Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
schon bei dem leisesten Geräusch fliichtig geworden, und der Amtsrichter sehr verstimmt nach Haus gekommen. Beim Staffee suchte ihn seine Frau einiger maßen zu trösten, indem sie versprach, heute Mittag den ersten Salat auf den Tisch zu bringen. In dem kleinen Landstädtchen des Odenwaldes gab es damals noch feinen Gärtner, sondern man zog sich sein Gemüse selbst. Die Frau Amtsrichter genoß den Nuf, eine der ersten Gärtnerinnen zu sein, und ihrem Mann wässerte bereits der Mund nach seinem Lieblingsessen. Um so erstaunter war er, als ihm seine Frau mit schwer geärgertem Gesicht aus der Küche entgegenkam und sagte, heute sei doch ein wahrer Ungliickstag: ihren schönen, jungen Salat hätten die Gänse mit Rumpf und Stumpf abgefressen.
Es war gut, daß Amtsrichter Heinersdorf seinen Zorn eben erst durch das Zerreißen des Aftenstückes beschwichtigt hatte und das bewährte Linderungsmittel immer auf mehrere Stunden wirkte. Er brachte es deshalb fertig, nicht nur selbst ruhig zu bleiben, sondern sogar seiner Frau einige tröstende Worte zu sagen; außerdem versprach er ihr, sogleich mit dem Gemeindeschizen Zillich zu reden, damit ein ähnliches Vorkommniß für die Zukunft unmöglich gemacht werde.
Noch am gleichen Nachmittag wurde der Zillich auf das Gericht beschieden. Er hatte schon von der unerhörten Frechheit der Gänse erfahren und sich auf eine tüchtige Strafpredigt gefaßt gemacht. Aber es lief glimpflich ab; der Amtsrichter wollte den Abend noch auf den Anstand gehen und hatte also keine Zeit mehr für Zillich. Er kanzelte den Schüß nur in aller Eile mächtig ab: es sei ihm unbegreiflich, wie so etwas vorkommen könne, wozu wäre Zillich denn da, die Felddiebstähle vermehrten sich überhaupt in schreckenerregender Weise und wenn es nicht bald von Grund aus anders würde, müsse er sich nach einer geeigneteren Persönlichkeit umsehen. Nach dieser eindringlichen Vermahnung nahm er die Pürschbüchse aus der Ecke und fragte Zillich, ob er nicht etwa gesehen habe, wo der Bock herausginge. Da der Schütz wirklich so glücklich war, ihm ven Wechsel angeben zu können, nichte er wieder bedeutend huldvoller und eilte im schnellsten Tempo den acht Buchen zu. Dort sollte der Bock alle Abend auf
das Bruch treten.
Der Schüz sah ihm mit sehr gemischten Gefühlen nach. In der Strafpredigt war ein Wort gewesen, das an seine verwundbarste Stelle gerührt hatte: die Anspielung auf eine geeignetere Persönlichkeit. So was nahm Zillich allemal höllisch krumm. Mutter Natur hatte ihn nicht gerade mit großen Reizen ausgestattet. Er war ein kleines, spindeldürres Männchen mit einem verwitterten Gesicht, von einer alten, grämlichen Ziege durchaus nicht zu unterscheiden, ungewöhnlich langen Armen und desto kleineren Beinen, von denen das eine obendrein ein Stück zu furz gerathen war. Sein Gang hatte deshalb nichts Sein Gang hatte deshalb nichts von der sonst üblichen Würde eines öffentlichen Beamten, und böse Zungen behaupteten anfänglich, man hätte ihn nur zum Feldschüßen gemacht, weil er sonst auf Gemeindekosten unterhalten werden miißte. Aber es zeigte sich bald, daß er sein Amt ganz Er schoß trog vortrefflich auszufüllen verstand. seines Schnappfußes mit unglaublicher Geschwindig keit durch die Felder, huschte wie ein Schatten zwischen den Bäumen den Holzfrevlern nach und war der Schrecken aller strenzenden Kinder und Großen. Mochte man noch so vorsichtig sein und überall Wachtposten aufstellen: der„ schebbe" Zillich fam Dank seiner kleinen Luchsaugen auf der Stelle, die man doch übersehen hatte, urplöglich herbei und brachte in einem Jahre mehr Feldfrevel zur Anzeige als sein Vorgänger in drei. Er war deshalb nicht wenig gefürchtet, und der Nuf:„ Der schebb Zillich timmt," gab das Zeichen der wildesten Flucht. Aber selbst laufen konnte der Nacker unheimlich schnell, und einen von den Buben erwischte er regelmäßig.
Daß sich Zillich unter diesen Umständen von der Bemerkung des Amtsrichters in seiner Dienstehre gefränft fühlte, konnte ihm Niemand übelnehmen. Er hatte sich auch sogleich wenigstens einigermaßen gerächt. Die Stelle, auf die er den Amtsrichter schickte, lag so weit von dem eigentlichen Wechsel
des Bockes entfernt, daß man ihn von dort zwar sehr deutlich sehen, aber unmöglich schießen konnte. Zillich hatte also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: seinen guten Willen gezeigt, dem Amtsrichter aber zugleich wahre Tantalusqualen auferlegt. Diese Vorstellung stimmte sein Gemiith wieder um ein Beträchtliches heiterer. Er zog die schwarzgerauchte Holzpfeife hervor, stopfte sie bedächtig, schob sie zwischen die Zähne und machte, fortwährend spuckend und qualmend, seinen gewohnten Rundgang durch die Gärten. Als er hierbei den stummen Buben begegnete, die ihre Gänse heimtrieben- zwei taubstumme Brüder von etwa fünfzig Jahren verwalteten das Hirtenamt und sie vor ihm die und sie vor ihm die Hite zogen, blickte er zuerst grimmig die stummen Buben und dann noch grimmiger die Gänse an. Hierauf schnappte er gedankenvoll heim.
Wie es bei kleinen Leuten häufig geschieht, daß sie das andere Geschlecht in recht vollen, starken Formen verehren, so war es auch bei dem Schütz der Fall. Obgleich er seine Frau nie anders als in der Diminutivform„ Bawettche" anredete, so hätte man aus dem Bawettche doch recht bequem mindestens drei Zillichs machen können. Infolge dieses Ueberschusses an Kraft bei dem weiblichen Theil nahm Herr Zillich zu Hause keine so gefürchtete Stellung ein als draußen im öffentlichen Leben. Er hatte es als kluger Mann überhaupt nicht zum Entscheidungskampf kommen lassen, sondern sich von vornherein seinem Bawettchen willig untergeordnet. Sie führten nun auch eine wirkliche Musterehe miteinander. Das ungemein kräftige, vierschrötige Bawettchen besorgte nicht nur die ganze Hausarbeit, sondern bewirthschaftete auch eigenhändig ihren Garten und das Stück Feld draußen hinter'm Kirchhof und genoß dafür die Freiheit, mit dem gesammten Einkommen zu schalten und zu walten, wie es ihr beliebte. Zillich hielt in seinen Freistunden das Haus und den Stall in Ordnung, tünchte die Wände, besserte alle schadhaften Stellen aus und flocht noch obendrein Körbe. Nur in einem Punkte hatte das Ehepaar eine Meinungsverschiedenheit. Billich war eine groß angelegte Natur; ihm tam es nicht darauf an, im„ bunten Waz" einen Schoppen zu zahlen und sein Päckchen Tabak herumzureichen; auch wäre er mit seinem Bawettchen am liebsten auf alle Kirchweihen der Umgegend gezogen und hätte dort was d'rauf gehen lassen. Aber seine Frau war eine ebenso fleißige wie sparsame Seele; sie gab nicht einmal für Puzsachen Geld aus. Aus dieser verschiedenartigen Liebhaberei ergab sich zuweilen ein Zwist, der aber durch Zillich's Fügsamkeit meist rasch beendet wurde.
In den nächsten Tagen schnappte der Schütz ruhelos wie ein hungriger Wolf durch die Gärten und Felder. Die schnöde Bemerkung des Amitsrichters rumorte unablässig in seinem Inneren; selbst seine Pfeife schmeckte ihm nicht mehr, und die Stammgäste im Bunten Waz" fingen bereits an, Stammgäste im„ Bunten Waz" fingen bereits an, über sein unerklärliches Gebahren bedeutsam die Köpfe zu schütteln. Was in aller Welt war nur in den schebben Zillich gefahren? Sonst wußte er alle Neuigkeiten, trant gemithlich seinen Schoppen aber jetzt hockte er still da. Ja, man hatte Ja, man hatte sogar gehört, daß er mit sich selbst sprach. sogar gehört, daß er mit sich selbst sprach. Wenn das nicht höchst verdächtig war, was sollte es denn sein? Man besann sich, daß es mit seinem Vater in dem Oberstübchen auch nicht so ganz richtig ge= wesen sein sollte. Er wird doch nicht am Ende gar...?
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Der Schütz merkte von dem Allem gar nichts. Er sah immer nur Gänse vor sich, nichts als Gänse, die er pfänden und im Siegeszuge am Hause des Amtsrichters vorbeiführen wollte. Schon zweimal war er wie toll durch die Aepfelstücke getrottet, weil er in weiter Entfernung auf einem Feld so was Weißliches" hatte schimmern sehen: das erste Mal war es ein altes Hemd gewesen, um die Spaßen von den Erbsen zu scheuchen; dann hatte ihm gar seine aufgeregte Phantasie einige große Zeitungsfeßen auf einem frischgedingten Acker in Gänse verzaubert. Aber die Täuschungen trugen nicht etwa dazu bei, seinen Eifer zu lähmen. Im Gegentheil! Jezt hatte er sich erst recht in den Kopf gesetzt, zu zeigen, was er in Wahrheit doch für ein Kerl war.
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Und wirklich gelang es ihm! Als er eines Mittags höchst verdrossen in der Lehmkute herumstrich, sah er plöglich kaum hundert Schritte vor sich das Ziel seiner Wünsche: Drei prächtige, junge Gänse, die sich an dem frischen Gemüse gütlich thaten. Wie ein Habicht schoß er auf die Thiere los; der schönste Walzer hatte ihm nie halb so gut gefallen, als ihr Schnattern! Also endlich, endlich! Er zupfte sich ganz glücklich seinen dinnen Kinnbart; ja, ja, was der Zillich wollte, setzte er durch! Jezt sollen sie sehen, Herr Amtsrichter, der„ schebbe" ist doch en richtiger Schütz!
Daß die Wohnung des Amtsrichters am anderen Ende des Städtchens lag, war Zillich ganz schnuppe; er mußte mit seinen gepfändeten Gänsen an ihr vorbeiziehen, das stand bei ihm felsenfest. Er trieb sie also hinter dem ganzen Ort her den Wiesenweg entlang und bog dann im höchsten Triumph auf die Hauptstraße ein. Er hatte wirklich heute Glück! Der Herr Amtsrichter saß gerade beim Nachmittagstaffee, wobei er, wie jeder gute Birger, mit einem Auge wenigstens, immer die Straße beobachtete, um ja nichts zu übersehen, was allenfalls des Sehens werth war. Natürlich bemerkte er schon in einiger Entfernung die drei Gänse in einer Reihe watscheln und den schebben Zillich ganz aufgebläht hinterdrein schnappen. Er trat mit Frau und Kindern an das Fenster, und als der Schüß stolz heraufrief:„ Diesmal hawe mer die Salatfresser, Herr Amtsrichter," nickte er ihm freundlich herablassend zu. Seine Nase war heute weniger als sonst verstopft, und er befand sich aus diesem Grund in sehr rosiger Stimmung.
Der Gruß that dem Schütz wohl bis in die Fußspißen, und er trieb seine Gänse noch einmal so wiirdevoll weiter. Die Stadtschule war eben aus, und ein Schwarm Buben zog pfeifend und schreiend hinter ihnen drein. Die Nachricht:„ Der Zillich hat Gäns gepennt," verbreitete sich mit unglaublicher Geschwindigkeit.
Fast an jedem Haus guckte ein Frauenkopf heraus und musterte angstvoll die Gänse, um zu sehen, ob nicht etwa die eigenen dem gestrengen Zillich zum Opfer gefallen wären. Bis jetzt aber hatte noch kein erschreckter Ruf den Eigenthümer verrathen, und der Pfandstall war beinahe erreicht, als die Gänse eine entschiedene Neigung an den Tag legten, sich gegen ihre Vergewaltigung zu wehren. Bisher waren sie jedem Wink von Zillich's Stock geduldig gefolgt; jetzt aber machten sie linksum und bogen mit ihrer ganzen Energie in eine Nebengasse ein. Der Schütz wollte sie zuerst liebreich, dann mit Strenge zurecht weisen; da streckten sie die Hälse weit vor und zeigten sich von einer ungemein hißigen Gemüthsart. Als nun gar die Buben unter lautem Jubel auf sie eindrangen, schnatterten sie gewaltig, schlugen mit den Flügeln und flogen schreiend über die Köpfe der Angreifer fort. Zillich schnappte fluchend und schimpfend mit dem Stock auf die gröhlenden Buben schlagend, hinter ihnen drein. Doch jetzt gaben die Gänse ihre Flucht von selbst auf und drängten sich dicht an eine Frau, die der Lärm aus dem Häuschen gelockt hatte. Zillich überlief es plößlich eiskalt. Was fällt Euch denn ein, Ihr Lausbuwe," rief Bawettchen zornig. rief Bawettchen zornig." Schlag sie doch hinner die Ohrn, Zillich! Sie jage unser Gäns!"
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Des sinn unser Gäns?" feuchte der Schiit athemlos.
" No, kennst se dann net?" antwortete Bawettchen, etwas erstaunt über das Johlen und Geschrei der Buben.
,, Ei, der Zillich hat se ewe gepennt," belehrte sie eine grinsende Nachbarin.
In höchster Verwunderung drehte sich das Bawettchen nach ihrem Manne um; ein Blick auf Zillich reichte hin, um sie die furchtbare Wahrheit erkennen zu lassen. Sie wurde blutroth und holte mit der aber sie besann sich plötzlich Hand weit aus eines Besseren, machte nur die Hausthür auf und rief furz:„ Komm!"
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Familie Zillich und die Gänse verschwanden. Am anderen Morgen entrichtete der Schütz die Jut Strafe für seine selbst gepfändeten Gänse. Bunten Waz " sah man ihn aber erst nach einem Jahr wieder.
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