Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Ja... können wir nicht zu Ihnen gehen? Daun plaudern wir ein Stündchen.. Sie er zählen mir die Geschichte, und nachher werden wir sehen, was zu machen ist."

Sie beugte den Kopf in Demuth: Ich bin es nicht werth."

Sie sind es werth, es ist meine volle Ueber­zeugung!" eiferte er. Kommen Sie."

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Lovisa nahm einen Schlüssel aus der Tasche ihres Kleides und öffnete die Hausthür. Ein stock finsterer Korridor, dessen dumpfige Luft sich ihnen schwer auf die Brust legte, nahm sie auf. Er fühlte, wie ihre Finger nach seiner Hand tasteten, dann wurde er einige Schritte an einer mit zerfetzten Tapeten bekleideten Wand entlang geführt, sie öffnete eine Thiir und trat in ein kleines Zimmer. Hier steckte sie eine Lampe an, die auf den runden Tisch in der Mitte des Raumes stand. Dieser war recht klein, obgleich er zwei Fenster besaß, und so niedrig, daß Agestin die Decke mit den Fingerspigen erreichen konnte. Ein kleines Sopha, der runde, mit einer alten, grünen Plüschdecke überhangene Tisch, einige Holzstühle, eine Kommode und in der einen Ecke des Zimmers ein großer Wandschirm; das war die ganze Einrichtung.

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Sie wohnen hier recht gemiithlich," sagte Agestin und legte seinen Hut auf den runden Tisch. Ge­hören die Möbel Ihnen?"

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" Nein, Alles gehört der Wirthin." Sie sah sich um, als müßte sie das Zimmer erst einmal recht besehen. So? Sie finden es wirklich einiger maßen wohnlich? Ich habe mich, offen gestanden, noch nie darum gefümmert."

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Das wundert nich."

" Das darf Sie doch nicht wundern! Seit jener Geschichte habe ich für nichts mehr auf der ganzen Welt Interesse gehabt. Mir ist zu Muthe gewesen, als hätte man mir alle edleren Theile herausgenommen. Ich komme mir vor wie eine leere Hülle, die dazu verdammt ist, eine Art thierischer Existenz weiter zu führen."

Thierisch? Warum thierisch?"

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Nein, Sie haben Recht. Weshalb soll man die Thiere beschimpfen?"

Agestin zuckte die Schultern: Jedenfalls könnten Sie wohl einen passenderen Ausdruck finden."

Ich will lieber feinen Ausdruck suchen, die Sprache hat kein Wort, um das elende Dasein zu bezeichnen, das ich fiihre."

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rettet. Als Anerkennung für diese That erhielt er ein Jahr später von der japanischen Regierung eine sehr kostbare Base. Dieses Ehrengeschenk hatten wir immer als ein Heiligthum angesehen, und wir hatten uns versprochen, es nie zu veräußern, wenn uns nicht die bitterste Noth dazu zwänge. Nach langen Erwägungen schickten wir die Vase auf das Leihamt und bekamen hundert Kronen darauf geliehen. Diese Schuld hoffte ich durch nächtliche Näharbeit allmälig tilgen zu können. Das war aber nicht leicht, denn, wie Sie wohl wissen, werden die Zigarrenläden in der Karl Johansgade erst um elf Uhr in der Nacht geschlossen. Ich wohnte mit meiner Schwester in einer sehr bescheidenen Dachstube auf Vaalerengen. einer sehr bescheidenen Dachstube auf Vaalerengen. Wenn ich da aukam und nachdem wir das dürftige Abendbrot eingenommen hatten, das meine kleine Schwester für mich zubereitet hatte, war es schon Mitternacht. Jetzt fing also die Näherei an. Bertha, die damals dreizehn Jahre alt war, half mir so gut, wie sie es vermochte, aber das kleine Wurm hielt, wie Sie sich denken können, nicht lange aus."

Lovisa Borg biß sich auf die Lippe und ver­suchte, die hervorbre.henden Thränen zurückzudrängen. suchte, die hervorbre.henden Thränen zurückzudrängen. Es schien, als ob die Erwähnung ihrer kleineu Schwester ganz besonders schmerzliche Erinnerungen in ihr wachriefen. Agestin bemerkte es und hielt die Frage, wo jetzt die Schwester sei, rücksichtsvoll zuriick. Nach einigen Sekunden fuhr sie fort: Es waren aber schöne, friedliche Augenblicke, diese paar nächtlichen Stunden, wo meine kleine Bertha und ich bei der Lampe saßen und um die Wette nähten, während der Theetopf auf dem kleinen eisernen Ofen gemithlich summte. Aber, wie gesagt, lange hielt das Kind es nicht aus, während ich manchmal bis in den hellen Morgen da saß und nähte und nähte.

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Da kam eines Tages Bastian Lange in den Zigarrenladen. Er unterhielt sich etwas länger mit mir, als man unter ähnlichen Umständen sonst thut und er kam am nächsten Tage wieder. Ich mochte ihn gern leiden und plauderte harmlos über alles Mögliche. Er fam am dritten Tage wieder, indem er behauptete, eine Sorte Zigarren bei uns gefunden 31 haben, die ihm besonders gut schmeckte; und er zog den Detaileinkauf vor, wie er sagte, weil er nicht nur die Entdeckung einer feinen Zigarre, sondern

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Aber so etwas ahnte ich nicht. Ich vergesse nie, welchen Schreck ich späterhin bekam, als er eines schönen Tages plößlich innerhalb der Schranke stand und mich kissen wollte. Wie eine Ahnung stieg es da in mir auf, aber es war schon zu spät ich liebte ihn... Während dieser Zeit saß Bertha allein bei der Näharbeit. Aber es dauerte nicht lange, da fand Bastian, daß ich zu wenig Zeit für ihn übrig hätte, oder wie er sich ausdrückte, daß meine Arbeit zu lang und anstrengend sei, und auf seine Veranlassung fündigte ich meine Stelle in der Karl Johansgade. Das halbe Jahr, welches jetzt folgte, wurde nur ihm und der Liebe gewidmet. Zu der Zeit war es, daß ich Sie eines Abends auf der Straße traf. Bastian und ich hatten eine herr­liche Wagenfahrt nach dem Frognersäter gemacht. Ich war eine kurze Zeit glücklich, bis es mir flar wurde, daß ich Mutter werden sollte. Was ich damals gelitten habe, kann und will ich Ihnen nicht schildern. Das Schlimmste war meine Schwester

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das Verheimlichen und Lügen ihr gegenüber. Und dann, als das Unabänderliche nahte, da hat er, der Schuft, mich verlassen, da reiste er nach Paris , ohne mir seine Adresse dort zu sagen und ohne mir einen Pfennig zu hinterlassen. Wie ein geheztes Wild bin ich in die Nacht hinausgeflüchtet, ich schleppte mich über Felder und nasse Wiesen, den Tod im Herzen und mit dem inbrünstigen Wunsche, daß ich sterben möchte. Zuleẞt fiel ich hin, ohn­mächtig vor Verzweiflung und Schmerz. Als ich mich in dem grauenden Märzutorgen nach Hause schleppte, sah ich zwei Bilder vor miro, so deutlich und so schrecklich: Das eine war die fragende Miene meiner Schwester, das andere- o!" Sie schwieg und hielt sich die Hand vor die Augen.

Außer mir vor Gewissensbissen wollte ich mich selbst denunziren, aber der Gedanke an Bertha hielt mich zurück. Da hat eine Frau in der Nachbar­schaft es gethan. Ich wurde vor Gericht gestellt und zu anderthalb Jahren Zuchthaus verurtheilt." ( Fortsetzung folgt.)

auch die eines besonders feinen Mädchens" gemacht Rousseau und sein Emil

hatte.

hatte. Damit fing es an. Er wählte für seine Besuche mit großem Geschick die Stunde, wo der Laden am wenigsten besucht war, und blieb eine

Nun, erzählen Sie! Ich seze mich derweil hier halbe Stunde, manchmal noch länger, um mit mir auf's Sopha."

Sie stand am runden Tisch und schaute finster drein. Ja, wo soll ich beginnen? Gar zu um­ständlich wollen wir's auch nicht machen.... Ich habe eine gute Erziehung genossen. Meine Eltern starben früh, und ich war darauf angewiesen, mir selbst mein Brot zu verdienen und außerdem noch für meine vier Jahre jüngere Schwester zu sorgen. Das war nicht leicht. Ich bekam eine Stellung als Ver­fäuferin in einem Zigarrenladen in der Karl Johans gade und verdiente da gerade so viel, daß wir bei der größten Sparsamkeit einigermaßen auskommen konnten. Es dauerte aber nicht lange, da dentete mein Chef mir an, daß ich, wenn ich die Stellung be­halten wollte, eine weit fostbarere und elegantere Toilette machen müßte, als es bei dem niedrigen Lohn möglich war, besonders da ich für Zwei zu sorgen hatte. Ich versuchte ihm das begreiflich zu machen, aber er schien dafür nur wenig Verständniß 311 haben.

Der Lohn, sagte er, wäre nun einmal nicht höher und vor Allem nicht darauf berechnet, daß Zwei davon leben sollten. Er blieb bei seinem Verlangen und ließ mich verstehen, daß es mir frei stände, mich nach einem anderen Plaz umzusehen. Das wollte ich nun auch nicht gern, denn der Lohn, den ich da bekam, war verhältnißmäßig gut. Es blieb mir darum nichts Anderes übrig als Schulden zu machen, um meine Toilette so zu gestalten, wie man es von einer Dame in meiner Stellung" verlangte. Num waren wir zwei Schwestern im Besitz eines Schazes, eines Vermächtnisses unseres verstorbenen Vaters. Er war Schiffskapitän gewesen und hatte an der japanischen Küste mit eigener Lebensgefahr die ganze Mannschaft eines japanischen Schiffes ge­

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zu plaudern. Es gelang ihm, allmälig aus unseren harmlosen Gesprächen herauszuhorchen, daß meine ökonomische Lage eine bedrängte war und daß ich gegen Pfand eine Anleihe gemacht hatte. Eines schönen Tages, als ich nach beendeten Tagewerk todtmüde nach Hause komme und meiner Schwester gegenüber den sehnlichen Wunsch ausspreche, endlich einmal vor Mitternacht zu Bett gehen zu dürfen, öffnet sie stillschweigend den Schrank und zeigt triumphirend auf den japanischen Schatz, der wohl­behalten auf seinem alten Play stand. Daneben lag ein Brief. Ich öffne ihn und finde Karte! Sie können sich meine Freude denken und meine Dautbarkeit gegen den Geber... Nun... wie es nachher ging, fönnen Sie sich vielleicht vor­stellen.

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seine

" O ja," erwiderte Agestin, vom innigen Dank­barkeitsgefiihl bis zur Liebe ist nur ein furzer Schritt." Sein Blick hing mit verdoppeltem Interesse an dem bleichen Gesicht der Erzählerin, deren Augen im Widerschein der Erinnerung aufleuchteten, während die blassen Wangen einen schwachen, röthlichen Schimmer befamen.

Ja, ich war jung und unerfahren, darum er­blickte ich keine anderen Motive für seine Wohlthat, als edle Regungen, darum nahm es mich für ihn ein. Ich fand es so rührend von einem jungen Studenten, der doch gewiß selbst sein Geld gebrauchen founte, Menschen, die ihm doch so fern standen, ein so großes Geschenk zu machen. Und die ganze Art fand ich so taktvoll und vornehm."

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Agestin zuckte die Schultern: Routine." Sie nickte stumm, während ihre Mundwinkel sich herbe herabzogen.

( Schluß.)

Von H. Trier.

erade in dieser Zeit ging von einer französischen Akademie eine Preisaufgabe aus. Es wurde die Frage gestellt, ob die Wissenschaften und Künste den menschlichen Sitten genügt hätten. Dieses Thema mußte nothwendig einen mächtigen Eindruck auf Rousseau machen, und in einem Rausch von Be­geisterung schrieb er eine Abhandlung, in der er die Frage mit einem entschiedenen Nein" beantwortete. Ein paar Jahre darauf vervollständigte er diese Ab­handlung durch eine zweite, in der er ein ideales Bild des Lebens entwarf, wie es nach seiner Ausicht sein müßte. Er schilderte die großen Wälder, in denen die Menschen als Naturwesen gelebt hatten und in denen allein das Glück zu finden sei, weil man hier nie mehr wollte, als man vermochte, und nie mehr begehrte, als das gerade Gegenwärtige. Nach dem Erscheinen dieses Buches schrieb Voltaire an den Verfasser, daß er bei der Lettiire Lust verspürt hätte, auf allen Vieren herumzukriechen wie ein auderes Thier. Indessen hätte er diese Kunst seit 60 Jahren vergessen und er wolle sie daher Denen überlassen, die sie besser verständen als er und Nousseau.

Unterdessen lebt Rousseau sich immer mehr und mehr in seine literarische Umgebung hinein. Aber auch in seinem erhältniß zu den neuen Freunden spielt ihm seine Natur manchen Possen. Er gehört zu den Menschen, die so schwer zu behandeln sind, weil ihr Empfindungsleben und ihre Phantasie stets weit über die normale Grenze hinausgehen. Alles, was ihnen begegnet, nimmt für sie eine Größe an, die keineswegs der Wirklichkeit entspricht, und es ist daher sehr schwer, mit ihnen dauernd zusammen zu leben. Rousseau gewinnt neue Freunde und verläßt sie, er kniipft Liebesverhältnisse au und löst sie wieder.