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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

vollen Tone und mit hoch erhobenem Haupte. Scharf sah ich nach ihm hin, er aber paßte genau auf und mied meinen Blick. Wie erinnerte er mich an das verzogene Kind, das ich so oft auf meinen Armen getragen! Seine Haare waren auch jetzt noch lodig, und seine Stimme klang noch jest so innig wie zu der Zeit, da er meine arme Emilie in's Verderben gelockt.

Die Geschworenen sprachen mich frei. Nicht schuldig! lautete das Urtheil. Diese Worte sezten das Publikum in Erstaunen. Späterhin las ich in den städtischen Zeitungen Aufsäße, in denen man die Richter beschuldigte, daß sie wissentlich Diebe und Mörder freilassen.

Jezt ging ich als freier Mann umher. Aber... ich war schon Arrestant gewesen, ich hatte als An­geflagter vor Gericht gestanden. In den Werkstätten fand ich keine Arbeit; meine ganze Existenz war durch Schurken vernichtet. So blieb mir nur ein Zufluchtsort, das Wirthshaus.

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Nach meiner Rechtfertigung forderte ich auf's Neue mein Geld. Aber das zu bekommen, erwies sich als unmöglich. Man ließ mich rufen und sagte: Siehst Du, mein Lieber, sei zufrieden, daß Du freigesprochen worden bist; wenn Du nun wieder Dein Geld forderst, so könntest Du wohl weit fort­kommen, zum Beispiel nach Sibirien ."

Ich verstand selbst nicht, was mit mir vorging. Daher ging ich zu bekannten Herrschaften, um Arbeit bittend, wurde aber meistens garnicht vorgelassen.

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Die, welche mit mir sprachen, bemerkten, daß sie nur für ehrliche Leute Arbeit hätten, und wieder Andere sagten mir, ohne sich zit geniren: Mit Dir in Ver­bindung zu stehen, ist gefährlich; Du mußt schon ein großer Betriiger sein, da selbst Dein Vater sich von Dir lossagte. Mach', daß Du fortkommst!... Paßt auf, daß er auf dem Wege zur Thür nichts mitnimmt. Es ist ja bekannt, welche Universität" er besucht hat... Daher hat er so viel gelesen." Nach diesen Demüthigungen ging ich zum Flusse. Schien es mir doch, als ob er nur für mich geschaffen wäre, damit ich mich hineinwerfe und zu Grunde gehe, um befreit zu werden von dieser schrecklichen Welt! Aber da kam nahe an mir mein Bruder, rosig, glücklich, fröhlich voriiber. Nein! Jegt war es noch zu früh, zu sterben. Erst mußte ich mich an ihm rächen. Alles Menschliche in mir erstarb in diesem Augenblicke, und nur eine grenzenlose Wuth gegen ihn blieb zurück. Wie ich beschimpfter, armer, hungriger Thor mich an ihm rächen sollte, wußte ich selbst noch nicht. Aber ich war fest davon über zeugt, daß mir das Schicksal einst Gelegenheit geben würde, mich zu rächen. Ich liebfoste diesen Ge­danken der Nache; den Tag über trug ich ihn im Kopfe umher, Nachts sah ich seine Verwirklichung und erwachte Morgens, nur im Gedanken an ihn. Wie das Gehirn eines Kartenspielers nur darüber nachdenkt, von welchen Kartenkombinationen sein Gewinn oder Verlust abhängt, so schuf auch das

meinige Pläne, von denen einer immer schrecklicher als der andere war.

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Betrunken ich fing schon an zu trinken redete ich nur von meiner Nache und theilte den Wirthshausbesuchern meine Pläne mit. Kräftig schlugen sie mich auf die Schulter, womit sie ihren Beifall ausdrücken wollten und schrieen mir zu: Thu' es mur, packe die Taugenichtse am Halse, wirge sie, schlage sie mit einem Holzscheit auf den Kopf, das ist noch besser, das wird sie sehr erfrischen. Hau sie Alle nieder!"

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Alle diese meine Freunde hatte das Schicksal auch benachtheiligt und vernachlässigt. Sie dachten unter dem Worte sie" an meinen Bruder und die ganze Welt, die sie entehrt, auf die Straße geworfen und rachsichtig gemacht hatte. Ich schrie mit und bürge dafür, daß, wenn ich in solchen Augenblicken meinen Bruder getroffen hätte, ich zum zweiten Male auf die Anklagebank gewandert wäre, um von dort aus für immer nach Sibirien zu gehen! Wenn ich meine Vergangenheit Leuten in einer anderen Gesell­schaftslage erzählen würde, so glaube ich sicher, daß fie es für unmöglich halten würden, daß es solche Schurken wie meinen Bruder und meinen Vater gäbe. Aber mein Vater und mein Bruder waren ja vornehme Leute! Wem sollte man da eher glauben? Mir? Mir, der ich den Leuten nicht einmal frei in's Gesicht schauen, sondern nur mit niedergeschlagenen Angen begegnen konnte?!

( Fortsetzung folgt.)

Feuilleton.

Regentage.

as find die grauen Regentage,

Das

Die stillen, grauen Tage. Trübe spannt Sich öder Himmel über ödes Land... Die Felder leer, kein Lied ertönt im Haage, Nur Krähen flattern auf am Waldes faum. Ho sterbensmüde hängt das Laub am Baum, Qas welke Laub, so traurig zieht der fahle, Der kalte Nebel durch die bange Welt.... Was schauft Du noch nach Blumen aus im Thale ? Die Blumen sind verblüht, der Regen fällt.

Das sind die grauen Regentage... So lange, endlos lange währt die Macht. And schlaflos lausch' ich jedem Stundenschlage, Ob immer noch der Morgen nicht erwacht... Der neue graue Tag, was wird er bringen? Bergehen wird er, wie die andern gingen, Salt, liebeleer, von keinem Licht erhelft.. msonst auch heut Dein Wünschen und Dein

Streben, Was hoffft Du immer noch auf Glück im Leben? fällt... Das Glück ist lange todt der Regen fällt Dorothee Goebeler.

Steinadler. Hoch oben über der Alm, auf der die Heerde weidete, hatte der Adler lange geschwebt, in kleinen Streisen immer über demselben Orte; seinem scharfen Auge war das Kalb nicht entgangen, das da in lustigen Sprüngen abseits von der Heerde herumtollte. Dann war er auf einmal herabgestoßen und hatte seine mächtigen Fänge dem Kalbe in Hals und Weiche geschlagen. Mit ein paar fräftigen Schlägen der Schwingen hatte er das kläglich blöckende Thier zu betäuben gesucht. Aber der Senne hatte das Schreien gehört: jezt naht er! Der Steinadler ist nicht nur starf, er ist auch muthig, ohne Kampf will er dem Menschen die einmal erfaßte Beute feineswegs überlassen. Er wendet sich wüthend gegen den herankommenden Angreifer; die Kopffedern sträuben fich, aus dem geöffneten Schnabel dringt ein Pfauchen, und seine beste Wehr, die starken Flügel, sind zum Schlage erhoben. Es fällt auf, daß der Maler gerade den Moment zu seiner Darstellung wählte, in dem die Schwingen hoch aufragten in die Luft. So bietet das schöne Thier das beste Bild; das ganze Interesse des Ve= schauers konzentrirt sich auf das Thick selbst, tie Lai.

schaft, die in Nebelschwaden versinkenden Bergriesen, tritt völlig zurück. Das Verhältniß zwischen der Natur und dem Thier ist also entgegengesetzt dem, das wir z. B. in dem Bilde Heinrich Zügels Frühlingssonne" kennen lernten. Dort war die Naturstimmung Alles, auf der Wirkung, die von den ersten erwärmenden Sonnen­ftrahlen im Jahr ausgeht, beruhte der Eindruck des Bildes, die gewiß prächtig dargestellten Schafe erschienen darin als ein organisch eingeordnetes Element neben den anderen. Hier ist es die Zeichnung der Schwingen, wie sie mächtig ausladend den Naum füllen, der lebendige Ausdruck des kampfbereiten Thieres, wie auch der des verängstigten Kalbes, die den Blick fesseln. Die Thiermalerei ist noch durchaus nicht alt, wenn man darunter nur die ausschließliche Darstellung von Thieren versteht. Nebenher werden Thiere schon in den ältesten Zeiten, bei den ersten Versuchen gezeichnet. Aber erst in der vlämischen und holländischen Malerei des 17. Jahr­hunderts spielt die Thiermalerei im engeren Sinne zum ersten Male eine große Rolle; während die Vlamen, an ihrer Spize Rubens, mehr glänzende, auch im Format große Jagdszenen lieben, wendet sich der einfachere Sinn der Holländer den Hausthieren zu; so sind vor allem die Darstellungen Paul Potters, der mit Vorliebe Nind­vich auf der Weide malte, berühmt. In unserem Jahr­hundert hat die Thiermalerei wieder eine große Beden­tung erlangt. Wenn man heute auch im Allgemeinen auf die Stimmung der Natur, in der die Thiere leben, das Hauptgewicht legt, so gehen die großen Thiermaler doch immer auch auf eine scharfe Charakteristik der Thiere aus. Man sucht die Seele der Thiere", nicht nur ihre äußere Erscheinungsform, mit in das Bild hineinzu­bringen, den blöden Blick der Kuh nicht weniger als das Listige der Fuchsaugen oder den treuen" Ausdruck der Augen des Hundes. Man beobachtet scharf, wie dieser Ausdruck sich bei den verschiedenen Anlässen ändert, in welchen charakteristischen Formen sich z. B. der Zorn äußert, und diese individuelle Art des Thieres, wie in unserem Falle der sich zum Kampfe stellende Steinadler, wird dem Maler dann das Motiv seines Bildes.

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Ein Alraun, der in den Gerichtsaften als corpus delicti vorliegt, wird von Distel in der Zeitschrift für Kulturgeschichte" beschrieben. Er wurde in den Aften des sächsischen Amtes Wolfenstein gefunden. Ein Arzt(!) hatte im Jahre 1696 das Ding einer Dienstmagd auf­geschwazzt. Die Wurzel war ,, an einem gewissen Tage" auf dem Richtplay ausgegraben. Sie ist 17 cm hoch, als Arme sind Vogelbeinchen eingefügt, um den Leib ist cin zufällig rothseidenes Band mit einem angeheftelen Silberpfennig gewickelt; die Beine sind in hieroglyphisch beschriebenes Papier eingehüllt.

Mein Junge. Es ist früh Morgens. Ich bin gerade aufgestanden. Die helle Morgensonne glibert durch die Scheiben, und das dunkle Blattgrün der Kastanien und Akazien rauscht und wiegt sich im Winde. Das Bett unseres Jungen steht quer vor dem Fußende unserer Vetten. Er schläft noch. Sein Vettdeck hat er abge= strampelt. Mit den kleinen, dicken Wurstärmchen liegt er

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quer über dem Bett, und sein flachsblondes Haar hat in der Morgensonne einen Goldglanz. Hin undwieder frab­belt eine Fliege über sein Stumpfnäschen, dann rümpt er es und wirft sich mit einem fräftigen Ruck auf die andere Seite. Der kleine Mund ist halb geöffnet, und die kurzen, fleischigen Finger halten die Trümmer eines Spielzeuges umflammert, mit dem er am Abend ein­geschlafen. Nun wird er wach: ein langes Strecken und Dehnen der kleinen, rosigen Glieder, dann ein mürrisches Reiben der Augen und der kleinen Stumpf­nase. Nochmals Recken. Und nun schlägt er die großen, blauen Augen auf; doch nicht mehr verschlafen und müd, sondern mit dem ganzen, runden Kindergesicht in te hellen Morgen hineinlachend.

Der Morgenimbiß ist verzehrt. Mit den kleinen Beinchen trottet und stampft er mun zum Merger der unter uns Wohnenden auf und ab, manchmal einen wenig graziösen Freudensprung wagend. Das geht den ganzen langen Vormittag durch die Stube, mit tausend Fragen m.d tausend Wünschen und einem ewig hungrigen Mäulchen. Spielen thut er nur wenig. Hammer, Staubtuch, Bl.stift oder Blechdeckel sind sein liebstes Spielzeug; Schantel­pferd und Holzthiere läßt er ruhig in der Ecke stehen; das ist ja nichts Lebendiges und macht keinen Lärm!

Dann kommt das Mittagessen. Er fist wie ein Er= wachsener auf seinem Stuhle und ist allein" mit einem Blechlöffel von seinem Emailleteller. Er ist langsam und bedächtig, damit kein Krümelchen verloren geht; nur in ganz besonderen Ausnahmefällen hilft er mit der Hand nach. Satt wird er eigentlich aber niemals, und zum Schlusse der Mahlzeit giebt es fast regelmäßig ein kleines Konzert. Am Nachmittage spielt er dafür desto artiger mit den Kindern des Nachbarhauses, und der Sandberg der benachbarten Wiese, in dessen Nähe Pferde und Ziegen weiden, ist der Inbegriff seines findlichen Paradieses, von dem er sich regelmäßig nur schweren Herzens am Abe:.d zu trennen vermag. Dann darf er vor dem Insbeit gehen" noch ein bischen barfuß und im Hemdchen auf dem Sopha herumklettern. Das ist seine besondere Selig­feit. So ungeschickt wie nur irgend mög'ich wagt er sich hier auf der gepolsterten Arena an alle die halsbrecherischen Versuche kindlicher Nüpelhaftigkeit heran, schießt Kopf, flettert, springt, daß der Mutter das Her; zi.tert.

Mit einem wehmüthigen Gutenachtfuß" und einem oder zwei Chokoladenplätzchen als Einschläferungsmitt.l geht es in's Bett. Durch die halb geöffnete Thür dringt noch eine geraume Zeit lang das Poltern und Nütt lu heimlich versuchter Turnkunststücke, bis dieselben in die wenig melodiösen Töne eines allen anderen Sterblich n unverständlichen Liedes übergehen, welches schließlich mit einem ruhigen und gesunden Schlaf endet. Da liegt er dann wieder quer über'm Bett, abgestrampelt, mit nackten Aermchen und Beinchen, und in der Dunkelheit des rer­hangenen Schlafzimmers leuchtet der frische Glanz seines fleinen, weißen Körpers.

―n.

Nachdruck des Juhalts verboten!

Verantwortlicher Nedakteur: Oscar Kühl in Charlottenburg . Berlag: Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg . Druck: Max Bading in Berlin ,

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