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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
schlaftrunken schnellte sie auf:„ Du? Bist Du schon lange hier?"
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„ Schon wieder? Das ist ja aber geradezu entsetzlich, und Du reibst Dich vollkommen auf dabei! Erst eben gekommen. Ich war in der Egidy- Gieb doch den Jungen in eine Anstalt." Vereinigung." Nie niemals!" Sie weinte vor sich hin. " Ach!" ,, Thue mir den einzigen Gefallen, Mieze, laß Ihre Gleichgültigkeit reizte ihn. Du weißt das Weinen. Du kannst Einen damit rasend machen. natürlich garnicht, was das ist!" Ueberlege Dir, daß der Junge in einer Anstalt vorSie überhörte den Spott. Karlchen hatte wieder züglich aufgehoben ist, und daß Du dann endlich Krämpfe." auch mal Dein Leben genießen fönntest."
Сипл ж
Feuilleton.
,,, wie könnte ich denn! Denkst Du wirklich, daß ich Freude am Leben hätte, wenn mein armes Kind bei fremden Leuten ist?"
Natiirlich nicht!" Er lachte höhnisch, in seinem Inneren tochte es. ,, Was sollte Dich auch freuen können? Kinder warten und Krante pflegen, zu weiter reicht Dein Geist nicht aus!" ,, Paul!?"
Aber er hatte das Zimmer bereits verlassen, frachend flog die Thür hinter ihm in das Schloß.- ( Fortsetzung folgt.)
Heimath.*
Und auch im alten Elternhause And noch am Abend keine Ruh? Sehnsüchtig hör' ich dem Gebrause Der hohen Pappeln draußen zu.
And höre sacht die Thüre klinken, Mutter tritt mit der Lampe ein; And alle Sehnsüchte versinken, Mutter, in Dein Licht hinein.
Berliner Rollmops." Wenn im November Schnee und Regen zugleich zur Erde fällt und mit der Zeit jedes Kleidungsstück durchdringt, im Februar die Luft voll von Wasserdampf ist, der Alles mit Glatteis umkleidet, sieht man auf den Berliner Rollwagen, zwischen einzelnen Stückgütern, gar häufig einen zusammengekauerten Jungen, der das Mitleid und den Zorn eines jeden Vorübergehenden erregt. Ein Kind ist er meistens noch und kaum der Schule entwachsen. In einem alten, geflickten und zerrissenen Rock eines Erwachsenen steckt er, den Kopf deckt eine ausgediente Pudelmüße, um den Hals schlingt sich ein altes Tuch. Mit Argusaugen bewacht er die Ladung des Wagens, von Zeit zu Zeit durchschüttelt ein hohler, trockener Husten den mageren, schlecht genährten Körper. Das ist der Berliner Rollmops", der den Nollkutschern der Großstadt Heute dieselben Dienste thut, wie einst den Fuhrleuten der Landstraßen ihr Spiz. Es ist ein saures Brot, wenn man von einem solchen hier überhaupt reden kann, denn Almosen, Brocken sind es zumeist nur, die für diese Jungen abfallen; verdienen doch ihre Herren, die Kutscher, selbst kaum das zum Leben Nothwendigste. Wie viele dieser Kinder mögen an den Unbilden der Witterung, infolge der ungenügenden Ernährung zu Grunde gehen, wie viel mehr noch ihre Gesundheit ruiniren für's ganze Leben?! Und doch sorgt die Massennoth immer wieder für Ersatz.
Etwas besser daran ist der Rollmops", der bei feinem Vater oder Onkel dient. Diese sorgen wenigstens dafür, daß er nicht in gar zu jungen Jahren zum Geschäft kommt, an zweckdienlicher Kleidung feinen Mangel leidet. So Einer ist übrigens nicht mehr so ganz Das, was man mit dem Begriff„ Nollmops" verbindet; seine Thätigkeit beschränkt sich nicht darauf, den Spizz zu vertreten, er ist mehr: Er ist Kutscher- Lehrling, trägt den steifen Lederschurz und hantirt mit dem Lade- Hafen und der Lade- Leiter. Da er mit seinem„ Herrn" frühstückt, ist er auch besser genährt. Der junge Mann gewinnt Selbstbewußtsein und fühlt sich als Kutscher, was oft ganz possirlich anzusehen. Aus dieser Sorte wachsen Bann die Berliner Rollkutscher heran, diese Riesen, ohne die die großen Geschäfte garnicht auskommen könnten, und an denen nichts Anderes auszuseßen ist, als daß ihnen noch manchmal das richtige Solidaritätsgefühl mangelt.
Ein Nollmops dieser Art scheint dem Maler unseres Bildes als Modell gedient zu haben. Zu oberst fißt er hinten auf dem stockhoch geladenen Rollwagen, zwischen zwei Kisten; die Hände hat er hinter den Lazz der Lederschürze gesteckt, die Beine läßt er über die Lade- Leiter baumeln. Er ist stillvergnügt: Das Frühstück hat ihm geschmeckt; bis zum Bahnhof ist es weit, da kann er sich etwas ausrasten.
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Hinter dem Segel. So find nun die Maler. Nicht anders als die Menschen im Allgemeinen. Was dem Einen so ernst erscheint, was Ludwig Dettmann zum Beispiel in einem feierlich- ernsten Bilde behandelt hatte die Liebe damit treibt der Andere sein Schelmenspiel. Hans Dahl , der Norweger, liebt mehr den übermüthigen Scherz, wie unser heutiges Bild zeigt. In der entlegenen Bucht glaubten der Fischer und seine Dirn' so schön verborgen zu sein. Eine herrliche Gegend, wie geschaffen zum Minnespiel. Ein norwegischer Fiord.
Schroff fallen die Felsen zur See ab. Starke Dunſtluft schwebt über den Wasser, zieht einen feinen, hellgrauen Schleier um die Berge, giebt den lichten Wolfen einen feuchten Schimmer. Im Sonnenschein gligernd, plätschern die kurzen Wellen an den Strand. Nur verborgen ist es den Beiden noch nicht genug, vielleicht könnte doch ein unberufener Späher dazwischen kommen. Um ja recht ficher zu gehen, stecken sie sich hinter das große Segel. Und nun wird gefüßt, nach Herzenslust. Leider ist aber die Rechnung ohne die Sonne gemacht. Die zeichnet die Schatten Beider auf dem durchleuchteten Segel nur allzu getreu nach. Die Silhouetten sind von unglaublicher Komit. So eine schräge Bedachung auf einem Fischerfahn ist ein wackeliger Boden, da heißt's balanciren, will man nicht ein unfreiwilliges Bad nehmen. Da muß man weit auseinander stehen, der Eine auf dieser, der Andere auf jener Dachseite, um eine große Standfläche zu haben. Graziös ist diese Stellung eigentlich nicht natürlich muß auch gleich Jemand da sein, der das sieht. Das ist schon einmal so: wo man sie nicht haben will, da sind die Menschen zuerst. Zufällig ist die Zuschauerin an den Strand gekommen, gleich hat sie die Geschichte bemerkt. Nein, das macht sich ja zu drollig! Sie muß lachen, herzlich lachen; aber wie sie sinnend dasteht und hinschaut, will es fast scheinen, als möchte sie ganz gern mit der da drüben tauschen. Wenn die Stellung der Beiden spaßhaft aussieht, was kümmert sie's? Wenn nur die Lippen zusammen kommen! Was wissen Liebende überhaupt davon, wie komisch sie manchmal den Anderen erscheinen! Kann ihnen auch gleich sein...
Das Lebensglück des berüchtigten Gent. Mit unheimlicher Sicherheit bereitete sich die Revolution von 1848 vor. Das alte, absolute Staatssystem frachte in allen Fugen, und kundige Ohren vernahmen gar deutlich die Vorboten des kommenden politischen Erdbebens. Vor Allen jener Mann, der mit gespannter Aufmerksamkeit alle Zusammenbruchserscheinungen der alten Welt verfolgt hatte, Friedrich von Genz. Dieser geniale Wüstling erschaute im Geiſte, wie sich riesengroß und unwiderstehlich die Revolution erhob, und er machte seiner bangen, herzabdrückenden Angst Luft in den Briefen an seine Freundin Rahel.
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Er schrieb an diese am 8. Juli 1831: Es wird immer wilder und finsterer auf Erden. Niemand kann mehr das Schicksal seines Landes, seiner nächsten Umgebung, sein eigenes, auf vier Wochen hinaus mit Sicherheit berechnen. Niemand weiß mehr, zu welcher Partei er gehört; die Meinungen, die Wünsche, die Bedürfnisse durchkreuzen sich so sonderbar und begegnen sich auch wieder in dem allgemeinen Getümmel, daß man kaum Freund und Feind mehr unterscheidet; es ist ein Krieg Aller wider Alle, dem Donnerschläge von oben und Erdbeben von unten allein ein Ende machen können... Denken Sie sich nur daß Sie begreifen es ja! ich heute nicht eine einzige Depesche lesen oder schreiben kann, die mich nicht auf's Peinlichste bewegte, mir nicht das Bild des allgemeinen Verfalles von einer oder der anderen Seite anschaulich machte. Denfen Sie sich dabei, daß auch Diejenigen, die so lange im Rufe leichtsinniger Optimisten standen, jetzt die Schwärzesten aller Schwarzseher geworden sind, und mir jeden Morgen zehnmal betheuert wird, daß all' unser Thun und Treiben vergeblich, daß die Welt ohne Rettung verloren sei, daß uns nichts übrig bleibt, als uns auf unseren nahen Tod zu bereiten.
Arm, bettelarm war das innere Leben des Genz geworden. Der Ankauf schöner Möbel und kostspieliger Parfüms füllte seine müde, leergebrannte Seele aus. " Ich wohne", so schrieb er an seine Freundin Nahel, " Kohlmarkt 1215, habe schon hübsche Meubles und lebe rasend gut. Noch habe ich zwar nur erst einen Kammerdiener und zwei Livréebediente, es wird aber schon ärger kommen." In einem anderen Briefe schreibt er:" Ich beschäftige mich, sobald ich nur die Feder wegwerfen darf, mit nichts als der Einrichtung meiner Stuben und studire ohne Unterlaß, wie ich mir Geld zu Meubles, Parfüms und jedem Raffinement des sogenannten Lurus verschaffen kann..." Inmitten seiner Bacchanale erschaute der Sybarit Genz aber oft schreckensvolle Gespenster, das Knochengerüst des Todes und die grause Spufgestalt einer hereinbrechenden blutigen Revolution. Die Furcht vor dem Tode," schreibt Varnhagen,„ berbitterte oft Genz jeden Lebensgenuß. Er fürchtete Ge
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witter, See- und Bergfahrten, Waffengeklirr, Volksgeschrei furz Alles und Jedes, mit dem sich nicht reden ließ und wo feine Argumente galten. Ihn erschreckte jedes rauhe, barsche Auftreten, jedes wilde, troßige Aussehen, ein Schnurrbart schon war ihm unheimlich, ein finsterer, unwilliger Blick, den er nicht gleich deuten konnte, selbst bei seinen besten Freunden, machte ihn unruhig; ein schwarzes, düsteres Gesicht neben ihm, mit starkem Schnurr- und Backenbart, konnte ihm eine ganze Mahlzeit verderben, seine scheuen Seitenblicke peinlichst beschäftigen. Als Kotzebue durch Sand erdolcht worden war, erhielt Genz einen fürchterlichen Drohbrief, er sei der Ehre, durch den Dolch zu sterben, garnicht werth, ihm sei Gift be= stimmt und schon bereitet, denn verurtheilt sei er längst als ein Verräther, der die Freiheit des Vaterlandes untergraben helfe". Das machte auf Genz einen entseßlichen Eindruck, er sollte bei einem fremden Gesandten, jeinem bewährten Freunde, zu Mittag speisen, er ließ absagen, wagte acht Tage sich nicht aus dem Hause und faum zu essen, jeder Bissen, den er genoß, erregte ihm Schauder und Angst.
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Warum hat die Lokomotive kein Schwungrad? Bei den meisten Dampfmaschinen bemerken wir eine folossale, fest auf der Welle fizende Scheibe, das sogenannte Schwungrad. Seine Aufgabe ist vornehmlich, der Maschine über die beiden ,, todten" Punkte hinwegzuhelfen. Im Zylinder der Maschine wird durch den Dampf ein Kolben hin und her getrieben, wodurch die mit ihm verbundene Kolbenstange ebenfalls geradlinig hin und her geht. An ihrem Ende greift fie in das Gelenk der Pleuelstange ein, deren anderes Ende mit der Kurbel verbunden ist, die fest auf der Welle sitzt. Die Kolben- und Pleuelstange bilden miteinander einen Winkel, der bei der Bewegung des Kolbens bald größer, bald kleiner sich stellt, wodurch die Drehung der Kurbel und Welle veranlaßt wird. Nur wenn sich der Kolben an den beiden Enden des Zylinders befindet, stehen Kolben und Pleuelstange in gerader Linie, in deren Richtung sich auch die Kurbel befindet; sie kami also wohl gegen die Welle gepreßt werden, sie aber nicht in Drehung bersetzen. Die beiden Stellungen heißen die todten Punkte der Maschine. Zu ihrer Ueberwindung dient eben das Schwungrad. Seine mächtige, in Bewegung befindliche Masse steht nicht plöglich still, sondern dreht sich noch weiter, wodurch auch die Welle und Kurbel mitgedreht wird, so daß die Stellung des todten Punktes überwunden wird. Steht die Maschine vor ihrem Anlaufen auf einem todten Punkte, so muß das Schwungrad mit der Hand oder durch eine andere mechanische Kraft ein wenig gedreht werden, damit sie aus dieser Stellung herauskommt.
Die Lokomotive hat nun, wie gesagt, kein Schwungrad. Wie überwindet sie also die todten Punkte, die doch bei ihr so gut vorhanden sind, wie bei jeder anderen Dampfmaschine? Nun, eine Lokomotive ist nicht eine einzelne Dampfmaschine, sondern im Grunde besteht sie aus zweien, die so miteinander gekuppelt sind, daß jede der anderen über die todten Punkte hinweghilft. Eine Lokomotive hat an jeder Seite einen Dampfzylinder, dessen Kolben mittelst Pleuelstange und Kurbel auf dieselbe Welle wirft. Befindet sich nun der Kolben in dem einen Zylinder am Ende, so daß also Kolbenstange, Pleuelstange und Kurbel in gerader Linie liegen, so ist der Kolben im anderen Zylinder gerade in der Mitte desselben, also in stärkster Bewegung, wobei die Kurbel senkrecht zur ersten Kurbel steht. Da sie auf dieselbe Welle wirkt, wie diese, so dreht sie sie über den todten Punkt hinweg. Auch Schiffsmaschinen sind derartig gekuppelte Maschinen, die des Schwungrades entbehren können. Ebenso haben Elektromotoren fein Schwungrad; diese brauchen es nicht, weil bei ihnen überhaupt kein todter Punkt eintritt. Der hinein geleitete elektrische Strom versetzt vielmehr die Welle ganz unmittelbar in Notation, so daß die Verwandlung einer hin und her gehenden Bewegung in eine drehende überflüssig ist. Es bildet das einen großen Vorzug der elektrischen vor den Dampfmaschinen. - b.
Nachdruck des Juhalts verboten!
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Berlag: Hamburger Buchbruckeret und Berlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg . Druck: Mar Babing in Berlin ,
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