Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Seit er im vorigen Frühjahr die Heimath verLassen, hatte sich seine Anschauung auch hierin verändert.
Im Westen hatte er eine gänzlich neue Wirthschaftsweise kennen gelernt, leichtere bequemere Lebensführung, ganz andere Arbeitsbedingungen, als daheim in dem abgelegenen Dörfchen. Das Verhältniß des Gesindes zur Herrschaft, des Arbeiters zum Arbeit geber, war hier ein viel loseres. Die Arbeitskraft schien eine Waare. Das Geld bildete die einzige Das Geld bildete die einzige Beziehung zwischen Herr und Knecht. Die Maschine besorgte Vieles, wozu man daheim viele Hände brauchte. Der Grundbesizer stand kaum noch in einem persönlichen Verhältniß zu seinem Boden; Landmann konnte man ihn nicht mehr nennen. Er war mehr mit einem Kaufmann oder Unternehmer zu vergleichen; vom wirklichen Ackerbau verstand er vielleicht garnichts. Die Bodenarbeit überließ er den fremden Arbeitern, die von Beamten bewacht wurden. Der Grundbesitzer schien hier kaum noch eine Person; hinter ihm standen andere Mächte: Die Fabrit, die Aftie, das Kapital, die zwischen den Besizer und sein Stück Erde traten.
Und in eine ganz andere Welt wiederum hatte Gustav Einblick gewonnen während der Tage, die er mit Häschte auf der Walze gewesen. Da hatte er den fünften Stand kennen gelernt, das unheimliche Heer der Obdachlosen, der Ausgestoßenen, der Verkommenen, die hinter der bürgerlichen Gesellschaft als ein neuer Stand heranriicken. In eine eigen artige Welt hatte er da geblickt. Diese Menschenklasse, auf die der Bauernsohn als auf Landstreicher und Verbrecher herabgeblickt hatte, waren eine Zunft fiir sich, besaßen ihre eigene Sprache, ihre Gebräuche, ihre Standesehre sogar.
( Fortsetzung folgt.)
Freie Arbeiter im Alterthum.
Von Manfred Wittich.
m Allgemeinen ist man berechtigt, zu sagen:
Die Arbeitsorganisation des Alterthums ist die Sklaverei. Man würde aber sehr fehl greifen, wenn man annähme, freie Arbeiter hätte es im Alterthum überhaupt nicht gegeben. Was waren denn die Kleinbauern des Alterthums, welche mit Weib und Kind ihre Zwerghufe bestellten, die kaum ein Zugthier, jedenfalls nicht einen Sklaven ihr Eigen nannten, was waren sie anders als Arbeiter, selbst ständige, für sich arbeitende zwar, aber doch Arbeiter, wie die Sklaven, nur daß sie rechtlich als freie Leute zu betrachten sind?!
Neben diesen freien Kleinbauern aber haben wir auch Tagelöhner, welche selbst von den Zwerghufnern vorübergehend gemiethet werden konnten, denen es unmöglich war, Jahr aus, Jahr ein, lange Zeit hindurch Sklaven zu behausen, zu kleiden, zu speisen, furz, zu unterhalten, wenn auch nur auf die färglichste und billigste Weise.
Weiter aber waren auch Handwerker vorhanden, die im Dienste ihrer Kunden ihre Arbeitsgeschicklichkeit nur verwertheten, um daraus ihren Unterhalt zu ziehen. Aristoteles erklärt sie für den Staat geradezu für unentbehrlich, und zur Zeit der athenischen Demofratie konnte von einer grundsäßlichen Verachtung der Handwerker, wie sie den aristokratischen Junkern der vorhergehenden Periode eigen, nicht mehr die Rede sein. Thukydides läßt den Perikles in der berühmten Leichenrede auf die im Anfange des peloponnesischen Krieges Gefallenen sagen: Armuth einzugestehen, ist Niemandem bei uns eine Schande, wohl aber, sich nicht so aufzuführen, daß man ihr entgehe."
Nach der Gesetzgebung Solon's ( 594 v. Chr.) ist derjenige Sohn, den der Vater kein Handwerk lernen läßt, nicht verpflichtet, den Vater im Alter zu unterhalten.
Um die Industrie zu fördern, sah man gern Fremde nach Athen einwandern, meist Handwerker und Arbeiter, die als Metoifen bezeichnet, einen besonderen Stand bildeten und in Athen günstiger
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gestellt waren, als in irgend einer anderen griechischen Innerhalb desselben soll der ganze Arbeitsprozeß, Stadt.
Die Strafgebote gegen Müßiggang und gegen Den, der sich über seinen Lebenshalt nicht ausweisen kann, sind hier ebenfalls zu erwähnen.
Noch wichtiger aber ist die staatliche Versorgung von Arbeitsgelegenheit für Zimmerleute, Bildhauer, Erzgießer, Steinmeßen, Färber, Goldgießer, Elfenbeinarbeiter, Maler, Sticker, Graveure, ferner für alle die, welche mit dem Transport zu thun haben, zur See: Kaufleute, Schiffstapitäne und Matrosen, zu Land: Wagenbauer, Fuhrleute, Kutscher , Seiler und Leineweber, Lederarbeiter, Wegebauer, Bergleute usw., wie sie der athenische Staat schuf durch die großartigen Bauunternehmungen in der Zeit des Perikles.
Handelsmarine und Kriegsflotte waren durchaus mit freien Leuten bemannt, zum Theil solchen, die im Auslande angeworben wurden.
Nur in verschwindend wenig Ausnahmefällen, etwa in Städten mit hochentwickelter Industrie und engbegrenztem Landgebiet, überwog die Zahl der Sklaven die der Freien. In die Landwirthschaft brang die Sklaverei ebenso wie in die ferneren entlegenen Gebiete der Stadtstaaten nur allmälig ein.
Die Sklaven, theils besiegte Ureinwohner des bei den großen Wanderungen eroberten Landes, eroberten Landes, theils aus anderen Ländern fortgeführte Kriegsgefangene, endlich durch Kauf von den Sklavenhändlern erworbene Arbeitskräfte, waren ja natürlich verachtet, sie waren stammfremde Leute, zu ihnen standen ihre Besizer in keinem auf Blutsbande begründeten sittlichen Verhältniß. Die Thatsache, daß der Grieche, der Römer ein fremdes Volk besiegt hatte, daß ein Anderer, der Sklavenhändler, den gejagten und gefangenen Sklaven besiegt, in seine Gewalt gebracht hatte, genügte vollkommen als Grund, den rassenfremden Sklaven als Sache, nicht als freie Persönlichkeit zu betrachten und zu behandeln. Die Meinung jedoch, im Alterthum hätten die Griechen und Römer voll Verachtung auf alle anderen Völker herabgesehen, und dies sei ein charakteristischer Unterschied zwischen der antiken und der modernen Weltanschauung, ist ganz unbegründet und eine Erfin dung der Theologen, die eine Folie für das dung der Theologen, die eine Folie für das Christenthum brauchen"( Eduard Meyer ).
In der That sah in Hellas und Nom der Reiche, der Adelige, der Vollbürger, welcher freie Handwerker und Arbeiter beschäftigte und ablohnte, auch auf diese seine Stammes- und Volksgenossen stolz herab und meinte, daß Arbeit um Brot und Lohn für einen Anderen seiner nicht wiirdig sei, also entehre, dem Sklaven annähernd gleich sezze. Aber in dieser Beziehung hat die Neuzeit kein Recht, in dieser Beziehung hat die Neuzeit kein Recht, sich naserümpfend über das„ unsittliche" Alterthum sich naserümpfend über das„ unsittliche" Alterthum zu erheben, weil sie das verlogene Sprichwort im Munde führt: Arbeit schändet nicht. Der soeben Munde führt: Arbeit schändet nicht. Der soeben angeführte Gelehrte, E. Meyer, bemerkt:
" Die moderne Zeit denkt garnicht anders wie das Alterthum. Der rechtliche Unterschied ist hier wie dort durch die Demokratie beseitigt, aber die soziale Kluft zwischen den Grundbesißern und den Angehörigen der höheren, der sogenannten freien Berufe und den Subalternen, den Handwerkern, den Arbeitern ist genau so groß wie im Alterthum, einem modernen Gelehrten scheint es im Allgemeinen ebenso unnatürlich und degradirend, daß sein Sohn Handwerker wird, wie einem antiken... sein Sohn Handwerker wird, wie einem antiken... Nur ist die moderne Kultur hier ebenso priide und innerlich unwahr, wie z. B. auf geschlechtlichem Gebiet. Während die Alten ihre Anschauungen offen und rücksichtslos aussprachen, wagen wir es nicht, uns zu ihnen zu bekennen, und so entsteht hier derselbe Gegensatz zwischen Theorie und Praxis, wie z. B. auf dem Gebiete der Moral."
Die ganze Geringschäßung des Alterthums gegen Sklaven und in gewissem Grade auch gegen die freien Arbeiter ist begründet auf Macht und Besitz, genau so wie bei den heutigen an Besitz und Bildung führenden Klassen" die Geringschäzung der Lohnarbeiter.
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Ein Irrthum war es, wenn Rodbertus für das Alterthum die Theorie aufstellte, es habe nur die Alterthum die Theorie aufstellte, es habe nur die sogenannte Dikenwirthschaft bestanden. Oikos, oikia heißt im Griechischen das Haus, der Haushalt. heißt im Griechischen das Haus, der Haushalt.
die Erzeugung des Rohmaterials, seine Bearbeitung bis zur Gebrauchs- und Genußfertigkeit sich abgespielt und auch der Verzehr selbst stattgefunden haben. In seinem Buche„ Die Entstehung der Volkswirthschaft" behauptet K. Bücher für Hellas und Rom , sogar fiir Karthago :
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„ Es giebt keine Industrie außerhalb des geschlossenen Hauses. Der besißlose Freie ist absolut erwerbsunfähig; produktive Berufsstände giebt es nicht, ebenso wenig Unternehmerkapital, das Arbeit um Lohn fauft. Es herrscht die„ geschlossene Hauswirthschaft", die reine Eigenproduktion, die tauschlose Wirthschaft."
Professor Bücher geht so weit, für das Alterthum eine Volkswirthschaft geradezu in Abrede zu stellen und deren Entstehung erst im 15. und 16. Jahrhundert anzusetzen.
Im Beginn der aus Denkmälern und Zeugnissen erkennbaren Geschichte der Völker des Alterthums aber schon hat das Prinzip der Arbeitstheilung zur Sonderung einzelner Handwerke und Berufsthätigfeiten geführt. Gewisse leibliche Vorzüge und ebenso bestimmte körperliche Gebrechen, besonders geübte Geschicklichkeit befähigten Einzelne, oder nöthigten sie geradezu, sich zu bescheiden, auf eine bestimmte Arbeit, sich zu„ spezialisiren".
Schon in den unter Homer's Namen gehenden Liedern lesen wir von Handwerkern, welche man sich in's Haus holt, wenn man sie braucht, was doch blos dann der Fall sein konnte, wenn man nicht selbst, oder wenigstens nicht allein, bestimmte Arbeiten verrichten, bestimmte Bedürfnisse befriedigen fonnte. Die Vorschrift Hesiod's ( achtes Jahrhundert v. Chr.), daß man selber im eigenen Hause machen soll, was man selber machen kann, beweist, daß die Möglichkeit vorlag, dies auch nicht zu thun, sondern Andere für sich arbeiten zu lassen.
Die Demiurgen der ältesten athenischen Verfassung waren, wie ihr Name sagt, Leute, welche nicht für sich, sondern für die Angehörigen der Gemeinde, des Demos, arbeiteten; sie waren zwar persönlich frei, aber standen staatsrechtlich und gesellschaftlich unter den eigentlichen Gemeindeangehörigen, den kleinen Bauern: sie waren also freie Arbeiter.
Weiter dürfen wir feineswegs gering denken von der industriellen Entwickelung Griechenlands und Roms im Alterthum. Wohl ward diese Großproduktion in umfangreichen Manufakturen meist mit Sklavenarbeit betrieben. Das geschah da und so lange, wo und wie weit es profitabel war. Von den Augenblick an, wo die Kosten der Produktion vermittelst der Sklavenarbeit den Unternehmern zu hoch wurden, weil etwa nur zu bestimmten Zeiten die Arbeitskräfte voll ausgenutzt werden konnten, die doch als Sklaven fortwährend unterhalten werden mußten, war es lukrativ, Sklaven zu entlassen und freie Arbeiter zu miethen auf beschränkte Zeit.
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Den Großunternehmern des Alterthums that demnach der großgrundbesitzende Junkeradel sehr gute Dienste durch sein Bauernlegen". Oft waren die Großunternehmer und Großkaufleute selbst Junker, die somit den Rittern vom mobilen Kapital, aber auch sich selbst die für die Großproduktion nothwendigen freien Arbeiter" oder Proletarier schufen.
Mit der alten konventionellen Fabel von der Ehrbarmachung der Arbeit, von der Abschaffung der Sklaverei durch das Christenthum muß endlich einmal gebrochen werden.
Und wie stand es mit den" freien Arbeitern" des Alterthums?
Da ist vor allen Dingen zu berücksichtigen, daß jeder Sklavenzuwachs ihnen das Leben sauer machte. Als im Jahre 360 v. Chr. ein reicher Mann Namens Mnason im Lande Photis sich 1000 Sklaven kaufte, um diese die in seiner Wirthschaft nöthigen Arbeiten. leisten zu lassen, beklagten sich seine Landsleute hart darüber, daß er ebenso vielen freien Bürgern dadurch den Lebensunterhalt raube. Das müssen doch freie Arbeiter gewesen sein, welchen somit Arbeitsgelegenheit entging, auf die sie ohne jene Maßregel hätten rechnen können. Diese freien Arbeiter sahen in den Sklaven ebenso verhaßte Konkurrenten, wie die besser gestellten Arbeiter vor