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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Eins nur ärgerte ihn: daß er Frau Mißing versprochen hatte, ihren Sohn zu beschäftigen. Sie hatte doch garnichts dafür zu thun brauchen.

Und als Paul erzählte, daß er verführt worden sei, glaubte er es schließlich auch selbst. Oh, er hatte seinen Jungen gut erzogen! Der log nicht

und betrog nicht. Nur diese schlechte Gesellschaft war an Allem schuld. Sein Sohn war so unschuldig... Als er am Abend später als sonst aus seinem Geschäft kam, da er die durch das Herumlaufen versäumte Zeit wieder hereinbringen wollte, gingen zwei junge Leute vor ihm her. An der Stimme

des Einen erkannte er seinen Sohn. Der sagte lachend: Ja, und meine Alten sind auch wirklich auf den Leim gegangen. Die waren froh, daß sie mich wieder hatten. Wenn sie wiißten, daß ich den Brief nur geschrieben habe, damit sie vor lauter Angst und Freude nicht nach dem Gelde fragen!..."

In einer großen Stadt.

Es treibt vorüber mir im Meer der Stadt

Bald Der, bald Jener, Einer nach dem Andern.

Ein Blick in's Ruge, und vorüber schon. Der Drgeldreher dreht sein Tied.

Es fropff vorüber mir in's Meer des Dichts Bald Der, bald Jener, Einer nach dem Andern. Ein Blick auf seinen Sarg, vorüber schon.

Der Drgeldreher dreht sein Lied.

Es schwimmt ein Leichenzug im Meer der Stadt. Duerweg die Menschen, Einer nach dem Andern. Ein Blick auf meinen Sarg, vorüber schon. Der Drgeldreher dreht sein Lied.

Detlev von Liliencron  .

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Der Hermes des Praxiteles. In der Geschichte der bildenden Kunst nimmt die Kunst der alten Griechen eine besondere Stellung ein. In ihrer Blüthezeit ist sie zu Höhen gekommen, die nach ihr in ihrer Art nie wieder er­reicht wurden; und nachdem sie in den Anfängen Einflüsse der altorientalischen Kunst in sich aufgenommen und über­wunden hatte, vollzog sich ihre Entwickelung so völlig in sich abgeschlossen und folgerichtig, wie dies in keiner späteren Epoche mehr möglich war sie selbst hat es verhindert, da die Künstler sich ihrem Banne nicht mehr entziehen konnten. Am reinsten hat sich die griechische Plastik entfaltet. Glied schließt sich in ihr an Glied; jedes einzelne Bildwerk sezt alle früheren Stufen voraus, in jedem erscheint die Arbeit von Generationen. Am besten erhellt dies aus dem Beispiel des Werkes, dessen Abbildung wir heute bringen: dem Hermes des Prariteles. Es ist die einzige von diesem Künstler im Original erhaltene Statue. Sie wurde bei den deutschen Aus­grabungen in Olympia im Jahre 1877 gefunden.

Prariteles, der in den Jahren 370 bis 330 v. Chr. meist zu Athen   thätig war, gehört mit seiner Kunst einer Zeit an, in der das, griechische Volk die Höhepunkte feiner Entfaltung schon überschritten hatte. Die Epoche zwischen den Perserkriegen und den Peloponnesischen Striege war vorüber, die politische Vormachtstellung, die die Athener   bis dahin in Griechenland   besessen, verloren. Mit ihr war der hohe Schwung des athenischen Geistes­lebens, der in der strengen Kunst des Phidias  , in den Tragödien des Aeschylos   und Sophokles   lebte, dahin­gegangen, die verfeinerte Bildung des athenischen Bürgers hatte ihr Gefallen an einer anmuthigen, sinnenfrohen Schönheit. Prayiteles ist in der Plastik der Künstler dieser Uebergangszeit, seine Hermes- Statue ihre heute noch unmittelbar zugängliche Verkörperung. Es ist allerdings zu bemerken, daß sie so unversehrt, wie es nach unserer Abbildung scheinen könnte, nicht auf uns gekommen ist. Die Nisse an beiden Knieen und an den Armen, ebenso die Risse auf dem Körper des Kindes zeigen an, wo sie Schaden gelitten hatte. Der Knabe konnte noch aus den Bruchstücken wieder zusammengesetzt werden, der erhobene Arm mit der Traube und die Unterschenkel und Füße sind von F. Schaper ergänzt; im Allgemeinen wohl richtig, nur streitet man darüber, ob Hermes eine Traube oder ein Kinderspielzeug, eine Klapper, in der Hand ge= halten habe.

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Das Motiv ist leicht zu verstehen: Hermes hält den Dionysosknaben auf dem linken Arme; um sich die Last zu erleichtern, stüßt er sich mit dem unteren Arm auf einen Baumstumpf. Ein langes, faltenreiches Gewand ist über den Arm geschlagen und verdeckt so den Baum, die Stüße. Das Kind hält sich mit der Rechten an der Schulter des Gottes und streckt die Linke verlangend nach dem Dinge der Traube oder der Klapper aus, das der Gott emporhebt. Hermes beschäftigt sich zwar äußerlich mit dem Kinde seine Handbewegung scheint ja zu sagen, daß er es necken wolle er ist aber in seinem Geiste nicht bei ihm. In Sinnen ber­loren steht er da, sein Blick geht in die Ferne, und ein Schatten von einem Lächeln gleitet über seine jugendlich schönen Züge. Leicht, völlig ungezwungen ist seine Haltung.

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Es war die Arbeit von mehreren Künstlergenera­tionen nöthig, ehe diese Freiheit in der ruhigen Be­wegung gewonnen wurde, und man kann ihre Ent­

Feuilleton.

wickelung Schritt für Schritt verfolgen. Die ältesten Statuen, die uns erhalten sind, sind Darstellungen von Jünglingen, meist Apollo genannt. Sie zeigen eine steife Haltung, die Arme fallen gerade herab und sind eng dem Körper angeschlossen, die geraden Beine sind nur ganz wenig voneinander getrennt, das linke etwas vorgesetzt. In der weiteren Entwickelung werden die Glieder gelöst. Die Arme werden beschäftigt, die eine Hand trägt z. B. einen Speer über der Schulter, die Beine sind stärker auseinander gesetzt, und die Last des Körpers ist nicht mehr gleichmäßig auf beide ver= theilt, sondern man unterscheidet ein" Standbein", auf dem der Körper balancirt, und ein Spielbein", das ihm als leichte Stüße dient. So steht der Hermes des Prariteles auf dem rechten Standbein, während das linke leicht gebeugt und frei bewegt ist. Prariteles aber fügte noch ein neues Motiv hinzu: er ließ den Körper sich anlehnen und gab ihm so einen zweiten Stüßpunkt. Der Hermes stützt sich mit dem linken Ellenbogen auf den Baumstamm, sein ganzer Oberkörper neigt sich leicht auf diese Seite hinüber. So tritt die rechte Hüfte in einer leisen Rundung hervor, ein für Prariteles charakteristisches Motiv. Und um dieser Bewegung des Oberkörpers ein Gegengewicht zu geben, ist das Haupt wieder zur rechten Schulter geneigt; dazu ist der rechte Arm erhoben und somit stark betont. Die ganze Haltung bekommt in dieser Gestaltung einen leichten, graziösen Schwung.

Der unnachahmliche Neiz dieser Bewegung wird durch die Durchführung im Einzelnen nur noch verstärkt. Ueberall sind weiche, fließende Linien, die Konturen sind in einer wunderbaren Harmonie gegeneinander geführt, die das Auge empfindet, wenn es an ihnen hinabgleitet. Von derselben Wirkung ist die Modellirung des Körpers. Obwohl von lebhaftem Muskelspiel belebt, zeigt er nirgend eine Härte. Es ist bezeichnend, daß Prariteles von der vor ihm für freistehende Figuren fast aus= schließlich verwendeten Bronze zum Marmor überging; er verstand es, in diesem Material eine Weichheit in der Behandlung der Haut zu erzielen, die jede Negung unter der Oberfläche des Körpers lebendig widerspiegelt. Nebenbei sei bemerkt, daß die wagerechte Stüße, die von dem oberen Ende des Baumstammes zu dem Körper hinübergeführt ist, um dem Körper rein technisch einen festen Halt zu geben, und die heute etwas befremdlich erscheint, die Griechen nicht im mindesten gestört hat.

Die Statuen des Prariteles waren, wie die der Griechen überhaupt, bemalt, meist nicht von dem Künstler selbst, sondern von einem ihm befreundeten Maler Nifias. Wir können heute die Art der Bemalung nicht mehr erkennen, nur so viel geht aus einzelnen Nesten hervor, daß sie durchaus nicht naturalistisch war und das natürliche Aussehen des Menschen wiederzugeben suchte. Sie ging vielmehr auf eine rein malerische, ziemlich fräftige Farbenwirkung aus.

Auf malerische Wirkung ist auch die Statue sonst in einigen Zügen berechnet. Es ist nicht mehr die herbe, im eigentlichsten Sinne plastisch gedachte Kunst der ersten Blüthe, des Phidias   und seiner Schule. Diese fand in der vollendeten Durchführung des Bewegungsmotivs, in der Gestaltung edler Linien ihr Genüge. Den Statuen des Praxiteles ist ein Moment beigegeben, das sie in eine bestimmte Gegend hineinversetzt, ihnen einen gewissen Hintergrund verleiht. Beim Hermes ist es der Baum­stamm: man denkt sich, daß der Gott mit dem Knaben auf dem Arm durch den Wald einhergeschritten fam, unter dem Eindruck eines Gedankens stehen bleibend, sich an den Baum gelehnt hat. Dieser Ausdruck des träumerischen Sinnens, der stillen, von allem Lauten und Heftigen sich abwendenden Anmuth ist es, den Prariteles immer wieder in seinen Bildwerken getroffen hat, in dem zugleich das stille Wesen des Künstlers selbst sich verkörpert.

Der Hermes des Prariteles ist eines jener Werke, in denen eine Richtung der Kunst, die auf formaler Schönheit beruhende, zu ihrer höchsten Entfaltung ge= langt ist.

Die Entstehung der Flußinseln behandelt nach einem Bericht des Globus" K. Frauenfelder in einer Dissertation: Selbst wissenschaftliche Abhandlungen, welche von der Bildung der Flußbetten berichten, pflegen fich bei der Entstehung der Flußinseln nicht lange aufzuhalten, ja, es werden veraltete, unrichtige oder wenigstens nicht allgemein gültige Geseze aufgestellt, wie das, daß die meisten Inseln durch Abbruch von Landzungen im Fluß­schlauch selbst entständen. Immerhin läßt sich nach der Betrachtung von Karten in hinreichend großem Maßstabe

Berantwortlicher Rebatteur: Oscar Kühl in Charlottenburg  .

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und auf Grund von allerhand Aeußerlichkeiten eine Art Schema für die Flußinseln aufstellen; nach der Größe und Lage kann man sie eintheilen in große, rundliche, von Flußarmen uniflossene, und in kleinere, längliche, im Flußschlauch selbst liegende; nach der Bodenbeschaffenheit und Erhebung vermag man zu unterscheiden felsige, fiefige, sandige bezw. schlammige Eilande, vielleicht auch solche mit hohen und niedrigen Theilen; nach dem Be stand der Vegetation reden wir von Inseln mit Baum­wuchs, mit Weidengebüsch, Gras usw., von unbewachsenen Inseln und solchen, die gleichzeitig Theile mit und ohne Vegetation zeigen. Diese verschiedenen Gruppen können nicht auf dieselbe Art und Weise entstanden sein. Frauen­ felder   hat seinen Untersuchungen zunächst den Rhein   zu Grunde gelegt und zeigt dann, daß bei anderen Flüssen und Strömen im Allgemeinen dieselben Verhältnisse herrschen und daß nur in den Tropen noch andere Vor­gänge zur Inselbildung beitragen. Die gewonnenen Resultate find furz die folgenden: Inseln entstehen meistens durch die Ausschwämmungsthätigkeit des Wassers, sie bestehen aus Geröll, Sand oder Schlamm, oder aus allem gleichzeitig; fie fönnen einen felfigen Stern haben oder nicht; an Stelle der Geschiebe und Sedimente könne Treibholz und Pflanzenreste im Allgemeinen treten. Alle diese Gebilde unterliegen fortwährender Veränderung. Giande werden zweitens durch die ausnagende Thätig keit des Wassers gebildet. Es bilden sich Schlingen, welche durchbrochen werden, oder es trennen sich sonst Arme vom Fluß und umgeben Stücke Landes, die zu Inseln werden. Diese verändern sich auch, doch lang samer als die der ersten Gruppe. Hierher gehören auch die stehen gebliebenen felfigen und flippigen, bald größeren, bald kleineren Reſte des vom Flusse durchbrochenen Ge steines. Diese letteren verändern sich nur im Laufe großer Zeiträume. Endlich beschleunigen Dauerwinde durch Verstärkung des Wasserdruckes und des Wellens schlages in den Kontaven die Schlingenbildung, oder sie führen starke Sandmassen den Flüssen zu und bewirken so indirekt eine Inselbildung.-

Aphorismen.

( Aus Aphorismen". Von P. N. Coßmann. München   1898 bet Carl Haushalter.)

Eher hält der Mensch alle Spiegel der Welt für falsch, als daß er glaubte, er habe eine frumme Nase.

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Mancher glaubt das Volk zu kennen, der es nur dann beobachtet, wenn ihn ein Straßenereß an's Fenster ruft.

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Die schrecklichste Vorstellung für Psychiater( Irres ärzte) ist eine Welt ohne Irrfinnige.

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Zu glauben, daß Alle, welche den Mount Ewereſt für den höchsten Berg und Goethe für den größten Dichter halten, jenen bestiegen und diesen gelesen hätten, ist naiv.

Beim Besuch von Gesellschaften muß man vor Allem wissen, daß jedes Thier an einer besonderen Stelle ges streichelt sein will.

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Leute, die sich in verschiedenen Stockwerken befinden, fönnen nicht zusammen tanzen.

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Viele Lehrer bestrafen nicht, sondern rächen sich.

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Die paar Fehler, von welchen man frei ist, bei einem Anderen aufzuspüren und sich über ihr Vorkommen z entrüften, ist ein großes Vergnügen.

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Im Alter nicht ausschweifend zu sein, ist ebenso

schwer, wie beim Nachtisch Vegetarier zu sein.

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Liebe Jeden, aber die Besten nur laß es merken. Nachdruck des Inhalts verboten!

Alle für die Redaktion der Neuen Welt" bestimmten Sendungen sind nach Berlin  , SW 19,

Beuthstraße 2, zu richten.

Berlag: Hamburger Buchbruceret und Berlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg  .

Druck: Mar Babing in Berlin  .