Die reue Welt

Nr. 3

( Fortsetzung.)

A

Bllustrirte Unterhaltungsbeilage.

Dilettanten des Lebens.

Roman von Clara Viebig .

Er

lässiges im Reden, leichtlebig Freies, und doch zu­weilen einen schwermüthigen Augenaufschlag. war entschieden ein Künstler.

1899

Begleiter an. Er hatte den Hut abgenommen, seine Stirn leuchtete merkwürdig weiß, wie die eines Mädchens; er starrte gerade aus und bewegte die Lippen.

Der Zug raste dahin, die Zeit verging rasch. Lena hatte eine unangenehme Empfindung im Herzen, Nun fühlte er ihren Blick, er faßte nach ihrer als es hieß: Köln . Nun mußte man sich trennen Hand und hielt sie mit leisem Druck; sie wagte schade! nicht, ihre Finger wegzuziehen. Auf den Zehen­Aber nein, er fragte:" Reisen Sie auch weiter spizen schlichen sie an den geschnitten Beichtstühlen nach Berlin ?" entlang.

ch," Lena wurde zutraulich, geht's Ihnen so wie mir? Ich hatte nicht blos Hunger auf Ihr Butterbrot. Sind Sie auch nie satt? Ich meine geistig. Einen Tag ist man so voll und könnte die Welt stürmen, und den anderen ist man dann wieder so erbärmlich und flein und hat gar keine Courage zu was. Es ist greulich!" Sie legte die Hände in einander und sah wehmüthig drein. Ob große Leute, wie Schiller und Goethe und Beethoven und Mozart , auch so gefühlt haben?" " Natürlich!" Sie lachte fröhlich auf, sie war " Diese führenden Geister? Sie greifen gleich auf einmal so vergnügt. Also aus derselben Stadt sehr hoch!" wie konnte es auch anders sein?! Sie waren " Hoch oder garnicht!" Sie warf den Kopf plößlich wie alte Bekannte. hintenüber.

" Das sage ich auch!" Seine Augen blizten. Wer will es uns wehren, nach den Sternen zu greifen? Hallo!" Er sprang auf, die Früchte rollten ihm unbeachtet vom Schooß auf den staubigen Coupé­boden. Sie sind Kiinstlerin, gnädiges Fräulein?" " Ich möchte gern." Ein banger Ausdruck trat in ihr Gesicht. Wenn's mir nur gelingt!"

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" Es wird, es wird!" Er sah sie an. " Ich muß etwas erreichen," sagte sie wie für sich. Ja sie sagte es mit Vehemenz, alle ihre Enttäuschungen, besonders der letzte Kummer fielen ihr wieder ein. Alles Andere ist doch nichts! Ich möchte eine große Sängerin werden. Wissen Sie" ,, wir mun flang ihr Ton gemäßigter hatten in unserem Garten in der kleinen Stadt einen Birnbaum, einen sehr großen Birnbaum; unten hingen immer Birnen genug, die mochte ich aber nicht. Oben an den Aesten, die, auf welche die Sonne prall schien, die der Wind schaukelte, die wollte ich. Oft bin ich als Kind hinaufgeklettert, oft herunter ge­fallen, und wenn ich nicht' ran konnte, weinte ich. Es geht mir immer noch so."

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" So?" Er fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare, und dann sagte er zerstreut noch So, so." Jeßt lachte er kurz auf und strich sich wieder durch die Haare mit der gleichen_ ner­bösen Bewegung. Ja, die Früchte, die ſizen ver­dammt hoch, aber man muß nur den Glauben an sich selbst nicht verlieren äh!" Er zuckte mit den Schultern und griff dann mit rascher Bewegung nach dem Becher. Er füllte ihn auf's Neue. Prost, gnädiges Fräulein, prost! Es lebe die Kunst!" Sie nickte ihm zu. Das Fenster war geöffnet, Das Fenster war geöffnet, ein rascher Wind fächelte herein und hob spielend die braunen Lockenringel auf der Mädchenstirn. Lena fühlte feinen Stopfschmerz mehr, sie dachte augen­blicklich herzlich wenig an den letzten schweren Kummer. Es plauderte sich gut mit dem Reisegefährten. Er war hübsch; was er sagte, schien flug. Er hatte wie sollte man's nennen?- etwas Nach­

etwas

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Auf dem weiten Perron, vor dem in einer Art von maurischem Stil gehaltenen Bahnhofsgebäude, wogten die Reisenden hin und her. Es war ein sehr internationales Publikum mit Wagenladungen ungeheurer Koffer; schon auf zehn Schritt roch man das Chyper der Engländerinnen und das Patschuli der Französinnen.

Die Kölner Gepäckträger mit ihrer breiten Sprache machten sich Plaz: Aufjepa- a- aẞt!" Kladderrrrr- a- Kelnische Zei- i- tung! dattsch!" Ein Zeitungsjunge schrie mit gellender Stimme.

Fatal!" Bredenhofer fuhr sich mit beiden Händen an die Ohren. Ach, ich kann den Lärm nicht ertragen; gräßlich! Wir haben Zeit genug, gehen wir in den Dom!"

Und nun standen sie auf dem Domplatz; unge­hener, wie ein steinerner Berg, dessen Spizen in den Himmel ragen, hob sich der Dom vor ihnen. Die Kreuzblumen der Thürme von blauem Aether umflossen; goldener Sonnenschein verklärte den grauen Koloß.

Lena kannte Köln, sie kannte den Dom; so schön wie heute war er ihr noch nie erschienen, das leb­hafte Entzücken ihres Begleiters steckte sie an.

Bredenhofer war aufgeregt. Mit allen möglichen technischen Ausdrücken erklärte er ihr Dieses und Jenes sie war erstaunt, was er Alles wußte- und wo ihm ein Ausdruck mangelte, half er sich durch einen Wiz. Mit einem aus Heiterfeit und Andacht gemischten Gefühl trat sie in's Portal.

Drinnen Dämmerung, durchschossen vom wunder­bar mystischen Licht der bunten Glasfenster. Unter'm Kreuzgewölbe eine schwebende Luft von Weihrauch und geschmolzenem Wachs; vor den Seitenaltären und geschmolzenem Wachs; vor den Seitenaltären flackernde Kerzen und steife Heiligengestalten, die gekrümmteu Finger segnend ausgestreckt.

Lena war blaß geworden; die fühle Dämmerung durchschauerte sie und daneben eine scheue Ahnung der großen, hohen Poesie. Ihre Brust hob und senkte sich, ihr Athem zitterte, verstohlen sah sie ihren

Jetzt waren sie in der Seitennische, vor dem kleinen Altar des Marienbildes; das Triptychon war geöffnet, das süße Madonnenantlig mit dem sich anschmiegenden Kinde lächelte vom Goldgrund auf sie nieder. Unwiderstehlich fühlte sich Lena nieder­gezogen gezogenes war Bredenhofer's Hand, die sie zwang, auf dem schmalen rothen Bänkchen zu knieen, sein warmer Athem streifte ihre Wange.

Halb gesungen, halb geflüstert klang es ihr in's Ohr:

Im Dom, da steht ein Bildniß, Auf goldenem Grunde gemalt;

In meines Lebens Wildniß Hat's freundlich hineingestrahlt-"

Er hielt noch immer ihre Hand, jest jetzt- der Druck! Sie erschrat bis in's innerste Herz. Die Augen, die Lippen, die Wänglein, Die gleichen der Liebsten genau!" Sie war gemeint, sie fühlte es, und sie erröthete über und über. Sie hob die Lider nicht.

Jezt gab er ihre Finger frei. Ohne Wort, stumm nebeneinander herwandelnd, durchschritten sie die andere Seite der Kirche. Jezt kam das Portal. Sie waren wieder draußen.

Das laute Gewühl des Marktes schlug ihnen entgegen, Droschken jagten zum nahen Bahnhof, Lastfuhrwerke ratterten hinunter zur Schiffbrücke; es war wieder Tag, nüchterner Tag, greller Sonnen schein fiel auf's Pflaster. Lena blinzelte, sie schloß für einen Augenblick die Augen.

,, Nehmen Sie meinen Arm," sagte Bredenhofer, und sie that's ohne Ziererei. Arm in Arm schlen­derten sie an den Läden der Hochstraße entlang. Wer kannte sie Beide hier in der fremden Stadt? Menschen im Geschäftsschritt hasteten vorüber, bunt gefleidete Kölnerinnen mit auffallenden Hüten machten ihre Einkäufe in den Läden; die Beiden wanderten zwischen Allen durch, aus einer ganz anderen Welt kommend, sich gegenseitig fremd und doch einander so merkwürdig nah. Es fiel Lena garnicht ein, daß sie Unschickliches that; harmlos vergnigt hatte sie den Schleier zurückgeschlagen und den weiten Mantel aufgeknöpft, man sah ihre schmale, zarte Gestalt und die angedeuteten Grübchen in ihren Wangen.

Sie traten in ein Restaurant und aßen auf dem