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Die Neue Welt.

Ihr war, als müßte sie ersticken. Endlich bekam sie Luft, indem die Thränen gewaltsam hervorbrachen. So sollte es also enden! Ihr Jugendtraum, ihre Liebe, der Kern, um den sich ihr Leben schloß, von dem es Nahrung sog, ohne den es verwelfen wiirde, dieser Kern war wurmstichig! Zerfressen von Lüge und Falschheit! Ihre und Agestin's schöne, ideale Jugendliebe wurmstichig? Nun, wenn die auch eine Liige gewesen war, dann gab es nichts Wahres, nichts Echtes mehr auf der Welt!... Naguhild weinte bitterlich und rang die Hände in wildem Schmerz Plöglich fuhr sie blizschnell in die Höhe und preẞte die Hände gegen das stürmisch lopfende Herz. Wenn das ganze nur Verleumdung wäre? Das Blut stockte in ihren Adern. Der Ausdruck ihrer schönen Augen war ein einziger inbrünstiger Wunsch, daß es so sein möchte, aber diese Anwandlung dauerte nicht lange. Eine solche Shlechtigkeit konnte sie Babbi doch nicht zutrauen. Sie nahm wieder auf der Bank Plaz. Ihre Thränen waren allmälig versiegt, und sie starrte mit einem nach innen gekehrten Blick vor sich hin. Stillbewegt blickte sie auf ihr Leben zurück, wie es da hinter ihr lag.

Acht Tage darauf saß Ragnhild mit ihren Eltern in der guten Stube und las ihnen die Landeszeitung

vor.

Beret Klöften, die seit einigen Jahren als ganz zur Familie gehörig betrachtet wurde, hockte am Ofen und strickte. Neben ihr lag Kari, die schwarze Kaze, mit geschlossenen Augen und spann. Ihre Schwester Mari saß im Fenster und schaute nachsinnend in den Garten hinab, wo ein milder Frühlingsregen rauschend in das welfe Laub vom vorigen Herbst hinabfiel. Der Pendel der alten Wanduhr ging regelmäßig hin und her und schlug sein gleichmäßiges Tick- tack.

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Es waren aufregende Nachrichten vom politischen Schauplatz, die soeben vorgelesen worden waren, Un­einigkeit innerhalb der nationalen Partei, Rüstungen jenseits der Grenze, Gewitterwolfen am ganzen Hori­zont. Es lag förmlich etwas wie Leidenschaft in der Sprache der Landeszeitung. Aber die alte Uhr schlug ruhig ihr Tick- tack, Mari schnurrte und Kari leckte ihre Pfoten.

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Beschlagnahmt!..

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Was sagst Du da, Ragnhild?"

Keine Antwort. Aber ihre Züge veränderten sich, Leichenblässe verbreitete sich über ihr Gesicht; sie hebt die Zeitung mit den zitternden Händen, um sie den Augen näher zu bringen, als wäre ein Irr­thum möglich, und ihre Augen starren das Blatt an, als wollten sie aus ihren Höhlen treten. Ein Schrei entringt sich ihrer Brust, sie stürzt zu der alten Beret hin, wirft sich ihr an den Hals und stöhnt, als ob ihr das Herz brechen wollte.

Was in aller Welt ist mit Dir, mein Kind?" fragt die Mutter. Es ist ihr wie ein Stich durch's Herz gegangen, daß die Tochter in ihrer Qual an­statt zu ihr, der eigenen Mutter, zu Beret geflohen ist. Indessen hat sie sich rasch der Zeitung bemäch tigt und findet nach einigem Suchen das fett gedruckte Wort, welches ihr zuerst so räthselhaft geklungen hat: Beschlagnahmt"

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und darunter die für sie Alle beschämende Erklärung, daß Agestin's Roman Ein Weib" am Tage nach dem Erscheinen polizeilich verboten worden war. Gleichzeitig mit seinem Buch theilte noch ein zweiter Roman dasselbe Schicksal. Es war von einer Dame geschrieben und hieß Mathea's Tagebuch"."

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Beret Klöften konnte vor Angst lange fein Wort über ihre Lippen bringen, aber endlich brach es wie ein Nothschrei aus ihrer gepeinigten Brust hervor:

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Was haben sie ihm gethan! Sie wollen doch nicht meinem Jungen. etwas Böses thun?"

Blech!" rief Knud mit unwirscher Stimme und ergriff die Zeitung.

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Nun, was habe ich gesagt? Da könnt Ihr sehen, daß ich Recht hatte!" brummte er ärgerlich. Solchen Taschenspielereien folgt kein Segen. Wozu alle die Bücher? Wir haben ja die Bibel. Sie ent­hält mehr Weisheit als alle Romane der Welt zu­sammen genommen." Darauf wandte er sich an Ragnhild: Und Du, mein Kind, wirst Dich jetzt wohl endlich entschließen, Peder Storebradten zu

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

heirathen. Bedenke, wir, Deine Eltern, werden alt, wer soll nachher den Hof bewirthschaften?... Etwa Agestin?"

Margit faltete die Hände und sagte: Der un­saubere Geist ist in ihn gefahren, und Du sollst Dein Herz von ihm wenden, denn er hat Gott verlassen. Er hat ihn gerichtet. Amen."

Darauf erhob sich Stari, machte einen trummen Buckel und gab durch ein lautes und vernehmbares Miau ihre volle Zustimmung kund. Mari leckte ihre Pfoten, als wollte sie sagen: Ich wasche meine Hände in Unschuld, und die alte Uhr sagte Tick- tack, Tick- tack.

XXII.

Zu der Zeit, als Agestin's und Lovisa's Romane herauskamen, um sofort von der Polizei verboten zu werden, wurde eine erbitterte Zeitungsfehde zwischen zwei grundverschiedenen Richtungen in Kunst und Literatur geführt. Die Beschlagnahme dieser beiden Bücher fachte das Feuer derart an, daß es in hellen Flammen aufloderte. Ein Professor der Literatur­geschichte schrieb meterlange Abhandlungen über dekadente Kunst, über Kunstmoral" und" Moral­kunst". Er machte der wohlweisen Polizei seine tiefste Reverenz und sagte ihr im Namen des ge­sammten, wohlgesitteten Spießbürgerthums seinen innigsten Dant, weil sie so väterlich dafür Sorge trug, daß den kleinen Backfischen und anderen un­reifen Lesern feine Gelegenheit geboten wurde, wurm­stichige Geschichten zu Gesicht zu bekommen. Ihm antwortete eine mächtige Stimme jenseits des Kattegat . Es flang wie Kanonendonner vom Deresund. Den moralischen Professor wurde gerathen, aus der kleinen spießbiirgerlichen Moral- Elle, womit es ihm beliebte, hervorragende literarische Werke zu messen, eine Ruthe für unartige Kinder zu machen. Der Einspruch des großen dänischen Kritikers verrückte die strategischen Linien um ein Bedeutendes. Die zwei beschlag­nahmten Romane waren von ihm als hervorragende Leistungen bezeichnet worden. Selbst Leute, die sich sonst nicht die Mühe gaben, viel zu denken, über­raschten sich selbst mit folgender Frage: Wer versteht wohl mehr von Literatur, der nordische Literaturgigant oder der Polizeimeister von Kristiania ?" Und wieder brach eine wahre Sintfluth von Zeitungs­artikeln über die Häupter des Polizeimeisters und seiner Milchschwester, des moralischen Professors" herein. Man verlangte laut, daß die Beschlagnahme der beiden Bücher aufgehoben werde. Es bildete sich sogar im Laufe der Zeit unter den für Kunst und Literatur Interessirten eine starke Partei, die es prinzipiell für ein Unding hielt, daß die Polizei mit solcher Machtvollkommenheit über künstlerische Erzeugnisse Zensur üben durfte. Im Großen und Ganzen deckte diese Partei sich so ziemlich mit der sozial und politisch fortschrittlich gesonnenen demo­fratischen Partei, während die Gegner in der Mehr zahl dem konservativen Lager angehörten. Genauer betrachtet war darum der erbitterte Streit für und wider die Zensur ein sozialer Kulturkampf, dessen nomineller Zankapfel die beiden Romane geworden waren. Auf diese Weise wurde Agestin's Name immer bekannter. Aber das Publikum wollte nicht seine früheren Bücher kaufen; jest wollte man eben Ein Weib" lesen; man war der Bevormundung des Polizeimeisters überdrüssig und verlangte laut und energisch die Freigabe des Buches, damit man sich sein eigenes Urtheil bilden könnte.

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Und der Streit ließ nicht nach. Kaum war es einigermaßen ruhig geworden, Toderte es an einer Stelle auf, wo man es am allerwenigsten erwartet hatte. Die Gelegenheitsursache konnte das Erscheinen irgend eines neuen Buches, eine Bilderausstellung oder irgend etwas sein, wodurch den verschiedenen Kunstanschauungen Gelegenheit geboten wurde, sich geltend zu machen, und ehe man es sich versah, war die alte Fehde wieder in vollem Gange, ein sprechender Beweis dafür, wie tief die Kluft zwischen den beiden Nichtungen geworden, und vor Allem ein Zeichen, daß die Bedeutung der kulturellen Mission der modernen Kunst dem Publikum zum Vewußtsein gekommen war...

so ganz unerwartete Schlag hatte zwar nicht seine Energie gelähmt, auch nicht seinen Muth gebeugt, aber er war durch ihn verbittert worden. Unerwartet kam der Schlag, weil Agestin von dem Ziel, dem er zustrebte, so gänzlich geblendet war, daß er die Stellen in seinem Buch, die beim Zensor Anstoß erregen konnten, nicht sah oder nicht sehen wollte. Er hatte die feste Ueberzeugung, daß Derjenige, welcher nicht muthwillig in seinem Roman etwas Schädliches oder Verderbliches finden wollte, es auch nicht konnte...

Eines schönen Tages bringt ihm der Postbote einen Brief. Er ist von Ragnhild, aber als er das Kouvert geöffnet hat, findet er in demselben weiter nichts als Babbi's Brief an Nagnhild und folgende Zeilen an ihn selbst: Was soll ich davon glauben?" Aufgebracht und in der furchtbarsten Aufregung setzt er sich sofort an den Schreibtisch, legt Babbi's Brief in ein Kouvert und versieht ihn mit folgender Antwort: Glaube davon, so viel wie Du willst. Ich wünsche, daß Du Dich von jezt an als frei betrachtest. Ich bin verschuldet und verdiene nichts, bin als schädlich für die Moral an den Pranger gestellt worden, das heißt öffentlich gebrandmarkt. Laß mich gehen. Agestin."

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Der Brief, den Ragnhild darauf hin schrieb, in welchem sie ihn um Verzeihung bat, daß sie auch nur einen Augenblick an seiner Treue hatte zweifeln können, in dem sie ihn beschwor, den Muth nicht zu verlieren, sondern fest und muthig das hohe Ziel zu verfolgen, gleichviel, ob die Menschen ihn und die Mittel verkannten, deren er sich zu diesem Zweck bediente, wenn er nur in seinem eigenen Bewußtsein rein da stände, dieser rührende Brief, der ihm gezeigt hätte, daß ihn in dieser schweren Zeit der Prüfung ein treuer Kamerad zur Seite stand, ging - da er gerade in diesen Tagen seine Wohnung wechselte-verloren. 31 all dieser Bitterfeit kam auch noch der Schmerz, täglich sehen zu müssen, wie Lovisa mit unheimlicher Schnelligkeit dahin welkte, gleich einer Pflanze, an deren Lebensmark ein heim­licher Wurm nagt. Als Agestin eines Tages an ihre Thür klopft, bekommt er keine Antwort. Gr wundert sich darüber, weil sie am Tage vorher un­päßlich gewesen ist und bestimmt erklärt hat, nicht ausgehen zu wollen. Da auf sein wiederholtes Klopfen noch immer keine Antwort erfolgt, öffnet er die Thür und findet das Zimmer leer. Auf dem Tisch liegt ein Brief. Dieser Brief enthält nur die Erilärung, daß sie sich gezwungen sähe, fortzugehen, wohin, sagte sie nicht, und er sollte nicht nach ihr forschen. In rührenden Worten nahm sie von ihm Abschied und dankte ihm für alle seine Güte und Freundschaft.

Da stand er nun allein und verlassen, auf den Trimmern seiner fühnen Träume. Er gab Unter­richt wie zuvor, übersezte aus dem Englischen - und schlug sich durch, wie er konnte.

XXIII.

Hinter der Dreieinigkeits- Kirche erhebt sich ein fahler, unheimlicher Felsen; er steigt senkrecht von der Straße empor, die hinter der Kirche nach dem armen, verwahrlosten Stadttheil Hammersborg und nach dem Christ- Kirchhof führt. Auf diesem Felsen steht ein altes Haus von schmuzig- grauer Farbe; es steht so hart an dem Plateaurand, daß Fels und Mauer eine senkrechte Wand bilden. Das Ganze bildet eine schattenlose, kahle Fläche ohne jegliche Verzierung, ohne jegliche architektonische Linie, es sieht so öde und freudlos aus, daß dem Vor­übergehenden eine Empfindung des Unbehagens auf­gedrungen wird. Hätte der Baumeister, der in längst entschwundenen Zeiten jenes Scheusal eines Bau­werks aufführte, ihm bewußt diese Physiognomie gegeben, um sinnbildlich das graue, trostlose Glend zu verauschaulichen, das dereinst hinter seinen Mauern hausen würde, er hätte diese Aufgabe nicht geiſt­reicher lösen können

An der kurzen Querwand eines einfenstrigen Zimmers steht ein Bett. An dem Kopfende hängt ein Blechschild mit der Nummer 5. Ein junges Weib, Agestin ging es unterdessen herzlich schlecht. Der dessen abgemagerte Züge von einstiger Schönheit