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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

kannten zu dem Unbekannten zu vermitteln, wollen wir bei unseren Auseinandersetzungen den oft gemachten Vergleich mit dem Verhalten der Flüssigkeiten heran­ziehen.

Die charakteristische Eigenschaft der Flüssigkeiten ist, daß sie sich im Allgemeinen nicht zusammen­pressen lassen, und dabei doch dem geringsten Drucke nachzugeben streben; aus diesem Grunde schmiegt sich eine Flüssigkeit der Form jedes Gefäßes vollkommen an und hat zugleich das Bestreben, unter dem Ein­fluß der Erdschwere so viel wie möglich nach unten zu fließen. Der von der Erdschwere ausgeübte Druck ist aber nur ein spezieller Fall einer treibenden Kraft für die Bewegung des Wassers oder einer anderen beliebigen Flüssigkeit. Bei der in Fig. 1 dargestellten Anordnung hat man die Erdschwere beispielsweise vollständig entfernt. A und B sind zwei Gummibälle, die durch Hähne abgeschlossen sind und durch einen Gummischlauch miteinander in Ver­bindung stehen. Ist der Apparat mit einer Flüssig feit gefüllt, so ist in beiden Bällen der gleiche Druck vorhanden, es findet also kein Fließen nach der einen oder anderen Nichtung statt; drückt man aber auf den einen Ballon, so wird unter dem Einflusse des Druckes ein Theil der Flüssigkeit nach dem anderen Ballon überfließen, und dieser wird an Umfang genau ebensoviel zunehmen, wie der erste Ballon eingebiißt hat. Sobald der Druck jedoch nachläßt, wird die Flüssigkeit wieder zurückströmen und der erste Zustand sich wieder herstellen. Hieraus folgt das Gesez: Bei einem Druckunterschiede zwischen A und B findet ein Flüssigkeitsaustausch statt, der so lange anhält, bis der Gegendruck der sich ausdehnenden Kautschuk­wand von B gleich dem Druck der Hand auf A geworden ist, d. h. bis der Druckunterschied ver­

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Fig. 2.

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schwunden ist. Hierbei ist noch zu beachten, daßder Vorgang Zeit beansprucht, die außer von dem ausgeübten Drucke auch von dem Widerstande abhängt, den die geringere oder größere Weite des Kanals auf den Flüssigkeitsaustausch ausübt.

Der in der Sekunde statt­findende Flüssigkeitsaustausch wird Ausgleichsstärke genannt; sie ist um so größer, je größer der ausgeübte Druck ist, und ist um so geringer, einen je größeren Widerstand der Kanal darbietet; oder mit anderen Worten: Die Flüssigkeit fließt um so schneller, je größer der Druck­unterschied ist, es fann aber um so weniger auf ein­mal fließen, je enger oder rauher die Leitung ist, einen je größeren Widerstand sie also bietet. Das ist ein überaus wichtiges Gesez, das für die Elektro­technik unter dem Namen des Ohm'schen Gesezes grundlegende Bedeutung gewonnen hat.

In der That: man braucht nur an die Stelle des Wassers Elektrizität zu seßen, an die Stelle des Druckunterschiedes Spannungsunterschied oder elektromotorische Kraft, an die Stelle der Ausgleichsstärke Stromstärke, an die Stelle der Schlauchleitung einen metallischen Draht, so ver­gegenständlicht uns unser Modell genau den Vorgang beim Abfließen der Elektrizität.

Man muß dazu nur an der Vorstellung fest= halten, daß jeder Körper vollständig mit Elektrizität durchtränkt ist. Diese Vorstellung ist um so mehr zu gewinnen, wenn man sich daran erinnert, daß die festen Körper nicht als zusammenhängendes Ganzes anzusehen sind, sondern aus fleinsten Theilen, Molekeln genannt, bestehen, die den Naum nicht vollständig ausfüllen, sondern durch Zwischenräume voneinander getrennt sind. Vergegenständlicht wird diese Vor­stellung durch die Zeichnung Fig. 2, die natürlich nicht als ein Bild der Wirklichkeit, sondern nur als ein rohes Hülfsmittel für die Veranschaulichung auf­zufassen ist. Diese Darstellung rührt von dem berühmten englischen Physiker Marwell her und ist mit außerordentlichem Geschick von Dr. Heinte für Popularisirung verwendet worden. Man denkt sich also die Körper aus einzelnen Zellen zusammen gesetzt; den Innenraum der Zellen nehmen die fleinsten materiellen Theilchen, die Molekeln, ein, die man sich in beständiger wirbelnder Bewegung zu

denken hat. Die Zwischenräume der Zellen werden durch kleinste kügelchen ausgefüllt, die man Friktions­ ( Reibungs) Molekeln nennt; sie stellen die Elek­trizität dar. Bei einzelnen Körpern, so den Metallen, fönnen die Friftionsmolefeln, deren Zahl mit der Elektrizitätsmenge gleichbedeutend ist, zwischen den stofflichen Wirbeln fortwandern, bei den sogenannten Isolatoren dagegen, wie Luft, Glas, Kautschuk 2c., fönnen sie nur ganz wenig von ihrem Standorte aus ausweichen. Das Durch strömen der Friktions­molekeln durch die Wirbel geht nicht ohne Reibung

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Fig. 1.

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vor sich, und diese Neibung ist z. B. bei Eisen größer als bet Kupfer. Je größer diese Reibung ist, einen um so größeren elektrischen Reibungs­widerstand besigen die Elektrizitätsleiter, die Metalle 2c. Stellen wir uns unseren Hülfsapparat mit Wasser gefüllt vor, in dem noch feste Theile, Sand oder Dergleichen vorhanden sind, und seien an Stelle der Hähne poröse Scheidewände vorgesehen, die zwar das Wasser aber nicht die festen Theile durchlassen, so haben wir ein ziemlich korrektes Abbild von den mit Elektrizität durchtränkten Körpern.

Wie der mechanische Druck auf einen der Ballons, wirkt nun auf die Körper ein elektrischer Druck. Ein solcher Druck kann durch Reibung zweier Körper aneinander, durch chemische Zersetzung oder auch burch die Einwirkung von Magnetismus erzeugt werden. Zunächst denken wir uns den elektrischen Druck auf irgend eine beliebige Weise erzeugt. Ist ein solcher elektrischer Druck vorhanden, so wird ein einseitiger Druck auf die Friktionsmolefeln ausgeübt, und es wird ein Fortströmen derselben stattfinden, wenn ein elektrischer Leiter vorliegt, dagegen nur ein Verschieben, wenn wir es mit einem. Isolator zu thun haben.

Um den konkreten Erscheinungen bei elektrischen Strömen näher zu kommen, denken wir uns anstatt der zwei Ballons nur deren einen, der zwei mit einem Schlauche verbundene Deffnungen besiẞt( Fig. 3). Wenn man auf diesen mit irgend einer Flüssigkeit gefüllten Ballon einen gewissen einseitigen Druck ausübt, etwa durch eine wälzende Bewegung der Hand, so kann man die Flüssigkeit etwa in der Richtung A- L- E forttreiben. Im Ballon findet also auf der einen Seite ein Abströmen, auf der anderen Seite ein Zuströmen statt. Nennt man die Richtung des Abströmens positiv, so muß man den Gegensatz hierzu, die Richtung des Zuströmens, negativ nennen. Durch eine abwechselnde Bewegung mit beiden Händen kann man unschwer die Flüssigkeitsmenge in fort­dauernder Bewegung erhalten. Man kann sich nun aber auch die Hauptleitung in beliebiger Weise ver­zweigt denken, etwa wie in Fig. 4. Dieselbe Wasser­menge, die durch jeden Handdruck durch die Haupt­leitung hindurchgepreßt wird, wird offenbar auch durch die Gesammtheit der Einzelleitungen hindurch gehen müssen, und zwar wird durch jede einzelne der Leitungen ein dem Querschnitt der Leitung ent­sprechender Theil des Flüssigkeitsquantums hindurch­sprechender Theil des Flüssigkeitsquantums hindurch­

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passiren; oder mit anderen Worten: Die durch die einzelnen Leitungen hin­durchgehenden Flüssigkeits­mengen stehen in direktem Verhältniß zu der Weite der Leitungen. Wenn in den Leitungen keine Reibung vorhanden wäre, so würde ein einziger Anstoß genügen, die Wassermassen in an­dauernder Bewegung zu erhalten, zur Ueberwindung der Reibung aber ist es erforderlich, eine gewisse Arbeit fortdauernd aufzuwenden, um die Bewegung zu erhalten.

Fig. 4

Die beiden lettgenannten Vorrichtungen stellen nicht blos in sehr anschaulicher, sondern auch in einer den wirklichen Verhältnissen genau entsprechenden Weise die bei einfachen und verzweigten Strömen auftretenden Zustände dar. Die Elektrizitätsquellen auftretenden Zustände dar. Die Elektrizitätsquellen wirken in der That ganz analog wie die in unserem

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Beispiele herangezogene Gummipumpe. Gleichgültig, ob der elektrische Druck ob der elektrische Druck die elektromotorische Straft oder der Spannungsunterschied von einem sogen. galvanischen Elemente oder einer elektrischen Maschine herrührt, in jedem Falle findet von der Elektrizitäts­quelle aus ein Abfließen der erwähnten Friktions­molekeln statt, die sich durch die einfache oder ver­zweigte metallische Zeitung fortbewegen und nach der Elektrizitätsquelle wieder zurückströmen.

Wenden wir nun die so gewonnenen Begriffe an, so können wir die aus der Analogie mit unserem Druckapparate gewonnenen Geseze als elektrische Geseze folgendermaßen formuliren:

Ein elektrischer Druck oder eine elektromotorische Kraft( Spannungsunterschied) setzt die Elektrizität ( unsere Friktionsmolefeln) in Bewegung; fe größer der Widerstand ist, fe größere Reibung also die Friktionsmolekeln beim Durchpassiren durch die stoff­lichen Molekeln erfahren, um so geringer ist auch die fortgeschaffte Elektrizitätsmenge, um so weniger geht von ihr in der Sekunde durch den Querschnitt der Leitung, oder mit anderen Worten: um so geringer ist die auftretende Stromstärke. Wächst dagegen bei gleich bleibendem Widerstande die elekro­motorische Kraft( der Spannungsunterschied), um so größer wird auch die erzeugte Stromstärke feint. Dies ist der präzise Ausdruck für das bereits erwähnte Ohm'sche Gesetz.

Gehen wir sodann auf die Analogie der Zweig­leitungen ein, die in unserem Beispiele die Haupt­leitungen miteinander verbinden, so kommen wir auf ein anderes Gesetz, das den Namen des Kirch­hoff'schen Gesezes trägt. Sein Inhalt ist fol­gender: Gehen von einer Hauptleitung mehrere Zweigleitungen aus, so fließt durch jede Leitung

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ein Bruchtheil der in Be­wegung gesezten Elektrizi­tätsmenge, und zwar fließt durch eine Leitung mit größerem Widerstande um so viel weniger als ihr Widerstand größer ist; öder mit anderen Worten: Bei einem verzweigten Strome stehen die in den einzelnen Leitungen verlaufenden Ströme ihrer Stärke nach in umgekehrtem Verhältniß zu dem Widerstande der entsprechenden Leitungszweige.

Fig. 3.

Allen Lesern ist nun bekannt, daß mit Hilfe der elektrischen Ströme Arbeitsleistungen aller Art vollzogen werden können. Es handelt sich also darum, zu erklären, wie der elektrische Strom überhaupt Arbeit zu leisten vermag und in welchen Beziehungen die geleistete Arbeit zu den von uns abgeleiteten Begriffen des Spannungsunterschiedes, der Strom­stärke und des Widerstandes steht.

Um dieses zu erklären, brauchen wir nur auf unseren Hülfsapparat zurückzugreifen.

Um die Wasserbewegung in unserem Modell auf­recht zu erhalten, hatten wir nur einen solchen Druck aufzuwenden, der gerade genügt, um den Reibungs­widerstand zu überwinden. Mit der Ausübung des Druckes haben wir aber um die Bewegung der Wassermasse mit einer gewissen Geschwindigkeit zu bewirken, Energie ausgeübt( wo das Wort in genau demselben Sinne gebraucht ist, wie wir von Willens­energie sprechen). Ein bewegter Körper kann Wider­stände überwinden; sofern er dies thut, schreiben wir ihm Energie zu, und zwar benennt man diese Bewegungsenergie gewöhnlich mit dem Fremdworte: tinetische Energie". Zur Ueberwindung des Wider­standes in den Leitungen mußte die Wassermasse kinetische Energie besigen, die wir ihr durch das Zusammendrücken des Ballons ertheilt hatten. Da­durch aber, daß wir den Widerstand überwanden, haben wir Arbeit geleistet.*

* Die in der Sekunde geleistete Arbeit nennt man gewöhnlich Effekt oder auch Leistung; und zwar mißt man die Leistung gemeinhin in Pferdestärken, während man die Arbeit in Kilogramm- Metern mißt. Unter einem Kilogramm- Meter versteht man also die Arbeit, die beim Falle von einem Kilogramm durch einen Meter von der Schwerkraft geleistet wird. Unter einer Pferdestärke aber versteht man die Leistung von 75 Kilogramm- Meter in

der Sekunde.