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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

das weißt Du ja hast Du außer diesem Talent, das nöthige Zeug dazu, ich meine die Mittel, um eristiren zu können?"

Nein, die Mittel muß ich mir verdienen." Der Freund machte ein bedenkliches Gesicht. " Wo wohnst Du?"

" Ich wohne garnicht.... Wie Du mich hier Wie Du mich hier siehst, komme ich so eben von meiner Fußwanderung. Ich habe jeden Schritt von Solhaug bis hierher zu Fuß gemacht."

" Und warum?"

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Weil ich kein Geld hatte." Agestin erzählt Agestin erzählt dem Anderen eingehend, wie Alles gekommen ist. Und was beabsichtigst Du jetzt zu thun?" Agestin erhebt sich, eine senkrechte Furche gräbt sich zwischen den Augenbrauen in seine Stirn. ,, Arbeiten! Arbeiten!"

" Aber was?"

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Gleichviel was!... Stundengeben, abschreiben

.. Steine klopfen!"

Und wo willst Du für die ersten ein Unter­Tommen finden?"

,, Hier bei Dir!"

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Sehr gut! Ich bekomme allmälig Vertrauen zu Deiner Sache, denn Du weißt jedenfalls, was Du willst. Wie ist es mit Deiner Garderobe?"

,, Ragnhild schickt mir meinen Koffer nach. Der fönnte eigentlich schon hier sein."

,, Gut, dann bleibt es dabei, Du kannst hier auf dem Sopha schlafen, Frühstück und Abendbrot sollst Du auch haben, dafür kannst Du mir ja etwas helfen."

Agestin's Augen leuchteten auf: Womit?"

" Du sprachst von Abschreiben. Ich habe einen neuen Band Jagdgeschichten" im ersten Manuskript da liegen, den ich gerne in's Reine geschrieben haben möchte. Ich komme nicht dazu. Willst Du das für mich thun? Und zugleich ein bischen Kritik üben?"

Agestin schüttelt dem Freund die Hand: Ja, mit tausend Freuden, und ich danke Dir!... Gr­laubst Du nun auch, daß ich bei Dir etwas Toilette mache? Ich sehne mich danach, mich ordentlich zu waschen...."

Die beiden jungen Leute begeben sich in das Schlafzimmer, und eine halbe Stunde darauf er­scheinen sie zum Frühstück; Agestin in einem fast neuen Anzug, den er von seinem Freunde geliehen, und dieser, das blonde, etwas lockige Haar sorg­fältig aus der Stirn gefämmt, in einer Art Jäger­joppe. Christian Johnsen ist ein schlanker junger Mann in der Mitte der Zwanziger, sein bartloses Gesicht ist regelmäßig geschnitten, der Mund etwas schief mit einem wehmüthigen Zug, selbst wenn er lacht, seine großen dunkelblauen Augen blicken melancholisch. Er ist als Schriftsteller sehr beliebt; seine Jäger­geschichten" haben berechtigtes Aufsehen erregt durch die poetischen Schilderungen des geheimnißvoll düsteren Waldes.

Die zwei Freunde setzen sich an den Frühstücks­tisch, der indessen gedeckt worden ist. Das Essen besteht aus Kaffee, Brot, Butter und Ziegenkäse, und Agestin läßt es sich schmecken. Johnsen sieht mit Schrecken, wie sein ganzer Vorrath an Brot, Butter und Käse verschwindet. Hast Du alle Tage solchen Appetit?" fragt er entsetzt.

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, Nein, bedenke doch, Mensch, daß ich mich von Solhaug bis zu Dir durchgehungert habe!... Da­für werde ich Deinen Roman um so schöner ab­schreiben."

Schon am Nachmittag desselben Tages verkündet ein Anschlag in der Aula der Universität, daß cand. theol. Slöften Privatunterricht an solche Jünglinge ertheilt, die zum Sommer ihr Studenten- Examen ablegen wollen.

Agestin bekommt im Laufe der Woche einige Schüler, sein Koffer kommt an, er ist wieder in der angenehmen Lage, seine eigenen Kleider tragen und sich hin und wieder etwas Mittagessen leisten zu können, eine Annehmlichkeit, auf die er während der ersten acht Tage verzichten mußte. Darum be­hauptete Johnsen auch, daß sein Appetit zum Früh­stück und Abendbrot genau derselbe geblieben wäre, wie am ersten Tage.

Agestin steht jeden Morgen sehr früh auf und

schreibt für seinen Freund ab, während dieser noch schläft. Nach dem Frühstück ertheilt er Privat­stunden. Johnsen, der eine untergeordnete Stellung im Unterrichtsministerium hat, ist während dieser Zeit im Bureau, und Agestin kann über die Woh­nung frei verfügen. Dann kommt die Stunde, wo andere Leute zu Mittag essen. Das ist die böseste Zeit des ganzen Tages. Einmal hilft Agestin sich mit Milch und Brot darüber hinweg, ein anderes Mal dichtet er sich durch, ein drittes Mal geht er, vom Hunger geplagt, in die Volksküche. Nach mittags schreibt er an einer längeren Bauernnovelle. " Da thust Du recht, das liegt für Dich," sagt sein Freund. Du hast die nöthigen Lokalkenntnisse und ein feines Auge für die Natur."

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Meinst Du?... Offen gestanden, thue ich es, weil ich glaube, auf dem Wege rascher etwas zu verdienen."

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Dann thue es nicht!"

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Agestin lächelt: O, es hat keine Gefahr, an Begeisterung fehlt es mir trotzdem nicht, an In­spiration eben so wenig... es ist etwas Neues, was ich gern in die Bauernnovelle legen möchte, etwas, worüber ich da zu Hause grübelte."

( Fortsetzung folgt.)

Bourgeoisie.

Szene von Hans Ostwald .

Ein großes Empfangszimmer. Gewöhnliche, helle

Tapete, an der Decke Rokoko- Stuck; links führt eine mit Draperien verhängte Oeffnung in ein Damenzimmer, dessen rothe Plüschsessel zu sehen sind; zwischen zwei Fenstern geht eine Glasthür nach einer Veranda, hinter der das helle Grün einer breiten Nasenfläche mit Rosenbeeten im Vormittagssonnenschein aufleuchtet und seinen Schimmer durch die Fenster wirft. Der ganze Naum, der sonst das Abstoßende proßenhafter Geschmacklosigkeit an sich hat, wird durch das weiche, grüne Licht anheimelnd. Das große, geschnigte Bücherspind mit seinen vergoldeten Prachtbänden verliert an Aufdringlichkeit. Auch die vielen Bilder in Goldrahmen, die hohen Lehnstühle mit den riesigen Auffäßen, die vielen Nippes über dem Divan und auf dem Schreibtisch geben etwas von ihrer Un­vornehmheit auf in dem milden Licht.

Frau Winkler( eine üppige Frau, kurz vor dem Verblühen, doch mit jener Frische, die allen Frauen eigen ist, die nie innerlich oder nach außen kämpfen mußten): " Ja, weißt Du, ich muß ja glücklich sein! Mein Mann hält mir alle Sorgen fern, und dann ist er so lieb und gut gegen uns, gegen mich und unsere Kinder. Nicht, daß er so laut und lebhaft seine Liebe äußerte, er ist manchmal sogar mürrisch, aber wenn ich dann ein gutes Essen gekocht habe, und es schmeckt ihm, siehst Du, sein gutes Wesen be= kommt immer wieder die Oberhand. Und dann, wie mildthätig er ist! Gerade dieses Bewunderns­werthe, Hilfreiche an ihm vergöttere ich!"

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Frau Rast( die ihr auf einem Stuhl gegenüber sitzt, sie macht im Allgemeinen denselben Eindruck): Ja, das ist wirklich etwas Bewundernswerthes, daß er, der so sehr von seiner großen Fabrik in Anspruch ge­nommen wird, noch sich die viele Zeit abstiehlt, um das Amt des Kassirers der Vereinigung gegen Bettelei auszufüllen.... Da fällt mir gerade ein.. hast Du schon gehört?.. Kaufmann Storm ist ver­schwunden...

Frau Winkler:, Wie?.. Verschwunden?" Frau Nast: Nun, er ist seit acht Tagen nicht mehr nach Hause zurückgekehrt."

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Frau Winkler:" Ja, das ist aber schrecklich." Frau Rast: Eben.. und seine kleine, junge Frau sist nun mit ihren Kindern da."

Frau Winkler:" Aber vielleicht macht er nur eine Geschäftsreise!"

Frau Nast: Nein, es ist ganz sicher, daß er nicht wiederkommt. Die kleine Frau hat gestern einen Brief aus Hamburg von ihm erhalten. Er schreibt, daß er in Amerika ein neues Leben an= fangen will. Seine Gläubiger wissen ja, Gott sei Dank, noch nichts davon. Aber nun müssen sie es doch bald erfahren. Und dann jagen sie die arme, kleine Frau aus ihrem Heim.. Du kennst es doch;

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es ist so ein richtiger, von allem Weltbösen ab­geschlossener, trauter Winkel, so ein Glücksheim für junge Leute, draußen im Westen, ein Häuschen, im Busch versteckt..

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Frau Winkler: Aber wie kommt es denn nur, daß er Alles, Geschäft und Familie aufgeben muß? Sein Holzhandel hob sich doch von Tag zu Tag!"

Frau Rast( zögernd): Ja, liebe Hertha, wenn ich das so genau wüßte! Du weißt ja, wir Frauen in unseren Kreisen wissen nie, wie die Geschäfte unserer Männer stehen. Wir nehmen nie an ihren geschäftlichen Triumphen oder Sorgen Theil... höchstens, wenn der Bankerott da ist.."

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Frau Winkler( unterbricht sie): Aber beste Nelli, was sollen wir mit den Sorgen?! Wir können doch stolz sein, daß unsere Männer alle Rauhheiten des Lebens von uns abhalten!"

Frau Rast( leise, mit schüchterner Sehnsucht): Ach, es müßte doch schön sein, die Kameradin des Mannes zu sein, als seine Gefährtin Alles mit ihm zu tragen

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Frau Winkler: Nein, darnach sehne ich mich ganz gewiß nicht. Darum heirathet man doch nicht!" Frau Rast: Es wäre aber doch schön.. Und wenn wirklich einmal solche Fälle eintreten, wie jetzt bei Storms, dann könnte man sich doch selber helfen."

Frau Winkler: Aber darnach verlangt mich wirklich nicht. Dann hat man doch noch seine Ver­wandten!..."

bare; keiner von den Verwandten der Frau Storm Frau Nast: Ja, das ist ja eben das Furcht­will ihr in der schweren Zeit zur Seite stehen. Eltern und Geschwister hat sie nicht.. oder doch, einen Bruder hat sie in Berlin ; aber der hat auch sein bischen Geld durchgebracht."

Frau Winkler:" Aber da ist ja der Kommerzien­rath Becker, der so häufig bei Storms verfehrte. Der konnte doch die kleine Frau so gut leiden. Dem müßte es doch eine Kleinigkeit sein, dem armen, verlassenen Geschöpf zu helfen."

Frau Rast: Ja, sie hat ihn ja auch schon aufgesucht; aber er hat in der freundschaftlichsten Weise erklärt, daß er sich unmöglich mit solchen schmußigen Sachen befassen dürfe, wolle er nicht seinen guten Ruf verlieren."

Frau Winkler: Wie denn?.. Schmußige Sachen?"

Frau Rast: Nun ja, es handelt sich darum, das Häuschen und das Mobiliar für die Frau sicher zu stellen. Sie selbst ist ja so unerfahren und schüchtern. Sie sist fast fortwährend bei ihren Kindern und weint.... Ach, das ist zu schrecklich!"

Frau Winkler: Aber es ist doch geradezu schmachvoll, daß Alle die arme Frau im Stiche lassen! Eine solche Ungefälligkeit!.. Ja, ja, erst sind sie die besten Freunde... und man soll nur Einen brauchen... am Abend sind alle Kazen grau! ( Steht erregt auf.) Siehst Du, das ist diese Erbärm­lichkeit, diese Feigheit, die ich so sehr hasse.... Kein Mensch hat den Muth zu einer so kleinen That!... Das ist empörend; das ist empörend!. Da hätte doch Einer zeigen können, daß er ein Mann ist, daß er mit seinen Mitmenschen fühlt.... In solchen Augenblicken glüht die ganze Größe meines Mannes in mir auf. Da weiß ich erst, wie bedeutend, wie erhaben er ist...."

Frau Rast( freudig): Ja, weißt Du, da könnte ja Dein Mann der armen Frau helfen! Niemand kennt die kaufmännischen Verhältnisse und Rechte besser als er. O, das wäre ja herrlich!"

Frau Winkler( fühl): Ja, ob er sich damit einlassen kann.... Er ist so schon so sehr in An­spruch genommen.... Und dann..."

Frau Rast: Aber ich bitte Dich! Das kann er ganz ohne Bedenken thun. Die Gläubiger sind alle so gut gestellt, daß sie den kleinen Betrag, der bei der Versteigerung des Hauses auf den Einzelnen fällt, ganz gut missen können. Für die Frau be­deutet es aber die Sicherung ihrer Eristenz dieses Haus.... Glaube nur, die Frau denkt viel zu rechtlich und gewissenhaft, um das nicht so leichten Herzens zu thun. Aber sie muß es, wenn sie mit