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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Endlich erhob er sich, als er zu einem entschei denden Entschluß gekommen, strich mit der Hand über das Antlig und ging zu seiner Frau in's Wohn­zimmer. III.

Kreisrichter Hammer fand seine Frau vor dem Klavier zwischen zwei angezündeten Kerzen, im Begriffe, die große Bravournummer, Die Kas­kade", die sie bei einem nahe bevorstehenden Wohl­thätigkeitskonzert zum Besten geben sollte, einzuüben.

Sie trug ein braunes Seidenkleid mit breitem, auf die Schultern herabfallenden Spizenkragen und sah reizend aus. Niemand, der diese schlanke, blonde Gestalt mit dem feinen Vogelgesicht und den großen, blaugranen Augen betrachtete, hätte gedacht, daß Frau Hammer schon zehn Jahre lang die Frau des schweren, grauföpfigen Kreisrichters sei. Es hatte wirklich den Anschein, als habe das Stadtleben, die Stadtluft, der unausgesezte Gesellschaftstaumel,

Auf dem Kirchhof.

Der Lag ging regenschwer und sturmbewegt, Ich war an manch' vergeffenem Grab gewesen. Berwittert Stein und Kreuz, die Kränze alt, Die Namen überwachsen, kaum zu lesen.

Der Tag ging sturmbewegt und regenschwer, Auf allen Gräbern fror das Wort: Gewesen. Wie ffurmestodt die Härge schlummerten, Auf allen Gräbern taute ftill: Senefen.

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Detlev von Liliencron .

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Im Gefängniß. Wie oft kam auch in diesem Jahre wieder die Nachricht aus Nußland, in dieser oder jener Stadt habe die Polizei eine größere Zahl von Ver­haftungen vorgenommen. Ein paar furze Zeilen nur, ein paar Namen fast haben sich die Leser daran ge= wöhnt, und es stellt sich nur Dieser oder Jener noch vor, welche Fülle von Elend sich hinter diesen Worten birgt. Vor dem Auge des Künstlers aber steigen die Bilder des Schreckens auf; sie bemächtigen sich seiner Phantasie und lassen ihn nicht eher frei, als bis er sie in einem Werke geformt. Schereschewski hat vor allen Anderen die Leiden dieser Unglücklichen dargestellt; die Leser der Neuen Welt" erinnern sich noch des Bildes Nach Sibirien ". Sein heutiges Bild zeigt ein ähnliches Motiv. Daß es politische Verbrecher" sind, die hier in's Gefängniß ge= schleppt wurden, zeigt ihr Aeußeres, der Ausdruck ihrer Gefichter und ihre Haltung. Sie sind eben verhaftet worden. Sie wissen, was diese Verhaftung für sie be= deutet, im besten Falle Jahre dauernde Untersuchungs­haft und dann wahrscheinlich Sibirien ! Und ebenso lange sind sie dem Dienste, dem sie ihr Leben geweiht, dem Dienste der Freiheit entzogen! In wildem Schmerz ist der Eine auf die hölzerne Bank niedergesunken, Sen tief gebeugten Kopf in den Händen bergend. Die beiden Freunde halten einander umarmt; sie sind traurig, aber in den Mienen des Einen prägt sich fast noch stärker die Erbitterung gegen Die aus, auf deren Gebot er hierher gebracht wurde. Dort der Jüngere hat sich auf den Boden geworfen, um durch das niedrige, stark ver­gitterte Fenster einen Blick in's Freie zu gewinnen. Am meisten Interesse erweckt der im Vordergrunde stehende Mann. Erregt ist er auf und ab geschritten; jetzt ist er plößlich stehen geblieben und verharrt regungslos in einer fast lauernden Haltung: ein Gedanke durchzuckt ihn, von dem er die Befreiung erhofft. Wie er den Kopf ein Wenig gesenkt hält, wie die Schultern eingezogen find und die Hände sich erregt auf cinander pressen, wie der Blick von unten herauf suchend in's Weite geht, daraus fühlt man, daß er sich nicht willenlos dem Schmerze hingeben will, sondern daß hinter der mächtig gewölbten Stirn unablässig die Gedanken arbeiten.

Die Töpferei im alten Aegypten . Es war von bornherein anzunehmen, daß ein Volk wie die Aegypter, das eine Kunst besaß, vor deren Werken wir noch heute be= wundernd stehen, auch darauf bedacht gewesen ist, die zum täglichen Leben nothwendigen Gebrauchsgegen­stände nicht nur zweckentsprechend zu gestalten, sondern ihnen auch anmuthige Formen und schöne Verzierungen zu geben. Und in der That zeigen uns, wie Stein­dorff in seiner Arbeit über das Kunstgewerbe im alten Aegypten ausführt, sowohl die Bilder auf den Wänden der Tempel und Gräber, als auch die erhaltenen

in dem die Honoratioren der kleinen Stadt lebten, und die Bewunderung und Huldigung, deren Gegen stand eine so hübsche und talentvolle Dame in diesen Umgebungen naturgemäß werden mußte, ihr plößlich die Jugend und Frische wiedergegeben, die das inhaltslose, monotone Leben draußen an der Haide­grenze ihr langsam geraubt hatte.

Die junge Frau selbst hatte das Gefühl, als Sie erwache sie aus einem zehnjährigen Schlafe. ging immer noch umher, wie von einem leichten Glücksrausch befangen; im ganzen Hause fonnte man sie vom Morgen bis zum Abend wie eine Acht­zehnjährige singen und trällern hören. Ihr Antliz zehnjährige singen und trällern hören. Ihr Antliz war eitel Sonnenschein, und wenn sie, selbst an Wochentagen, so geputzt einher ging, daß es Auf­sehen erregte, so geschah das nicht aus lauter Ge­fallsucht oder aus eitler Freude darüber, jetzt wieder ein verständnißvolles Publikum zu haben, vor dem sie sich entfalten konnte, sondern weil für sie jeder

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Feuilleton.

Gegenstände selbst, in welcher Blüthe das Handwerk in Aegypten einft gestanden hat.

Zu den ältesten Handwerken gehört auch bei den Aegyptern die Töpferei. In dem Augenblicke, wo der noch auf einer niedrigen Kulturstufe stehende Mensch an­fängt, sich zur Bereitung seiner Speisen des göttlichen" Feuers zu bedienen, wird er darauf hingewiesen, daß es neben dem Bratspieße doch auch erwünscht ist, feuerfeste Geräthe zu besitzen, in denen er seine Milch kochen, sein Fleisch schmoren und braten kann. Für derartige Ge­fäße ist nun der Thon das allenthalben von der Natur gelieferte Material. Und Aegypten mit seinem Lehm­boden liefert es noch in einer besonders großen Menge und guten Beschaffenheit. Zunächst fängt man an, die zum Auffezen auf's Feuer nöthigen oder zur Aufbewahrung von Speisen erforderlichen Gefäße mit der Hand roh zu formen. Aber sehr frühzeitig ist man von dieser rohen Verfertigungsweise zu einer besseren und auch bequemeren übergegangen, derselben, deren sich ja noch heute allent­halben der Töpfer bedient, zum Drehen der Töpfe auf der Scheibe. Sie ist den Aegyptern bereits im vierten borchriftlichen Jahrtausend bekannt gewesen, und auch in den uralten Sagengeschichten spielt sie eine Rolle: soll doch ein Gott selbst, Namens Chnum, die Menschen auf seiner Töpferscheibe gebildet haben. War der Topf fertig geformit, so wurde er im Ofen mehr oder weniger stark gebrannt. Die Formen für die verschiedenen Gefäße sind nun sehr mannigfaltig, je nach dem praktischen Zwecke, zu dem sie gebraucht werden. Da haben wir große flache Schalen, in die man Früchte, Datteln, Weintrauben legt, fleinere Teller zum Essen, große hohe Wasserkrüge, sowie Flaschen und Becher, in denen das auch in Aegypten schon sehr beliebte Bier aufbewahrt wurde. Dazu kommen fleine Väschen für Del und wohlriechende Salben, und selbst die Lampe wurde in Form eines tiefen Tellerchens mit einem Schnabel, in den der Docht gelegt wurde, bom Töpfer fabrizirt. Aber der Meister Töpfer begnügt sich oft nicht mit diesen einfachen, von vornherein ge= lieferten Formen; er sucht sie mannigfaltiger zu gestalten und macht z. B. der Flasche statt eines geraden, senk­rechten Halses einen gebogenen oder drückt den schlanken Hals an mehreren Stellen ein, so daß sein Umriß eine wellenförmige Linie bildet. Oder er läßt seiner Phantasie frei die Zügel schießen: die Flasche erhält die Form eines Fisches oder einer Ente oder gar die einer Frau, ganz ähnlich, wie ja auch bei uns vielfach Krüge oder Flaschen als Mönche, Soldaten usw. gebildet werden. Henkel finden sich an den ägyptischen Krügen verhältnißmäßig selten, und wo wir ihnen begegnen, sind sie oft im Ver­hältniß zur Größe des Kruges so klein, daß sie kaum als Handhaben gedient haben können. In der That wurden die Henkel wohl auch meist, wo sie nicht lediglich Zierrath waren, nur dazu benußt, um Schnüre oder Stricke hindurch zu ziehen, an denen man die Gefäße dann trug. Was uns aber noch mehr an den ägyptischen Krügen auffällt, ist die Eigenthümlichkeit, daß sie meist feinen Fuß haben, sondern unten spiz zulaufen oder doch einen so fleinen Boden haben, daß sie kaum darauf stehen können. Sehen wir uns ägyptische Bilder an, so werden wir in der That auch bemerken, daß man diese Gefäße nicht auf den harten Boden stellte, sondern sie in den Sand steckte oder auf Untergestelle setzte, die aus Holz gezimmert, oder wie der Krug selbst vom Töpfer aus Thon geformt waren.

Vielfach ist nun der Töpfer darauf bedacht, die Außenfläche seiner Gefäße nicht roh zu lassen, sondern fie fein zu glätten, sie mit einem hübschen Ueberzug von Farbe oder dünner Glasur zu versehen und ihnen namentlich durch eingerigte oder aufgemalte Verzierungen verschiedener Art ein dem Auge wohlgefälliges Ansehen zu verleihen. Die ältesten Gefäße, die wir in Aegypten fennen, gehören

Tag wirklich ein Fest war, das gefeiert werden mußte; weil sie an jedem Morgen, wenn sie das Wagengerassel auf dem Steinpflaster, das Pfeifen der Fabriken und der Trommelwirbel des aus­rückenden Militärs weckte, von einem Jubel ergriffen wurde, dem sie Ausdruck geben mußte.

Sie hatte sich seinerzeit nicht ohne Ueberwindung entschlossen, die Frau des damaligen Dorfanwalts zu werden. Der Kummer über den plößlichen Tod ihrer Eltern, das Verlangen nach väterlicher Für­sorge und die Aussicht, sonst ihr Brot als Gouver nante verdienen zu müssen, hatten sie ihm wider ihren Willen in die Arme geführt. Und wie sehr hatte sie nicht ihre Nachgiebigkeit bereut! Niemand, außer ihr selber, wußte, was sie während dieser inhaltslosen Jahre der Verbannung gelitten hatte, wie sehr ihr jeder Tag als eine nicht enden wollende Verzweiflung, jede Nacht als ein bodenloses Räthsel erschienen war.

( Schluß folgt.)

dem vierten, vielleicht gar dem fünften vorchriftlichen Jahrtausend an, und haben also das ehrwürdige Alter von 6000 bis 7000 Jahren. Sie sind meist roth ge= strichen und geglättet und zeigen häufig als einzige Ver­zierung einen schwarzen Rand, dessen Farbe einfach dadurch erzeugt worden ist, daß man den Nand dem Feuer des Brennofens stärker ausgesetzt hat als den übrigen Topf. Daneben kommt eine feinere Waare in den Handel, die eine hellbraune Oberfläche zeigt, auf die man mit dunkler, rothbrauner Farbe allerlei Verzierungen aufgemalt hat: Wellen- und Schneckenlinien, Flamingos, Steinböcke, kleine Nilschiffe mit ihren Rudern und Masten, oder auch mensch­liche Figuren, besonders Frauen in merkwürdigen Stel­lungen, die man wohl für Tänzerinnen ansehen kann. In anderen Fällen hat der Töpfer das Ornament nicht aufgemalt, sondern mit einem Stäbchen die Verzierungen

Linien und Pflanzenformen in den noch feuchten Thon eingerigt und dann mit einer weißen Masse aus­geschmiert.

Später, in der Zeit, die wir als das mittlere Reich" von Aegypten bezeichnen und um die Wende des zweiten vorchriftlichen Jahrtausends ansetzen, kommen flache Schalen vor, in die man in ziemlich roher Zeich­mung Fische oder Wasserblumen eingerigt hat. Der Zweck dieser Zeichnungen ist unschwer zu errathen. Man stellt sich die kleinen Teller als Wasserbecken vor, in deren Tiefe Blumen wachsen oder behende Karpfen umher schwimmen. Bei den großen Gastgelagen, die auch den Aegyptern willkommene Freuden boten, bekränzte man ,, mit Laub den lieben, vollen Becher", Blumengewinde und Kränze wurden um die gefüllten Weinkrüge ge= schlungen und Lotosblüthen und Knospen in die Hälse der Wasserkrüge gesteckt. Diese Freude an den Blumen, die wir auch sonst noch vielfach bei den Aegyptern finden, hat nun auch auf die Verzierung der Krüge eingewirkt. Die Kränze, die die Weinfrüge schmückten, wurden in bunten Farben als Ornament aufgemalt, und Ranken von Weinblättern und Trauben verrathen schon äußerlich, welch' föstlichen Inhalt das schlanke Thongefäß birgt. Freilich darf man nicht vergessen, daß diese besseren, ver­zierten Gefäße nur die Ausnahme bilden; bei Weitem die Mehrzahl der in Aegypten gedrehten Töpfe und Krüge war ganz einfach und schlicht, ohne Ornamente.

Das letzte Exemplar einer Pflanze. Wie das ,, Royal Garden Kew Bulletin" mittheilt, ist fürzlich das legte Gremplar einer Pflanze, nämlich des Stohlbaumes ( Psidia rotundifolia), abgestorben. Der Baum stand auf der Insel St. Helena , am Eingang zu der Besitzung Langwood. Er war ein Korbblühler, nahe verwandt unserer After, hatte eine Höhe von etwa 20 Fuß, aus­gebreitete, nackte Acfte, gezähnte Blätter, und zu dichten Büscheln vereinigte Blüthenköpfchen. Obwohl man fich die größte Mühe gab, den Baum zu vermehren, mißlangen alle dahin gehenden Versuche. Samen, die nach Jamaica , Ceylon und Südindien geschickt wurden, fonnten nicht zum Keimen gebracht werden. Man befreite dann den Boden unter dem Baume vom Unkraut und Harkte ihn auf, in der Hoffnung, daß der abfallende Samen auf gehen werde, leider vergeblich. Ebenso wenig hatten Stecklinge und Propfreiser Erfolg. Der Baum ging ein, und es blieb nichts übrig, als ein Stück seines Holzes nach Kew zu senden, als lezten Zeugen seiner einstigen Eristenz, wo es in dem Hölzermuseum auf­bewahrt wird. vl.

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Berantwortlicher Redakteur: Oscar Kühl in Charlozenburg.- Verlag: Hamburger Buchbruckeret und Verlagsanftalt Auer& Co. in Hamburg. - Druck: Mar Bading in Berlin .