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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

noch fester gemacht, auch wohl noch auf demselben galvanischen Wege vernickelt oder verstählt, und ist dann zum Druck fertig, ein ganz getreues Abbild des Originalholzschnittes.

Am Drucker liegt es nunmehr, darauf zu achten, die Druckfarbe richtig abzupassen, nicht zu viel zu geben und etwa an Stelle eines ursprünglich vor­handenen ausdrucksvollen Gesichts einen schwarzen Kler zu bringen oder auch durch zu wenig Farbe den Ton matt und grau zu machen.

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Es sind nicht nur rein technische Unterschiede zwischen dem Holzschnitt Holbein's   und dem modernen " Holzstich"; in diesen beiden gelangt ein Gegensatz in dem künstlerischen Charakter der alten und neuen Kunst zum Ausdruck, der im tiefsten Grunde die Kunstübung dieser beiden Epochen beherrscht: der Gegensatz der zeichnerischen und der malerischen Auffassung. Das charakteristische Merkmal der ersteren sind die Konturen, die lineare Komposition. Gewiß sind auch in dem kleinen Holzschnitt Schat­tirungen gegeben, durch die die Nundungen der Körper herausgearbeitet werden; gewiß ist eine starke perspektivische Vertiefung des Raumes erreicht, aber alles dies tritt zurück hinter der Umrißzeichnung, auf der die künstlerische Bedeutung dieses kleinen Werkes beruht. Ganz anders liegt es bei dem modernen Tonschnitt. Der malerische Eindruck ist hier das unbedingt herrschende Prinzip geworden. Die Konturen erscheinen fast aufgelöst, sie sind nirgends durch bestimmte Linien umrissen; Fläche stößt vielmehr an Fläche, und das ganze Bild erscheint als eine Komposition von verschiedenen Abstufungen hellerer und dunklerer Flächen, als eine Malerei in Schwarz   und Weiß.

Einen weiten Entwickelungsweg mußte der Holz­schnitt zurücklegen, ehe er zu der Höhe des Holbein  '= schen Schnittes und von da wieder zu der malerischen Auffassung gelangte. Die Anfänge des Holzschnitttes liegen im Dunkeln. Aus dem Orient herüber scheint im Mittelalter der Druck von Zeichenmustern auf Zeug gebracht worden zu sein; auch zu Stempeln für Monogramme und für die reich verzierten Initialen in den Handschriften scheint man sich schon früh des Formschnittes bedient zu haben, ohne daß man jedoch an eine allgemeinere Verwendung dachte. Die eigent liche Geschichte des Holzschnittes beginnt erst mit der Vervielfältigung von wirklichen Zeichnungen und Bildern auf Papier  . In dieser Art kam der Holz­schnitt wohl erst gegen Ende des vierzehnten und ausgiebiger nicht vor dem fünfzehnten Jahrhundert in Gebrauch. Aus dem Jahre 1423 stammt der erste datirte Holzschnitt.

Die Voraussetzung für seine stärkere Verbreitung lag in der tiefgehenden Kulturbewegung jener Zeit des ausgehenden Mittelalters. In dem erstarkenden Bürgerthum der Städte erwachte das Interesse für solche leicht zugänglichen Darstellungen, aus ihm gehen auch für die neu aufkommende Kunst in erster Linie die Schaffenden hervor. Ein demokratischer Zug liegt darin. Vordem war Gelehrsamkeit und Bildung das Privileg des Klerus und einiger Weniger gewesen, die des Lesens kundig waren; hier bot sich etwas, das dem Drang nach Wissen auch bei dem Einfachsten und Aermsten entgegen fam. Einzeln flogen diese Blätter über's Land, wurden feilgeboten auf dem Jahrmarkt. Da erstand sich dann auch der Mann aus dem Volfe um ein Billiges so ein Blatt und brachte diesen Prieff an der Wand" mit nach Haus, um ihn an die Wand, oder an die Thür zu hängen. Tert war Nebensache; was bildlich dargestellt war, wirkte auch für den des Lesens Un­fundigen unmittelbar verständlich.

Sie sahen freilich meist bös genug aus, diese ersten Kunstblätter für's Volt. Es waren rein handwerksmäßige Erzeugnisse, in unbeholfener, derber Manier eilfertig zusammengearbeitet. Fliichtig die Zeichnung, derb und breit die Striche, von Schatten­wirkung, Perspektive nichts zu verspüren. Und dann waren sie auch schön bunt bemalt, zuerst lediglich mit grellen Farben ausgetuscht, später wenigstens mit einem Versuch der Modellirung auch in den Farben. Aber man muß gerecht sein: hinter den Neu- Ruppiner Bilderbogen von heute brauchten sie sich auch nicht zu verstecken.

In ihrem Inhalt spiegeln sie, je länger, je mehr all' die Interessen jener Zeit wieder. Voran die religiösen. Szenen aus der Leidensgeschichte Christi, aus dem Leben der Maria, aus den Heiligenlegenden fehren immer wieder. Ziemlich früh werden auch eine Anzahl von Blättern zu einem Blockbuch" zu= sammengefaßt. Die Biblia pauperum  ( Armenbibel), das Leben der Maria, die Ars moriendi  ( Kunst zu sterben) und die Phantasien der Offenbarung St. Johannis waren die wichtigsten unter ihnen. Daneben kommen auch allerhand weltliche Dinge in diesen Blättern vor, wissenswerthe Sachen, und besonders gern seltsame Naturwunder. Portraits berühmter Männer der Geschichte, Ansichten von Städten und Bauwerken, historische Ereignisse, merk­würdige Naturereignisse, Mißgeburten wurden immer wieder dargestellt, und namentlich die letzteren Arten waren gewiß nicht weniger authentisch, als die Zeich­nungen des Unterganges der Bourgogne  " oder die Bilder vom amerikanischen   Kriegsschauplatz, die in unseren illustrirten Journalen erscheinen.

So interessant aber diese Epoche des Holzschnittes kulturhistorisch ist, so wenig ergiebig ist sie in füinst­lerischer Hinsicht. Einen großen Schritt vorwärts macht dieser erst seit der Erfindung der Buchdrucker­kunst. Bald nachher wird er zur Herstellung ganzer illustrirter Bücher, in denen Schriftdruck und Bild­druck selbstständig nebeneinander stehen, verwendet. Gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts nehmen die Maler die Sache in die Hand, und nun geht es schnell vorwärts. Im Jahre 1493 erscheint Hartmann Schedel's   Weltchronik, ein Buch mit über zweitausend Illustrationen, die in der Mehr­zahl aus der Werkstatt Michel Wohlgemuth's  , des Lehrers von Dürer  , und von Wilhelm Pleydenwurff  stammen. Portraits berühmter Männer, Städte­bilder, Bauwerke, Darstellungen historischer Greig nisse füllen es aus. Im Jahre 1498 erscheint dann die erste Ausgabe von Dürer's   Apokalypse, das erste in einzelnen Blättern vollkünstlerische Werk in der Geschichte des Holzschnitts.

Dürer   hat sich selbst seine Formschneider, unter ihnen den berühmten Hieronymus Andreä  , heran­gezogen. Er zeichnete ihnen seine Arbeiten auf dem Stöckel vor, und für sie kam nun Alles darauf an, daß die Zeichnung mit allen Feinheiten im Ab­druck wiedererschien. Die ersten Holzschnitte sind noch unbeholfen und theilweise roh genug; erst in den späteren Folgen gelangen die Absichten des Meisters zum Ausdruck. Dürer   beseitigte auch die Kolorirung; er suchte durch die Zeichnung und Schat­tirung den Anforderungen an perspektivische Vertiefung und auch in gewissem Sinne malerische Wirkung gerecht zu werden. Neben Dürer   steht Hans Hol­ bein   der Jüngere aus Basel  . Dieser gewann in Hans Lüzelburger den hervorragendsten älteren deutschen  Formschneider für sich, wenn auch nur für kurze Zeit, und das vollkommenste Werk, das aus dem Zusammenarbeiten Beider hervorgegangen ist, ist der " Todtentanz", aus dem unser heutiges Bildchen eine Probe in Originalgröße ist. Kaum je wieder in der Geschichte des Holzschnittes sind die Absichten des Künstlers mit so feinfühligem Verständniß ver­wirklicht worden, wie in diesen leichten und zarten Strichen, die nicht das Erzeugniß einer Reproduk­tion, sondern aus der Hand des Meisters direkt hervorgegangen zu sein scheinen.

Auf Dürer und Holbein   folgt noch eine ganze Anzahl tiichtiger Meister in Deutschland  ; auch das Ausland, besonders Italien  , bringt gute Leistungen. Das ganze sechzehnte Jahrhundert ist noch mit solchen ausgefüllt; ein reichliches kulturhistorisches Material ist in ihnen niedergelegt. Aber schon in den letzten Jahrzehnten desselben tritt der Holzschnitt gegen den Kupferstich zurück; den veränderten Ansprüchen der Zeit trägt dessen zierlichere, elegantere Art mehr Rechnung. Eine Zeitlang bemühen sich die Form­schneider, dem zu folgen; dann beginnt der Verfall. In den beiden folgenden Jahrhunderten ist von einem künstlerischen Holzschnitt fast nichts zu finden.

Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts erweckt ihn Thomas Bewick   in England zu neuem Leben. Dieser sett sofort in dem neuen Stil, dem Tonschnitt, ein, der mit dem Grabstichel auf Buchsbaumholz

ausgeführt wird. Fast gleichzeitig beginnt eine neue Epoche des Holzschnittes auch in Deutschland  ; hier aber schließt man sich von vorn herein an die alte deutsche Tradition, gegenüber dem Tonschnitt " Facsimileschnitt" genannt, an. Schon vor der Mitte unseres Jahrhunderts bringen zwei Maler den Holz­schnitt wieder in die Höhe, Adolf Menzel   in Berlin  und Ludwig Richter   in Dresden  . Beide schaffen sich eine tüchtige Formschneiderschule; während die Berliner Schule den englischen Stil zwar nicht annimmt, sich aber doch von ihm beeinflußt zeigt, hält die Dresdener sich streng an den Facsimileschnitt, der noch lange in Deutschland   die Regel ist. Die Illustrationen aus den Märztagen, die die Neue Welt" in diesem Jahre brachte, sind Beispiele dafiir. Jeder Strich, der in diesen Zeichnungen erscheint, ist auf dem Stöckel vorgezeichnet und vom Formischneider nachgeschnitten.

Seit etwa der Mitte unseres Jahrhunderts hat der Holzschnitt mehr und mehr eine noch größere Bedeutung für das Kulturleben unserer Zeit be­kommen, als er sie im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert gehabt. Unzählige illustrirte Zeitschriften, die in den letzten Jahrzehnten eine nach der anderen gegründet wurden, die Mehrzahl der in großen Auf­lagen erscheinenden Bücher bedienen sich noch immer fast ausschließlich dieses Vervielfältigungsmittels. In stetem Wettstreit miteinander entwickeln sie seine Tech­nit weiter. Der Tonschnitt drängt aber in den letzten Jahrzehnten den Facsimileſchnitt immer mehr zurück, namentlich seitdem die Photographie sich so glänzend entfaltete, und mit ihrer Hülfe die Nachbildung von Gemälden stärker in Aufnahme kam. In Deutsch­ land   ist freilich noch heute ein gewisses Schwanken zu bemerken, während das Ausland konsequent auf diesem Wege weiter geschritten ist.

Seine glänzendſte Entwickelung hat der Ton­schnitt in Amerika   erfahren. Dort hat sich ein echter Illustrationsstil herausgebildet. Man arbeitet in Amerika   fast nur nach Zeichnungen, die auf die Technik des Holzschnittes berechnet sind, und sehr wenig nach Gemälden. Die großen Zeitschriften, die in ungeheuren Auflagen in's Land gehen, haben alle einen Stab von Zeichnern, unter ihnen solche von hervorragender künstlerischer Begabung, die ihnen Illustrationen von fernen Ländern, die sie besuchen, von sensationellen Ereignissen, Kriegs- und Entdecker­fahrten, die sie mitmachen, liefern. Das stete Zu­sammenarbeiten von Zeichnern und Formschneidern hat die ersteren dazu geführt, daß sie ihre Arbeiten den Bedingungen des Holzschnittes mehr und mehr an­paßten, und so haben sie eine hervorragende Technik geschaffen. Es ist hier nicht anders als in jedem Gebiete der Kunst. Diejenige Leistung, die der Eigenart des Materials und der Technik am meisten angepaßt ist, darf auch künstlerisch als die vollendetste gelten. Nicht der Holzschnitt steht am höchsten, in dem sich die unglaublichsten Feinheiten der Striche­lung finden, sondern der, welcher mit dem Grab­stichel auf dem harten Holze am bequemsten und sichersten auszuführen ist. Große, breite, zusammen­hängende Linienführung also, Vermeidung jedes kleinen Gebißels".

Beim Tonschnitt ist der Formschneider viel selbst­ständiger, er kann also viel mehr künstlerische Eigen­schaften entfalten als beim Facsimileschnitt. Er hat nicht vorgezeichnete Striche nachzuschneiden, sondern Tonflächen von größerer oder geringerer Helligkeit in die Strichlagen, mit denen er arbeitet, zu über­sezen. sezzen. Hierin gerade kommt ihm der amerikanische  Zeichner entgegen. Er führt die Zeichnung in der denkbar größten Einfachheit der Flächen und Linien aus, giebt möglichst wenige große, durch bestimmte Helligkeitsstufen verschiedene Flächen; diese bildet der Formschneider dann bequem durch größere oder ge= ringere Enge und Tiefe der Strichlagen nach, und sucht so den Eindruck der Tonwerthe, die in der Zeichnung gegeben waren, zu treffen.

Unser Bild Spigenarbeiterinnen auf Burano" zeigt diese Technik. Es ist nach einer Zeichnung von Hans Herrmann geschnitten. Freilich kann dieser Schnitt sich an Freiheit und Kühnheit des Striches nicht mit den amerikanischen   messen, aber er zeigt doch die durchaus malerischen Eigenschaften dieses Stils. Man sieht aus der Reproduktion deutlich,

Stils.