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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Gestern stieg in meinem Körper eine Feuersäule empor soll das vielleicht auch Einbildung sein?- Jezt vergönnt er mir etwas Ruhe...

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Ich glaube nicht, daß er zur selben Zeit wie ich schläft. Wie fönnte es sonst vorkommen, daß ich, wenn ich mich Abends zu Bett lege, Morgens mit der Hand das Gitter meines Fensters umflam­mernd erwache. Er gönnt mir selten Ruhe und dann suche ich sie zu benutzen. In diesem Augen­blicke fühle ich mich ebenso wie vor seinent Russe. Int solchen freien Momenten schrieb ich dieses Tage­buch. Ich schrieb es fiir Sie, Herr Doktor, damit Sie sich endlich überzeugen sollen, daß, wenn es hier Wahnsinnige giebt, es die sind, die mich für solch Einen halten. Alles, was ich hier geschrieben habe, ist reine, volle Wahrheit. Ihr wollt mich heilen; das ist ja eine Sache der Unmöglichkeit. Mich heilen kann man nur, wenn man ihn tödtet, und tödtet man ihn, so tödtet man auch mich. Wozu haben sie mich aus dem Flusse herausgezogen, in den ich mich geworfen hatte, um ihn zu ertränken? Ja nur ihn. Selbstmörder war ich nie und halte solche für feige. Wozu befreiten sie mich aus der Schlinge, als ich ihn tödten wollte, indem ich mich an einer Schnur erhängte.

Deutlich erinnere ich mich noch, als ich sie mir unt den Hals legte, da fühlte er es und fing an, in meinem Herzen zu weinen. Habe ich mich denn ertränken oder erhängen wollen? Glauben Sie, wenn ich das zu thun fähig gewesen wäre, daß ich es nicht schon früher gethan haben würde? Ja, er, der mir sein ganzes Leben über fremd war, lebt in mir, in meinent Körper fort...

Lesen Sie durch, was ich hier geschrieben habe. Sind das die irren Neden eines Wahnsinnigen? Habe ich denn irgendwo den Faden meiner Erleb­nisse verloren? Habe ich Euch denn nicht Alles der Reihenfolge nach erzählt und klargelegt?

Jezt muß ich aufhören, das Schreiben lassen... Ich fühle... er erwacht... Mit heißem Dampfe steigt er in meine Brust und sticht mit Feuer mein Gehirn... Feuer rinnt durch meine Adern... Jezt bin ich nicht mehr ich... Ich... Ich bin jezt er... O, laßt mich, laßt mich ihn doch tödten! jegt er... O, laßt mich, laßt mich ihn doch tödten! Habt doch Erbarmen mit mir Habt doch Erbarmen mit mir... Gebt mir doch etwas, womit ich ihn tödten kann... Irgend etwas... Vielleicht einen Nagel... Jezt faẞt er nach meinem Kopfe... da ist er... ich... Nein wir Nein wir...

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Diese Zeilen beenden das Tagebuch des Un­glücklichen.

Die Bemerkungen des Irrenarztes, die bei diesem Schriftstücke gefunden wurden, lauten: Ein hoch­interessanter Fall! Noch nie habe ich einen solchen beobachtet. Sein Tagebuch las ich aufmerksam durch, dachte lange nach und war endlich ganz erstaunt über meine Schlußfolgerung: Er hatte offenbar die Seinigen nie gehaßt. Die Liebe war ein Be­dürfniß dieser seltsamen Natur. Er liebte sie sein ganzes Leben lang, leidenschaftlich, schüchtern und verschanzte sein edles Herz gegen diese Empfindung, indem er sich aus seiner so grausam verschiichterten Liebe heraus die Vorstellung bildete, daß er gegen sie nur einen unversöhnlichen Haß hege. Das kommt oft bei Denen vor, die unter ähnlichen Bedingungen aufwachsen. Die Offenbarungen der Liebe sind sehr verschieden. Wenn er sie, seiner Meinung nach, am unversöhnlichsten haßte, liebte er sie am stärksten. In einem seiner ruhigen Momente, wo sein, zweites Ich schlief, fragte ich ihn, ob er für die Seinen je Liebe empfunden habe. Anfangs lächelte er nur, dann verzog sich sein Gesicht schmerzlich, er faẞte sich an den Kopf und rief in einem herzzerreißenden Tone: Warum sollte ich sie denn lieben?"

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Künstlerkernspruch.

Welch' Hegacker! Welch' Hemecker! Schriller Streit um die Geschmäcker. Lak' fie meckern! Lak' sie gackern! Wir woll'n unsern Acker ackern.

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Otto Julins Bierbaum.

Die Schmollenden. Ja, natürlich, Du hast wieder Recht!" Hab' ich auch." Du! Ich sage Dir nur so viel: Lange lass' ich mir das nicht mehr gefallen!" Dann läßt Du's bleiben. Mir ist's schon recht." Num sei aber still!" Und damit fuhr er herum auf seinem Stuhl, der dicht neben ihrem stand, und kehrte ihr gerade den Nücken zu. Die kurze Pfeife hatte viel zu leiden; er faute heftig an der Spize herum und paffte, daß es eine Art hatte. Sie zuckte mit den Achseln und drehte sich mit einem furzen!" zur anderen Seite. So saßen sie eine ganze Weile; Keines rührte sich. Erst tobten sie noch innerlich. Er:" So ein Mädel! Will mir jetzt schon den Pantoffel zeigen! Will sie schon kriegen mach' ich ihr nicht bei Zeiten klar, wer Herr im Hause ist, könnt' es ja schön werden! Aber das giebt's nicht... Sie: Nüßt Dir nichts, lieber Hans, wenn Du Dich auch noch so geberdest. Darin hat die Mutter Recht... Zwar ich kann das nicht ausstehen, wenn sie immer so viel herumpredigt, ich sollte nicht so vernarrt sein... aber das stimmt schon, wenn sie sagt, ich müßte mir ihn früh­zeitig ziehen... Komm' Du nur! Ich geb' nicht nach!..."

Tiefe Stille. Ordentlich unheimlich. Er bekommt einen richtigen Schreck, als ihm das plößlich auffällt. So eine Dummheit! Sizt man da in der dumpfen Stube und zankt sich, und draußen ist das schönste Wetter.. Was war denn nun eigentlich wieder los? So recht weiß er's schon nicht mehr. Er schielt ein wenig über die Schulter. Kein Laut, regungslos fist sie da. Er fährt noch einmal zurück; aber lange hält er es nicht mehr aus, er hat Alles vergessen und weiß nur nicht, wie er's anfangen soll. Jezt kommt er wieder herum, zieht seine Pfeife aus dem Munde und giebt ihr mit demi Ellenbogen einen leisen Puff. Nußt nichts; sie thut, als habe sie nichts gemerft; sie ist schon längst wieder gut, aber so leicht giebt sie ihren Triumph nicht fort; erst muß er noch ein wenig zappeln! Da noch ein Puff, diesmal schon stärker! In ihrem Gesicht zuckt es, am liebsten möchte sie losplaßen. Er ist schon ungeduldig. Ist sie wirklich böse? Aber er weiß es ja von früher her, so schlimm wird sie's nicht machen. Nur noch eine dritte, möglichst nachdrückliche Mahnung, und dann... Ja dann?!

Der Taubstummenunterricht befindet sich in Deutsch­ land   gegenwärtig in einer ernsten Krisis. Die Frage, wie der Unterricht der Taubstummen am besten zu ge= stalten ist, hat eine große Bedeutung; giebt es doch in Deutschland   nicht weniger als 50000 Taubstumme. Be­sondere Anstalten für ihren Unterricht bestehen schon seit mehr als hundert Jahren. 1778 eröffnete Samuel Heinicke  in Leipzig   die erste deutsche Anstalt, nachdem der Abbé

Feuilleton.

de l'Epée bereits im Jahre 1760 in Paris   den Anfang gemacht hatte. Von Anfang an standen aber beide Schulen in ihrer Methode in einem Gegensaz: die französische  Schule bediente sich einer über die natürliche Mimik der Taubstummen hinausgehenden, fünstlichen Geberden­sprache, der Schriftsprache und des Handalphabets, bei dem die einzelnen Buchstaben, Silben usw. durch bestimmte Stellung und Haltung der Finger dargestellt werden; die deutsche Schule verwarf dagegen die Geberdensprache und bediente sich der Lautsprache in unmittelbarer Ver­bindung mit der Schriftsprache als der einzigen zum Denken mit flarem Bewußtsein führenden Lehrform. Diese Lautsprache wird dem Schüler dadurch beigebracht, daß der Lehrer den Schüler anhält, vor dem Spiegel die­selben Lippen-, Zungen- und Kieferbewegungen zu machen, die ihm der Lehrer vormacht, und daß er ferner beim Aussprechen eines Vokals die Hand des Schülers an seinen, des Lehrers Kehlkopf legt und ihn dann anhält, die Hand an den eigenen Kehlkopf zu legen und so lange zu probiren, bis er dieselbe Vibration fühlt, die er am Kehlkopf des Lehrers gefühlt hat.

Diese Methode ist in Deutschland   bis jetzt die herr­schende geblieben. Neuerdings aber werden heftige An­griffe gegen fie erhoben. Ein Breslauer Taubstummien­lehrer, Heidsieck, hat sich eingehend mit der Frage beschäftigt und seine Resultate in einem größeren Werke Der Taub­stumme und seine Sprache" und in einer Broschüre Ein Nothschrei der Taubstummen" veröffentlicht.

Die Lautsprache kann unmöglich das natürliche Aus­drucksmittel des Taubstummen sein, führt Heidsieck aus, denn die Welt der Töne ist für ihn garnicht vorhanden. Seine Sprache ist vielmehr die Geberde. Die Ausdrucks­mittel wählt der Mensch nicht willkürlich; weil der voll­sinnige Mensch hört, darum empfindet er den Trieb, selbst hörbare Laute hervorzubringen, aus denen die Lautsprache erwächst. Dagegen eristiren für den völlig Taubgeborenen die Töne nicht, er hat daher auch nicht den Trieb, Laute hervorzubringen. Sein eigener Schrei ist für ihn kein Laut, sondern eine starke Bewegung der Athmungsorgane. Für ihn ist deshalb nicht die Stimme, sondern die Miene und die Handbewegung, sowohl die von ihm selbst hervor= gebrachte wie die an Anderen gesehene, das natürliche Ausdrucks- und Verständigungsmittel. Schon bei Säug­lingen tritt dieser Unterschied hervor: Das hörende Kind lallt und bluwwert" offenbar zu seinem Vergnügen, und seine Stimme wird immer kräftiger und melodischer; das taube Kind hat einen schwachen, stumpfen und heiseren Schrei, es bluwwert" nicht und macht dafür Grimassen und wilde" Gliederbewegungen. Und so bleibt es das ganze Leben hindurch. Die Geberdensprache bleibt die dem Taubstummen angemessene, und für die Erziehung kommt es darauf an, daß ihm die Schrift sammt dem Buchdruck als fruchtbares Mittel der Verständigung und Belehrung erschlossen wird.

Es ist ein Unterschied zu machen zwischen den Stock­tauben und Denen, die noch einen Rest des Gehörs be= wahrt haben. Die ersteren machen in den Taubstummen­anstalten etwa fünfzig Prozent aller Zöglinge aus. Bei ihnen ist jeder Versuch, sie durch die Lautsprache zu fördern, ergebnißlos. Dagegen befizen etwa fünfundzwanzig bis dreißig Prozent noch praktisch verwerthbare Gehörsreste. Für diese sowie für die Zöglinge, die erst im Verlauf der Sindheit taub geworden sind, eristirt die Welt der Töne, für die Lezteren wenigstens in der Erinnerung, für beide

Verantwortlicher Redakteur: Oscar Kühl in Charlottenburg  .

hat also das Sprechen Sinn. Der Stocktaube aber kann von der Lautsprache so wenig eine Vorstellung gewinnen, wie der Blinde von der Farbe. Die Mundbewegungen, die er sieht, die Muskelempfindungen, die er in den Sprech­werkzeugen hat, liefern ihm nur ungenaue und unzuver­lässige Eindrücke. Es ist Zufall, wenn ein solcher Schüler beim Erlernen der Lautsprache nach langem Rathen   und Probiren das Richtige trifft.

Aus diesen Erwägungen folgert Heidsieck, daß es völlig falsch ist, alle Taubstummen nach der reinen Lant­methode unterrichten zu wollen. Die einzelnen Schüler sind verschieden veranlagt, und je nach ihrer Begabung find sie auch verschieden zu behandeln. Vor allem sind die völlig Taubstummen nicht mit dem Sprechen zu quälen. Am besten gestellt ist das Taubstummen- Unterrichtswesen in den Vereinigten Staaten  , und hier wird in der weit überwiegenden Zahl der Schulen nach einem kombinirten System unterrichtet.

Molecule( Molekeln) und Atome. Die kleinsten Theilchen eines Stoffes, die in keiner Weise noch weiter getheilt werden können, heißen schon seit alter Zeit Un­theilbare oder Atome. In der modernen Chemie und Physik spricht man jedoch, wenn es sich um Bewegungen der kleinsten Theilchen handelt, weit öfter von den kleinsten Theilchen unter der Bezeichnung Molecule anstatt Atome. Daher ist bei Vielen allmälig die Meinung entstanden, daß Atom und Molecül im Gunde dasselbe bedeuten, und hier eigentlich überflüssiger Weise zwei Worte für einen und denselben Begriff eingeführt seien. In Wahrheit aber verhält es sich durchaus nicht so. Die meisten Stoffe, Holz, Stein, Wasser 2c. sind keine chemischen Elemente, sondern Verbindungen, die aus Elementen oder Grundstoffen zusammengesezt oder gebildet sind; so besteht z. B. Wasser aus den beiden von ihm durchaus verschiedenen Körpern Wasserstoff und Sauerstoff. Theilt man nun ein Quantum Wasser immer weiter, so kommt man schließlich auf das kleinste für sich bestehende Wasser­theilchen, das Molecül Wasser. Aber auch dieses besteht noch aus Wasserstoff und Sauerstoff, und muß daher noch theilbar sein. Theilt man es jedoch, so wird man nun kein Wasser mehr haben, sondern das zertheilte und n die Atomie zerfallende Molecül liefert nun theils Wasserstoffatome, theils Sauerstoffatome. Molecule also sind die kleinsten für sich noch bestehenden Stückchen eines Stoffes, Atome dagegen die untheilbaren Bestandtheile, die das Molecül zusammensetzen. Da die meisten uns umgebenden Körper ebenso wie das Wasser Verbindungen sind, so giebt es von ihnen keine Atome, sondern nur Molecule. Ein Atom Wasser, ein Atom Glas usw. sind Begriffe, denen nichts Wirkliches entspricht, Begriffe, die einen Widerspruch in sich enthalten. Von all diesen Stoffen sind die kleinsten Theile Molecüle; diese Molecüle aber zerfallen in Atome von anderen Stoffen, eben den chemischen Elementen. Von diesen Elementen, z. B. Sauerstoff, Stickstoff, Kohle u. a. giebt es sowohl Molecule als Atome; das Sauerstoffmolecül ist das kleinste für sich bestehende Theilchen Sauerstoff; cs besteht aus Sauerstoffatomen, die jedoch niemals für sich bestehen, sondern sich miteinander zu Sauerstoffmolecülen, oder mit Atomien anderer Art zu Molecülen anderer Stoffe zuſammenthun. b.

Nachdruck des Juhalts verboten!

Verlag: Hamburger Buchdruckeret und Verlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg  . · Druck: Mar Bading in Berlin  .

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