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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Da saß Amalie in der Veranka und lernte mit ihrem Jungen biblische Geschichte. Walther hatte einen etwas harten Kopf, auch war er zerstrent; er schaufelte mit dem Stuhl und spielte mit seinen Fingern.

, Walther, so paß doch auf," sagte die Mutter sanft ,,, es ist eine so wunderschöne Geschichte." Sie standen bei der Ausweisung der Hagar . Nun, weißt Du denn nicht, was der fromme heilige Abraham that, Walther?"

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Der Junge tippelte hin und her, er schnitt ein weinerliches Gesicht. Ich weiß nicht," stotterte er endlich. Die anderen Jungens spielen draußen laß mich doch auch ich ich- ich laß mich auch!" Er heulte.

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" O, Du böser Junge," sagte Frau Amalie, aber immer im gleichen sanften Ton; es war- passend, sich bei der heiligen Schrift zu erzürnen.

Lora war an den Tisch getreten; ohne Anstoß, die Hände gefaltet, sagte sie die ganze Geschichte her.

Amalie strahlte; Langen sah mit Befremden auf sein Kind. Das runde Gesichtchen war durch den Ernst, den es trug, merkwürdig schmal geworden, die Augen übernatürlich weit.

,, die arme Hagar ," schloß Lora jezt, ihre Augen füllten sich mit Thränen. Ich wünschte, ich hätte der Engel sein können, der ihr für den Ismael was zu trinken brachte! Ich wünschte, ich wär' ein Engelchen!"

Mein liebes Kind," sagte Langen plötzlich und griff nach einer der langen seidenweichen Locken; er drehte die goldene Strähne um den Finger und spielte mit ihr. Es war ihm, als misse er die ganze kleine, leichte Gestalt an dieser goldigen Strähne festhalten. Eine unbestimmte Angst überkam ihn.

Als die Kinder fortsprangen, wandte er sich an seine Frau; es war das erste Mal, daß er in ihre Erziehungsmethode hereinsprach. Du solltest das Kind nicht geistig überanstrengen," sagte er vor­wurfsvoll. Lora ist überreizt, sie spricht und singt nur von Engeln. Wo hinaus soll das? Mir ist bange um das Kind!" Er seufzte, setzte sich nieder und stüßte den Kopf in die Hand.

Amalie sah ihn verständnißlos an. Was willst Du denn? Sie ist ja kerngesund. Pastor Dürings­feld sagte neulich, als hier Nähverein war und Lora den Kuchen präsentirte: Der Herr hat sich diese Blume recht zum Lobe hergerichtet! Das machte mich sehr glücklich. Du solltest Dich auch freuen!" Er sah sie einen Augenblick ganz verstört an. Ich?! Wenn das Kind - ich ertrige

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es nicht," murmelte er zwischen den Zähnen.

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Was Du jezt nur immer hast?" Frau Langen stieg nach und nach das Blut in's Gesicht. Immer schlechter Laune und besonders heute! Es ist wirk­lich schrecklich! Ich bin froh, daß ich heute Nach­mittag Verein habe und am Abend Vorstandssitung." Schon wieder?"

" Bitte sehr, schon wieder ist nicht richtig; vor vierzehn Tagen das letzte Mal. Und was hab' ich denn sonst weiter? Ich habe ja weiter nichts auf der Welt," setzte sie in selbstquälerischer Verbissen­heit hinzu.

,, Amalie, versündige Dich nicht!" Er war auch roth geworden, nun stand er auf und ging über den Flur, die Treppe hinan, in sein Arbeitszimmer. Dort stand er lange am Fenster.

Vom Garten herauf tönten die Stimmen der Kinder. Walther tobte ausgelassen und sprang wie ein junges Böcklein; Lora hielt sich etwas abseits. Jest tam sie langsam, fast feierlich den Gartensteig herunter; sie hatte eine gelbe Blume in der Hand und trug die vor sich her, wie man ein Licht trägt. Um den Kopf hatte sie sich eine Ranke geschlungen, die buntgefärbten Weinblätter beschatteten ihr die Augen; ihr Kleidchen war weiß und lang und hing ihr bis auf die Füße. Steif, ferzengerade kam sie daher, drehte den Kopf nicht nach rechts noch links. Die fleine, feierliche Gestalt sah unheimlich aus im Sonnenschein. Langen öffnete hastig das Fenster: ,, Lora, komm herauf!"

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Stör ' mich nicht, Vater," sagte sie, ohne eine Miene zu verändern. Im gleichen langsamen Schritt ging sie weiter.

Komm sofort herauf! Komm gleich zu mir!" Eine große Angst, eine heftige Ungeduld lag in den Worten.

Lora war diesen Ton beim Vater nicht gewöhnt, erschrocken ließ sie die gelbe Blume fallen; wenige Augenblicke später stand sie im Arbeitszimmer. Sie kam dem Vater so groß vor, im letzten halben Jahre merkwürdig gewachsen und in die Höhe geschossen; sie war noch ein so junges Kind und doch diese Augen! Seltsam bewegt sah Langen auf sie nieder. ,, Was spieltest Du eben?" fragte er.

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Todtes Kind, Väterchen," sagte sie ernsthaft. Weißt Du, ich war das Kind, das ein Engelchen geworden ist und nun zu seinen Spielsachen geht, Nachts, wenn alle Leute schlafen. Es trägt ein Licht in der Hand, damit es auch sehen kann. Dent' mal, wie Liese und Märchen sich gefreut hätten! Die liegen noch immer im Puppenwagen."

Langen schauderte bis in die tiefste Seele. Woher hatte das Kind diese überspannten Ideen? Wer hat Dir denn das von dem dem" er konnte es nicht aussprechen von dem todten", er sagte nur: von dem Kind erzählt? Die Mutter?"

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" Ich weiß es nicht?" Die unschuldige Kinder­stimme klang sehr vergnügt. Ich hab' es geträumt, Väterchen. Ich träume immer schön!"

,, Versprich mir, Lora, Du wirst das nie mehr spielen." Er schloß sie erregt, fest in seine Arme. ,, Du darfst das nicht spielen, hörst Du, Lora?"

Sie fragte nicht, warum"; sie sah ihn nur ganz groß und verwundert an.

Er ließ sie los, er tadelte sich selbst ob seiner Erregtheit- was spielen Kinder nicht Alles?! Er war nervös, er wußte es wohl; heute Morgen die Briefe aus Berlin , die er in seinem Bureau vor­fand, hatten ihn ganz frank gemacht. Die Seinen adressirten immer in's Bureau Amalie war so wißbegierig, ihrer Ansicht nach durften Mann und Frau keinerlei Geheimniß voreinander haben; sie wartete mit dem Oeffnen nicht, bis er nach Hause kam.

Mit einem Seufzer ließ sich Langen am Schreib­tisch nieder. Aus seiner Brusttasche nahm er die Briefe und legte sie vor sich hin; er mußte sie noch einmal lesen. Da war erst das Schreiben der Mutter. Sie klagte nicht; das that sie schon Lena zu Liebe nicht, und auch nicht, weil man ihr vorgewor en hatte, sie habe die Heirath begünstigt. Aber eine gewisse Unruhe, eine sorgenvolle Unsicherheit sprachen sich zwischen den Zeilen aus; der Sohn fühlte das wohl, und das bekümmerte ihn mehr, als hundert Klagen.

Aber mun Lena's Brief! Nein, den wollte er zulezt lesen, erst den ihres Mannes.

Die Nöthe des Unmuths überflog das Gesicht des Lesenden, die Hand, die den Bogen hielt, zitterte. Bredenhofer schrieb:

,, Geehrter Herr Schwager!

Bei den Gesinnungen, die Sie uns, besonders mir gegenüber hegen, ist es mir sehr peinlich ge­wesen, bis jetzt von Ihnen etwas annehmen zu missen. Diese Annahme war in der That von vornherein eine lebereilung unsererseits, wir hätten bedenken sollen, daß nur ein Geschenk Werth hat, welches freudig, aus liebevollem Herzen gegeben wird. Wir konnten uns dessen bei dem Shrigen nicht rühmen.

Es ist Lena sehr schmerzlich gewesen, Ihre Gegenwart bei unserer Hochzeit entbehren zu missen; sie sah darin einen Mangel brüderlicher Liebe für sich und eine Mißachtung für mich. Sie hat schwer an dieser bitteren Enttäuschung zu tragen gehabt, aus Liebe zu mir hat sie sie jedoch überwunden. Jetzt ist meine liebe Frau mit mir glücklich, in die Lage gekommen zu sein, Ihre fernere Beisteuer zu unserem Haushalt dankend ablehnen zu können..

Ich bedaure mur, augenblicklich noch nicht im Stande zu sein, Ihnen die gehabten Auslagen zurückzuerstatten; doch hoffe ich, auch dieses dem nächst nachzuholen.

Mit dem Wunsche besten Wohlbefindens für Sie und Ihre Familie

ergebenst

Richard Bredenhofer."

War der Mensch denn ganz verrückt, ganz ver­rückt? Langen faßte sich an den Kopf; der Brief war ja noch viel ungezogener, viel beleidigender, als er ihm anfänglich erschienen! Und so etwas sollte er sich bieten lassen, er, der so viel ältere, von dem un­reifen, griinen Menschen?! Ein unbezwinglicher Zorn erfaßte ihn; er war selten heftig, aber nun ließ er die Hand schwer auf das Papier fallen, er hätte es am liebsten zerknäult, in kleine Feßen zerrissen. Aber nein- der Landgerichtsrath lächelte bitter und geringschäßig zugleich das war ja der Brief eines Primaners, dem war nicht zu viel Werth bei­zulegen.

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Wodurch mochten sie denn in die sogenannte Lage' gekommen sein, seine Unterstützung so schnöde zurückzuweisen? Hatte der Ontel vielleicht seine milde Hand aufgethan? Das war wohl nicht der Fall; die Mutter erwähnte doch gerade in ihrem heutigen Briefe, daß das Verhältniß der jungen Leute zu ihren Verwandten ein sehr fühles sei. Wo mochte nur dieser Aufschwung der Verhältnisse herkommen? Auch Lena's Brief brachte keine Auf­flärung.

Er las den noch einmal aufmerksam. Die Schriftzüge waren flüchtig, ohne merkbare Grund­striche auf's Papier geworfen; sie war erregt ge= wesen beim Schreiben, man sah's an einigen zittrigen Haken und Schleifen und hier hier unten in der Ecke mußten Thränen auf die Buchstaben gefallen sein, sie waren verschwommen und theilweise ver löscht. O, der Bruder fühlte es wohl, wie sie sich gequält hatte, so gemessen und kalt ihre Worte zu setzen.

, Ich habe dem Briefe meines Mannes nicht viel mehr beizufiigen; ich bin gleich ihm hocherfreut, Dich nicht mehr in Anspruch nehmen zu müssen'.

, Ich danke Dir für Deine Liebe', hatte sie dann schreiben wollen, aber sorgfältig war's verändert; es hieß jezt: Ich danke Dir für Deine Bemühung, unseren Haushalt zu erleichtern', und so weiter. Zum Schluß sagte sie kurz, Adieu'. Es hatte den An­schein eines Lebewohls für immer. Das war die Stelle, welche Thränen halb verlöscht hatten.

Langen fühlte einen Grimm sondergleichen gegen den Menschen in sich aufsteigen, der dies Alles ver­anlaßt hatte; aber zugleich auch einen Grimm gegen Lena. Sie war charakterlos und bestimmbar; das war seine Schwester nicht mehr, die diese kalten herzlosen Zeilen geschrieben hatte! Sie konnte sein Geschenk zurückweisen, wenn sie in der glücklichen Lage war, es nicht mehr zu brauchen; aber so, ohne Dant, augenfällig eine lästige, drückende Abhängig keit von sich schüttelnd, durfte sie es nicht thun. Gr rief sich ihre Gestalt, ihr Wesen zurück, wie sie früher gewesen waren; dies zärtliche, schmiegsame Geschöpf hatte solche Zeilen geschrieben?!

Er schüttelte den Kopf und grübelte finster vor sich hin; es war ihm doch ein großer Schmerz. Seufzend stüßte er den Kopf in die Hand- ja, Amalie hatte so unrecht nicht, es war kein Verlaß auf Lena, sie war überspannt und ertravagant, vers dorben durch die Berliner Kreise, in denen sie lebte. Mochte sie denn eigensinnig hingehen und sich ihr Gliick selbst zurecht zimmern; er wiirde feinen Ber such mehr machen, sie au irgend etwas zu hindern. Wenn alle Liebe so schlecht gelohnt wird, dann muß man eben fertig mit der Neigung sein. Ganz fertig. Er machte mit der Hand eine Bewegung durch die Luft, als weise er etwas weit, weit von sich. wollte sein Herz verhärten.

Gr

Und doch konnte er es nicht ändern, daß er im Geiste ihre leichte Mädchengestalt an seine Seite treten sah; er glaubte ihren Stuß zu fühlen, ihr bitterliches Schluchzen zu hören, wie damals aur dem Bahnhof beim Abschied, nach der häßlichen Szene mit Amalie. Sie war auch damals störrisch) gewesen und er nachsichtig; er hatte sie leider zu sehr verwöhnt. Aber jetzt sollte das nicht mehr te: Fall sein; nein!

Mit einem Ruck griff er nach der Feder. lieblos Eigensinnig

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undankbar

Lena!" Hatte er es laut gesprochen?

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D

" An wen schreibst Du?" fragte Lora's Kinder­stimme. Sie war dicht zu ihm herangekommen,