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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Er hob die Hände, als ob er sich vor mir schiißen wollte. Dann fing er an zu weinen, und Thränen rollten über sein greisenhaftes Gesicht. Endlich blickte er auf mich und sagte mit einer Stimme, die ich als die feinige nicht wiedererkannte:
" Paul, wir haben viel an Dir gesündigt, viel Schuld daran, daß Du so unglücklich geworden bist. Wir werden nie gut machen können, was wir Dir gethan haben ,, und dennoch bitte ich, verzeihe, wenn Du kannst!"
Aber ich antwortete, selbst nichts verstehend und mechanisch nur an den Zweck meines Herfommens denkend: Warum? Warum benachtheiligen Sie mich und geben mir kein Almosen? Geben Sie mir doch etwas, bin ich denn nicht ebenso bedürftig, nicht ebenso bedauernswerth wie die Anderen?"
Meinem Vater fostete es offenbar eine große Anstrengung, als er sagte:„ Deinem Bruder wird das Gewissen leichter werden, wenn Du von ihm Abschied nimmst. Komm zur Kirche und gieb ihm einen Ruß... Der Tod versöhnt Alle, komm und verzeihe Deinem Bruder!"
Er nahm mich an der Hand und zog mich mit fich fort. Ich war wie willenlos und ging.
Merkwürdig, wie sich jede Kleinigkeit jenes denk
Insel- Idyll.*
Versinken wird dies Eiland einft im Meere; Wo jekt des Dörfchens traute Dächer ragen, Da werden grüne Wogenberge jagen Und krächzend#lattern scheue Mövenheere.
Wohin ich spähend auch die Blicke kehre, Seh' ich die Fluth am Wall der Dünen nagen. ,, Dergänglichkeit!" so tönt des Windes
Klagen;
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Bu gut nur kennst du, Herz, die frübe Lehre.
Doch jubelnd singt die Lerche hoch in Lüften, Und freundlich schickt vom Friedhofswall die Rose
In's Fenster eine Fülle mir von Düffen.
Am Brunnen faht Lars Knudsen, der Matrose, Sein blondes Liebchen lachend um die Hüftenstille Welt, o glücklich- ahnungslose!
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Reinhold Fuchs.
Sturmfluth. Einen solchen Tag hatten die Be wohner des kleinen holländischen Stranddorfes noch nicht erlebt. Seit Tagen schon hatte ein starker Wind von der See her geweht und große Wassermassen gegen das Land geführt, und nun es war die Zeit des Vollmondes war Springfluth eingetreten. Der Wind wuchs von Stunde zu Stunde und wurde zum Sturm, die Fluth nahte und ließ das Meer höher und höher anschwellen. Jezt hat sie fast den oberen Rand der Düne, hinter der die kleinen Häuser liegen, erreicht nur noch wenig mehr, und das Wasser wird brausend über die winkligen Gassen in die Häuser strömen. Die Gefahr ist dringend. Da gellt warnend der Ruf der Sturmglocke von der nahen Kirche. Die Leute wissen jegt, daß keine Zeit mehr zu verlieren ist. Hastig raffen sie ein paar Habseligkeiten zusammen und eilen in Sturm und Wetter hinaus, um über die Düne in den Schuß der festen Kirche zu gelangen. Ein schauriges Bild. Sonst ist die Düne der Ort, wo die Leute an schönen Sonntagen lustwandeln; drunten liegt das weite Meer spiegelblank im Sonnenglanze, von der anderen Seite winkt das freundliche Noth der Ziegeldächer herüber. Heute ist der Tag fast zur
würdigen Tages fest in mein Gedächtniß einprägte! Und die Aerzte behaupten, ich wäre verrückt! Denken denn die Verrückten auch, können sie sich denn auch erinnern, wie ich mich erinnere? Beim Schreiben dieser Zeilen überlege ich, ob auch Alles genau so in der Wirklichkeit war. Genau wie damals sehe Genau wie damals sehe ich die Kirche vor mir. Nur wenige Leute sind anwesend. Diese aber verschwimmen in der Dunkelheit mit den schwarzen Säulen, deren Ende man nicht sehen kann, und so scheint es, als ob sie den Himmel erreichen, der jeden Augenblick anfangen will, über diese unglückliche Welt heiße Thränen zu vergießen.
Vor dem Heiligenbild schimmert unsicher ein Lämpchen. Kaum sieht man die vergoldeten Priester ornate glänzen. Die dunklen Gestalten der Heiligenbilder sehen mich scharf an; Lichter brennen nurvor dem Bilde der heiligen Jungfrau. Sie allein glänzt im mystischen Halbdunkel durch die goldene Einfassung füllender Nubinen und Perlen Ringsum herrscht tiefe Stille. Selten hört man da und dort einen Seufzer, doch wer ihn ausstößt, ist nicht zu erkennen. Die Leute, die an den Säulen entlang gehen, scheinen Gespenster zu sein. Sie kommen im Halbdunkel und verschwinden wieder in ihm, gleich einem Menschen, der geboren und ge
Feuilleton.
Nacht geworden. Ein undurchdringliches düsteres Grau ist der ganze Himmel, hier und da spielen fahle Lichter über die Dächer. Klatschend und praffelnd schlägt der Regen hernieder, und von dem Meer her tönt das dumpfe Brüllen der sturmgepeitschten Wogen. In immer schwereren Gängen, immer höher wälzen sie sich heran, das ganze Feld ein einziges Schaummeer. Und in dieser wild erregten Natur die eingemummelten Gestalten der Menschen. Die Einen kämpfen gegen den Wind an, und drängen zu dem schüßenden Ort hin; zwei Frauen haben die Rettung, wie es scheint, schon aufgegeben, im Schutz eines kleinen Baunes fißen sie ergeben in ihr Schicksal da, zwei andere ganz im Vordergrund suchen einen anderen Zufluchtsort, den sie mit dem Winde besser erreichen fönnen Hans von Bartels , der dieses Bild gemalt, ist ein Münchener Künstler, der wie viele, namentlich ältere deutsche Maler, lange Zeit in Holland gewesen ist und auch von der malerischen Art der Holländer viel übernommen hat. Sein Bild„ Sturmfluth" befindet sich iegt in der Berliner Nationalgalerie.
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Photographie und Kunstwerk. Unter den Beweisgründen, die gegen den Naturalismus immer in's Feld geführt werden, spielt die größte Rolle dieſer: Naturalismus als Nachahmung der Natur" werde durch die Photographie überflüssig gemacht; besonders wenn erst einmal eine vollkommene farbige Photographie entdeckt sein wird davon sind wir noch weit entfernt würde die Platte des Photographen tausendmal erafter die Natur wiedergeben, als es der ausdauerndste Fleiß des Malers vermöchte. Das Letztere ist richtig. Es ist einfach eine Unmöglichkeit, naturalistisch in dem Sinne zu sein, daß jede Einzelheit der Natur genau wiedergegeben wird. Auch die englischen Maler, die gegen Ende ber vierziger Jahre diese Forderung wenigstens auf ihr Programm geschrieben hatten, die Präraphaeliten", haben ihren Grundsay Genaueste Nachahmung der Natur!" nicht zu verwirklichen vermocht; er war auch lediglich das Resultat eines allzueifrigen Protestes gegen „ schön" färbende Manierirtheit. Von Anfang an hatte der Naturalismus praktisch ein anderes Ziel: er wollte den Eindruck, den das Auge von der Natur empfing, fünſt= lerisch gestalten. Zwischen diesen Eindruck und seine künstlerische Verwerthung schiebt sich also die seelische Thätigkeit des Künstlers selbst, die nie mit derselben Treue wie eine mechanische Reproduktion zu arbeiten bermag, sondern immer die von der Außenwelt em= pfangenen Bilder in einer ihrer besonderen Veranlagung entsprechenden Weise verarbeitet. Aus der verwirrenden Fülle von Einzelheiten, die der Seele des Künstlers durch die Nezhaut des Auges übermittelt werden, heben sich die heraus, die in ihm besonders starfe Empfindungen loslösen. Es ist aber schon oft betont, daß jeder Farbe, jeder Linie ein eigenartiger Reiz, eine bestimmte Ausdrucksgewalt zufommt, und daß diese die Grundlage des ästhetischen Empfindens abgeben. In jeder menschlichen Seele läßt sich bei all den Verschiedenheiten und auch Widersprüchen in den einzelnen Bethätigungen doch eine Grundrichtung, eine bestimmte Veranlagung, eine Eigenart, die Dinge aufzufassen, erkennen, wie viel mehr noch in der des Künstlers, des am stärksten individuell ausgeprägten Menschen! Bei diesem wird, wenn er nur treu bem eigenen Empfinden folgt und es möglichst klar herauszuarbeiten sucht, immer in seinen Werken dieselbe
storben ist, und doch weiß man nicht, wozu er sein schweres Dasein durchlebt hat. Ich sah mich um und bemühte mich hartnäckig, den Sarg, der mitten in der Kirche stand, nicht zu sehen. Dort an jenem Fenster hatte ich stets als Kind, getrennt von den Meinigen, gestanden. Traurig, außer Fassung, lehnte ich mich an die kalte Wand; noch jetzt klingt das„ Lehne Dich nicht an, Knabe, und sei artig!" in meine Ohren. Doch jetzt faßt eine fremde Hand meinen Arm und führt mich zurück zur Gegenwart. Eine zitternde Stimme fliistert mir in's Ohr:„ Versöhne Dich mit ihm, verzeihe! Er steht jetzt vor dent ewigen Richter, der Rechenschaft für die Dir zugethanen Uebel fordern wird."
Unwillkürlich blickte ich jest nach dem Sarge hin. Weiß schimmerte er durch die Dunkelheit der Kirche. Der ihn bedeckende Brokat leuchtete in goldgelbem Glanze. Feierlich ruhig brannten neben ihm Wachsferzen, ein unsicheres Licht auf das Gesicht des Dahingeschiedenen werfend. Dada liegt es nun, das von mir so unmenschlich gehaßte Gesicht!
Merkwürdig. Ein lebender Mensch wird nie so liegen. Der Kopf ist unnatürlich gehoben, der Hals wie gebrochen, die Brust mit den auf ihr getreuzt liegenden Händen eingefallen. ( Schluß folgt.)
Grundauffassung durchleuchten, an welchem Stoff sie sich auch offenbaren mag. Jeder wird aus der sich ihm darbietenden Welt das für sich nehmen, was ihm am meisten Anregung bietet, und dies wird am unmittelbarsten in den Elementen des künstlerischen Schaffens, beim Maler in seinen Farben und Linien, zum Ausdruck fommen. Da schwelgt der Eine in den kraftvollen, leuchtenden, gelben Farben der Mittagssonne auf reifen Feldern, der Andere liebt die sanften, blauen, verschleierten Töne der Nacht, und wir nehmen dies als Offenbarungen ihrer seelischen Grundstimmung. Gerade das ist das Kennzeichnende des Kunstwerks, daß die Elemente der, Natur zusammengefaßt sind zu einer einheitlichen Wirkung auf die Seele. Bei dem naturalistischen Künstler wird dieses Haus wirklich den Eindruck eines Hauses machen und jener Baum im Bilde aussehen wie ein Baum in der Natur; aber wie diese Dinge ausgewählt sind, die Wirkung der Luft, die sie umspielt, des Sonnenlichts, das über sie ausgegossen ist, läßt sie zusammenflingen zu einem harmonischen Eindruck, der je nach der Wesensart des Künstlers etwa der einer leisen Melancholie oder einer sonnigen Heiterfeit sein kann. Und diese Stimmung ist es auch, die das Kunstwerk stets von der Photographie, auch der vollkommnenften, abheben wird, bei der die mechanische Platte unterschiedslos Alles aufnimmt, was sich ihr bietet. Man versucht heute freilich die Photographie in derselben Nichtung zu entwickeln. Während der Berufsphotograph in der Regel nur auf technische Vollendung, d. h. auf möglichst scharfe Wiedergabe seines Objektes hinarbeitet, haben die Liebhaber, die sich der Sache angenommen haben, ein anderes Ziel, die Photographie dem künstlerischen Schaffen zu nähern. Es kommt ihnen nicht mehr darauf an, zu erreichen, daß der Hintergrund womöglich ebenso scharf herauskommt wie der Vordergrund, sondern sie suchen abzustufen, dem Eindruck der Natur entsprechend; sie arbeiten auch auf der Platte nach, hellen hier auf, verdunkeln dort usw. Die Leistungen, die Einzelne dabei erzielt haben, sind überraschend; aber man darf nicht vergessen, daß, je vollkommener die Wirkung werden soll, umſomehr das rein Mechanische, also das Charakteriſtikum der Photograpie aufhört und eine seelische Thätigkeit einsetzt, die der des künstlerischen Schaffens verwandt ist.
Patriotismus. Ein Sprüchwort der Togo- Neger lautet: Ein Kind, das nie andere Länder gesehen hat, spricht:„ Nur meine Mutter versteht gut zu fochen."
Es kommt nicht darauf an, daß die Freunde zu sammen kommen, sondern darauf, daß sie zusammen stimmen. Goethe.
Aberglaube und Dummheit der Masse nannte Justus Möser die Hörner der Masse, mit denen sie stößt, an denen sie aber auch gepackt werden kann.
Nachdruck des Juhalts verboten!
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