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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

' nen Fünfziger kann sich jeder Arbeiter die Woche sparen.' fällt hier' was ab und da' was ab, und in' nem Jahr sind' n paar Hundert Mark beisammen. Sezt Ihr's' n paar Jahre durch, so sind's' n paar Tausend Mark... Ihr könnt' n Geschäft anfangen, und auf einmal habt Ihr' n gesichertes Auskommen. Da mögen die Hezer kommen... ich sage: die Sparsamkeit hilft auch heute noch dem Arbeiter vorwärts."

Seine Stimme hatte einen weichen, biederen Klang bekommen. Er sprach als Freund seiner Leute. und Niemand widersprach ihm...

Die Lohnzahlung war beendet. Langsam ver­ließen die Arbeiterinnen das Komptoir. Auch der Buchhalter und die jungen Leute entfernten sich; Willishöfer, Vater und Sohn, waren allein.

Der Alte machte sich im Geldschrank zu schaffen, der Sohn aber las im" Confectionär" und im Dry goods Economist" mit lauter, wichtiger Stimme über das New- Yorker Geschäft in Strumpfwaaren und die schlechten Aussichten für kommende Abschlüsse. Nur wenn die deutschen Grossisten durch niedrige Preise......

Die Stadt.*

Und nun liegt Alles wieder im Schatten... Wetterwolken fehen am Himmel... grau in grau...

und hinter Werften, Kohlenspeichern und Eisen­bahnschuppen faucht die Stadt auf, im Dunst des Qualms von hundert Schlöken... schwarz, ruhig, schmukig...

die Stadt... die Holze Bwingfeste des Menschen und der Mensch der Stadt... mit seinem müden, verfurchten Gesicht... müd geworden in der gehälligen Angst um Heute und Morgen; und verfurcht von seinem Kampf um ein bischen Freude und Ruhe und Luft und Licht...

und die stille, sonnüberlachte Insel mit ihren weiten freien Höhn, mit ihrem frohen weißen Strande liegt versunken wieder in die Herne unauffindbar

wie die frühverlorene Jugend dieses Menschen.

Und doch:

*

er läutert Gold in seinen Essen und holt mił Holzen Schiffen Demant und Perlen über die Meere und schmiedet eine Krone in feinen Werkstätten... und diese Krone auf dem Haupte wird er lächelnd das Schwert abgürten einmal und als König

umjaucht von Jubelliedern

wiederfinden die verlorene Spur.

Cäsar Flaischlen .

Freie Kosaken verhöhnen ein Ultimatum des Sul­tans. Auf einem ihrer gewohnten Streifzüge sind die Kosaken in das Gebiet der Türken eingebrochen. Seit ihrem ersten Auftreten im Süden des europäischen Rußland

es fehlen genauere Daten darüber, wann dies geschehen ist- haben sie in beständigem Kampf mit den umwohnenden Völkern gelegen. Oft genug auch ging es gegen die Russen, bis sie mehr und mehr in deren Botmäßigkeit geriethen. Ein rauhes Kriegervolt, dem Kriegführen und Mordbrennen ein Lebensbedürfniß war, aber von ur­wüchsiger Wildheit und Kraft... und dem glaubte der Sultan , dessen Land sie verheerten, mit einem Papierwisch Einhalt gebieten zu können! Es war gegen Abend, das Heer hatte bereits Halt gemacht, die Zelte waren auf­geschlagen, und nun versammelten sich die Anführer, um bei Wein und Gesang ihr Gelage zu halten. Sie sind schon im besten Zuge, da wird ihnen von Boten ein Schriftstück überbracht, höchst feierlich mit dem Siegel des Sultans ausgestattet. Her mit dem Wisch! Lesen können sie's freilich nicht, aber wozu ist der Schreiber da. Und nun hören und staunen sie. Ein richtiges Ultimatum: aus der Diplomatensprache in die ihre übersetzt, hieß das, sie sollten sich zum Teufel scheeren, sonst... Ein zwerchfell­erschütterndes Lachen unterbrach die Vorlesung. Was

* Aus ,, Von Alltag und Sonne". Berlin , Fontane& Co.

Doch der Alte unterbrach ihn: Natürlich... niedrige Preise! Das wird ja alle Jahre in die Zeitungen gesetzt, damit wir nischt fordern, wenn die amerikan'schen Einkäufer kommen. Aber mir machen se nischt weiß. Die Strumpbranche kenn' ich aus dem FF und die Hauptsache is, daß wir in zwei Monaten viel Lager ha'm und Preise machen können. Wir müssen mehr und billiger produziren." Der Junge nickte. Aber wie?"

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Aber wie?" Der Alte trat an das Pult und steckte ein pfiffiges Lächeln auf. Das will ich Dir sagen. Die Konkurrenz hat die Löhne schon reduzirt. Der Loeser spart jest wöchentlich fast zweihundert Mark allein am Lohn. Nächste Woche breche ich auch ab, um zehn Prozent...' s giebt jezt Arbeiterinnen genug in der Stadt, se werden sich's schon gefallen lassen müssen. Was wir am Lohn sparen, dafür stellen wir zwei neue Maschinen auf. So schaffen wir mehr und billiger..."

Er bemerkte mit Genugthuung, wie sein Sohn seine überlegene Geschäftskenntniß bewunderte. Um ständlich schloß er den Geldschrank ab. Da brach der Junge plöglich in ein fröhliches Gelächter aus.

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Feuilleton.

mochte sich der wohl denken? Gleich die Antwort! Und nun hat Jeder einen Vorschlag, Einer übertrumpft in bos­haften Wizen immer den Anderen, der Schreiber, der selber seine größte Freude daran hat, kommt kaum mit... Das ist der Moment, den der Maler, I. Repin, in seinem Bilde festhielt. Das Spiel macht den rauhen Ge­sellen einen ungeheuren Spaß. Eine prächtige Gallerie von Charakterköpfen hat der russische Maler da zusammen­gebracht, ein Gruppenbild voll sprühenden Lebens ist ihm gelungen. Etwas weinselig ist die Gesellschaft schon. Mit den geschorenen Scheiteln, auf denen nur eine Locke" stehen geblieben, machen die verwitterten Gesichter, wie sie sich zu einem Grinsen verzerren, einen überwältigend komischen Eindruck. Alle möglichen Typen sind vertreten, von dem fast gutmüthigen Dicken, der am Tisch steht und sich die Seiten hält, bis zu den echten Spizbubengesichtern der Kerle, die sich um den Schreiber drängen. Und diese Fülle von einzelnen Gestalten, die alle sich verschieden geberden, ist zu einem einheitlichen Ganzen, zu einem Stimmungsbilde von kräftigem Humor herausgearbeitet.­

Der Volkssänger am Kaiserhof. Unter dem zweiten Kaiserreich lebte zu Paris ein viel bewunderter Volks­fänger, Darcier mit Namen. Sein scharfer Wiz, die beißende Ironie seiner Gedichte und seine ebenso revo= lutionäre wie revolutionirende Unerschrockenheit machten ihn fast zu einer politischen Größe. Die Minister des Dezembermannes und Napoleon III . selbst wußten ganz genau den Einfluß des Mannes zu schätzen, der übrigens für Bestechungsversuche gänzlich unnahbar war. In Paris fann, das ist nun einmal gallischer Geist, unter Umständen ein gelungener Wig eines populären Coupletsängers der Regierung gefährlicher werden, als ein wüthender Angriff auf der Kammertribüne.

Eines Tages äußerte die Prinzessin Mathilde, eine Verwandte Napoleon's, den bizarren Wunsch, den Sänger Darcier einmal bei einer ihrer Abendgesellschaften zu sehen. Entsezen beim Hofstaat! Und vor allen Dingen die schwierige Frage: Wird Darcier überhaupt kommen? Wird er, der beredte Anwalt der proletarischen Interessen, der wüthende Bekämpfer Badinguet's er nannte Na­ poleon nur bei diesem Spiznamen überhaupt den Fuß über die Schwelle der Tuilerien sezen? Und was soll daraus werden, wenn er in dem Salon der Prinzessin seine Pöbelverse" vorträgt, seine Revolutionslieder mit lauter Stimme singt?

Nanu...!"

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Doch der Junge lachte immerzu. Nimm's nich übel, Papa... aber ich verstehe blos nich... Die Löhne sind schon so herunter, wir kriegen's fast nich billiger. Wenn De nu noch mehr abbrichst, wie stimmt denn Das mit Deiner Spartheorie...? Wovon sollen se denn da noch sparen?"

Einen Augenblick war der Alte verblüfft; dann brach er auch in Gelächter aus. Nur klang es bei ihm nicht naiv, wie bei dem Sohne. Aber bald war er wieder ernst.

Siehste, Rudi, das is doch so: man muß den Leuten' ne Hoffnung geben. Die, die noch' ne Hoffnung haben, mit Denen läßt sich am besten auskommen. Und wenn's auch blos' n paar Pfennige sind, die Hoffnung hält se!... Kannst' s glauben, heutzutage muß' n Geschäftsmann auch mit den Arbeitern rechnen, wenn er seinen Profit machen will... Ich mach' schon noch meinen Profit."

Und leise fichernd schloß er mit seinem stehenden Geschäftswiß: Man fommt schon noch zu' was, wenn man den Leuten ein Wenig auf die Strümpe hilft!"-

scharfen Blick, wird von der Frau Prinzessin selbst den Herrschaften" vorgestellt und setzt sich dann mit größter Gemüthlichkeit an's Klavier. Er sang ein Liebeslied, herrliche Verse voll tiefen Gefühls, zu denen er eine föst liche Musik geschrieben hatte; er sang das Lied, wie er immer sang, mit unvergleichlichem Ausdruck und pracht voller Deklamation. Es war ein Triumph. Mit ber ersten Strophe hatte er sein Publikum gefesselt, mit der zweiten hatte er es, wie er sich drastisch auszudrücken pflegte, in der Tasche". Stürmischer Beifall lohnte ihn, und die Prinzessin, die nun vollkommen überzeugt war, daß sie doch eigentlich einen ganz famosen Gedanken ge habt habe, diesen Mann einzuladen, war selig.

Dann begann Darcier von Neuem. Diesmal ein politisches Couplet. Geistvolle, drohende Worte an die übermüthigen Herrschenden; mit seiner klaren, eindring lichen, vibrirenden Stimme hob der Sänger jede Nuance, jedes messerscharfe Anklagewort hervor: wenn er nichts Anderes erreichen konnte, so wollte er wenigstens dem schmarozenden Pöbel um sich her einmal die Nöthe in's Gesicht treiben. Hundertmal hatte er dies Lied vom hungernden Volke gesungen, aber nie hatte er so seine ganze Seele hineingegossen:

" Nie hemmet Ihr den Schrei des Volks, Den Ruf aus tiefer, grauser Noth: Das Volk, das Ihr geknechtet habt, Es schreit nach Brot!"

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Man kann sich den Eindruck dieser Verse auf dieje Gesellschaft ausmalen: da standen sie um ihn herum, Helden" des Staatsstreichs, da saßen sie in den Seffeln, die faulen und feilen Weiber, und hörten, was fie nod nie gehört, eine Stimme aus dem grollenden Bolte Keine Hand rührte sich zum Beifall. Nur die Prinze schwang sich zu einem verlegenen Ach, ist das schön!" auf Dem guten Darcier war das eisige Schweigen m ein Beweis dafür, wie sicher seine Hiebe gesessen hatten Wie wenn dieser Widerstand ihn noch mehr begeistert hätte, fuhr er forter improvisirte. Aber während noch sang, leerte sich der Salon: die Schranzen zogen es vor, sich zu den Weinflaschen in den benachbarten Zimmern zu flüchten- Se. Majestät hätte ja erfahren können, daß sie revolutionären Liedern gelauscht!

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Darcier hatte sehr wohl bemerkt, was sich unt abspielte; und als er plöglich inne hielt und auch noch die Prinzessin Mathilde, die bis dahin ausgeharrt hatt Schaudervoll, höchst schaudervoll für einen Hof= verschwinden sah, da stimmte er mit abscheulich quäfender

marschall. Jedoch ein Wunsch allerhöchster" Herr­schaften pflegt bekanntlich Befehl für die Schranzen zu sein. Also hieß es, tapfer in den sauren Apfel beißen. Der Herr Hofmarschall machte sich auf den Weg zu Darcier

Stimme das alte Revolutionslied an: Partout pour

la Syrie..."

Darauf erhob er sich, machte seine tiefste Verbeugung und rief in das anstoßende Zimmer hinein: Mein

und trug dem Gefürchteten in wohlgesetzter Rede sein Damen und Herren, es war mir eine große Ehre

Anliegen vor.

Darcier nahm die Einladung, ganz gegen Erwarten, ohne Zögern an und stellte eine saftige Honorarforderung, die natürlich ohne Widerrede bewilligt wurde.

" Und was, hochverehrter Meister," sagte dann der Knecht von Hofmarschall, was werden Sie vortragen?"

Ach, wissen Sie," erwiderte ihm Darcier, im All­gemeinen pflege ich zu singen, was mir gerade so paẞt."

" O, wir haben natürlich nicht die Absicht, Sie auch nur im Geringsten in der Wahl Ihres Programmis zu beeinflussen," log die Hofschranze und verschwand.

hoffentlich habe ich bald wieder einmal das Vergnügen... Mit unzähligen Bücklingen geleitete der beftürzt Hofmarschall ihn zur Thür und zu seinem Wage Wenn er aber einmal auf dieses Erlebniß zu spredje fam, dann sagte später der brave Darcier: Das wa

doch mein größter Erfolg!"

-m

Nachdruck des Juhalts verboten!

Alle für die Redaktion der Neuen Well Gesellschaftsabend bei Ihrer Kaiserlichen Hoheit der bestimmten Sendungen sind nach Berlin , SW 19

Prinzessin Mathilde. Alles in höchster Gala. Darcier tritt ein, mustert sein ungewohntes Publikum mit einem

Beuthstraße 2, zu richten.

Berantwortlicher Rebatteur: Oscar Kühl in Charlottenburg .- Berlag: Hamburger Buchbruckeret und Verlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg .

Drud: Mar Babing in Berlin .