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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

bis auf den Markt gelaufen, hatte dann in die Straße hineingesehen, an dessen Ende der prächtige Backsteinbau des Posthauses lag; der Vater war nicht zu sehen. Die Kinder hungerte und sie ver= langten Essen; so aßen sie denn wie sonst, ohne den Vater.

Gegen fiinf Uhr endlich kam er mit langsamen, müden Schritten den Garten herunter und über den Hof. Die Mutter riß schnell ein Fenster auf und fragte: Na, Vater, wie ist's denn?" Schulze schüttelte nur mit dem Kopfe. Er kam in die Stube und setzte sich wie ein Todtmatter auf die Bank zwischen beiden Hoffenstern; einen Arm legte er auf den Tisch, wie wenn er den Arm nicht mehr tragen könnte. Den Nücken gekrümmt, den Kopf gebeugt; so hatte ihn die Mutter noch nie ſizen sehen. Sie schickte die Kinder hinaus, dann setzte sie sich zu ihm, faßte seine herabhängende Hand und bat: ,, Nun, Vater, red' einmal, was ist denn ge­schehen?" Aber er saß stumm da, wie zuvor. Lange sprach ihm die Mutter gut zu. Sag' doch nur, was es ist," bat sie, damit man wenigstens klar sieht. Wir haben uns ja jahrelang kümmerlich durch helfen müssen, wir werden uns auch diese Ordnungs­strafe absparen, und mag der Betrag noch so hoch sein."

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Es ist noch viel schlimmer, als Du denkst, Mutter," erwiderte er endlich mit bitterer Miene, ,, wir müssen fort müssen unser Häusel, unser

Herbst.

Shon nascht der Staar die rothe Bogelbeere,

Hum Erntekranze juchheiten die Seigen,

And warte nur, bald nimmt der Herbst die Scheere nd schneidet sich die Blätter von den Zweigen, Dann ängstet in den Wäldern eine Leere, Qurch kahle Hefte wird ein Fluß sich zeigen, Der schläfrig an mein fer schickt die Fähre, Die mich hinüberholt in's kalte Schweigen.

Detlev von Liliencron .

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Heimkehr. Arnold Böcklin hat nicht nur in ge= waltigen Bildern die Größe und die geheimnißvollen Stimmungen der Natur gefeiert, von dem Leben aben­teuernder Helden, kämpfender Niesen der Sagenzeit er­zählt, er hat auch für die schlichten Geschehnisse, die im Leben eines Jeden einmal eintreten, ergreifenden Aus­druck gefunden. Unser heutiges Bild zeigt diese Seite. Heimkehr... Das Motiv, das im Volkslied so oft wieder­fehrt, ist hier in einer Weise gestaltet, die an die ein= fachen, echten Töne dieser Volkslieder gemahnt. Vor Böcklin's phantastischen Sinn ist freilich auch hier ein Bild der Vergangenheit getreten, das Bild des fahrenden und heimkehrenden Landsknechts, aber angezogen hat ihn daran nur das rein Menschliche: der Landsknecht war ihm der geeignetste Repräsentant des Mannes, der lange in der Fremde herumgeirrt ist. In aller Herren Länder hat sich der Mann, den wir auf unserem Bilde sehen, herum­geschlagen, hat Vieles gesehen, Vieles erlebt, hat wilde Freuden und bittere Mühen durchkoftet- immer aber flang in seiner Seele ein leiser Wunsch, die Sehnsucht nach dem stillen, friedlichen Dorfe, in dem er seine Jugend durchlebt. Dann hat es ihm nimmer Ruhe gelassen, bis er sich aufmachte und hinwanderte. Jezt, in der Stunde, da der Abend herniederfinkt, liegt sein Heimathdorf vor ihm. Oben auf den Höhen, die sich rings um sein Vater­haus ziehen, liegt der Mühlteich, von Rasen und Steinen eingefaßt. Dort hat er sich niedergelassen, eine bange Scheu hält ihn ab, hinunter zu eilen und einzutreten. Dunkel liegt schon über dem Thal gebreitet und hüllt Mühle und Bäume in seine Schatten, während oben auf der Höhe noch klar das Abendlicht leuchtet. Und aus der Tiefe heraus dringt mild der Schein eines hellen Lichtes durch ein breites Fenster, scheinbar zum Greifen nahe, so wohl vertraut aus alter Zeit. Der Anblick macht dem Wanderer das Herz erbeben. In der Stube hinter jenem Fenster müssen die Lieben weilen, von denen er so lange fern geblieben. Er beugt sich vor, er neigt den Kopf, lauschend, ob nicht ein Ton zu ihm herauf dringe. Ohne es zu wissen, hebt er den Arm, als wolle * Aus ,, Neue Gedichte". Berlin , Schuster& Loeffler.

Feld verkaufen."" Ach, du guter Gott," jammerte die Frau, rang die Hände und warf einen schmerz vollen Blick hinauf zur Zimmerdecke; dann legte sie den Kopf auf den Tisch und weinte bitterlich.

Der Kleinste war unbemerkt hereingekommen, und da er die Mutter weinen sah, fing er an laut zu heulen. Das gab den Eltern etwas Festigkeit, der Kleine bekam ein Butterbrot und mußte auf die Straße gehen. Nun erzählte der Vater, bruchstück­weise und ungeordnet brachte er Alles vor; zwischen­durch stieß die Mutter manche Verwünschung aus.

Als Schulze kurz vor elf Uhr auf das Postamt kam, war der Postmeister eben weggegangen. Schulze grüßte bei seinem Eintritt in's Dienstzimmer, aber weder der Beamte noch der Unterbeamte Meinert hatten den vernehmlich gesprochenen Gruß gehört, sie thaten wenigstens so. Schulze wollte mit Meinert ein Gespräch anfangen. Meinert vernahm anscheinend die zwei, dreimal wiederholte Anrede nicht. Nach einer Stunde Stehens und Wartens kam der Post meister. Er rief den Schulze in sein Amtszimmer und sprach: Hier lesen Sie die Verfügung des Oberamtes durch. Von einer Bestrafung hat das Oberamt gnädiger Weise abgesehen, weil Sie sich unter meinem Vorgänger gut geführt haben, aber Sie sind aus dienstlichen Gründen nach Neustadt ver­sezt. Ausnahmsweise sind Ihnen drei Tage Frist zur Regelung Ihrer persönlichen Angelegenheiten gewährt worden. Na, lesen Sie nur selbst," sagte der Post­

Feuilleton.

er zum Gruß hinunterwinken Der Herbst ist im Anzuge. Wie ein leises Frösteln geht es durch die Natur. Kalt und klar ist die Luft in der Höhe, die Bäume be­ginnen sich zu entblättern. Was aber dem Original einen so besonderen Reiz verleiht, was fein Holzschnitt wieder­zugeben vermag, das ist die Farbe. In allen Farben­tönen, vom tiefen Noth bis zum hellen Gelb, prangt das herbstliche Laub. Ein zarter, tiefrother Gesammtton liegt über dem Bilde von bezaubernder Schöne. Man hat oft darauf hingewiesen, daß den Farben die Kraft innewohne, unmittelbar als Ausdruck unserer Empfindungen zu gelten: In dem abflingenden Noth dieses Bildes tönt in der That dieselbe Wehmuthsstimmung, die in dem Ganzen berkörpert ist. Und auch eine andere Schönheit des Bildes läßt der Holzschnitt nur ahnen: wie in dem klaren Wasserspiegel das Bild des Himmels und der ziehenden Wolken und die Silhouette des ruhenden Mannes wieder­fehrt.

Die Kraft, welche die Planeten und Monde in ihren krummen Bahnen erhält, ist die Schwere; so lernen wir bereits in der Schule, und dabei wird häufig erzählt, daß der große Newton durch einen fallenden Apfel zuerst auf die Vermuthung geführt wurde, daß dieselbe Kraft, die den Apfel zur Erde treibt, auch den Mond in seiner Bahn erhalte. Ja, wie ist denn das aber möglich? Diese Kraft treibt den Apfel doch zur Erde hernieder, und wenn sie auf den Mond wirkte, so müßte derselbe doch auch gegen die Erde fallen, uns also immer näher kommen; da er aber stets in derselben Entfernung( mit kleinen Abweichungen) die Erde umkreift, so fann er unmöglich gegen die Erde fallen. Aber eine fleine Ueberlegung zeigt, daß er doch beständig zur Erde fällt, obwohl er ihr nicht näher kommt. Wenn auf einen Körper keine Kraft wirkt, so wird er sich stets in der Richtung und mit der Geschwindigkeit, die er gerade hat, weiter bewegen. Ist seine Bahn eine Kreisbahn, so ändert sich die Richtung seiner Bewegung beständig, und daß ist nur möglich, wenn beständig auf ihn eine Straft wirkt, die nach dem Mittelpunkt des Streises gerichtet ist. Ohne eine solche Kraft würde der Körper in der Richtung der Be­rührungslinie zum Kreise sich weiter bewegen; bleibt er auf dem Kreise, so ist er um so viel, als die Abweichung von dieser Linie beträgt, gegen den Mittelpunkt hin gefallen. Man sieht aber, daß thatsächlich ein Fallen gegen die Erde stattfindet, wenn der Mond sie in immer gleicher Ent­fernung umkreist. Wie groß die Fallkraft oder Schwere ist, die den Mond an seine krumme Bahn fesselt, und ob sie dieselbe ist, die einen Apfel zur Erde fallen läßt, ist, wie man jetzt leicht erkennt, nur noch eine Sache der Rechnung. Die Geschwindigkeit des Mondes auf seiner Bahn ist so groß, daß er mehr als 6 Kilometer in jeder Sekunde, etwa 63 Kilometer in der Minute zurücklegt. Hierbei weicht er, weil ja die Bahn krummlinig ist, etwa fünf Meter von der geraden Richtung ab, fällt aber in jeder Minute fünf Meter gegen die Erde. Auf der Erde selbst fallen die Körper schon in einer Sekunde fünf Meter weit, und in einer Minute würde er bereits 18 Kilometer durchfallen, also einen 3600 Mal so große Strecke, als

Verantwortlicher Redakteur: Oscar Kühl in Charlottenburg.

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meister zu Schulze, der in zitternder Hand das Schreiben des Oberamtes hielt und nicht mächtig war, einen Buchstaben zu erkennen, lesen Sie und unterschreiben Sie dann, damit Ihre Kenntnißnahme ersichtlich ist." Schulze schrieb, ohne gelesen zu haben, und ging. Wie ohne Besinnung lief er durch die Straßen der Stadt, er stand am Fluß und wußte nicht, wie er dahin gekommen.

,, Wenn die dunklen Wasser mich deckten, hätt' ich Ruhe," dachte er. Da gedachte er der Frau, der Kinder. Er wandte sich und ging auf einem schmalen Fußweg den Fluß entlang. Der Weg führte ihn an einer Berglehne hinauf. Am Rand eines Waldes setzte er sich auf einen von den Sonnen­strahlen erhißten Felsblock. Die heiße Nachmittags­sonne beschien ihn, er merkte es nicht; er hörte nicht das leise, geheimnißvolle Rauschen des Waldes hinter ihm, nicht das Trillern, das Jubiliren der Lerchen hoch oben in heiterer Luft, er sah nicht das leise Wogen des Saatfeldes vor ihm, nicht die friedlich ausgebreitete Stadt im Thale . Unempfindlich war er für Alles, keines Gedanken fähig. Wie lange er da gesessen und wo er gesessen, er wußte es nicht mehr.

Auf dem Wege nach Hause kam er an seinem Felde vorüber, er sah nicht hin.

Für Schulzen's Häuschen und sein Feld wollte sich kein Käufer finden. Spottbillig ließ er endlich Alles dem Meinert, dem einzigen Bieter.

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der Mond in jener Ferne von 50 000 Meilen, in der er die Erde umkreist. Somit hält ihn thatsächlich die Schwere, dieselbe Kraft, die einen Apfel zur Erde treibt, in seiner Bahn, nur daß sie in seiner Entfernung er befindet fich 60 Mal so weit vom Erdmittelpunkt, als die Ober­fläche der Erde 3600 Mal so schwach wirkt, wie hier. Daß bei uns alle Körper zur Erde fallen, liegt daran, daß ihre Geschwindigkeit nicht so groß ist, daß ihre Ab­weichung von der Berührungslinie der Kreisbahn in jeder Sekunde fünf Meter beträgt. Würden wir die Ge­schwindigkeit einer Kanonen- oder Flintenkugel bis auf circa 8 Kilometer in der Sekunde steigern können, so würde sie, indem sie fünf Meter gegen den Mittelpunkt der Erde hin fällt, am Ende der 8000 Meter sich gerade so weit gesenkt haben, daß sie auf dem Kreise geblieben wäre; die Erdoberfläche selbst hat sich bei dieser Strecke so stark gekrümmt, daß sie um 5 Meter von der Be­rührungslinie abweicht. Die Kugel würde daher in derselben Entfernung von der Erdoberfläche bleiben, sie würde niemals herabfallen, sondern genau wie ein Mond die Erde umkreisen; freilich würde sie, obwohl sie nur um ein Drittel die Geschwindigkeit des Mondes überträfe, viel schneller herumkommen, als dieser, da sie der Erde viel näher, ihre Bahn also viel kleiner ist. Schon in anderthalb Stunden wäre der Umlauf beendigt, die ganze Kreisbahn beschrieben. Thatsächlich ist es aber dieselbe Kraft, die nur entsprechend den größeren Entfernungen schwächer wirkt, welche die Planeten auf ihren frummlinigen Bahnen erhält, und diese Kraft, die allgemeine Schwere oder Anziehungskraft genannt, hat sich nicht nur bei den Bewegungen im Sonnensystem, sondern auch in den fernsten Welträumen bei den Bewegungen der zweifachen- und mehrfachen Sterne als wirksam erwiesen.

Aphorismen...

C.

Viele Gedanken sind nur ein Ritt auf einem Steckenpferd.

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Stolz ist männlich, Eitelkeit weiblich.

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Alle harmonischen Naturen sind außerhalb oder gar gegen die Schule gebildet.

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Je geringer das Reich, desto lauter das Kommando. Die Festigkeit der Schwäche ist Eigenfinn. Der Pessimismus, eine Temperamentssache, fann nimmer­mehr Philosophie sein. Peter Hille . Nachdruck des Inhalts verboten!

Alle für die Redaktion der Neuen Welt" bestimmten Sendungen sind nach Berlin , SW 19, Beuthstraße 2, zu richten.

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