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Auf dem Heimweg. Frizz v. Uhde, der Münchener Künstler, der das Original zu unserem heutigen Bilde gemalt, hat in der Gegenwart einen besonderen Ruhm, und seine Kunst ist nur in dieser Beleuchtung weiteren Kreisen bekannt geworden: er hat den Stil der naturalistischen Kunst auf die Darstellung des neutestamentarischen Stoff­gebietes angewandt. Sein Abendmahl", sein Schwerer Gang", seine Bergpredigt", sein Lasset die Kindlein zu mir kommen" haben durch diese Art einen lebhaften Streit der Meinungen erregt. Uhde schildert die Szenen, als wären sie heute geschehen; der Christus, den er malt, ist ein einfacher Mann, der unter einfachen Männern und Frauen unserer Tage einhergeht; es sind Proletarier, die ihm die Modelle abgeben. Das hat natürlich den Zorn der religiösen Eiferer erweckt, denen eine solche Be­handlung der Gestalt Christi als eine Entweihung, als cine Berkennung seines göttlichen Charakters" erschien. uhde und seine Bewunderer hielten dem entgegen, daß die Künstler früherer Zeiten, die wir sehr hoch schäzen, es nicht anders gemacht hätten. Die Maler der Ne­naissance haben Christus und seine Umgebung im Kostüm und unter Zugrundelegung der Sitten ihrer eigenen Zeit dargestellt; die Hochzeit zu Cana" ging auf ihren Bildern wie eine üppige Hochzeit in ihren Tagen vor sich, und die immer wieder gemalte Madonna" war eine stolze, schöne Patrizierfrau, wie sie solche in ihrer Umgebung sahen. Das Letztere ist gewiß richtig und doch ist die Beweis­führung nicht stichhaltig. Es wird in der Kunst immer darauf ankommen, wie die Dinge, empfunden werden. Jene Zeit hatte in dem Vollgefühl ihrer Straft fast gar feinen geschichtlichen Sinn"; es schien ihnen ganz selbst= verständlich, daß es in der Welt immer so ausgesehen habe, wie bei ihnen und in ihren Tagen. Zudem waren nicht nur die Legenden viel stärker im allgemeinen Be­wußtsein, sondern in den Darstellungen selbst gab es gewisse, fast formelhafte Wiederholungen, die Jeden, der das Bild sah, mit dem Gegenstande vertraut sein ließen. Für den stark entwickelten historischen Sinn der Gegen­wart aber, der noch dazu diesen Dingen entfremdet ist, ist erst eine Art Ueberwindung nöthig, des unmittelbar aufsteigenden Widerstrebens, in den aus unserer Zeit geholten Motiven Szenen aus einer fernen Vergangenheit zu sehen, Herr zu werden selbst wenn man bereit wäre, dem Künſtler auf diesen Wegen zu folgen. Von einer wirklichen Wiederbelebung der religiösen Kunst" wird man daher bei Uhde's Werf nicht sprechen können. Uhde's Bedeutung scheint auf einem anderen Gebiete zu liegen, durch das er sich ganz in den Kreis der modernen Bestrebungen einordnet: Er ist ein ausgezeichneter Be­obachter und naturalistischer Schilderer des Lebens. Da, wo er die Noth der Armen darstellt, ohne sie mit reli­giösen Ideen zu verquicken, wirkt er rein, es spricht ein tiefes Mitempfinden aus diesen Bildern, das sie auch uns werthvoll macht. So ist es auf unserem heutigen Bilde: Auf dem Heimweg. Weit über Land hatte das arme Weib hinaus gehen müssen, um für ein paar Pfennige Waaren abzusezen; ihr Töchterchen mußte mit, sie konnte es doch nicht ohne Aufsicht zu Hause lassen. Am frühen Nachmittag schon müssen sie umkehren; es beginnt bereits zu dämmern. Jetzt nähern sie sich der Stadt. Ueber ein unwirthliches, verschneites Feld geht der fast verwehte Weg. Im Hintergrunde, von einer Dunstwolfe eingehüllt, liegt die Stadt, aus einzelnen Fenstern blinken Lichter durch das gleichförmige Grau, wie Glogaugen eines riesigen Ungeheuers sehen sie aus. Die Beiden sind müde von dem langen Herumlaufen, von der schwerfeuchten Luft, und num backt noch bei jedem Schritt der Schnee an den Schuhsohlen und erschwert ihnen den Gang. Das Wasser dringt in die Schuhe, ein Frösteln zieht durch den Körper, mit gesenktem Kopf, schwerfällig schleppen sie sich weiter.

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Eine Fahrt im Ochsenwagen. In seinem Buch: " Zehn Jahre afrikanischen Lebens"( Leipzig  , Otto Wigand  ) erzählt August Boshart von seinen Reisen in Südwestafrika in der Gegend der Walfischbai  . Die bequemste Art zu reisen ist in Afrika   die im Ochsenwagen. Es ist dies keineswegs, wie man wohl glauben könnte, ein so bedenkliches Vergnügen. Der afrikanische Ochse ist nichts weniger als langjam, und er ist nebenbei fast unermüdlich. Die Ochsen werden hier auch als Reit­thiere gebraucht, und es ist im Lande eine bekannte That­sache, daß bei Distanzritten der Ochsenreiter im Vortheil ist. Der schwierigste Moment ist immer der des Ein­spannens; ein richtiges Gespann besteht aus 20 Ochsen, die paarweise vor den Wagen gespannt werden, indem man immer zwei in ein Doppeljoch steckt. Der afrikanische Ochse hat einen kleinen Fetthöcker, mit dem er seine Last vorwärts schiebt, indem das Joch vor demselben auf dem Nacken aufliegt; dadurch ist der Kopf des Thieres nicht in seiner freien Bewegung gehemmt. Hat man ältere Thiere, so stellen sie sich meistens freiwillig an ihren gewohnten Play und lassen sich ruhig das Joch auflegen. Sind jedoch junge, halbwilde Ochsen darunter, die erst eingefahren werden sollen, so wird die Arbeit komplizirter, und man darf sich bei dem Geschäft die Zeit nicht lang werden lassen, noch weniger aber darf man die Geduld verlieren. Ist das Fuhrwerk erst einmal in Gang gebracht, dann geht es dahin, über Stock und Stein, oft im Trab, manchmal sogar im Galopp; es

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Feuilleton.

muß ein gewandter, eingeborener Läufer sein, der mit einem tüchtigen Ochsengespann gleichen Schritt halten will; der Weiße kann es nicht, wenigstens nicht auf die Dauer.

Die Wagen find für diese strapaziösen Reisen eigens eingerichtet, sehr stark gebaut, so daß sie manchen derben Puff aushalten können. Sie sind auf sehr breite, massive Räder gestellt, welche das tiefe Einsinken in den Sand oder in Sumpfboden möglichst verhindern; auch sind sie mit starken Patentachsen ausgerüstet. Im Innern sind. verschiedene Kasten und Fächer angebracht, damit man seinen ganzen Hausrath bequem unterbringen fann und ihn doch immer bei der Hand hat. Im unteren Theil des Wagens werden das Gepäck und die Waaren aufbewahrt; dann wird ein Nahmen eingeschoben, der mit Ochsenhaut­riemen überspannt ist und vollkommen eine Sprungfeder­matraße ersetzt; auf diesen Nahmen legt man eine Noß­haarmatrage nebst Polster, dazu so viele wollene Decken als nöthig sind, und man hat ein bequemes, gesundes Lager, wie man es sonst nirgends in Afrika   finden kann. Auch an der Außenseite des Wagens befinden sich einige Behälter, in denen ein vollständiges Handwerkszeug, die Küchengeräthe und Feuerungsmaterial mitgeführt werden. Hintenauf stehen je nach Bedarf ein bis zwei Fässer mit Trinkwasser. Das Dach des Wagens ist wie ein Schiffsdeck abgerundet und ausgebaggert; schließlich ist die ganze obere Hälfte noch mit starkem Segeltuch fest überzogen, so daß diese fahrende Behausung auch bei dem härtesten Wetter vollkommen wasserdicht bleibt.

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Ist man an einer Stelle angelangt, wo man Halt machen will, so spannt man seine Ochsen aus und läßt sie laufen; sie suchen sich ihr Futter selbst. Dasselbe ge= schieht mit den Pferden, die man mitführt; nur eins wird an einem Hinterbein gefesselt, damit man es des Morgens gleich bei der Hand hat, wenn man es braucht, um mit seiner Hülfe die Ochsen wieder herbeizutreiben, falls sie sich in der Nacht in der Umgegend zerstreut haben.

Zu einem Ochsengespann gehören gewöhnlich drei Treiber. Der Eine führt beim Aufbruch und auf schwie­rigem Terrain die beiden Leitochsen, die an der Spize gehen und meist ältere Thiere sind. Der Zweite hat seinen Plaz auf dem Vordersitz des Wagens, und ihm unter­stehen die beiden Afterochsen, die an der Deichsel gehen; diese sind gewöhnlich auch gut eingefahren und die kräf= tigsten des Gespanns. Der dritte Treiber ist mit einer ant cinem 12 bis 15 Fuß langen Rohr befestigten Peitsche bewaffnet und läuft den größten Theil des Tages neben dent Gespann her, das er durch Zuruf und Peitschenknall zu immer schärferer Gangart antreibt. Im Nothfall thun zwei Treiber diesen Dienst. Die Wagen sind darauf berechnet, daß 80 Zentner geladen werden fönnen; somit befördert ein Gefährt mindestens eberso viele Lasten, als 130 schwarze Träger fort zu bringen im Stande sind.

Eine große Unannehmlichkeit ist es, wenn man des Morgens erwacht, und es ist weit und breit kein Ochse mehr zu sehen. Dann besteigt man, in sein Schicksal ergeben, die Pferde, um die Ausreißer einzuholen und zurückzubringen; dies Geschäft ist aber nicht immer so einfach, wie es auf den ersten Anblick scheint, und nimmt oft einen ganzen Tag, manchmal auch zwei in Anspruch. Dies Ereigniß tritt meist ein, wenn man zur Regenzeit auf dem Marsche   ist, was man allerdings möglichst ver= meidet. Fängt es Nachts an zu regnen, so rennen die Bestien nach allen Himmelsrichtungen auseinander und laufen unermüdlich weiter, so daß es Mühe genug kostet, fie wieder einzuholen. Dasselbe geschieht, wenn man zur Küfte fährt und sich dieser nähert; der Instinkt treibt dann die Thiere nach dem Lande zurück, wo es Futter und Waffer giebt. In solchem Falle kann man das Gespann an der nächsten Wasserstelle leicht wiederfinden.­

Den Einfluß der Kiefer und Zähne auf den Gesichts­ausdruck der Völker schildert nach einem Bericht des , Globus" G. Flörfe in einer kleinen Schrift. Die Ge­staltung der Zähne erweist sich zwar bei den einzelnen Individuen und Altersstufen als sehr verschieden, inner­halb der Völkerrassen bietet sie aber keine markanten Unterschiede dar. Ferner haben einzelne Völker den Ge­brauch, ihr Gebiß fünstlich zu bearbeiten. Im Allgemeinen sind die Gebisse bei den Naturvölkern fräftiger, gleich­mäßiger und weniger zu Erkrankungen geneigt als bei den Kulturvölkern. Mangelhafte und unregelmäßige Zähne geben dem Gesicht etwas Unruhiges und Auf­fallendes, beeinflussen auch die Gestalt der Kiefer. Eine allgemein verbreitete Erscheinung ist die Prognathie( das Vorstehen der Unterfiefer); in einer oder mehreren ihrer Hauptformen findet sie sich bei allen Völfern in stärkerem oder geringerem Grade; sie ist theils ererbt, theils patho­logisch. In mehreren Fällen, z. B. wie in Amerika   und Indien  , stellte sich die Sache so, daß zwei Hauptgesichts­typen auf einem engen Raum unter notorisch verwandten Völkern vorkommen; der eine zeigt in der Regel auch einen höheren Grad von Prognathie. Immerhin giebt es Rassen, wie die Neger und Malayen, bei denen sie eine vorwaltende Eigenschaft ist und als Nassenmerkmal gelten kann. Die Prognathie ist nicht unbedingt ein Merkmal der in der Kultur am tiefsten stehenden Völker. Australier, Buschmänner, die Wedda usw. haben ent­weder nicht vorstehende Unterkiefer oder sie sind wenigstens nicht ausgesprochen prognath. Vielleicht steht die aus­

Verantwortlicher Rebafteur: Oscar Kühl in Charlottenburg  .

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gesprochene Prognathie in einem näheren Verhältniß zu der künstlichen Bearbeitung der Zähne. Die Gestaltung der einzelnen Kieferknochen, ihr gegenseitiges Verhältniß ist mitunter so charakteristisch, daß dadurch der Gesichts­ausdruck bestimmt wird, wie beispielsweise bei den Japanern und den Eskimos.

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Byzantiner. Am 7. Oftober 1755, dem Geburtstage August III. von Polen( und Sachsen  ), hielt der Sprecher der Danziger Kaufmannschaft, Herr Fr. Gottlieb Remmer­son, bei der Aufstellung einer Denkmalsbüste des genannten Monarchen im Artushofe eine Nede, deren Schluß er wurde an die Büste gerichtet folgendermaßen lautete: Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König! Ich beuge mich in tiefster Ehrfurcht für( vor) dem Deiner geheiligten Majestät geweiheten Bilde, welches die hier versammelte Kaufmannschaft mit erfreuetem und ehrfurchtsvollem Herzen Deiner Majestät, als ein ewiges Denkmal ihrer reinsten Dankbegierde, opfert. Sie flehet Dich, großer König! demüthigst an: Würdiger, großer Monarch! würdige es gnädig aufzunehmen. Laß, großer König! Dir das Dankopfer ihres ehrfurchtsvollen Effers allergnädigst wohlgefallen" u. s. w. eh.

Weihnachten am Sinai. In seinen Wüsten­wanderungen am Sinai  " erzählt Mar Verworn von einem Weihnachtsabend, den er am Sinai erlebt hat: Eines Tages mache ich mit Erstaunen die Entdeckung, daß Weihnachten vor der Thüre ist. Nichts hatte mich an das winterliche Fest erinnert. Statt Schnee und Eis und Winterkälte umgiebt mich lachender Sonnenschein, greller Wüstensand, tiefblaues Meer und wolkenloser Himmel. Mit meinen Gedanken in der Heimath wandere ich hinaus an meinen Lieblingsplay, einen einsamen Pilgerbrunnen in der Wüste bei Kurum. Die Sonne ist eben untergegangen. Alles ringsumher ist still und einsam, nur dann und wann dringen aus der Ferne Laute von Kurûm herüber. Die Wüste ist braun und schon im Schatten. Auch die Sinaiberge haben bereits ihre Abendröthe verloren und ragen dunkelblau mit ihren gewaltigen Massen in das grüne Zwielicht des Himmels. Dagegen ist über den schwarzen afrikanischen Bergen noch alles hell, und scharf heben sich, dürren Gespenstern gleich, die Palmen von Kurum an dem grellgelben Abendhimmel ab. Da zieht von Süden her ein leichtes Noth über die zarten Wölkchen, die den westlichen Himmel beleben, herauf, immer höher und höher, und je mehr es herauf­fommt, um so greller und leuchtender prägt es sich aus. Schließlich lagert sich dieses Noth in hellen Streifen, fast blendend über die dunklen Berge der fernen Küste. Dazwischen sieht der jetzt stahlblau gewordene Hinter­grund des Himmels hervor, ein Effekt, den kein Pinsel und keine Feder zu schildern vermag. Allmälig werden die Farben fatter, dunkler, undurchsichtiger, und in einer halben Stunde hat die heilige Nacht den Horizont ringsum verhüllt. Ueber dem Umm Schômar steht einsam in strahlendem Glanze die Venus. Alles schweigt. Selbst die Geräusche des Dorfes sind verstummit. In ergreifender Stille hört der Mensch nur sich selbst, das feinste Geräusch seiner kleinsten Bewegung, seinen Athem, seinen Herz­schlag. Weit und einsam dehnt sich in unbestimmbare Ferne die Wüste und läßt die Schrecknisse ahnen, die sie in ihrem Schooße verbirgt. Die Entfernungen ver= schwinden. Alles ist graubraun. Wüste, Berge und Himmel gehen in unbestimmten Formen ineinander über. Steine und Bodenerhebungen in der Nähe nehmen ver­zerrte und phantastische Gestalt an. In diesem Zustande, in dem die Sinne auf's Höchste gespannt sind und doch nicht mehr wirklich erkennen, beginnt die Einbildungs­fraft ihr Spiel.

Jezt, es ist 6 Uhr, wird zu Hause der Weihnachts­baum angezündet. Der Duft angebrannter Tannen­nadeln dringt durch die Thür, und das pochende Herz der Kinder schlägt schneller, venn die Klingel ertönt. Das mystische Gefühl der Bescheerung, das im Kinder­gemüth von Jugend auf mit der Vorstellung von Weih­nachten associirt ist, will in meiner Erinnerung herauf­steigen, aber es fämpft gegen eine fremde Macht und kommt nicht empor. Hier bin ich nicht weit von jenen Gegenden, wo das Christkind nach der Ueberlieferung zur Welt kam. Hier bin ich in einer ähnlichen Umgebung: Palmen, ein kleines Dörfchen, weite, öde Flächen sind um mich herum. Aber doch wie ganz anders ist die Stimmung zu Hause in der schneebedeckten, eisstarrenden Heimath beim lichtstrahlenden Tannenbaum! Zum ersten Male kommt mir zum Bewußtsein, wie die Verquickung des altgermanischen Weihnachtsmythus mit der Legende von der Geburt des Christkindes doch eigentlich so ganz unharmonisch ist, wie die im Süden geborene und in eine orientalische Szenerie gehörende Erzählung von der heiligen Nacht so garnicht in unsere nordische Heimath, in eine Umgebung von Eis und Schnee hineinpaßt und wie umgefehrt eine richtige, nordische Weihnachtsstimmmg in dieser Umgebung, unter diesem Himmel trotz der großen, gewaltigen Natur sich unmöglich entwickeln kann.

Nachdruck des Juhalts verboten!

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Alle für die Redaktion der Neuen Welt" bestimmten Sendungen sind nach Berlin  , SW 19, Beuthstraße 2, zu richten.

Berlag: Hamburger Buchdruckeret und Berlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg  .

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Drud: Mar Bading in Berlin  .