52

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

etwas zustoßen. Laß uns darum immer recht ver­träglich sein, damit wir einmal nicht im Groll aus­einander gehen. Oft hab' ich geringfügiger Dinge wegen gezankt; vergiß das, Martha, um Hausens willen. An ihn will ich denken, wenn ich wieder einmal zornig bin."

"

Wie Du nur redest," entgegnete die Mutter, Du bist ja immer so gut, und zanftest Du ja ein Mal, so war ja Ursache genug dazu vorhanden."

"

Ich bin wenig daheim, erziehe Du die Kinder in Ehrfurcht vor den Eltern. Hab' Acht, daß der Große tüchtig lernt, er soll einmal etwas Besseres werden als sein Vater ist. Sorge auch, daß die Kinder nicht allzuviel mit denen drüben überm Flur verkehren: der Mann gehört zur Umsturzpartei, und Du weißt, schon der Verkehr mit solchen Leuten genügt für einen Beamten, ihm jedes Vorwärts­fommen unmöglich zu machen. Als wir in diese Wohnung eben eingezogen waren, ließ mich der Post­direktor in sein Zimmer kommen und fragte: Wie fommit es, daß Sie gerade da Wohnung genommen haben? Wußten Sie nicht, daß der Hausbesizer der Umsturzpartei angehört? Als ich ihm der Wahr­heit gemäß geantwortet hatte, eine gleich große Woh­ung hätte ich in jedem anderen Hause viel theuerer

Sarge , die Hand wie zum Schwur auf des Kindes Haupt gelegt. Nun streichelte er des Kindes blonden Lockenkopf und sagte: Nicht einmal so viel Zeit läßt mir der Dienst, daß ich Dich begraben kann, armer Hans! Doch wir werden wieder Vorgesezte haben, die menschlicher fühlen!... Komm her, Martha! Ich habe Dir gesagt, daß unser Großer nicht mit Jenen drüben verkehren soll; jetzt bitte ich Dich, laß ihn recht oft hinübergehen, nur auf der Seite Jener, der Armen und Unterdrückten, lernt er Menschlichkeit."

Sie reichten über'm Sarge einander die Hände. Lehmann nahm seine Tasche und ging. Auf dem Hausflur trat ihm der Hauswirth entgegen, an dem Lehmann sonst eilend vorbeigegangen war; jezt blieb er stehen und gab ihm die Hand.

"

Ein schwerer Verlust," sagte Kurz mit mitleids­vollem Blick, und Sie wollen zum Dienst?" Muß," entgegnete Lehmann, drückte Kurz noch­mals die Hand und ging..

"

und das ist auch heute noch die hergebrachte Meinung. Es darf aber jetzt als festgestellt gelten, daß der Antheil der ägyptischen Schrift an der Entstehung der phönizischen im äußersten Falle nur ganz gering­fügig war. Als die eigentliche Urahne unserer Schrift muß Schrift muß und damit behält Plinius mit seiner Eingangs zitirten Meinung Recht die babylonisch­assyrische Keilschrift gelten, wie sie bei den Völkern Mesopotamiens im Gebrauch war. Die Betrachtung dieser Schrift ist auch schon deshalb lohnender, weil ihr Entwickelungsgang jezt lückenlos bekannt ist, was mit den Hieroglyphen keineswegs der Fall ist.

-

Das heute allgemein unter dem Namen Keil schrift bekannte Schriftsystem, als dessen bezeichnende und unterscheidende Eigenthümlichkeit Jedem, der solche Inschriften in Museen oder im Bilde betrachtet hat, die keilförmige Gestalt der Zeichenelemente erscheint, wonach es benannt ist, dieses System war ursprünglich eine hieroglyphische, eine Bilderschrift. Den assyrischen und babylonischen Gelehrten war

Wieder Einer gewonnen," sagte Kurz, ihm dieser Ursprung ihrer Schrift übrigens sehr wohl nachblickend.

bekannt; sie veröffentlichten Tafeln, auf denen sie die modernen Formen der Zeichen und die außer Gebrauch gekommenen hieroglyphischen einander gegenüberstellten. Im Uebrigen ist schon auf den

bezahlen müſſen, fuhr er mich barsch an: Ach was, Die Entstehung der Schrift. ältesten Inſchriften, die uns erhalten sind, von rund

solche Ausreden gelten nicht! Merken Sie sich, staat­liche Gelder sind nicht dazu da, solche Leute auf direktem oder indirektem Wege zu unterstützen.""

" 1

Troß alledem," behauptete nun die Mutter, ,, sind die Kurzens doch recht hilfreiche und rücksichts­volle Leute: Als Kurz hörte, daß unser Hans frant sei, nahm er von der Hausthür die laut schallende Klingel ab, und als Hans gestorben war, ging Kurz und bestellte einen Sarg."

Ich aber bin Beamter des Staates, den er und seine Partei vernichten wollen. Weß Brot ich Weß Brot ich esse, deß Lied ich singe, sagt ein Sprüchwort; ein Sprichwort, das allen Beamten eine mehr oder minder bewußte Richtschnur und Lebensregel ist."

Darauf folgte längeres Stillschweigen, nur die Uhr an der Wand machte ihr einförmiges Tick- Tack, und der Wind heulte in der Esse.

,, Wann soll Haus begraben werden, Martha?" fragte der Vater endlich.

" Morgen Nachmittag um drei Uhr."

" Dann werde ich den Herrn Postdirektor bitten, daß ich morgen für Schröter die Post im Abendzug begleite, und Schröter fann an meiner Stelle den Mittagszug fahren."

*

*

,, Hast Du für den Nachmittag Urlaub bekommen?" fragte die Mutter am anderen Morgen den heim­kehrenden Vater. Er schüttelte mit dem Kopfe.

"

Der Hans ist gestorben als ich fern war, und nicht einmal begraben kann ich ihn, weil der Dienst mich wieder fortruft. Ich kam zum Postdirektor und meldete, daß mir ein Kind gestorben sei., Gehen Sie hinüber in die Kanzlei und melden Sie's dem Sekretär, damit er ihre Aften berichtigt. Als ich nun noch zögernd dastand, fragte er scharf: Wollen Sie noch etwas? Herr Postdirektor, sag' ich, ich bitte gehorsanist, mich während des Nachmittags dienstfrei zu machen, damit ich meinen Kleinen be­graben kann. Das geht nicht,' antwortet er,, wo soll ich in so kurzer Zeit einen Vertreter hernehmen?" Es würde sich ja leicht machen lassen, Herr Post­direktor, sag' ich in bittendem Tone, indem Schröter und ich die Diensttouren tauschen. Es geht nicht, sagte ich Ihnen schon. Wie viele Kinder haben Sie noch? Noch vier, sag' ich. Na, da seien Sie doch froh, daß Ihnen eins gestorben ist. Ich entfernte mich, ohne noch ein Wort gesagt zu haben."

Lehmann ging an seiner Frau vorüber, hinaus in's Kämmerchen und klinkte die Thür hinter sich

Durch das offenstehende Fenster drang vom Hofe her frohes Geschrei sich schneeballender Kinder. Er kniete an Hansens Sarg nieder, barg sein Haupt in den Kissen am Gesichte des Kindes und weinte bitterlich.

Als die Mutter eine halbe Stunde später die Thür leise öffnete, um dem Vater zu sagen, daß seine Fahrertasche gepackt, daß es Zeit sei, zum Bahnhof zu gehen, stand er aufrecht neben dem

Von A. Demmer.

en der ,, Naturgeschichte" des alten römischen Gelehrten Plinius lautet eine interessante

"

Stelle: Ich habe noch immer die Ansicht, daß die Buchstaben auf assyrischen Ursprung zurück­gehen; aber Einige, wie Gellius, wollen, sie seien bei den Aegyptern von dem Gott Merkur, Andere, sie seien von den Syrern erfunden worden." In diesen Worten sind alle Vorstellungen über die Ent­stehung unseres Alphabets, die bei den Alten vor­handen waren, wiedergegeben. Die Meinung, die Plinius anführt, daß der Gott Merkur die Buch­staben geschaffen habe, deutet die dem sogenannten gesunden Menschenverstande am nächsten liegende Ansicht an, daß das unschäßbare Kulturwerkzeug, als das die Buchstabenschrift sich darstellt, die unver= mittelte Erfindung eines genialen Kopfes sei. Ein paar Worte genügen, das Irrige dieser Meinung zu zeigen. In der lebendigen Sprache giebt es nur Worte im Zusammenhange der Rede, also immer uur Lautkomplexe, dagegen keineswegs Einzellaute. Vielmehr ist der Einzellaut, wie er durch den Buchstaben dargestellt wird, eine von den großen Abstraktionen, die der menschliche Geist zu Wege gebracht hat, eine Abstraktion, die auch dem größten Genie chne eine vorausgehende Entwickelung von großer Dauer auszudenken unmöglich wäre. In Wirklichkeit hat sich die Sache so vollzogen, daß unsere Schrift das Ergebniß eines Jahrtausende währenden langsamen historischen Entwickelungs­prozesses ist, der von dem Allereinfachsten und Gegen­ständlichsten ausgehend ganz allmälig zur Auf­stellung von Lantzeichen fortschritt. Und darin liegt stellung von Lautzeichen fortschritt. Und darin liegt eben das Interesse der Geschichte der Schrift, daß in ihr ein gut Stick der Geschichte des menschlichen Denfvermögens, des Fortschritts des Menschengeistes vom Konkreten zum Abstrakten, illustrirt ist.

Welches von den zahlreichen unabhängig von einander entstandenen Schriftsystemen der verschiedenen einander entstandenen Schriftsystemen der verschiedenen Kontinente für uns am interessantesten ist, leuchtet Kontinente für uns am interessantesten ist, leuchtet leicht ein: naturgemäß dasjenige, auf welches unsere eigene Schrift sich zurückführt. Es ist allgemein Es ist allgemein bekannt, daß unsere Schrift auf die griechische zurückgeht. Ebenso ist sicher, daß die griechische Schrift ein Kind der phönizischen ist. Diese That­sache war einmal den alten Griechen noch sehr wohl bekannt, sie erhellt weiter aus der Identität der älteren griechischen und der phönizischen Zeichen und endlich daraus, daß die Buchstabenbezeichnungen der Griechen die nämlichen wie die der Phönizier sind; griechisch: alpha, beta, gamma, delta

-

phönizisch

( hebräisch): aleph, beth, gimel, daleth usw. Worauf dagegen diese Mutter sämmtlicher europäischen Al ha­bete, die phönizische Schrift, sich zurückführt, ist weniger unbestritten. Die Auskunft der Alten lautete im Allgemeinen auf die ägyptischen Hieroglyphen,

4000 vor Christo, die Gestalt der Bilder sehr abgeschliffen, so daß sie zum Theil nur schwer zu erkennen sind. Und andererseits hat sich schon der Charakter einer Bilderschrift im engsten Sinne des Wortes verloren. Wortes verloren. Eine solche hat man ganz rein bei Indianerstämmen Nordamerikas gefunden, die einen bestimmten Vorgang zum Zweck der Mittheilung auf ein Stück Rinde einfach roh himmalen. Darüber ist nun die mesopotamische Schrift auch in ihrer ältesten Gestalt schon hinaus. Wörter für belebte Wesen und für bestimmte Dinge haben schon ihre festen Zeichen, die dann für entsprechende Zeit- und Eigenschaftswörter gebraucht werden, also schon eine ganze Masse Abstraktion.

"

"

Die Sprache, der das System ursprünglich diente, war feine semitische, sondern die des uralten Kultur volkes der Sumerier. In dieser Sprache hieß der Stern mul. Das entsprechende Zeichen stellte einen Stern dar, wurde dann aber weiter gebraucht für an, Himmel, und dingir, Gott . Weiter gewann man Zeichen, indem man einen Begriff, für den keine direkte Abbildung oder Vergegenständlichung möglich war, in Elemente zerlegte, für die man Zeichen besaß, und diese Zeichen dann kombinirte. So entstand aus der Verbindung von Mund" und Brot" ein Zeichen für essen"," Mund" und " Wasser" gaben zusammen trinken"," Einhegung" und doppeltgesettes Nind" wurden Heerde ", " Wasser" und Himmel" zusammen Regen", Wasser" und" Auge"" Thräne". Das Bild des Wassertropfens diente auch zum Ausdruck für Sameit­zeugen, Erzeuger, Erzeugter. Das Auge bedeutete auch sehen usw. Die Sonne bezeichnete auch hell Ein Zeichen fiir sein, glänzen, Licht, Tag usw. man, Tag" Monat erhielt man, indem man Tag" mit dreißig' verband. Vergleicht man dieses System mit dem oben erwähnten indianischer Stämme, so ist ein gewaltiger Fortschritt und eine Masse von Denkarbeit unverkennbar; aber wie plump war doch diese Schrift noch: sie war nicht nur bei ihren etwa 500 Ideo­grammen( Begriffszeichen) sehr arm, sondern auch vieldeutig. Vor Allem waren von Lautschrift noch nicht die ersten Anfänge vorhanden. Da erfolgte nun ein bedeutsamer Schritt nach vorwärts.

"

Vom persischen Meere her brachen etwa zu Anfang des vierten Jahrtausends vor Christo die semitischen Babylonier über das kultivirte Volt des Zweistrom landes herein, unterwarfen es und machten sich, wie die sonstigen Zivilisationselemente, so auch die Schrift der Sumerier zu eigen. Sie übernahmen die sumerischen Zeichen einfach und sprachen sie dann semitisch aus. Um ein Beispiel zu geben: das Zeichen Stern" wurde von den Babyloniern aus gesprochen nicht mehr wie bei den Sumeriern mul, an oder dingir, sondern kakkabu, schami oder ilu, welches die babylonischen Worte für Stern, Himmel, Gott sind. Damit aber konnten die Babylonier auf die Dauer nicht reichen. Einmal war nach wie vor