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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Die Griechen haben im Gegensatz zu uns Modernen, wo man die Schauspiel funst mit wenigen Ausnahmen im Grunde wild aufwachsen läßt, es für durchaus nöthig erachtet, dem Schauspieler eine gründliche wissenschaftliche und technische Ausbildung zu geben. Der Schauspieler ist der Dolmetsch des dramatischen Dichters. Das Leben, das dieser seinen Gestalten eingehaucht hat, das und kein anderes soll er zur Anschauung bringen. Dazu gehört nicht nur die Fähigkeit, in die Natur und Eigenthümlichkeit einer anderen Person sich hineinzudenken und sie, als wenn es die eigene wäre, in Wort, Blick, Miene, Stimme, Haltung und Bewegung darzustellen es ist vor allen Dingen das Ver ständniß des Dichters nöthig. Dieses Verständniß erfordert umfassende Kenntniß und Bildung, und je höher der Dichter steht, desto tiefer eindringendes fortgesettes Studium ist nothwendig. Die griechischen Dichter kannten die Wichtigkeit dieses Punktes so wohl, daß sie, namentlich nach Aeschylos , selbst die Hauptrollen übernahmen, für die übrigen Rollen aber solche Schauspieler auswählten, die sie für das Verständniß und die Darstellung als besonders geeignet fennen gelernt hatten. Mit diesen studirten sie die Nollen ein, und da sie bei der beschränkten Zahl der Schauspieler nur einen, zuletzt höchstens drei brauchten, so läßt sich ermessen, wie vollkommen die Schöpfungen der Dichter zur Aufführung famen. Erst Sophokles ging, weil seine Stimme zu schwach war, von der Gewohnheit, selbst aufzutreten, ab, und seitdem wurde nur noch ausnahmsweise von den Dichtern gespielt.
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Noch auf eine andere Art aber sorgte man für die Tüchtigkeit der Schauspieler: sie mußten sich- einer Staatsprüfung unterziehen! Keiner wurde als dritter Schauspieler ohne Examen zugelassen, und selbstverständlich war auch für die Nollen eines ersten und zweiten Schauspielers ein besonderer „ Befähigungsnachweis" erforderlich. War aber die Prüfung bestanden, so durften sie ohne Weiteres in allen Rollen des Grades, den sie sich erworben hatten, auftreten. Dabei war es eine Hauptpflicht, um ein abgerundetes Ganze in der Darstellung zu ermöglichen, daß der Deuteragonist( zweiter Schauspieler) und der Tritagonist( dritter Schauspieler) sich in jeder Beziehung, namentlich in Hinsicht der Stimme, der Rolle des Protagonisten( ersten Schauspielers) unterordneten. Wie fein füinſtlerisch! Wie verschieden von dem modernen leidigen Gebrauche, daß ein beliebiger Schauspieler, von oft sehr fraglicher Begabung, die anderen alle zurückdrängt und mit seiner Stimme ohne alle Rücksicht auf den Charakter der Rolle loslegt, wie das namentlich auf Gastrollen so Sitte oder vielmehr Unsitte ist!
Diejenigen Dichter, welche ihre Schauspieler nicht selbst wählten, erhielten diese durch's Loos zugetheilt. Da die griechischen Schauspieler keinen Souffleur hatten, also ganz auf sich selbst angewiesen waren, so waren sie gezwungen, ihre Rollen zum sicheren Eigenthum des Gedächtnisses zu machen. So konnte es nicht fehlen, daß sie sich ganz und gar in sie einlebten und sie in allen Theilen beherrschten.
Auch ist wohl zu beachten, daß kaum je ein komischer Schauspieler in der Tragödie und umgefehrt ein tragischer in der Komödie auftrat. Diese Beschränkung ist für die Vollendung der Kunstleistungen nicht gering anzuschlagen, während heut= zutage gerade umgekehrt ein Beweis für die Viel seitigkeit" eines Schauspielers darin gesehen wird, daß er die disparatesten Rollen, heute diese, morgen jene, giebt. Von solcher Genialität" waren die gründlichen Schauspieler des Hellenenthums freilich weit entfernt.
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Mit großer Gewissenhaftigkeit bildete man die äußeren Hülfsmittel der Darstellung, Stimme und Körperbewegung, aus. Jede Gemüthsverfassung hat ihre besondere Tonfarbe. Anders spricht der Haß, der Zorn, die Liebe, die Wehmuth, einen anderen Ton hat die Freude, einen anderen der Schmerz. Auch nach Alter und Geschlecht ist das Organ verschieden. Ein Schauspieler, der verschiedene Stimmungen wahrheitsgetreu ausdrücken soll, muß der Stimme nächtig sein, ebensosehr auf
Umfang und Fülle, wie auf Biegsamkeit und Weich heit bedacht sein. Gilt das für alle Schauspieler, heit bedacht sein. Gilt das für alle Schauspieler, so ganz besonders für die Griechen, die nicht bloß zu recitiren, sondern auch zu singen hatten, überaus große Räume auszufüllen und Frauen und Männerrollen zu spielen hatten, so daß ihnen die feinsten Schattirungen der Stimme zum Ausdruck der zartesten Gefühle wie der heftigsten Leidenschaften zu Gebote stehen mußten. Und daß sie das vermochten, zeigen die begeisterten Aeußerungen über das Hinreißende ihres Spiels in Männer- wie in Frauenrollen, zeigt der Ruhm eines Nifóstratos, Kallipides, Myniskos, Polos 2c., die zwar für uns todte, kalte Namen sind, Namen jedoch, die noch. nach Jahrhunderten von den rauhen Römern in der Kaiserzeit gefeiert wurden. Hier dürfen wir mit Recht bezweifeln, ob das Wort Schillers„ Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze" auf Wahr heit beruht.
Von Polos ist bekannt, daß er, um den Schmerz um den Tod seines Sohnes wahrheitsgetreu dar zustellen, die Rolle mit der echten Aschenurne dieses zustellen, die Rolle mit der echten Aschenurne dieses Sohnes gab, ein Experiment, das gewagt sein fann und das Johann Jakob Engel in seiner Mimik" sogar verwerflich nennt, wobei aber das Verwerfliche höchstens in der Ruhmredigkeit über diese That zu finden sein könnte.
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Zugleich aber erfahren wir, mit welchen Entbehrungen die griechischen Schauspieler dieses Ziel behrungen die griechischen Schauspieler dieses Ziel erkauften. Sie unterwarfen sich der strengsten Diät, erkauften. Sie unterwarfen sich der strengsten Diät, machten sich die größte Einfachheit und Mäßigkeit zur Pflicht. Starke Esser und Trinker unter den Schauspielern wurden von der Komödie verspottet und ungenügende Leistungen ihrer Leckerhaftigkeit oder Unmäßigkeit zur Last gelegt. Der Tag war bis in's Einzelne geregelt. 3u bestimmten Tages zeiten gingen die Schauspieler spazieren. Uebungen im Singen und Rezitiren veranstalteten sie nie nach Tisch, sondern früh Morgens im Bette sangen sie die Tonleiter von den tiefsten Tönen bis zu den höchsten und so wieder zurück. Auch sitzend thaten sie das.
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Auf die Reinheit der Aussprache wurde die peinlichste Sorgfalt verwendet, wogegen in unserer Zeit selbst auf den größten Bühnen nicht selten schmählich gefehlt wird. Daran ist nun einmal nicht zu mäkeln, daß uns die alten Griechen in dieser Beziehung ganz bedeutend„ über" waren. Die Griechen hatten ein so feines Gehör, daß, als einst der Schauspieler Hegélochos einen kaum wahrnehm baren Hauch, einen Apostroph, weil ihm der Athem ausging, nicht hörbar aussprach( etwa, aber in grober Weise verdeutlicht, Sonnenschwein" statt Sonnenschein), das ganze Theater in lautes Gelächter ausbrach und der Schauspieler fortan die Zielscheibe des Wizes für die komischen Dichter wurde und blieb, die ihn in ihren Dramen verhöhnten. Sprach der Schauspieler eine furze Silbe lang, eine lange kurz aus oder trug er gar unvollständige Verse vor, an welchen ein oder zwei Glieder fehlten, so war er in Gefahr, sofort ausgezischt, ausgepocht, ja vom Theater verwiesen zu werden. Begegnete ihm ein solches Versehen in der Rolle eines Gottes, so hatte er sogar Züchtigung zu gewärtigen, denn es wurde nicht nur über jede Tragödie und ihre Darstellung von fiinf vom Staate gewählten Männern das Richteramt ausgeübt, sondern es hatten auch Aufsichtspersonen, die Rhabdophoren ( d. i. Stabträger), ihren Play im Theater, die ebensowohl bei ästhetischen Versehen wie bei sittlichen Vergehungen augenblicklich einschritten.
Nächst der Ausbildung der Stimme galt es sodann, dem Schauspieler völlige Herrschaft über den Körper zu verschaffen, so daß jede Bewegung und Stellung seinem Körper gehorchte. Dies geschah durch die Uebungen in der Palästra oder Ringschule und in der Tanzkunst. Ohne eine grind liche Vorbildung durch sie würde kein griechi scher Schauspieler gewagt haben, öffentlich aufzutreten. Sie bedurften aber der Gewandtheit, Kraft und Geschmeidigkeit des Körpers umsomehr, je größere Schwierigkeiten die Schauspieler durch ihre ganze Ausstattung zu überwinden hatten. Auf mindestens einen Fuß hohen, fast viereckigen Schuhen
zu gehen, die Gesichtsmaske, die aus Holz oder Rinde bestand, vorzuhaben, die noch einen Theil des Hinterkopfes umgab und an die sich unmittelbar eine Art Toupet, ein hoher Auffaz anschloß, damit der Kopf in den Riesenräumen ebenfalls in's Uebermenschliche vergrößert erschien, dazu, um jedes Mißverhältniß der Gestalt zu vermeiden, das unfehlbar hätte eintreten müssen, wenn nicht der Rumpf entsprechend verstärkt worden wäre- Brust und Leib ganz gehörig ausgepolstert zu haben das war wahrlich nichts Geringes? Auch die Hände waren( durch Handschuhe) über die natürliche Fingerlänge ausgedehnt.
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Daß die griechische Schauspielkunst des so wichtigen Mittels der Mimik entbehrte, ist bei näherer Ueber= legung nicht so schlimm, denn man muß bedenken, daß die Räume des Theaters viel zu groß waren, als daß die Physiognomie hätte erkannt werden können und Operngläser besaßen die alten Griechen nicht. Außerdem sollte die Maske durch die trichterförmige Oeffnung des Mundes zur Verstärkung der Stimme beitragen. Ferner: der antife Dichter zeichnet meist in starken Zügen nach feststehenden mythischen Typen scharf ausgeprägte Gestalten, die, plastisch abgerundet, einer Ergänzung von Seiten des Schauspielers nicht bedürfen, also auch den Wechsel der Maske für ein und dieselbe Rolle überflüssig machen. Der moderne Dichter dagegen, vor Allen Shakespeare , deutet oft nur mit einzelnen Strichen ein Charakterbild an und überläßt es dem Schauspieler, die Züge auszuführen und zu einem Ganzen zu gestalten, wobei der letztere in dem Wechsel und Reichthum des Gesichtsausdrucks einen unentbehrlichen Hebel seiner Kunst findet.
Den alten Griechen eignete noch eine Eigen schaft, die zum mindesten so wichtig ist, wie die Naturbegabung und technische Bildung. Es ist dies das richtige Gefühl für das Maß des Dar stellbaren innerhalb der Grenzen der Schönheit, ohne welches Talent und Kunst des festen Grundes beraubt in der Luft schweben. Gerade darin ist die griechische Kunst ein hohes Vorbild für alle Zeiten geworden. Jede Uebertreibung war ihr zuwider und wenn sie das Richtige nicht zu treffen wußte, so wollte sie lieber hinter dem Erreichbaren zuriickbleiben, als über die Grenze hinausgehen. Eine kleine wahre Geschichte setzt diesen Grundsay in helles Licht. Timauthes malte die Opferung der Iphigenie. Die verschiedenen Grade des Schmerzes sind in Kalchas, dem Priester, Odysseus , dem Freunde, Menelaus, dem Bruder des Freundes ausgedrückt; aber des Vaters, Aga memnons Gesicht, verhüllte er, weil er ganz richtig urtheilte, daß so tiefer Schmerz die Grenzen der Darstellung überschreitet. Nach denselben Grundsäßen verfuhr die griechische Schauspielfunst, wie ein Ausspruch des Aeschylos teweist. Er, selbst Schauspieler, wies den Schauspielern das rechte Maß und bezeichnet in derber Weise die als Affen, die in plumper Nachahmung der Wirklichkeit durch Uebertreibung sich von der Schönheit entfernen. Ein Ausspruch, der um so werthvoller ist, je leichter gerade das hohe Pathos seiner Dichtungen zu solcher Verirrung verleiten konnte.
So war denn der griechische Schauspieler, mit Naturgaben und gründlicher wissenschaftlicher und technischer Bildung ausgestattet, mit feinem und sicherem Tatte für Maß und Schicklichkeit versehen, in Wirklichkeit das, was er sein sollte, ein Dolmetsch des Dichters, dessen Werke er darstellte, ein Vermittler zwischen diesem und dem Publikum, der zur Erhabenheit seines Geistes hinaufhob und, wie es Aufgabe der Tragödie ist, reinigend und versöhnend Geist und Herz veredelte eine Kunst, so hochachtbar wie nur jede andere Kunst. Die ihr gebührende Achtung und Ehrung wurde in Griechen land der Schauspielkunst auch vollauf zu Theil, wie denn auch die äußere Lebensstellung, deren sich die Schauspieler zu erfreuen hatten, mächtig dazu beitrug, ihr Kunststreben zu fördern.
Daß ein Polos( zur Zeit des Demosthenes ) für zwei Vorstellungen ein Talent, d. i. etwa 1500 Thaler, erhielt, ist gerade in unseren Tagen oft genug überboten worden. Daß aber zwei andere Schau