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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Herkules umschifften und nach Egypten gelangten. Und sie sagten, was mir zwar nicht glaubwürdig erscheint, vielleicht aber sonst Jemand, daß sie bei der Umschiffung Libyens   die Sonne zur Rechten hatten." Gerade diese lezte Angabe, an die Herodot nicht glauben will, macht es, weil sie vollkommen den Thatsachen entspricht, ungemein wahrscheinlich, daß schon sechs Jahrhunderte vor Christi Phönizier Afrifa umschifft haben.

Freilich blieb diese Entdeckung ohne jede prak­tischen Folgen. Zwar weniger ausgedehnt, aber folgen reicher war eine Expedition, die die Republik   Kar­ thago   in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts vor Christi unternahm. Wir haben darüber den Originalbericht des Leiters der Expedition in griechi­scher Uebersetzung, eine unschäßbare Urkunde, die uns einen ganz einzigen Einblick in die Methode solcher antifen Expeditionen gestattet. Zu der Zeit, als die Unternehmung stattfand, zwischen 480 und 450 v. Chr., befand sich Karthago   auf der Höhe seiner Blüthe. Neben zahlreichen Kolonien an der afrikanischen Nord­tiste, auf Sizilien, Sardinien   und in Spanien   be­saß die Republik   auch einige Ansiedlungen an der atlantischen Küste Afrikas   in der Nähe der Straße von Gibralta, die aber sehr heruntergekommen waren. Um den alten Kolonien neue Ansiedler zuzuführen und weitere Niederlassungen mehr südlich zu be­gründen, schickte die Republik   einen ihrer beiden höchsten Beamten, den Suffeten( ,, Richter") Hanno ab. Er erhielt 60 Pentefonteren( offene Schiffe mit 50 Ruderern) und 30 000 Kolonisten, Männer und Frauen, an Bord.

Nachdem wir abgefahren waren," heißt es in dem Bericht, die Säulen des Herkules passirt nud außerhalb derselben zwei Tagesfahrten zurückgelegt hatten, gründeten wir die erste Stadt und nannten sie Thymiaterium( das heutige Mamura); eine große Ebene lag dabei. Dann segelten wir nach Westen und landeten bei dem libyschen Vorgebirge Soloeis ( Kap Cantin), das dicht mit Bäumen bestanden ist. Nachdem wir hier einen Tempel des Poseidon er­richtet hatten, fuhren wir einen halben Tag lang nach Osten, bis wir an einen Sumpf gelangten, der nicht weit vom Meere lag und voll langen Schilfes war; auch Elephanten und andere Thiere in großer Zahl hielten sich darin auf." Nach einer Tagfahrt hörten die Sümpfe auf, und die Flotte gelangte zu fünf alten tarthagischen Ansiedlungen, die mit neuen Ansiedlern versorgt wurden. Nach dem wir von dort abgefahren waren, famen wir an den großen Fluß Lirus( Wad Draa), der in Libyen  entspringt. An seinen Ufern weidete das Nomaden­volk der Liriten seine Heerden; da wir uns befreundet hatten, so blieben wir einige Zeit bei ihnen. Ueber dieses Volk hinaus wohnten ungaftliche Neger in einem an wilden Thieren reichen Lande, das von hohen Bergen durchschnitten ist: auf diesen Bergen soll der Lirus entspringen. In diesen Gebirgen sollen Menschen von merkwürdiger Gestalt wohnen, Troglodyten( d. h. Höhlenbewohner, wahrscheinlich Menschenaffen), von denen die Liriten behaupten, daß sie schneller laufen könnten als Pferde. Wir nahmen Dolmetscher von den Liriten und fuhren zwölf Tagereisen südwärts an der Küste vorbei, dann wieder eine Tagereise nach Osten. Dort fanden wir im Innern eines Meerbusens eine kleine Insel, fünf Stadien( ungefähr ein Kilometer) im Umfang ( die Insel Arguin in der Mündung des Rio d'Ouro); darauf legten wir eine Ansiedlung an, die wir Kerne nannten. Nach den Strecken, die wir zurückgelegt hatten, berechneten wir, daß sie Karthago   gegen überliege; denn die Fahrt von Karthago   bis zu den Säulen des Herkules und von da bis Kerne war ziemlich gleich lang. Von da kamen wir, nachdem wir durch einen großen Fluß geschifft waren Namens Chretes( den nördlichen Mündungsarm des Senegal  ), in einen See( den See Nguièr); in dem See lagen drei Inseln, die größer waren als Kerne. Nachdem wir von diesen eine Tagesfahrt gemacht hatten, famen wir in den innersten Theil des Sees, über dem sich gewaltige Berge erhoben, voll von wilden und mit Thierfellen bekleideten Menschen, die uns durch Steinwürfe am Landen verhinderten. Dann brachte uns unsere Fahrt zu einem anderen großen

und breiten Strom( dem Senegal  ), der voll Krokodile und Flußpferde war. Hier fehrten wir um und gelangten nach Kerne zurück."

Aber sie kehrten nur um, um sich frisch mit Lebensmitteln zu versehen und dann einen neuen Vorstoß nach Süden zu machen. Von dort haben wir zwölf Tagereisen nach Süden, das Land ent­lang, das allenthalben von Negern bewohnt war, die nicht auf uns warteten, sondern entflohen; ihre Sprache war auch für die Liriten, die wir bei uns hatten, unverständlich. Am lezten Tage aber legten wir bei hohen, dicht mit wohlriechenden Bäumen bewachsenen Bergen an( Kap Verde  ). Nachdem wir diese Berge in zwei Tagen umschifft hatten, gelangten wir in einen riesigen Meerbusen( die Mündung des Gambia  ), zu dessen beiden Seiten das Land eben war. Bei Nacht sahen wir dort allenthalben Feuer in einer gewissen Entfernung, bald höher, bald niedriger." Die Eingeborenen an diesem Theil der afrikanischen Küste pflegen zur Zeit der größten Trockenheit im Sommer das Gras anzuzünden, um den Boden dadurch zu verbessern, und diese Gras brände nehmen enorme Dimensionen an. Hanno's Erpedition sollte noch oft durch diese ihnen ganz räthselhafte Erscheinung geschreckt werden. Nachdem wir Wasser eingenommen hatten, fuhren wir weiter fünf Tage längs des Landes, bis wir in einen großen Busen kamen, der nach Angabe unserer Dol­metscher das Horn des Westens" genannt wurde ( der Golf von Bissao, in den sich der Nio Geba und der Rio Grande ergießen). In diesem Busen lag eine große Jusel und in der Insel eine seeartige Bai, hierin eine zweite Insel( die Insel Harang  ). Wir landeten hier und sahen bei Tag nichts als Wald, bei Nacht aber viele Feuer und vernahmen den Klang von Flöten, Becken, Pauken und lautes Geschrei. Schreck erfaßte uns, und die Seher be­fahlen, die Jusel zu verlassen. Wir fuhren schleunigst ab und schifften ein Land entlang, das von Feuer­dämpfen erfüllt war, und aus dem sich Feuerströme in das Meer ergossen. Das Land war wegen der Hize unzugänglich. Eiligst fuhren wir auch von hier schreckerfüllt ab. Nach einer Fahrt von vier Tagen sahen wir bei Nacht das Land mit Fenern angefüllt; in der Mitte war ein Feuer von bedeu­tender Höhe und größer als die anderen, das an­scheinend bis an den Himmel reichte. Dies stellte sich bei Tage als ein hoher Berg heraus, der den Namen Götterwagen" führte( Mont Sagres an der Küste von Sierra Leone  ). Nachdem wir von dort drei Tage lang an Feuerströmen vorbeigefahren waren, famen wir in einen Meerbusen, der das Horn des Südens" genannt wurde( der Golf von Sherboro). Südens" genannt wurde( der Golf von Sherboro). In seinem Juneren lag eine Insel, ähnlich jener früheren, mit einem seeartigen Einschnitt, und darin lag eine zweite Insel, voll wilder Menschen. Die große Mehrzahl waren Weiber mit behaartem Körper, welche die Dolmetscher Gorillas nannten. Als wir sie verfolgten, konnten wir die Männchen nicht ein holen, sondern sie entfamen alle, da sie über die Felsen kletterten und sich mit Steinen wehrten; da­gegen fingen wir drei Weibchen, die aber ihre Führer bissen und fragten und nicht mitgehen wollten. Wir tödteten sie, zogen ihnen die Haut ab und brachten die Felle nach Karthago  . Denn wir fuhren nicht mehr weiter, da uns die Lebensmittel ausgingen." Die Affen, die hier ganz naiv wilde Menschen ge­nannt werden, sind jedenfalls nicht mit denen identisch, die jezt Gorillas heißen, sondern vermuthlich Schim­pansen. Diese Affeninsel, von der die Karthager ihre Rückreise antreten mußten, ist das heutige Sher­boro, ungefähr 71/20 nördlich vom Aequator.

Von wunderbaren Abenteuern ist in dem Reise­bericht des karthagischen Suffeten nichts zu finden. Aber gerade in seiner schlichten Sprache macht er auf

Jeden den Eindruck ungeschminkter Wahrhaftigkeit; um so mehr ist es zu bedauern, daß wir nicht auch den Bericht über eine zweite gleichzeitig im Auftrag der Republik   Karthago   unternommene Expedition nach den atlantischen Küsten Europas   besißen, die unter der Führung des Himilko bis nach Britannien gelangte.

Die Karthager hielten Kerne, die südlichste An­siedlung, die Hanno   begründet hatte, fest und ent­

wickelten dort einen einträglichen Handel. Alle Jahre schickten sie eine ganze Flotte dorthin mit Artikeln für den Tauschhandel, bei dem sie den Eingeborenen Schmucksachen, Töpferwaaren, Wein und dergleichen lieferten und Elephantenzähne, Wolle, Thierhäute empfingen. So lagen die Anfänge einer Besiedlung der afrikanischen Westküste vor, die die Karthager zu weiteren Entdeckungen hätten führen müssen. Freilich fam es dazu nicht; die Kriege mit Rom  brachen Karthagos Macht, und als im Jahre 146 v. Chr. die reiche Handelsstadt, deren Einwohnerzahl auf 700 000 geschäßt wurde, der unerbittlichen Feindschaft der Römer zum Opfer fiel und in einem Flammenmeer endigte, da gingen gleichzeitig auch alle Keime zukünftiger Entdeckungen im Atlantischen Ozean für Jahrhunderte zu Grunde. Denn die Römer, wie sie überhaupt kein eigentlich seefahrendes Volk waren, hatten nun vollends eine unüberwind­liche Abneigung, sich in den Ozean hinauszuwagen.

Und so vollständig hörte jede Verbindung mit den Küsten auf, die von den Karthagern einstmals betreten worden waren, daß sie am Ausgang des Mittelalters noch einmal ganz von Neuem entdeckt werden mußten.

Die Konfektionsstoff- Fabrikation.

( Schluß.)

Von Arno Hirsch.

ar bisher nur die Rede von der technischen Seite dieser Fabrikation, so soll in Nach­stehendem auch die kaufmännische und so­ziale Seite derselben beleuchtet werden. Beide zeigen uns sehr interessante Bilder, indem sich hier noch Formen erhalten haben, die in der übrigen Groß­industrie fast verschwunden sind: ich meine die Fas britation ohne eigentlichen Fabrikbetrieb und die da durch bedingte Stellung der für diesen Industriezweig thätigen Bevölkerung zum Fabrikanten.

Für die Seidenkonfektion in Elberfeld   und Kre­ feld   haben sich in dem letzten Jahrzehnt die Ver hältnisse derartig verschoben, daß diese Orte als Beispiel für die gedachte Fabrikationsweise nicht mehr in Betracht kommen können. Dort hat sich für diese Stoffe die Umwandlung der Hausindustrie in Fabrikindustrie fast gänzlich vollzogen, obgleich in Elberfeld   für andere Artikel die Hausweber noch eine Rolle spielen. Um so lehrreicher ist als Bei­spiel Berlin  , das auf dem Weltmarkt in wollenen Konfektionsstoffen noch einen gewissen Einfluß aus

übt.

Hier eristirten nach den Angaben eines bürgerlichen Blattes im Jahre 1890 noch 5071 selbstständige Betriebe in der Textilindustrie, und davon nur 194 fabrikmäßige. Beschäftigt waren damals 27 879 Gehülfen, Gesellen, Lehrlinge und Arbeiter, wovon 17 000 in Berlin   selbst und 10 000 in Vororten und Nachbarstädten wohnten. Von den Diensten dieser Hülfskräfte machten im Ganzen 2909 Betriebe Gebrauch, während 2162 als ohne Gehilfen arbeitende, selbstständige Gewerbetreibende aufgeführt sind. Man geht nicht fehl, diese 2162 kleinen Hausbetriebe als im Dienste größerer Unter nehmer arbeitend zu betrachten. Ja noch mehr, auch von den nach Abzug der Großbetriebe ver bleibenden 2715 mit Gehülfen arbeitenden Betrieben stehen noch über 2/3 im Dienste solcher Unternehmer, deren Gesammtzahl 800 nicht übersteigt. Die zirka 1900 übrigbleibenden Betriebe, welche im Ganzen 4348 Personen beschäftigten und in Wahrheit als unselbstständig anzusehen sind, waren Hausbetriebe; davon waren nur 80 mit Motoren versehen.

Diese Angaben zeigen schon für sich zur Geniige, daß in der Konfektionsstoff- Fabrikation in Berlin  Verhältnisse eristiren, die in anderen Textilinduſtries städten gänzlich fehlen. Dementsprechend muß auch die kaufmännische Regie eine andere sein. Die in der übrigen Großindustrie unter den Augen der Firma im eigenen Betrieb sich vollziehende An­fertigung der Handelsobjekte fällt hier bei dem größten Theil der Industriellen weg; an ihre Stelle tritt eine große Anzahl von Hauswebern, welche