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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Aber am nächsten Tage machte er sich doch auf den Weg, und sie begleitete ihn.

" Oh, mein armer, lieber Mann," flüsterte sie und strich ihm mit ihrer harten, braunen Hand lieb­

Mit ernſtem Blicke betrachtete der Doktor die kosend über's Haar. start aufgeschwollene, entzündete Hand.

Der Daumen muß abgenommen werden. Immer dieselbe Geschichte mit Euch Leuten. Ihr wartet, bis es zu spät ist, dann kommt Ihr und denkt, daß man Euch noch helfen kann. Ihr könnt froh sein, daß Ihr nicht auch noch den Arm verlieren müßt."

Hannes taumelte, laut aufstöhnend, zurück. Sein Weib flammerte sich an ihn und jammerte und schrie: ,, Nein, Vater, er soll Dir nichts thun, ich will Dich schon wieder gesund machen. Laß Dich nicht von ihm anrühren!"

" Schickt die Frau fort," sagte der Doktor. Unvernunft stört nur."

Ihre

Der Flickschuster sant auf einen Stuhl und zitterte an allen Gliedern vor Aufregung. Aber Doktor- mein Handwerk ich will lieber sterben!"

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,, Gut, wenn Ihr lieber sterben wollt!" " Du sollst nicht sterben! Nein, Du sollst nicht sterben! Ich will Dir helfen," rief die Frau da­zwischen und umschlang ihren Mann und zog seinen Kopf an ihre Brust.

Hans Holbein's   Todtentanz, von dem wir heute ein Probeblatt bringen, hat kulturhistorisch ein außer­ordentliches Interesse. Er ist entstanden in Basel   in den Jahren 1524 bis 1525, gedruckt wurde er allerdings erst viel später, 1538, bei den Gebrüdern Trechsel in Lyon  . Vierzig Bildchen in dem Format, das unsere Nachbildung zeigt, waren darin enthalten. Ein eindringliches, geschichtliches Stimmungsbild entrollt sich in ihm. Es war die Zeit furz vor dem großen Bauernfrieg( 1525), die in der Phantasie des Künstlers jene Reihe schauriger Bilder wach werden ließ. Zwar war das Thema durchaus nicht neu; vielmehr finden sich schon während des ganzen fünfzehnten Jahrhunderts ähnliche Darstellungen, die Bedrängniß der Zeit legte den Menschen solche Vorstellungen nahe. Mit Vorliebe beschäftigte man sich mit den letzten Dingen"; die erregte Phantasie wurde nicht müde, die Schrecknisse des Todes auszumalen, und das jüngste Gericht" hielt wie etwas nahe Bevorstehendes die Gemüther in Angst. Aus dieser Stimmung heraus entstand das Bild von dem Todtentanz, von dem wilden Knochenmann, der mit allen Menschen, ohne Unterschied des Standes, des Alters, des Geschlechts, seinen furchtbaren Tanz aufführt, all ihre Luft und Lebensfreude zerstört und sie mit höhnischem Grinsen, unter grauenhafter Musik, jäh aus dem Leben abruft. Das ist das Motiv, das in den vierzig Bildchen des Todtentanzes mit einer außerordentlichen Kraft der Dar­stellung, mit nie ermüdender Phantasie variirt wird, nach­dem in den ersten vier getreu nach den Anschauungen der Bibel dargestellt ist, wie der Tod durch den Sündenfall in die Welt gekommen. Deutlich ist aber in diesen Bildern eine soziale Tendenz niedergelegt, die sich gegen die Mäch­tigen und Reichen der damaligen Welt richtet. Wo das Bild selbst noch einen Zweifel darüber lassen könnte, be= heben ihn der darüber gesetzte Bibelspruch und der Vers in französischer Sprache unter dem Bilde, die jedem Blatt beigegeben sind. Niemand ist vor dem Gleichmacher Tod ficher: Den Papst überrascht er im Augenblicke seines höchsten Triumphes, als er dem Könige die Kaiserkrone auf's Haupt sezen will; hinter dem Thronsessel des Kaisers taucht plötzlich das Gespenst auf und drückt den Inhaber nieder; dem König mischt er beim prunkvollen Mahl den Todestrank; der Kaiserin naht er als Hofnarr und schmeichelt sich bei ihr ein, um dann plöglich seine wahre Gestalt zu enthüllen und die vor Entsetzen Schreiende zu packen. Am stärksten schwingt der Künstler seine Geißel gegen die Priester, deren unredlich Treiben er in den verschiedensten Formen brandmarkt: dem bestechlichen Kardinal, der dem gottlosen Reichen für Geld den Erlaß seiner Sünden verkauft, reißt er den Hut vom Kopfe; mitten in der Ausübung seines Amtes in der Kirche rafft er einen anderen dahin; vor dem, der einem Sterbenden das Sakrament bringen will, zieht er als Meßner vorauf und weiht ihn so selbst dem Tode; hinter dem Pfaffen, der in seiner Predigt die Wahrheit verdreht und den Gläubigen vor ihm einzuschwaßen sucht, daß licht dunkel, gut böse, süß bitter" ist, erscheint er grinsend auf der Kanzel mit dem Stundenglas, das anzeigt, daß seine Uhr abgelaufen ist; der Nonne, die selbst während des Gebets vor dem Hausaltar dem Geklimper ihres Buhlen lauscht, löscht er das Licht. Nach den Priestern kommen die Reichen am schlimmsten weg: dem Geizhals schleppt er das Geld fort; dem raffgierigen Handelsherrn erscheint er; vor dem unbarmherzigen Reichen, der die Bitten des Bettlers nicht hört, liegt er plöglich auf dem Wege und reckt ihm den Knochenarm mit dem Stundenglas

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Es wird schon Alles wieder gut werden..." Eine Stunde später saßen sie zusammen in dem alten Omnibus. Sein Arm lag in einer Schlinge, und seine rechte Hand war vollständig verbunden. Der scharfe, durchdringende Jodoformgeruch machte Der scharfe, durchdringende Jodoformgeruch machte Hannes fast frank, und es war kein Wunder, daß alle Leute von ihm wegrückten. Er sah sehr matt Er sah sehr matt und blaß aus, und seine Lippen waren wie im Schmerze fest aufeinander gepreßt. Sie aber schluchzte noch immer und ihr Gesicht war vom Weinen roth und geschwollen. Ab und zu klopfte der dicke Hannes ihr mit der Linken auf die Schulter.

Aus der geöffneten Thür hörte man deutlich das Tak, Tak" des Hammers, und die Vorübergehenden konnten den Ledergeruch wahrnehmen, der aus der kleinen Werkstatt drang. Aber Hannes war nicht da. Auf seinem Bock saß eine Frau und hatte einen großen Schuh zwischen ihren Knieen.

Mit dem dünnen Pfriem bohrte sie fleißig Löcher in das Leder und nagelte dann die Sohle auf. Der helle Sonnenschein fluthete durch das Zimmer, und seine flimmernden Strahlen warfen Lichter auf ihr braunes Haar.

In der Ecke der Werkstatt aber fonnte man den dicken Hannes beim Herd stehen sehen. Er hielt das Baby auf seinem rechten Arm, in der linken Hand hielt er einen Kochlöffel und rührte damit

Na, na, Frau," sagte er matt," es thut fast emsig in einem Topf. Sein Gesicht aber zeigte nicht mehr weh!"

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Die Bäume draußen vor Johannes Werner's Hausthür schüttelten verwundert ihre Wipfel. Das spärliche, fahle, vertrocknete Laub flog raschelnd auf's Straßenflaster.

Ja, es war etwas Seltsames, was sie erblickten.

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Feuilleton.

entgegen; dem ungerechten Nichter, der das Geld des Reichen nimmt und das Recht des daneben stehenden Armen nicht sehen will, macht er den Garaus. Gegen ihn helfen nicht die Waffen des Edelmannes, die Rüstung des Kriegers; er raubt den Kindern die Mutter, der Mutter das Kind; alle Weisheit schüßt nicht den Ge­lehrten, seine Kunst nicht den Arzt. Aber während er den Reichen und Bösen als Rächer erscheint, ist er den Armen ein Tröster: den gebeugten Alten, die uralte Frau führt er zum offenen Grabe und spielt ihnen dazu auf seinem Hackbrett auf; den elenden Bettler erlöst er und dem hinter dem Pfluge hart arbeitenden Bauern führt er die Pferde, während in der friedlichen Land­schaft hinter fernen Bergen die Sonne sinkt. Und über unserm Bilde steht der Spruch: Kommt zu mir, die Ihr mühselig und beladen seid! Zwar will der Krämer nichts von diesem Tröster wissen, er eilt und weist zur Stadt, die er noch erreichen will; aber der Tod reißt ihn mit Gewalt zurück, er will ihn von der drückenden Bürde seines hochbeladenen Tragforbes und von dem Elend seines Daseins befreien.... Ein tiefer sittlicher Ernst, ein scharfer Blick für die Gebrechen der Zeit und die Schwächen der Menschen spricht aus diesen Bildern. Ein Blatt, welches das jüngste Gericht" darstellt, an dem Jeder Rechenschaft für seine Thaten im Leben ablegen muß und ein Wappen des Todes" beschließen dieses Werk eines der größten deutschen Künstler.

Spitzenarbeiterinnen auf Burano. Vor ihrem Häus­chen auf der Straße sißt eine Gruppe von Frauen und Mädchen; sie sind emfig bei der Arbeit; zierliche Gebilde, vielbegehrte zarte Spigen entstehen unter ihren geschickten Händen auf den runden Kissen, die ihnen auf dem Schooße liegen. Es ist eine Szene, wie sie auf der kleinen Lagunen­insel Burano alltäglich ist: Sie Anfertigung der Spitzen bildet eine Haupterwerbsquelle ihrer Bevölkerung, wie auf dem benachbarten Murano   die Glasindustrie. Schon in früheren Zeiten, int fünfzehnten und sechzehnten Jahr­hundert, als Venedig   einen hohen Ruhm durch seine Spizenindustrie besaß, waren die Frauen Buranos stark daran betheiligt und schufen sich auch einen eigenen Stich, der sich neben dem Stich von Venedig" wohl zu halten vermochte. In Venedig   und in Burano wurde ausschließ­lich mit der Nadel gearbeitet, und diese Erzeugnisse er­langten gerade hierdurch einen so großen Nuf, daß venezische Arbeiterinnen zum Beispiel nach Frankreich   geholt wurden, um dort in Schulen die einheimischen Arbeiterinnen in ihrer Art zu unterrichten. Mit dem Niedergange Venedigs  geräth gegen Ende des vorigen Jahrhunderts auch seine Spizenindustrie in Verfall; die bedeutend gewordene französische   Konkurrenz schlägt sie allenthalben aus dem Felde. Jetzt kommt eine Zeit furchtbaren Elends für die Bewohner von Burano. Die Männer suchen ihren Er­werb vorwiegend im Fischfang; aber der Bestand des Meeres an Fischen und Schalthieren wurde und wird noch heute immer geringer, die Konkurrenz der eingeführten Fische immer größer, es bleibt ihnen keine Wahl, als die vom Auffäufer gebotenen Preise zu nehmen. Oft gehören ihnen nicht einmal das Boot und die Fanggeräthe, so daß sie der Ausbeutung ganz und gar preisgegeben sind. Ein strenger Winter im Jahre 1872 brachte sie vollends in's Elend. Viele Familien waren jeden Unterhalts beraubt und in Gefahr, zu verhungern. Man war gezwungen, der Noth durch öffentliche Sammlungen abzuhelfen, und um der Wiederholung vorzubeugen, machte man den Ver­

Berantwortlicher Redakteur: Oscar Kühl in Charlottenburg  .

einen ängstlichen Ausdruck.

" Ich will wetten, daß sie die Nägel wieder schief einschlägt," murmelte er... Wie kommst Du mit der Arbeit zurecht, Mutter," fragte er laut.

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Sehr gut. Ist das Essen fertig?" antwortete sie vergnügt; im Stillen dachte sie aber:" Es soll mich doch wundern, ob er die Suppe heute ebenso versalzt wie gestern."

such, die alte Spizenfabrikation wieder aufleben zu lassen, um den Frauen und Mädchen etwas Verdienst zu ver­schaffen. Eine alte Frau lebte noch, die die alte Kunst der Nadelarbeit bewahrt hatte; eine Schule wurde ein­gerichtet und in ihr zunächst acht Schülerinnen die von ihr übermittelte Fertigkeit gelehrt. Im Laufe der Jahre ist es unter großen Mühen gelungen, die Schule hoch­zubringen, die Qualität der Arbeit zu bessern, Absatz­gebiete zu erschließen. Die Zahl der Arbeiterinnen mehrte sich von Jahr zu Jahr. Im Jahre 1878 waren schon 250 eingeschrieben, 1880 war die Zahl der Gelernten auf 320 gestiegen, und im vorigen Jahre waren es 430, eine beträchtliche Zahl bei 4500 Einwohnern. Ein Schulhaus ist gebaut, eine große Reihe von Mustern nach alten Spizen wieder aufgenommen und eine gute Sammlung solcher Vorlagen angelegt. Der Werth der Produktion beläuft sich jährlich im Durchschnitt auf 50 000 Mark. Schon im Alter von neun Jahren werden die Mädchen aufgenommen, und auch wenn sie geheirathet haben, fahren sie fort, in ihrer freien Zeit Spizen zu arbeiten. Sie erwerben dabei freilich durchaus feine Reichthümer; bei aller Mühe und bei allem Fleiß bringen es die ständig arbeitenden Mädchen nicht höher, als zu einem Jahres­einkommen von etwa hundertundsechzig Mark.

Der König von Hannover, wurde gestern erzählt, hat Marschner einmal befohlen, eine Händel'sche Musik in einem anderen als dem vom Komponisten selbst vor= geschriebenen Zeitmaß aufzuführen. Das nenne ich Konsequenz! Es fehlt nur noch, daß er die Idee absoluter Souveränität auch in's Einmaleins überträgt und dem Rechenmeister befiehlt, 2 x 2 endlich einmal 5, oder besser, um ein paar Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, und neben Ausübung seines unbeschränkten Herrscherrechtes zugleich den geometrischen Hochmuth dieser beiden Zahlen zu züchtigen, die sich bisher für undegradirbar hielten, nur drei sein zu lassen.

Ein König versicherte seinen Unterthanen so lange, er sei liberal, bis sie sich erfrechten, es zu glauben.- Die Revolution ist eine Krankheit des Volkes, aber eine solche, an der die Könige sterben.

Das vornehmste Bestreben der Welt sei darauf ge­richtet, feines Herkules zu bedürfen. Das ist die einzige Klugheitsmaßregel, die ich der Zeit zugestehe. Es gilt nicht sowohl, einen Augiasstall zu misten, als aufzu passen, daß keiner entsteht.-

Mir ward das Wort gegeben, Daß ich's gebrauche frei Und zeige, wie viel Leben Drin eingeschlossen sei.

Ich will ihn muthig schwingen, Den geist'gen Donnerfeil, Und kann er's mir nicht bringen, So bringt er Andern Heil.

Friedrich Hebbel  .

Nachdruck des Juhalts verboten!

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