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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Die Härchen, mit denen viele auf heißem Boden lebende Pflanzen überzogen sind, haben sehr häufig außerdem den Zweck, die Thautropfen in Mengen aufzusammeln und sie dem Inneren des Pflanzenförpers zuzuführen. Thaubildung kommt in vielen der trockensten Wüsten, selbst in der Sahara , häufig vor, da die Nächte infolge lebhafter Wärmeausstrah= lung des Sandbodens oft verhältnißmäßig fühl find und die Luft dadurch gezwungen wird, auch den mindesten Wassergehalt zum Boden niederzuschlagen. Der Than seßt sich nun auch an die Pflanze an, und natürlich wird es für diese von großem Vortheil sein, möglichst viel davon zu erlangen. Je größer nun die Oberfläche einer Pflanze ist, desto mehr wird sie daran aufnehmen können. Nun sind aber breite, dinne Blätter, die am besten zur Aufnahme des Thaues geeignet wären, in der Wüsie unmöglich. So ist diesen Pflanzen denn ganz vorzüglich dadurch geholfen, daß sie lange, dünne Härchen gewissermaßen als Fangarme ausstrecken, an denen sich der Thau in reichstem Maße abseßen fann. So erfrischen sich denn diese Pflanzen am Morgen und sind dann den Tag über so gestärkt, daß sie den Angriff der Sonnenstrahlen auszuhalten vermögen.
Aeußerst merkwürdig ist der Mechanismus, mit dem sich eine in dürren Salzsteppen heimische Pflanze, Reaumuria hirtella, troß der größten Sonnengluth, ja gerade mit Benutzung derselben Wasser zu ver= schaffen sucht. Ihre Blätter beneßen sich bereits im Frühling mit großen Thau perlen. Diese werden zwar von der höher steigenden und immer heißer werdenden Sonne bald aufgesogen, sie lassen indeß bei ihrer Verdunstung die Salze zurück, mit denen die Atmosphäre und dadurch auch der Wasserdampf erfüllt sind. So lagert sich denn nach und nach ein ganzer Ueberzug von Salz auf den Blättern der Pflanze ab. Salz aber ist, wie jede Hausfrau weiß, hygroskopisch, das heißt, es zieht sehr leicht Wasser an. So vermag die Pflanze mit ihrer Salzdecke jede geringfügige Feuchtigkeit aufzunehmen, die sich in der Luft befindet, vor Allem vermag sie aber dadurch auch während der heißesten Monate die Sonnengluth und den Regenmangel zu ertragen.
Die Pflanze hat nicht die Fähigkeit, Empfindungen wahrzunehmen und sich zu bewegen, wie das Thier. Sie kann deshalb nicht wie dieses vor der Sonnenhige fliehen, Schatten oder die Nähe des Wassers aufsuchen. Aber sie hat es trotz alledem im Kampfe mit der Sonne so weit gebracht, daß sie auf die Lichtreize des Tagesgestirns reagiren und Bewegungen zu ihrem Schuze gegen diesen mächtigen Feind ausführen kann. Der Sauerklee, der im Schatten unserer Wälder wächst und infolge dessen sehr weichlich und empfindlich gegen Verdunstung ist, vermag auch den geringsten Lichtstrahl, den die Sonne durch die Bäume sendet, nicht zu ertragen. Er klappt bei Sonnenschein seine Blätter derartig zusammen, daß diese längs der Mittelrippe gefaltet und zu Boden gesenkt sind. Tritt wieder Schatten ein, so gehen die Blätter in ihre normale Stellung zurück. Andere Pflanzen, deren Blätter die Poren nur an einer Seite tragen, rollen jene zu einem Zylinder zusammen, dessen Außenseite keine Spaltöffnungen trägt und deshalb durch die Sonnenstrahlen nicht zur Wasserabgabe genöthigt werden kann. Andere Pflanzen, wie die Bohnen, neigen zur Zeit der stärksten Sonnenstrahlung am Mittag ihre Blätter so herab, daß diese fast senkrecht stehen und daher nicht in ihrer vollen Ausdehnung, sondern nur von oben her vom Lichte getroffen werden. Bei verschiedenen australischen Bäumen, den Eucalyptus -, Meloleuca- und Banksia- Arten, sind die Blätter dauernd senkrecht gestellt. Diese Bäume bilden in Australien große Wälder, aber vergebens sucht der Wanderer in ihnen Schatten. Die vertikale Stellung der Blätter bringt es mit sich, daß hier die Sonne auch durch das dichteste Buschwerk bis zum Boden bringen kann.
Zu den Gewächsen mit senkrecht gestellten Blättern gehören auch die höchst eigenthümlichen Kompaß pflanzen. Ihre Blätter sind nicht nur vertikal, sondern alle zugleich nach derselben Richtung gestellt. Die eine Seite der Blattbreite zeigt nach Sonnenaufgang, die andere nach Sonnenuntergang. Auf
diese Weise werden die Pflanzen von der heißen Mittagssonne nur an den Blattkanten getroffen, während die Breitſeiten mur den weniger ausdörrenden und darum unschädlichen Lichtstrahlen am Morgen und Abend ausgesetzt sind. Diese merkwürdige Eigenschaft macht derartige Pflanzen mun geeignet, als Kompaß zu dienen, denn die Blätter behalten ihre Nichtung stets bei und geben daher auch bei trübem Wetter, wenn das Tagesgestirn versagt, über die Himmelsgegenden sichere Auskunft. Eine solche Kompaßpflanze kommt auch in den Prairien Nord amerikas vor. Es ist eine dort sehr häufige, ziemlich hohe Staude, die zur Familie der Korbblüthler gehört und der man den Namen Silphium laciniatum gehört und der man den Namen Silphium laciniatum gegeben hat. Die Jäger, die in den ungeheuren, unabsehbaren Gebieten der amerikanischen Prairien umherstreifen, haben die Eigenschaft diese Pflanze schon längst ausfindig gemacht, und sie befizen in ihr einen Kompaß, der sicherer funktionirt als mancher künstliche.
Die bisher erwähnten Pflanzen nehmen den Kampf mit der Sonne direkt auf, sie fechten ihn aus mit Waffen, die in den mannigfaltigsten, oft Höchst praktischen Einrichtungen ihres Organismus bestehen. Es giebt nun aber eine nicht unbedentende Menge von Pflanzen, die diesen Kampf gleichsam versteckt führen. Sie wachsen ebenfalls auf Steppen und in Wüsten, aber sie wissen den Sonnenbrand und der Dürre auf sehr einfache Weise aus dem Wege zu gehen. Fast in jeder Wiiste giebt es eine, wenn auch noch so kurze und so selten wiederkehrende periodische Regenzeit. Bei Beginn derselben keimen nun viele Samen, schießen womöglich in einem Tage empor, bliihen bald, und wenn der Regen vorbei ist, empor, bliihen bald, und wenn der Regen vorbei ist, reifen und trocknen ihre Samen. Und diese Samen nun liegen die ganze trockene Zeit über unbeweglich da oder werden, mit besonderen Einrichtungen ausgestattet, vom Winde überallhin gestreut. Jedenfalls überstehen diese Pflanzen in der unthätigen Form des Samenkorns mit leichter Mühe die lange Zeit der Dürre. Erst wenn der Negen wieder eintritt, regt sich die Keimkraft des Samens zu einer neuen, Kurzen Vegetation. kurzen Vegetation. In ähnlicher Weise entgehen viele mehrjährige Pflanzen der ihnen so schädlichen Gluth der Sonne. Viele Stauden der Donausteppen treiben zu Beginn des Frühjahres eiligst ihre Blätter hervor, und ebenso schnell schließen sie vor Eintritt der heißen Tage ihre Vegetation ab. Ihre welken Blätter bedecken im Sommer die Steppe, während bei Beginn des neuen kurzen Frühlings frisches Grün aus ihren Wurzeln sproẞt. Grün aus ihren Wurzeln sproßt. Echte Steppenkinder sind auch viele Zwiebel- und Knollengewächse, auch sie treiben schnell im Frühjahr empor, um bald abzusterben. Sie nähern sich aber andererseits wiederum den Gewächsen mit Wasserreservoir, indem sie ihre ganze Kraft, eine sehr große Nahrungsmenge in ihren dicken, tief in der Erde befindlichen Zwiebeln oder Knollen aufbewahren. Diese unterirdischen Speisekammern ruhen nun die gauze trockene Zeit über, vor den Sonnenstrahlen geborgen, im Boden. Im Frühjahr aber sind sie dann im Stande, die kräftigsten Triebe mit meist herrlichen, duftenden Blüthen emporzusenden. Indem sie so der Sonne aus dem Wege gehen, haben sie doppelten Vortheil. Sie brauchen ihre Straft nicht im Kampfe mit der Trockenheit auszugeben, andererseits aber vermögen sie die herrlichsten Düfte und Farbenbilder hervorzubringen, die im Frühjahr ganz besonders auffällig sind, da zu dieser Zeit noch andere Blumen fehlen. Je fiirzer aber die Vegetationszeit der Zwiebelgewächse ist, um so mehr müssen sie die zu dieser Zeit noch spärlicher vorhandenen Insekten durch die auffälligsten Lockmittel zur Befruchtung ihrer Blüthen heranzuziehen suchen. So sind denn die kurze Vegetationsdauer vieler sehr schöner, in den Steppen Sibiriens und Kleinasiens wachsender Zwiebel- und Knollengewächse, ihre herrlichen Blüthen und ihr Duft nur die Anpassungserscheinungen, die den Pflanzen dazu dienen, der ausdörrenden Wirkung der Sommersonne aus dem Wege zu gehen. der Sommersonne aus dem Wege zu gehen. Der Kampf mit der Sonne hat hier also die weitgehendsten Komplikationen hervorgerufen, er hat nicht nur eigen artige Organe erzeugt, nicht nur die Lebenszeit der Pflanzen verschoben, sondern auch ihre gesammte
Lebensweise und Lebensordnung bis in's Einzelnſte umgestaltet.
Die Pflanzen können keine bewußten Handlungen ausführen. Sie können sich also gegen ihre Feinde nicht in der Weise schüßen wie der Mensch, der mit Vorbedacht Waffen schmiedet oder Mittel zu seiner Vertheidigung ersinnt. Wenn die Pflanzen heute so gut an das Leben der Steppen und Wüsten angepaẞt sind, so konnten sie diese ihre Eigenschaften nur ganz allmälig im harten Kampfe um's Dasein erwerben. Ungezählte Jahrtausende waren nöthig, um kleine, zufällig entstandene Eigenheiten, die für die Abwehr der Sonnenstrahlen niißlich waren, allmälig zu vergrößern und zu vermehren. Ein endloses, zähes Ringen, bei dem die weniger geeigneten Pflanzen untergingen, war nöthig, um schließlich jene Mannig faltigkeit von Waffen und Einrichtungen zu erzeugen, mit denen die Pflanzen heutzutage den Kampf mit der Sonne so erfolgreich führen!
( Schluß.)
Vom Namen.
Von Thomas River.
ält man einmal an der Untrennbarkeit von Namen und Benanntem fest, so ist es nur ganz natürlich, wenn ein einmal feststehender Name nur sehr schwer aufgegeben wird. Die heiligen drei Könige sind, wie schon ihr Name sagt, drei an 3ahl; trotzdem singt Goethe in echt volksthiimlicher Weise:
Die heiligen drei Könige sind kommen allhier, Es sind ihrer drei und sind nicht ihrer vier; Und wenn zu dreien der vierte wär', So wär' ein heil'ger Dreifönig mehr.
"
Bei Zahlbegriffen ist diese Erscheinung überaus häufig. Die Legende von den sieben Schläfern hat die Bezeichnung Siebenschläfer verursacht, sogar der Ausdruck Siebenschlaf fir langen Schlaf findet sich hier und da. Seine sieben Sachen zusammensuchen heißt eben, seine wenigen Sachen zusammenfuchen; trozdem bildet man das Hauptwort Siebensachen und spricht von ein paar Siebensachen". Ebenso häufig werden gewohnte Ausdrücke auf neue Begriffe unpassend übertragen. Der Wiener nannte ein Zehnfreuzerstück ein Sechserl( ein Sechser), noch an der alten Währungsbezeichnung festhaltend; jetzt giebt es in Desterreich auch keine Streuzer mehr, sondern nur Heller; trotzdem wird jeder Wiener mit der größten Seelenruhe Sechsert" sagen, wo er ein Zwanzighellerstück meint. Ganz unbedenklich spricht der Deutsche von einer behenden Zunge, obwohl behend von Hand kommt. Die Leipziger Gewandhauskonzerte wurden in einem Hause aufgeführt, das früher als Gewandhaus verwendet worden war; trozdem aber schon ein neues Konzerthaus gebaut ist, spricht man noch immer von Gewandhauskonzerten. Mit eigentlich unzulässiger Uebertragung werden die Thirhüter in vornehmen Häusern Schweizer genannt, selbst wenn sie niemals die Schweiz gesehen oder von ihr auch nur gehört haben, weil es in früheren Jahrhunderten üblich war, Schweizer als Thirsteher zu verwenden. Keine Frau wird sagen:„ Ich jetzt Frau meines Vermögens," obwohl der Ausdruck Herr eigentlich widersinnig ist. Und in Goethe's " Faust" möchte sich Mephisto selbst dem Teufel übergeben, wenn er nicht selbst der Teufel wäre. Also auch Redensarten werden impassend übertragen; darüber macht sich ein plattdeutsches Sprichwort Inftig:„ So leb' denn wohl," sagte der Pfaff zum Dieb, der gehangen werden sollte! Es fordert den Spott heraus, an einen dem Tode Geweihten einen solchen Abschiedsgruß zu richten. Daß manche Namen zur ständigen Formel geworden, drückt sich in der Sprache dadurch aus, daß bei ihnen stets die grammatikalischen Endungen wegfallen. Man sagt ganz allgemein„ Gasthof zum Kronprinz", und nicht zum Stronprinzen. Damit deutet der Sprachgebrauch gewissermaßen an, daß er wohl zu unterscheiden verstehe zwischen Fällen, wo der Eigenname will
bin