das Geschick, gegen die Welt, gegen seine Braut, die Menschen alle; und eine leise Verachtung vor sich selbst war auch dabei. Er stöhnte:" Irene, verzeih' mir! Kannst Du mir verzeihen?"

Er umflammerte ihre Hand.

Sie versuchte zu lächeln, aber es war nur ein Ziehen der Mundwinkel, sie wollte sprechen

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da

- ein schneidender Pfiff, der Zug rasselte lang= samer. Erich fühlte es am Zucken ihrer Finger­die Station war da.

"

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, Aussteigen-- umsteigen fünfzehn Minuten Aufenthalt!" Der Schaffner riß die Thüren auf; nur wenige Menschen verließen den Zug, fast einſam standen Dorn und Irene auf dem öden Bahnsteig. um sie herum strich ein verschlafener Bahnbediensteter, aber auch der verschwand bald im spärlich erleuchteten Wartesaal. Sie mochten da nicht hinein.

Eisig durchschauerte sie der Wind; es war schon Morgenluft. Eine fahlgraue Ungewißheit, halb Helle, halb Dämmerung über Allem. Der Himmel zeigte im Osten Streifen von schmußigem Gelb.

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Sieh'," sagte sie seltsam ruhig und hob die Hand, die Sonne möchte kommen, aber sie kann nicht. Wir werden uns trennen, eh' sie scheint. Leb' wohl!" Sie reichte ihm die kalte Hand.

Irene!" Tief erschüttert drückte er ihre Finger an seinen Mund, Thränen verdunkelten ihm den Blick. Versprich mir, verzeih' mir! Versprich mir, daß Du nicht unglücklich wirst- ich könnte sonst nie mehr froh sein! nie mehr froh sein! Versprich mir, Du wirst Großes leisten, Deine Kunst wird Dir ein Leitstern sein, der Schmerz wird Dein Talent heben, Du wirst das Höchste erreichen ja, Irene, sag', glaubst Du das?"

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Ich weiß es nicht." Sie neigte den Kopf, der Wind verwehte ihre tonlosen Worte.

Kurze, bange und doch peinvoll ewige Minuten. Um sie her graue Morgenluft; in der Nähe schrillte Hahnenschrei dem Tag entgegen. Sie sahen sich an, als müßten sie vergehen; im Frühlicht schimmerte des Weibes Gesicht fahl und welt. Sie standen Hand in Hand, die Finger ineinander geklammert, aber sie umarmten sich nicht. Es war etwas zwischen ihnen, das sie trennte.

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Aus der Ferne donnerte der Zug heran es war der nach Often Dorn mußte zuerst fort; sie mußte noch warten, warten wie immer. Gleich einem gefräßigen Ungeheuer schnob die rauchende Lokomotive über die Schienen; der Heizer stand am Kessel, berußt, schwarz wie ein Teufel, und blickte mit gleichgültigen Augen auf das einsame Paar.

" Irene, leb' wohl!" Dorn füßte hastig ihre Stirn ein letztes, verzweifeltes Sich- fest- saugen der Blicke, dann ein dumpfes, halbersticktes Adieu" von Irenens Lippen. Er schwang sich eiligst auf's Trittbrett jest stand er oben im Wagen, schon rückt der Zug an.