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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Der Schulze legte das Papier zusammen, steckte es in seine Rocktasche und sagte:„ Als Vormund schlägt die Behörde Knud Solhaug vor."
Knud erwiderte nichts. Er legte aber die Hände ineinander, runzelte die Stirn und sah angestrengt in die leere Luft. Das war bei ihm ein gutes Zeichen. Beret Klöften wagte es darum, den Blick zum Besizer des Hofes zu erheben und demüthig zu sagen: " Ja, wenn Du willst, Knud, wäre das wohl das Beste."
So viel verstand Agestin jetzt, daß er nicht länger der arme Sohn der Kuhmagd war, der zufrieden sein mußte, wenn er nachher als Diener eines Anderen sein Brot verdienen konnte. Ihm wurde so warm um's Herz, er fühlte so innig den Drang, sich zu bedanken, und so ging er zu Knud hin und drückte ihm schweigend die Hand, indeß seine Augen voll Thränen standen.
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Der Bauer erwiderte etwas verlegen den Hände druck des Knaben und sagte:„ Am liebsten möchte ich einen tüchtigen Landwirth aus Dir machen." Die Anderen aber schüttelten die Köpfe, und der Küster, der des Knaben Lehrer gewesen, sagte, indem er auf seine Stirn zeigte: Agestin hat es hier, er muß etwas Ordentliches lernen. Schicken Sie Schicken Sie ihn bald in die Stadt in ein Gymnasium; denn was ich ihm beibringen kann, mag ja gut genug für Bauern sein, aber es genügt nicht für Denjenigen, der einst Theologie studiren will." Mit diesen Worten erhob er sich, der Schulze folgte seinem Beispiel, und die zwei Biedermänner verabschiedeten sich.
Beret begleitete sie bis zur Landstraße.
„ Ist es denn nöthig, daß Agestin ganz bis zur Hauptstadt geht, um Pastor zu werden?"
" Ja," lautete die Antwort,„ Du möchtest ihn wohl nicht so weit fortlassen?"
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Wie weit ist es denn eigentlich?"
Nach der letzten Ausmessung sechsundvierzig Meilen," erwiderte der Schulze und nahm eine neue Prise.
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So weit ist es? Dann werde ich ihn wohl kaum mehr zu sehen bekommen, wenn er erst dort ist!"
" Sehr selten jedenfalls, es ist eine theure Reise, Beret, aber ich an Deiner Stelle würde mit dem Pastor die Sache besprechen; er kann Dir jedenfalls bessere Auskunft über Alles ertheilen als ich. Und nun gratuliere ich Dir noch von Herzen zu diesem glücklichen Ausgang der Dinge. Mag man über Thormod Dalen sagen was man will, für sein Kind hat er gut gesorgt. Jezt entsinne ich mich auch, daß er einmal zu mir sagte: Ich werde dafür sorgen, daß mein Sohn es nicht eben so schwer haben wird, wie ich als ich hinaus wollte.' Das hat er ja nun gethan. Der Wald hat her= halten müssen,- allerdings."
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,, Das ist ja nicht der Nede werth!" unterbrach ihn der Schulze. ,, Was Thormod geschlagen hat, kann der Wald des Schwiegervaters wohl vertragen." Er reichte Beret herablassend seinen fetten Zeigefinger zum Abschied.-
Agestin nahm Unterricht bei Pastor Hansen und machte schnelle Fortschritte. Seine Lieblingsstunden waren die der Geschichte und der Literatur, und große Freude gewährte es ihm nachher, in freien Stunden seiner Freundin Ragnhild Dasjenige, was er gelesen hatte, mit allerlei Ausschmückungen und Zusäßen wieder zu erzählen. Das zwölfjährige Mädchen lauschte begierig seinen Berichten. Agestin war für sie der Inbegriff alles Heiteren; jeden Tag, wenn er von den Stunden kam, ging sie ihm entgegen. Er war ihr bester Freund, in seiner Gesellschaft brauchte sie sich nicht zu langweilen, wie sie es dort oben in den großen leeren Stuben that, wo nie ein fremder Mensch über die Schwelle fam, nie ein fröhlicher Scherz oder ein heiteres Gelächter ertönte. So kam es denn, daß Ragnhild eines schönen Tages ihre Eltern bat, die Stunden, die Agestin beim Prediger nahm, mitmachen und die Dorfschule verlassen zu dürfen. Die Eltern hatten anfangs allerlei einzuwenden, schließlich gaben sie aber ihren Bitten nach, und von da an gingen die zwei Freunde alle Tage zusammen zu Pastor Hansen.
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Als Agestin sechzehn Jahre alt war, wurde er eingesegnet, und furze Zeit darauf ging die große Reise vor sich. Seine Freundin war untröstlich, mit ihm ging der Sonnenschein ihres Lebens dahin. In den ersten Tagen nach seiner Abreise ging sie In den ersten Tagen nach seiner Abreise ging sie oftmals zu Beret Klöften hinüber, um sich bei ihr recht von Herzen auszuweinen.
VII.
Die großen Wegearbeiten, die eine Verbindung des Thales mit den westlichen Touristenrouten her stellen sollten, waren zum Theil fertig. Westlich vom Björne- Nut konnte die Chaussee schon benutzt werden, und jetzt wurde das legte Stück in Angriff genommen, das vom Nut in großen Windungen bergab bis zum Thal führte. Eine neue kostspielige Brücke über den Fluß war schon in Arbeit. Zwischen Solhaug und der Kirche sollte die neue Landstraße in die alte, die vom Dorf über den Flyberg führte, münden. Eine Unzahl von Arbeitern, Aufsehern und Ingenieuren war im Dorfe und auf den verschiedenen ringsum gelegenen Höfen einquartiert. Dem sonst ringsum gelegenen Höfen einquartiert. Dem sonst so stillen Thale ward neues Leben eingehaucht. Fast jeden Abend drangen die Töne der Harmonika oder Geige durch das Thal. Die Bauernmädchen sammelten sich in großen Trupps und zogen Arm in Arm durch sich in großen Trupps und zogen Arm in Arm durch das Dorf, bis sie von den Burschen eingefangen und nach einigem Sträuben zum Tanz geführt wurden. Es gab bei solchen Gelegenheiten auch genug zu trinken.
Auf Solhaug blieb Alles beim Alten. Ragnhild's Eltern, die weltliche Musik und Tanz für eine Sünde hielten, erlaubten ihrer Tochter nie hinzugehen.
Ragnhild war sechzehn Jahre alt und so eben eingesegnet, als Agestin sein Eramen mit Auszeich nung bestand. Da gab's große Freude auf Solhaug.
Es war an einem warmen Sommertage, ein Jahr später. Beret Klöften hatte die paar Kühe, die für den Bedarf des Hauses zurückgeblieben waren, als man das Vieh auf die Alpe getrieben, bereits gemolfen. Sie hatte die Milch gesiebt und abgegossen. Jeßt stand sie in der prallen Sonne hart an der Wasserrinne, die von einer Quelle oben im Birkenwald dem Kuhstall Wasser zuführte, und scheuerte ihre Milchgefäße. Beret war stärker geworden, und ihr vergnügtes Gesicht zeigte frischere Farben als vor zwei Jahren. Mit einem stillen Lächeln verrichtete sie ihre Arbeit und beschattete hin und wieder mit der Hand die Augen, während sie ihre Blicke über die Landstraße schweifen ließ, die sie von hier aus fast eine Viertelmeile weit übersehen konnte. Schon seit gestern Mittag erwartete sie ihren Sohn; heute seit gestern Mittag erwartete sie ihren Sohn; heute mußte er sicher kommen, denn mehr als vier Tage brauchte er doch nicht, wenn er den ganzen Weg Skyds benußte. Und daß er dies thun würde, wußte sie sicher, denn er führte seinen großen neuen Koffer, den er in der Stadt gekauft hatte, mit sich. Sollte er doch jetzt zwei ganze Monate zu Hause bleiben. Beret sang leise vor sich hin und scheuerte fleißig darauf los. Dann kam die Tochter des Hauses zu ihr heraus. Sie trug ein schwarzes Mieder und einen Rock aus feinem Tuch. Das schneeweiße Hemd ward vorn von zwei großen silbernen Knöpfen aus kunstvoller Filigranarbeit, den sogenannten„ Syljer", geschlossen. Ihre langen blonden Haare hingen in zwei Zöpfen den Rücken herab, und auf dem Hinter topfe saß eine fleine rothe Mize. Die graublauen, lachenden Augen und die Grübchen in den Wangen verliehen dem anmuthigen Gesicht einen schelmischen Ausdruck.
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Kann ich Dir ein wenig helfen, Beret?" Die Gefragte sah sie an und erwiderte lächelnd:„ Na, das fehlte auch noch, Du bist ja im Staat!" Ragnhild lachte und erröthete zugleich.
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Bitte sehr, wenn ich mich nicht irre, hast Du auch Deine neue Schürze und.. laß doch sehen.. auch Deine neue Schürze und.. laß doch sehen.. haha!.. Auch die neuen Schuhe an!" Ein klingendes Lachen folgte dieser Entdeckung.
" Ist er noch nicht zu sehen?" Sie beschattete die Augen und starrte lange hinab über die Landstraße, die grau, staubig und wie ausgestorben vor ihr lag.
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Wo bleibt er denn?" murmelten ungeduldig die Lippen.
„ Ich begreife auch nicht, wo er so lange bleibt," sagte Beret und scheuerte eifrig drauf los.
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Glaubst Du, daß er sehr groß geworden ist?"
" Das schreibt er ja. Einen kleinen Schnurrbart hat er auch. Du, Ragnhild, kannst Du Dir Agestin mit einem Bart denken?"
Das junge Mädchen lachte laut:„ Schrecklich! Agestin mit einem Bart, schrecklich! Der wird ihm gewiß gar nicht stehen, Du..."
Sie sah eine Weile nachsinnend vor sich hin, spizte dabei das Mündchen und neigte den Kopf auf die Seite.
,, Glaubst Du, daß er sehr stolz geworden ist?" fragte sie dann plötzlich.
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Stolz? Mein Junge? Nein. Warum sollte er denn stolz geworden sein?"
" O, siehst Du, er hat ja jetzt so viel gelernt, er weiß viel mehr als wir Anderen, darum meinte ich."
Beret zuckte die Schultern und sagte mit selbstbewußter Miene:" Es wird ja nicht jeder Student." Ragnhild schwieg und richtete wieder ihre Blicke auf die Landstraße. Plößlich schrie sie laut auf:„ Da ist er, Beret, da ist er! Da, da, sieh doch, er ist so eben aus dem kleinen Gehölz drüben herausgekommen. Er hat das gelbe Pferd von Fly und, sieh doch, einen großen Koffer hinten auf dem Karjol." In einem Nu war sie zu ihren Eltern hinüber geeilt, um ihnen Bescheid zu sagen, und gleich darauf war sie wieder neben Beret.
,, Ach, ist er noch nicht weiter?.. Hepp Blakken,* hüh!" Sie schnalzte mit der Zunge, als könnte sie dadurch das Pferd antreiben, das jetzt übrigens in einem ganz achtungswerthen Trab die Landstraße herabgelaufen fam, das leichte Gefährt hinter sich, dessen Näder eine weiße Staubwolfe aufwirbelten.
Knud und Margit kamen nun auch heraus, sogar die alte Großmutter mit der Brille wollte dabei sein, wenn man den jungen angehenden Pastor auf Solhaug empfing. Das Karjol hatte den Seitenweg, der nach Solhaug hinaufführte, erreicht und bog nach rechts in denselben ein.
„ Siehst Du, er springt heraus, will den Gaul schonen, das ist brav von ihm." schonen, das ist brav von ihm." Ragnhild zupfte übermüthig Beret am Rock. Die Kuhmagd aber stand wortlos und mit gefalteten Händen da und konnte garnichts sehen, weil ihre Augen voll Thränen
waren.
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Ragnhild!" rief die Mutter, was soll das bedeuten; glaubst Du, daß der Student Lust hat, gleich mit Dir Versteck zu spielen?" Ragnhild war schon hinter der Scheune verschwunden.
Agestin warf dem Stydsjungen die Zügel zu.
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Guten Tag, Mütterchen! Wie wohl Du aussiehst. Ich glaube gar, Du bist stärker geworden." Der hübsche, sonnverbrannte Jüngling schloß bewegt die harten, abgearbeiteten Hände der Mutter in die seinen.
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Guten Tag, Margit! Hab' Dank für die hübsche Bibel und vor Allem für den prächtigen, soliden Stoff."
" Trag' ihn auf mit Gesundheit, mein Junge." " Den Stoff hat Margit selbst gewebt," sagte Beret mit bebender Stimme. Dies waren ihre ersten Worte; es kostete ihr doch recht viele Selbstbeherrschung, ihre Bewegung zu bewältigen.
„ Ah- da ist auch Knud! Wie geht es Euch? Und sieh mal Einer an, sogar Großmutter ist herausgekommen! Welche Ehre! Was macht Eure Gicht, Randi Solhaug?" Die Alte murmelte etwas und zeigte auf ihre Ohren, um zu verstehen zu geben, daß sie schlecht höre.
Aber wo ist Ragnhild?"
" Soeben war sie hier," gab Beret lächelnd zur Antwort,„ willst Du sie nicht suchen?"
" Ja, das will ich gern." Der Student warf dem Knecht Lars seinen Mantel zu.
,, Nein, laß das, Agestin," erklang es gebieterisch von Margit, sie wird schon von selbst kommen." Beret Klöften ging mit thränengefüllten Augen
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