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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
formen geworden. Verschiedene Nassen, z. B. solche des Hundes, giebt es schon in ältester historischer Zeit. Diese sind jedenfalls in der Pflege des Menschen entstanden, wie sich denn fast alle wilden Thiere, die der Mensch in Zucht nahm, durch die Zähmung allein veränderten. Allein die Entstehung von neuen Rassen mag zunächst zufällig, ohne Absicht des Menschen erfolgt sein. In jedem kleinen Lande wurde ein Thier anders gehalten, anders gefüttert, anders verwendet, so bildeten sich naturgemäß Verschiedenheiten heraus, die in ihrer Gesammtheit die Merkmale einer Nasse bildeten. Auch die Bastardirung von Pferd und Esel und die Erzeugung von Maulthieren und Mauleseln mag zunächst ohne vermittelnden Eingriff des Menschen geschehen sein. Aber nachdem man öfters gesehen, wie beide Thiere sich paarten, und das Produft dieser Paarung sich als höchst nüßlich und brauchbar erwies, da nahm der Mensch die systematische Züchtung von Mauleseln und Maulthieren in seine Hand. Aehnlich mag es nun überhaupt bei der Ziichtung neuer Formen von Hausthieren gewesen sein. Thatsache aber ist, daß die eigentliche planmäßige, systematische und gewerbsmäßige Züchtung neuer Hausthierrassen erst in nenester Zeit in Angriff genommen worden ist. Erst mit der wissenschaftlichen Begründung der Landwirthschaft in diesem Jahrhundert nahm jene einen ungewohnten Aufschwung, und die Lehre von der natürlichen Zuchtwahl Darwin's mag der künstlichen einen sehr belebenden Antrieb gegeben haben. Jezt nun sind die wichtigsten und selbst unwichtige Hausthiere, wie die Taube, in vielen, oft Hunderten von Rassen oder Varietäten vorhanden. Unter der züchtenden Hand des Menschen sind also Tausende neuer Formen entstanden. Und mitunter ist der Erfolg staunenswerth. Windhund, Teckel und Mops oder Kropftaube, Mörchentaube und Pfauentaube scheinen nicht Thiere derselben Art, nicht einmal derselben Gattung zu sein.
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Neben den Hausthieren giebt es indeß doch noch verschiedene Thiere, denen der Mensch ebenfalls seinen mächtigen Schuß in gewisser Weise angedeihen läßt. So schüßt er durch Jagd- und Fischereigesetze verschiedene Thiere, die ohne solche Verordnungen vielleicht längst ausgestorben oder doch bedeutend vermindert wären. Wo diese Geseze nicht ausreichen oder nicht vorhanden sind, sorgen öffentliche Belehrungen dafür, gewissen Thieren, die uns nüßlich find, Sympathie und Schonung, womöglich gar Verbreitung zu erwirken. Thiere, wie Igel, Maulwurf, Spinne, die früher Jeder verfolgte, werden heute bereits von vielen geschont, da die Wissenschaft, die jene Thiere als niglich erkannt hat, immer mehr und mehr in's Volf dringt. Oft hängt es nur von einem Worte ab, um über das Schicksal von unzähligen Thieren zu entscheiden. Die drastische Mahnung einer ziemlich verbreiteten Gartenzeitung: ,, Wer einen Marienkäfer tödtet, rettet Tausenden von Blattläusen das Leben", mag manchen Gartenbesizer, der früher den Käfer blindlings, wie alles ,, Gewürm", vernichtet hat, dazu bestimmt haben, den treuen Freund in der Bekämpfung der schrecklichen Blattlausplage In Gärten findet man jetzt sorgsam zu schonen. In Gärten findet man jetzt häufiger wie sonst Nistkästchen für Insekten vertilgende Vögel, und zwar jeden Bau den Gewohnheiten des betreffenden Thieres genau angepaßt. Selbst hier also greift die neuere Wissenschaft helfend ein, und mit ihr wird die Macht des Menschen über die Eristenz der Thiere nur um so größer. Bisweilen tommen auch arge Mißgriffe vor, die troß alledem für die Größe des menschlichen Einflusses auf die Thierwelt bezeichnend sind. So führte man in Australien die Spaßen ein, um der unzähligen Inseften Herr zu werden, welche dort die Getreidefelder sehr verwiisteten. Die Spaßen trugen zwar nun zunächst zur Dezimirung der Schädlinge merklich bei, allein bald waren sie zu der Einsicht gekommen, daß das Getreide ebenfalls keine zu verachtende Speise sei, und so pliinderten sie nun die Felder ihrer seits in einer Weise, daß man die herbeigesehnten Gäste nun gern wieder los werden möchte. Die Die Spaßen sind in Australien eine fürchterliche Plage geworden, auf ihren Kopf ist sogar ein Preis gesetzt. Gin ähnlicher Fall ereignete sich in Jamaila. Hier ührte mau im Jahre 1872 zur Vertilgung der
Natten, die das Zuckerrohr vernichteten, Mungos aus Indien ein. Die Thiere thaten zunächst ihre SchuldigIndien ein. Die Thiere thaten zunächst ihre Schuldig feit ganz ausgezeichnet, es war in furzer Zeit überhaupt. feine Ratte mehr zu sehen. Das Thier dachte aber nun nicht daran, zu verschwinden, sondern rich tete sich in dem schönen Jamai.a häuslich ein. Es nahm nun Alles, was es bekommen konnte, allerlei Hausgeflügel, junge Staßen und Hunde, wagte sich selbst an Lämmer, junge Schweine und neugeborene Kälber. Es erjagte Rebhühner, Wachteln, Perlhühner, Schnepfen, überhaupt alle Vögel, die am Boden nisten, und verzehrte ihre Gier. Ja, es lernte sogar Fische fangen und rottete die 27 Arten von einheimischen Reptilien ganz und gar aus. Es schien, als sollte die gesammte Thierwelt Jamaikas durch die Mungos ausgerottet werden. Da erstand diesen Thieren in einer Stechfliege ein gefährlicher Feind, der sie außerordentlich belästigt. Gegenwärtig sind sie in bedeutender Abnahme begriffen, und schon lassen sich wieder Klagen über die Schädigung des Zuckerrohrs durch Natten vernehmen.
Man sieht aus diesem Beispiele nicht nur, wie der Mensch mit Absicht Thiere verbreitet, sondern zugleich auch, welche enorme Einwirkung er unbewußt auf die Vertheilung thierischer Machtverhältnisse ausübt. Die unbeabsichtigte Verbreitung von Thieren durch den Menschen ist besonders seit dem gewaltigen durch den Menschen ist besonders seit dem gewaltigen Wachsen des internationalen Verkehrs eine ungeheuere. Zwar auch in alten Zeiten sind durch die Wanderungen der Völker eine Menge Thiere verbreitet worden. In den Anfängen bestanden diese freilich meist nur aus Parasiten, eine unangenehme, aber meist nur aus Parasiten, eine unangenehme, aber numerisch sehr bedeutsame Gesellschaft. Mit der beginnenden Viehzucht und dem Ackerbau kamen außer den Parasiten der Thiere noch die sämmtlichen Schädlinge dazu, die sich an menschliche Behausungen und Kulturstätten festhaften, Mäuse, Ratten, Spaßen, verschiedene die Felder schädigende Thiere und andere. Seit die Schifffahrt nach überseeischen Ländern zu= genommen hat, seitdem der Güterverkehr, aber auch der Personenverkehr so mächtige Fortschritte gemacht hat, ist die zufällige Verschleppung von Thieren eine ganz gewaltige. Der große Verkehr hat natürlich auch die bewußte Verbreitung von Thieren außerordentlich begünstigt. Aber in jeder Frucht- und Getreidehandlung befinden sich zahllose Insekten, sei Getreidehandlung befinden sich zahllose Insekten, sei es im erwachsenen Zustande, sei es als Larve, Puppe oder Ei. Mit Amerika besonders haben wir auf diese Weise eine gute Anzahl schädlicher Kerbthiere diese Weise eine gute Anzahl schädlicher Kerbthiere ausgetauscht, vom Koloradofäfer und der San JoséSchildlaus sind wir zum Glück bis jetzt noch verschont geblieben. Es wurde oben erwähnt, daß die Spaßen absichtlich in Australien eingeführt wurden, nach Nordamerita und nach anderen Ländern sind sie aber ohne Besonders aber diese Absicht verschleppt worden. wurde die Ratte mit den Schiffen nach allen Erdtheilen„ gratis und portofrei" verschickt.
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Der Mensch fördert jedoch nicht nur die Verbreitung der Thiere, er trägt mit ebenso großer Mächt und ebenso reichen Mitteln auch zu ihrer Vernichtung bei. Als fleischverzehrendes West sucht er eine Menge bei. Als fleischverzehrendes West sucht er eine Menge der verschiedenartigsten Thiere zu erbeuten. Speisekarte der Menschheit ist äußerst mannigfaltig. Durch Kraft und List wußte er von jeher seiner Beute habhaft zu werden, in der Gegenwart er= leichtern ihm furchtbar wirkende Waffen, sowie sinnreich konstruirte Fanggeräthe aller Art die Gewinnung reich konstruirte Fanggeräthe aller Art die Gewinnung seiner Beute. Die Versorgung der Menschheit mit Fleisch kostet jährlich ungezählten Millionen von Thieren das Leben. Alle diese Wesen würden sich ohne den Menschen, der ihnen bei weitem der grimmigſte Feind ist, weit besser entwickeln, als sie es jetzt können. Ohne Zweifel hat der Mensch schon in den ältesten Zeiten Thiere durch seine stete schommgslose Verfolgung ausgerottet. In geschichtlich nachweisbarer Zeit ist dies mehrfach der Fall gewesen. So ist der Ur, der früher in Nordeuropa häufig war, seit mehreren Jahrhunderten vollständig ausgestorben. Dasselbe Schicksal widerfuhr in neuerer Zeit auch der Dronte, einem großen, durch seine Eier und sein Fleisch sehr niiglichen Vogel der Insel Mauritius , der besonders von den dort lebenden Europäern er= barmungslos verfolgt und zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts ausgerottet wurde. In diesem Jahr
hundert verschwand der Niesen- Alt, ein großer Vogel der nordischen Länder aus gleicher Ursache für immer von der Erde. Andere sehr stattliche und sehr niizliche Thiere sind im Aussterben begriffen. So wird dem amerikanischen Büffel, der früher in ganz Nord amerika heimisch war, infolge einer unvernünftigen Vernichtungsjagd in kurzer Zeit die legte Stunde geschlagen haben. Auch sein europäischer Better, der Wisent, der früher überall in Mitteleuropa zu finden war, führt jezt im Kaukasus und im Walde von Bialowicza in Litthauen ein fümmerliches Dasein.
Je mehr sich die Kultur ausbreitet, umso mehr entzieht der Mensch auch den Thieren, natürlich mit Ausnahme derer, die er geflissentlich schont, den Plaz und die Möglichkeit ihrer Verbreitung. Jedes Stück Wald, das in Ackerboden verwandelt wird, drängt Rehe, Hirsche, Füchse und andere Waldthiere zurück. Jeder Quadratmeter Landes, der als Bauterrain benutzt wird, entzieht der im Freien lebenden Thierwelt neuen Boden. Es kann daher geradezu als ein Maß für die Kulturhöhe eines Landes betrachtet werden, ob und in welcher Anzahl ein bestimmtes Thier in ihm noch vorhanden ist. Die Geschichte des Elenthieres, dieses alten Riesenhirsches, ist in dieser Beziehung sehr lehrreich. Kurz vor Beginn unserer Zeitrechnung, zu Cäsar's Zeit, war das Elen in Gallien und Deutschland , und wohl überhaupt in ganz Europa , mit Ausnahme der südlichen Halbinseln, sehr verbreitet. In Gallien , dem Lande, das nach jenen Halbinseln am frühesten einen fulturellen Höhepunkt erreichte, starb das Thier bereits im zweiten Jahrhundert aus. Im westlichen Deutschland ging es erst im zwölften Jahrhundert unter, nachdem man vergeblich strenge Jagdverordnungen zu seinem Schuße erlassen hatten. In Osts deutschland wird das Elen noch im Jahre 1488 als ein ziemlich verbreitetes Thier erwähnt. Erst im vorigen Jahrhundert starben die Elenthiere in Baiern und Sachsen , 1776 auch in Schlesien , dann auch in Pommern und in Ungarn aus. Die Provinzen Ost- und Westpreußen waren damals die eigentliche Heimath des Elenthieres; hier fühlte es sich wohl. 1795 verschwand es auch aus Westpreußen . In Ostpreußen wurde es nun zwar auch seltener, be sonders seit 1848, wo die Jagd auch Bürgerlichen eingeräumt wurde, aber ganz ausgestorben ist es hier auch heute noch nicht. Allerdings wird es hier in einigen Forsten direkt gehegt. Einige gute Jagdgebiete des Elen sollen noch in Standinavien vorhanden sein. Die Heimstätte des Glenthieres ist aber gegenwärtig Rußland , wo es thatsächlich blüht und gedeiht. Und wenn es für dieses Land auch nicht gerade sehr schmeichelhaft ist, so ist es doch wahr, daß das Elen in Rußland seinen Verbreitungsbezirk immer mehr ausdehnt.
Der Kultur müssen vor Allem aber auch die Thiere weichen, die dem Menschen selbst gefährlich find. Bären und Wölfe sind daher in den hochkultivirten Ländern längst ausgerottet. Auch dem Löwen und manchem anderen gewaltigen Thiere steht der Untergang in nicht allzu ferner Zeit bevor. Die Vernichtung schädlicher Thiere wird heutzutage bereits in vielen Gegenden systematisch betrieben. Auf den Fang von Kreuzottern ist fast überall ein Preis gesetzt. Für die Vernichtung der Reblaus bestehen in fast allen Weinbau treibenden Ländern bestimmte Verordnungen. Wie bei der Verbreitung nüßlicher, so wirken auch bei der Ausrottung schädlicher Thiere öffentliche Belehrungen. Den Maifäfern, verschiedenen Obst- und Forstschädlingen wird systematisch mit den Mitteln, die Wissenschaft und Technik an die Hand geben, zu Leibe gegangen. Und dabei hat der Mensch eigentlich erst in diesem Jahrhundert angefangen, sich eine wirklich reale, von der That sächlichkeit ausgehende Wissenschaft zu erringen und damit eine höhere Herrschaft über die Natur zu bes fommen. Es steht aber zu erwarten, daß gerade von jezt an die Macht des Menschen stetig steigt und damit auch sein Einfluß über die Thierwelt, seine Fähigkeit, die Verhältnisse der Thiere nach seinem Willen und Nutzen zu regeln, unaufhörlich wächst.
( Schluß folgt.)