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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

die Bühnenwand geöffnet hatte, das Innere gezeigt wurde. Sodann kommt eine Hebe- und Schwebe maschine vor, auch kurzweg die Maschine genannt, weil sie am meisten im Gebrauch war, mittelst welcher Götter und Heroen in der Luft schwebend erschienen. Darum spricht man von einem Deus ex machina ( Gott   aus der Maschine), ein Ausdruck, der seit jener Zeit sprichwörtlich geworden ist für die durch plögliches Dazwischentreten einer Person oder eines Zufalls bewirfte und unerwartet günstige Lösung eines tragisch geschürzten Knotens im Drama( auch im Roman). Auch gab es eine sogenannte Götter bühne in der Höhe der hinteren Bühnenwand, die den Göttern zum Aufenthalt diente, wenn sie nicht durch die Maschine vom Himmel oder sonst woher auf die Erde geführt wurden, sondern vom Himmel aus mit den Menschen verkehren und deshalb dauernd in der Höhe verweilen sollten. In den uns erhal tenen Tragödien findet sich allerdings kein Beispiel ihrer Anwendung, doch wird erzählt, daß in einer verloren gegangenen Tragödie, deren Name uns jedoch erhalten ist, Jupiter auf dieser Götterbühne" erschienen sei.

Auch Vorrichtungen, um Donner und Bliz. nachzuahmen, waren vorhanden. So geschah z. B. das Erstere, indem man Schläuche auf Erzplatten hin und her rollte. Versenkungen waren im hölzernen Fußboden des Prosceniums angebracht; auch gab es da in die unteren Räume führende Treppen, auf welchen die Schatten der Unterwelt, die Erynnien ( ,, Rachegöttinnen") usw. auf und abstiegen.

Um es zu ermöglichen, daß die Stimme der Schauspieler in so weitem Raume überhaupt ver­nommen wurde, waren eigene Schallgefäße auf­gestellt; wie jedoch ihre Einrichtung war, hat noch nicht ermittelt werden können. Neueren Forschungen in der Akustik zufolge ist es wahrscheinlich, daß es Schalllinsen gewesen, die in ähnlicher Weise die Tonwellen in einem Punkte auffingen, wie das Brennglas die Lichtwellen.

Das größte Theater, von dem wir Kenntniß haben, das zu Megalopolis, konnte mehr als 40000 Menschen fassen, d. h. also zweimal so viel Köpfe, als die gesammte Bürgerschaft Athens   betrug. Die gewöhnliche Größe war etwa auf das Viertel oder die Hälfte berechnet; so hatten in Epidauros  ( in Argalis am Saronischen Meerbusen) 10 000 Menschen im Theater Platz, in Syrakus   14 000 Menschen.

Bühne und Orchestra waren vom Zuschauerraum durch einen Vorhang nicht getrennt, ja, konnten es aus inneren Gründen nicht sein; denn der Vorhang würde die Zuschauer gleichsam als eine fremde Ge meinde von den Schauspielern, von dem Chor ab­getrennt haben, während doch Alle, Chorsänger, Chor­tänzer, Schauspieler und Zuschauer nur eine Ge­meinde( d. h. Festgemeinde) bildeten, die ursprünglich Alle( alle Genossen) als zu einer gottesdienstlichen Feier verbunden zu denken sind. Als aber der reli­giöse Ursprung völlig in den Hintergrund getreten, ja, ganz vergessen war( wie z. B. bei den Römern), als die im Theater Versammelten in bloße Zu­schauer, die unterhalten sein wollten, und in lediglich berufsmäßige Unterhaltende zerfielen, da kam auch der Vorhang auf, der jetzt sogar vielfach nöthig wurde, um gewisse Vorgänge vor den Augen der Zuschauer zu verbergen.

Bei den Griechen war die Entwickelung der Poesie stetig, ohne Unterbrechung, ohne Sprung; nichts von außen Hineingetragenes, nichts Fremd­artiges störte sie: Alles war ureigenthiimlich und frisch aus dem Leben und mit dem Leben empor­gewachsen. Das heroische Zeitalter spiegelt sich im Epos, im Homer  ; die Zeit der gährenden Entwicke­lung der Volksstämme kam in der Lyrik zum Aus­druck, deren Höhepunkt Pindar   erreicht; die höchste Manneskraft und Herrlichkeit des griechischen, nament­lich des atheniensischen Volkes, im Drama, das in weniger als einem Jahrhundert von den ersten An­fängen bis zur höchsten Vollendung gelangte. Aeschy= los, Sophokles  , Euripides  , das von anderen Nationen unerreichte dramatische Dreigestirn, fallen zusammen mit den Großthaten der Perserkriege und der Macht entfaltung durch Perikles   im fünften Jahrhundert.

Aeschylos   fämpfte in der Schlacht bei Salamis, Sophokles   tanzte als Jiin lng in dem zur Ver­herrlichung des Sieges geführten Festreigen, Euri­herrlichung des Sieges geführten Fesireigen, Guri­pides wurde im gleichen Jahre( 480 v. Chr.) ge­boren. Das Theater wurde der Sammelplatz und Das Theater wurde der Sammelplay und Brenupunkt des politischen, religiösen und füinst lerischen Lebens. Der Gipfel seiner Höhe ist zu­gleich der Gipfel von Athens   politischer Größe, und mit ihrem Fall lösen sich zugleich die Bausteine des Kunsttempels, die in ihrer Vereinigung ein harmo­nisches Ganze von unerreichter Anmuth, Würde und Hoheit darboten.

In der Stetigkeit der Entwickelung der Dicht­kunst waren die Griechen noch glücklicher als die Deutschen  , die ihnen hierin am nächsten stehen. Auch den Deutschen   war es vergönnt, wie Nibelungenlied, den Deutschen   war es vergönnt, wie Nibelungenlied, Minnesang und die diesen gleichzeitigen Dichtungen beweisen, Epos und Lyrik nacheinander und aus­einander zur Blüthe zu entfalten. Als aber im 14. und 15. Jahrhundert die Anfänge der drama­tischen Poesie entstanden, stellten die politischen Ver­hältnisse des deutschen Reiches sich alsbald hemmend ihr entgegen, und noch harrt sie bis auf den heutigen Tag ihrer Vollendung, troß des Aufschwunges, den sie durch Shakespeare's   Einfluß im 18. Jahrhundert

genommen.

Es erübrigt noch, dem Chore, dem Chorliede und dem Chortanze eine kurze Betrachtung zu widmen.

Der Chor drückte immer die Oeffentlichkeit, das Volk, aus, denn so wie die Handlung stets auf offener Straße spielte, wie es eine Privathandlung garnicht giebt, so muß auch der Chor ein Theilnehmer an der Handlung sein, bestehe diese Theilnahme auch nur in Rathschlägen oder Betrachtungen des Chores, furz, im Zwiegespräche. Die Zahl der Chorpersonen in den Dithyrambischen Chören betrug 50, von der Zeit an aber, wo die Tragödie feste Ausbildung gewonnen, in jedem Stiicke 15. Ursprünglich war der Chor im Kreise aufgestellt, oder in Halbchöre getheilt, die im Halbkreise standen, später war er im Viereck aufgestellt und hielt in drei von je fünf oder in fünf Reihen von je drei seinen Einzug in die Orchestra. Stellung und Bewegung des Chors waren durch Punkte und Linien markirt, von denen der Chor ausging und auf die er zurückkehrte. Der Führer des ganzen Chors hieß Kornphaios( Chor­führer); außer ihm gab es noch vier Reihenführer, so daß jede der fünf Reihen ihren Vormann hatte, welche auf der linken Seite in die Orchestra ein­schritten und so beim Einzuge den Zuschauern zuerst sichtbar wurden, auch bei der Aufstellung am meisten sichtbar blieben. Der Koryphaios hatte seinen Platz in der Mitte dieser, den Zuschauern zugekehrten Reihe.

Die Versmaße der Chorlieder, die uns so kunst­voll erscheinen, sind es durchaus nicht in dem Maße, wie sie uns vielleicht vorkommen. Die ganze griechische Sprache ist gleichsam für kunstvollen Bau prädestinirt, so daß es keiner Künstelei bedurfte, um verschränkt griechische Verse in seltenen Versmaßen zu machen. Wie von Ovid   erzählt wird, daß er bereits als Knabe Verse über Verse machte, so daß der nüchterne Vater einmal zum Bakel griff, wenn er das Verse­machen nicht sein lasse, und wie der Junge um Schonung bat und versprach, er wolle nie mehr Verse machen, wie aber diese Bitte, dem Knaben selbst unbewußt, in Versform eingekleidet war, wie sich seine Rede unwillkürlich zur gebundenen gestaltete, so war es gleichsam auch bei dem ganzen Volke der so war es gleichsam auch bei dem ganzen Volke der Griechen. Von diesem wunderbaren Talente läßt man sich im rauhen, schwerfälligen Norden freilich nichts träumen, aber im Süden, schon in Venedig  , noch viel mehr aber in Neapel  , tritt beim Volfe eine Begabung für Sprache auf, die in Erstaunen setzt. Ich will garnicht von den Gondelliedern des sezt. Ich will garnicht von den Gondelliedern des Gondoliere reden selbst bei dem zerlumpten La­zaronen Neapels  , der den ganzen Tag mit wahrhaft göttlicher Faulheit zu faulenzen versteht, zeigt sich diese geradezu verblüffende Begabung.

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Die Begabung der griechischen Dichter ging aber viel weiter. Nicht nur den Tert der Lieder schrieben sie ursprünglich, auch die Melodie( sie waren also auf die auch Musiker), und verstanden sich auch Tanzkunst, sie zeichneten zugleich die Tanz­

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bewegungen, die Tanzfiguren vor, ja sie selbst tanzten auch im Chore m't. Man sieht hieran so recht deutlich, w'e d'e Kunst eine Einheit ist, in der gleich­samt wie im Steine Alles beschlossen liegt; erst all­mälig lösen sich die einzelnen Theile los und ge­winnen selbstständige Ausbildung.

Vom Tanze aber ist der Chor gar nie zu trennen, so lange es überhaupt eine dramatische tragische Dichtung giebt. Kein Augenblick des Tanzes war ohne Gesang. Die griechische Tanzkunst war nämlich wesentlich symbolischer Art. Wort und Bild müſſen sich gewissermaßen decken: der Tänzer zeigt den Inhalt des Liedes und der Zuschauer sieht zugleich, was er hört. Im Versmaße drückt sich der Charafter des Tanzes aus, dieser ist ganz von dem charakteri­stischen Wesen des Versmaßes bestimmt. Näheres wissen wir freilich nicht von der antiken Tanzkunst, da wir den Tanz ja nie mit Augen gesehen haben. Das Versmaß wurde gewissermaßen graphisch durch den Tanz dargestellt, so daß durch die künstlichen Wen­dungen und Verschlingungen des Tanzes der Inhalt des Gesanges mehr oder weniger deutlich dem Auge entgegentritt. Ein seltenes Büchlein des Neapolitaners de Jorio bringt eine Deutung gewisser Geſtifulationen durch eine Vergleichung mit neapolitanischen Geberden.

Anfangs war die Musikbegleitung, die Flöte, dem Gesange durchaus untergeordnet; nur ein einziger Flötenbläser begleitete den Chor, später fing sie an, selbstständiger aufzutreten und den Chor zu über­tönen, so daß die Instrumentalbegleitung schon da­mals von einem Dramatiker in ihre Grenzen gewiesen werden mußte.

Daß die griechische Tragödie von der leichten Unterhaltung, die wir auch im ersten Drama zu suchen gewohnt sind, himmelweit entfernt war, ersehen wir schon daraus, daß sie am frühen Morgen be­gann und den ganzen Tag über dauerte. Dafür würde man sich bei uns schönstens bedanken, den ganzen Tag im Freien zu ſizen, der Gunst oder Ungunst des Wetters ausgesezt zu sein! Und wenn die Menschennatur zwar überall so ziemlich dieselbe ist, so daß es z. B. schon ein viel benutztes Motiv der komischen Dichter war, den Finger in die Luft zu strecken und eine Person sagen zu lassen: Es regnet," wenn eine Versammlung gesprengt" werden sollte, so wäre es für unsere Nerven doch ein bischen viel, den ganzen Tag, auch bei schönstem Wetter, einer Theatervorstellung zuzusehen. Diinken doch die Wagner'schen Musikdramen, selbst am Abend und in gedeckten Räumen, Vielen viel zu lang! Ebenfalls eine der vielen Unbegreiflichkeiten, die uns Modernen das Alterthum auftischt.-

Die Tragödie war vom Staate zum Gegenstand eines öffentlichen Wettkampfes gemacht worden. Die Bürger hatten je nach ihrem Vermögen gewisse Leistungen für das Gemeinwohl zu entrichten; dazu gehörte auch die Theaterlast, um eine würdige Aus­stattung des Dramas zu ermöglichen. Von einen Vermögen von drei Talenten an( etwa 15 000 Mt.) konnten die Bürger in Anspruch genommen werden. Den Leistenden ernennt der Stamm, welcher am Siegesruhm des Dichters theilnimmt. Glaubte Giner, daß ihm Unrecht geschehe, daß er zu hoch belastet sei, so stand ihm das Rechtsmittel des Vermögens tausches mit Dem frei, den er für geeigneter hielt, diese Last zu tragen. Zu den regelmäßig zu leistenden Liturgien( wie diese Art Steuer hieß) gehörte auch die Choregie, d. h. Stellung und Ausrüstung eines Chores. Der Liturg hatte das nöthige Chorpersonal zusammen zu bringen und zu bezahlen, die Choreuten unterrichten und einüben zu lassen und sie während dieser Zeit zu beköstigen. Auch für den zur Auf­führung gehörigen Schmuck hatten sie zu sorgen, der um so gediegener sein mußte, als die Aufführungen nicht beim täuschenden Glanze künstlichen Lichtes, sondern im hellen Sonnenscheine stattfanden.

Als aber mit zunehmendem Vermögensverfalle ( insbesondere durch den peloponnesischen Krieg) die Mittel zu einer würdigen Aufführung gebrachen, mußte der Staatsschaß eintreten, weshalb z. B. in der Komödie, die stets mehr als Stieffind behandelt wurde, der Chor schon gegen Ende des peloponne fisches Strieges wegfiel. Auch die Zulassung der Dichter zur Aufführung eines Stückes hing vom

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