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Die Neue A?elt> Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Jetzt, jetzt erst that er sich blau vor ihr auf, iu köstlicher satter Farbe, und auf dem leuchteudeu Blau stand in leuchtenden Buchstaben: Die Kunst und die Liebe! Ja, so sollte es sein, die Liebe und die Kunst in Einem vereint— o doppelt selig! Sie eilte auf den Gatten zu und umschloß ihn niit ihren Armen. Sie hatte so garnichts mehr von scheuer Mädchenhaftigkeit an sich; sie war ganz Weib. „Ich liebe Dich, ich liebe Dich," sagte sie mit glühenden Wangen. Ungeschickt vor Erregung, mit zitternden Fingern, löste er ihr den Kranz aus dem Haar— die braunen widerspenstigen Kräusel hatten sich zwischen die Myrthen geschlungen— und nun steckte er ihr auch den Schleier ab.„So, nun geh' und ihn' all' den Staat von Dir! Geh', geh', ich mag Dich keinen Augenblick entbehren!" Sie hüpfte fort, und er stand am Fenster, mit großen Augen in die Dämmerung blickend, und drehte den Kranz zwischen den Fingern. Was war das für ein gräßlicher Tag heute gewesen! Ihre weinende Mutter, seine weinende Schwester, Langens waren nicht erschienen, der Landgerichtsrath hatte Unab- kömmlichkeit im Amt vorgeschützt. Onkel Hermann war vollständig verstummt, und Tante Hannchen hatte heimlich einen wohlgemeinten, aber scheußlich gestickten Haussegen geschickt. Das Hochzeitsmahl im engsten Kreise war wie ein Leichenschmaus ge- Wesen; Frau Langen hatte ihre Tochter fortwährend wehmiithig angesehen, und Frau Allenstein dem Bruder wie zum ewigen Abschied unterm Tisch die Hand gedrückt. Nach und nach war eine angeknitterte, graue Stimmung über Alle gekommen; selbst Allenstein , der der Braut bis dahin allerhand Angenehmes gesagt hatte, ließ nach. Er saß gelangweilt da, die Augen dick vom Trinken, den Schnurrbart ver- drießlich herunterhängend; er war jetzt durchaus nicht der schöne Mann. Ein Glück, daß sich Doktor Reuter endlich erhoben hatte— er war der einzige Fremde— und in schwungvollen Worten das Glück des jungen Paares pries. Dabei leuchteten dem weißhaarigen Mann die Augen wie einem Jüngling, er sah Lena mit Bräutigamsblicken an und drückte Bredenhofer an seine Brust. „Kinder," sagte er, ergriffen von dem eigenen Enthusiasmus,„Kinder, Ihr seid auserwählte Sterbliche! Der Himmel der Kunst blaut über Euch, Ihr dürft darunter Hand in Hand wandeln. Ihr liebt Euch! Seid glücklich, seid glücklich! O diese Jugend, diese Jugend!" Renter war so ge- rührt, er mußte das Taschentuch an die Augen führen. Richard und Lena sahen sich mit einem langen Blick an und faßte» sich an den Händen. Ein Schleier war plötzlich vor ihnen zerrissen, die graue Stinimung verflogen. Bredenhofer sah ungeduldig nach der Uhr, es verlangte ihn, mit seinem jungen Weib allein zu sein; und als sie sich nun endlich zurückziehen konnten, thaten sie es Beide mit einer gewissen Hast, herzlicher von Reuter Abschied nehmend, als von den Ihrigen. „Der liebenswürdige Mann!" Richard sagte es' laut vor sich hin mit einer aufrichtigen Dankbarkeit, dann drehte er sich hastig um, sein Ohr hatte den leisen Schritt der Geliebten aufgefangen. Da stand sie vor ihm, der weiche Morgenrock, mit dem sie das Hochzeitskleid vertauscht hatte, gab ihren schlanken Gliedern mehr Fülle; sie hatte so etwas Frauenhaftes in Gestalt und Haltung, und echt frauenhaft war's, wie sie jetzt sagte:„Gefall' ich Dir so?" Seine Blicke leuchteten entzückt auf, er stieß einen leisen Koseruf aus und warf sich vor ihr nieder, mit beiden Armen ihren Leib umfangend. Das Gesicht drückte er in die Falten ihres Rocks; so lag er stumm, ohne sich zu rühren, das Uebermaß des Glücks raubte ihm die Sprache. Auch Lena sagte nichts; sie hob das Gesicht zum grauen, immer lichtloser und lichtloser werdenden Nachthimmel, ein Schauer von Empfindungen jagte durch ihre Seele. Jni Ileberströmen des Gefühls kamen ihr Thränen in die Augen; Gedanken, Wünsche, Hoffnungen bewegten sie tief. Ob sie glücklich werden würden? Gewiß, gewiß!
Da— oben am Himmel stand ein Stern! Er funkelte und glitzerte so nahe, fast greifbar; noch war er einsani, aber nun Zog ein zweiter auf, jetzt ftinkelteu und glitzerten sie gemeinsam. „Richard," flüsterte Lena mit fast erstickter Stimme und beugte den Kopf zu ihm herab,„sieh auf, da oben sind wir! Wir stehen hoch und lächeln auf die Welt herunter, sie kann uns nichts anhaben. Sieh nur, sieh!" Sie hob den Finger und deutete hinauf; sein Blick folgte ihrer Weisung. Im Zimmer war's dunkel, nur das helle Frauen- gesicht schimmerte in weichen, unbestimmten Umrissen. „Du mein Stern, Du mein Glück, mein Alles— Du mein— mein—" Er konnte keine Ausdrücke mehr finden. Er sprang auf und stand mit ihr, Seite an Seite gepreßt, am Fenster. Hinter dem schweigenden Park viele, viele Lichter in der Stadt und Kuppeln und Kirchthürme; unter dem dunklen Nachthimmel eine noch dunklere Wolke von Nebel, Rauch und Dunst über den Dächern. In den Straßen mochte es hasten und sich drängen, im Staub wühlen und im Koth treten— hier war es still. Man war so weit ab, so hoch erhoben über das Getriebe. Wie Vögel im sicheren Nest, so barg man sich hier im poetischen Winkel. Blumen dufteten, man hatte den Lenz im Zimmer— und im Herzen? O, da war es ewiger Frühling! Man hatte Alles die Fülle. „Lena," sagteer,„fühlst Du, wie das Köstliche vom Himmel auf uns niedersinkt? Das ist In- spiration. Jetzt weiß ich's, die Zeit ist da, iu der ich nun wirklich etwas schaffen werde, etwas, was mich selbst voll befriedigt und so die Anderen auch. Dir wird es ebenso gehen. Bis jetzt war Alles Stückwerk; aber nun— nun kommt's! Und wenn wir dann geschafft und gearbeitet haben, dann wollen wir hier ausruhen, Arm in Arm. Nichts Störendes soll in unseren Frieden dringen, kein Ton unsere Schönheitsharmonie verwirren. Sieh' mal, drüben im Botanischen Garten die alten Bäume— siehst Du, siehst Du, wie silbrig ihre Rinde durch's Dunkel schimmert? Stehen sie nicht wie Wächter und hüten unser Glück? Und die lange, lange Blauer! Sie läßt Keinen zu uns, sie sperrt sie Alle ab. O wir Glücklichen!" „Ja, wir Glücklichen!" Sie standen, sich umschlungen haltend. Jetzt knarrte die Thür, das Mädchen kam mit der Lampe herein. Grete, eine echte Berlinerin, blinzelte nach dem Paar am Fenster— waren die verliebt! Das war garnicht so ohne. Grete diente mit Vorliebe bei jungen Ehepaaren, die noch von nichts wußten, die nichts im Kopf hatten, als ihre Liebelei. Das ist für Dienstmädchen sehr vortheil- Haft. Nach dem ersten Jahr kündigte sie meistens. Sie setzte die Lampe auf den Tisch und räusperte sich stark; die Beiden am Fenster fuhren auseinander. „O!" sagte Lena, und wurde roth bis hinter die Ohren.„Ist es schon so spät?" Ihr war, als sei sie zu Hanse von der Mutter bei etwas Unrechtem ertappt worden. Daun , sich besiunend, empfand sie die ganze Bedeutung ihrer jungen Frauenwürde. „Bringen Sie uns den Thee. Und dann können Sie bald zu Bett gehen, wir brauchen Sie nicht mehr." „Das glaub' ich," dachte Grete beim Hinaus- schlüpfen,„die wollen mich gern los sein! Na, vor neune in die Klappe kriechen, das sollte mir ein- fallen! Ich gehe bei Portiers." „Ein nettes Mädchen," meinte Richard, als die Thür sich geschlossen hatte.„Allerliebst anzusehen. Und dann der sympathische Name! Ich werde sie immer.Gretchen' nennen." Er war heute in der Stimmung, Alles reizend zu finden. „Du bist ja noch im Frack," rief Lena plötzlich. Sie lachte hell auf, faßte ihren Mann an den Schul- teru und drehte ihn um die eigene Achse wie einen Kreisel.„Frack— Lackschuh— und an den Knieen weiße Flecke! Du hast den Boden abgerutscht! Haha!" Sie war ausgelassen, schüttelte die Haare, daß sie ihr wild um's Gesicht flogen, und sprang umher wie ein Kind.„Frack— haha! Lackschuh — haha!" Er schlug scherzend nach ihr. Sie rannten sich
um den Tisch nach, durch die Stube, sie entwischte zur Thür hinaus, er ihr nach; im Schlafzimmer fing er sie endlich und erstickte sie fast mit seinen Küssen. Unter tausend Possen half sie ihm aus dem Frack und in ein Hausjöppchen von braunem Sammet; sie fand das entzückend, schmeichelnd rieb sie ihre Wange daran und streichelte die schon etwas ab- geschabten Aenncl. „Du mußt zu Hause immer Sammetröcke tragen," sagte sie,„sie stehen Dir zu gut!" „Das kann ich nicht mehr." Er wurde ernster. „Dazu reichen unsere Mittel nicht." „Warum nicht?" Mit erschrockenen Augen sah sie ihn an.„Dann ist es doch wahr, was sie sagen; wir werden schlecht auskommen?" In plötzlicher Angst schlang sie die Hände ineinander, daß die Fingergelenke knackten.„Liebe Zeit, wenn das wahr wäre! Ach, siehst Du, hättest Du dem Portier vorhin nicht so unnöthig viel Geld gegeben!" Sie war blutroth geworden. Jetzt war es an ihm, sie auszulachen. Er fand sie zu komisch, zu entzückend unpraktisch. Solche Bagatelle! „Wenn'S Dir so gut gefällt, bestelle ich mir gleich morgen einen neuen Sammetrock. Du hast Recht, warum soll man nicht tragen, was einem steht? Und die Aermel sind wirklich schon recht abgeschabt." Zufrieden hing sie sich an seinen Arm.„So, nun wollen wir einmal unsere ganze Wohnung be- sehen!" Die drei Zimmer und der leere Raum, den er als Atelier benutzen wollte, wären rasch zu besich- tigen gewesen; sie brauchten lange Zeit dazu. Lena traf manch alte Bekannte. Die Mutter hatte ihr mitgegeben, was sie entbehren konnte. Da war der Tisch, an dem das Kind die Schularbeiten gemacht; da der Schrank, in dem geheiniuißvolle Weihnachts- und Geburtstagsgaben aufbewahrt gewesen; und hier der Sessel, auf dem der große Bruder oft gesessen und die kleine Schwester auf dem Knie gehalten. „Mein Bruder!" sagte Lena plötzlich und fuhr mit der Hand über das Polster. Richard sah sie etwas verwundert an; sie stand da, den Kopf gesenkt, in wehmüthiges Sinnen ver- loren, und starrte auf den alten Sessel. Das Blut stieg dem jungen Manne zu Kopf, er hatte in der letzten Zeit zu viel Unangenehmes durch den Schwager erfahren. Er hatte sich von ihn: ausfragen, be- handeln lassen müssen wie ein Schuljunge; all seine Verhältnisse mußte er klar legen, sein Soll und Haben auf den Pfennig vorrechnen. Als ob das Leben mit Lena bei einer gewissen Sparsamkeit etwa kostspieliger sein würde wie das, welches er als Junggeselle geführt? Unsinn! Eine Frau spart immer, und als Junggeselle hat man so viele Ver- pflichtungen. Langen's Briefe waren auf die Dauer immer weniger freundlich geworden; mit Aerger hatte der Bräutigam sie gelesen und zerknittert. Was half's ihm, daß der Landgerichtsrath sich verpflichtete, jährlich eine kleine Summe zum Haushalt beizusteuern; er nannte das sein Hochzeitsgeschenk für die Schwester. Ohne die paar hundert Mark würde es auch noch gehen! Lena wollte sich gerührt bedanken, der Bräutigam hatte es ihr untersagt und dem Schwager selbst seinen Dank abgestattet, kühl, ohne jede Freu- digkeit, das Schreiben wie eine lästige Pflicht be- handelnd. Langen hatte zur Hochzeit abgeschrieben. Ausflüchte, nichts wie Ausflüchte, er wollte eben nicht! „Lena," sagte Richard vorwurfsvoll,„es wundert mich, daß Du jetzt gerade an Deinen Bruder denkst, jetzt, wo alle Deine Gedanken nur bei mir sein sollten!" Als Antwort streichelte sie wieder über das Polster und legte die gefalteten Hände auf die Lehne. „Lena!" Heftig riß er ihre Hände von dort herab und ihre Gestalt an sich.„Du sollst keinen anderen Gedanken haben als niich, hörst Du?" Sie lachte ihm in's Gesicht. „Nein, lache nicht," er stampfte mit dem Fuß auf und preßte sie noch heftiger in die Arme,„es ist mir kein Spaß. Mir gehörst Du, mir allein, und daß Tu jetzt an Jemand anders denken kannst,