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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Im Hotel Vaudreuil während der Trauerfeier. ( Madame Vaudreuil liegt auf einer Chaiselongue und unterhält sich mit ihrer Busenfreundin, Frau von Noville .) „ Halb zwei!"
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Wie spät ist es jetzt?"-
, Sie kommen aus der Madeleine... Ach, ich wünschte, es wäre schon vorüber. Die Apotheose dieses Mannes macht mich wahnsinnig!"
Schmähe ihn nicht! Er hat aufgehört, Dich zu
fränken."
„ Ach ja, das ist vorbei. Doch wer giebt mir die zwanzig schönen Jahre wieder, die er geknickt und besudelt hat? Du hast es mit angesehen, dieses Golgatha, Tag für Tag, dieses verlogene Leben an seiner Seite, wie ich mit jeder Niederträchtigkeit die Seele dieses Ungeheuers mehr durchschaute..." " Was willst Du thun?"
" Was soll ich denn thun? Mir ist das Herz wie ausgetrocknet! Ich werde Alles verkaufen, was mir gehört! Und weit, weit fortreisen, bis ich ein Land finde, wo mich nichts an den Namen Vaudreuil erinnert. Hier habe ich, von ihm gezähmt und gebändigt, allzuviel Komödie spielen müssen; ich könnte es nicht mehr! Heute habe ich außer Dir, meiner guten, freuen Freundin, Niemand empfangen wollen. Ich hätte bei den heuchlerischen Beileidsbezeugungen eine Thräne finden müssen. Die Welt fordert so etwas immer bei solchen Gelegenheiten!... Und ich sollte weinen, während heute der erste Tag ist, an dem ich befreit aufjauchze!"
Aber, wenn Du abreisest, wird Dein Sohn..." „ Mein Sohn? Ganz sein Vater, im Kleinen,
was die Intelligenz, im Großen, was den Egoismus anbetrifft! Er ist meines Blutes, ohne einen Tropfen von mir zu haben! Er wird entzückt sein, wenn er mich bei der Liquidation wird beschwindeln können." " Du übertreibst!"
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Leider nicht! Und das weißt Du auch recht wohl!... Begreife doch, daß ich mich ron Allem frei machen will!"
" Du fönntest Dir ein neues Leben zimmern?" „ Ich wage nicht, daran zu glauben. In meinem Alter! Vierzig Jahre! Denke doch, wie gut es wäre, einem aufrichtigen, ehrenhaften, reinen Wesen zu begegnen und es mit all' der Liebe zu lieben, die ich nie habe geben, mit all' dem Vertrauen, das ich nie habe befizen können!... Das wäre Glück! Doch kann dieses Glück für mich eristiren?"
Nach einem langen Marsche durch die Straßen und Boulevards ist der Zug auf dem Père- Lachaise angelangt. An einem reichen Grabdenkmal hat sich die Menge ausgebreitet, drängt sich in den Gängen und Alleen und klettert auf die Gräber, um die Reden zu hören. An den Sarg tritt der offizielle Vertreter der Regierung und spricht:
" Meine Herren! Ein großer Geist und ein großes Herz sind dahingegangen. Und wenn die Elite eines Volkes zu diesem Grabe gepilgert ist, um Baudreuil eine letzte und prächtige Huldigung darzubringen, so that sie das, weil sie erkennt, daß eines der besten unter den Kindern des Landes geschieden ist. Es scheint sich eine Lücke in uns gebildet zu haben, und ich glaube, der von dem Todten verlassene Play wird nie ausgefüllt werden.
Vor Ihnen allen, die Sie ihn gekannt, die Sie feine Freunde waren, brauche ich auf die riesenhafte Arbeit dieses Geistesheroen nicht weiter hinzuweisen. Doch ich bin hier, um seinen Werken öffentlich Ge rechtigkeit widerfahren zu lassen. Nie gab es höhere und würdigere" usw. usw..
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Ende der Rede:" Dem edlen Bürger, dem mildthätigen und barmherzigen Mann, der nie an einem Unglücklichen vorüberging, ohne ihm zu helfen, dem großen Denker und gleichzeitig Schirmer unserer Traditionen der Ehre und Tugenden sage ich hier, im Namen Aller, ein leztes Lebewohl!"
Dann folgt die übliche Serie der Stirchhofs redner, die die Gelegenheit ergreifen, gedruckt zu werden... Dann beginnt eine lange Prozession; der Weihwedel wandert von Hand zu Hand, von einem Atheiſten zu einem Katholiken, von einem Radikalen zu einem Royalisten, von einem Akademiker zu einem Offizier; von Allen empfängt Vaudreuil's Leichnam einen Tropfen Weihwasser!
Einige Minuten früher brachte der Armenleichen wagen in einen abgelegenen Winkel der gleichgültigen Metropolis die Leiche Blinières, des Mannes, der mit seinem Gliick, einem Leben voll Kummer für sich und die Seinen seine Ehrenpflicht bezahlt hatte.
Während über seinen Ueberresten ein Priester das Paternoster spricht, knieen auf der frisch aufs gewühlten Erde eine arme Frau und ein kleiner Knabe, und aus ihren Augen fallen, was sich der Andere mit seinen Millionen, seinen Kreuzen, seinen Ehren nicht hatte erkaufen können- Thränen der Liebe!
glühende
Appenzeller Stickerinnen. Es ist eine anspruchslose Szene, die unser heutiges Bild uns vorführt. In einem Hause in Appenzell spielt sie, dem durch seine Weißstickerei berühmten schweizer Kanton. Nachmittag ist's; freundlich mildes Licht füllt den einfachen Raum, weiße Gaze= vorhänge dämpfen den gleißenden Schein, der draußen, auf Wegen und Bergen, wogt. Die beiden Schwestern faßen emsig bei ihren runden Stickrahmen, das kleine Mädel, die Tochter der Einen, ward gerade von ihrem Strickstrumpf fort zu der Großmutter gerufen, um ihr beim Zertheilen eines Tuches behilflich zu sein, da stürmte das lebfrische Bauernmädel herein und setzte sich zu der cinen der Stickerinnen auf die Fensterbank. Etwas Wichtiges hatte sie ihr mitzutheilen, und nun, wie sie's ihr in's Chr gewispert hat, fist sie mit einem verschämten und sinnenden Lächeln da es ist nicht schwer zu rathen, von wem die Botschaft gehandelt haben mag. Aber die Freundin hat faum Zeit für fie, auch scheint es, als wüßte sie nicht recht, was sie erwidern soll, und so fährt sie in ihrer Arbeit fort. Der Künstler hat in seinem Bilde ein einfaches Stück aus dem Leben des arbeitenden Volkes vor uns hingestellt; das reizvolle Spiel des in breitem Strome hereinfluthenden Lichts vor Allem, die fleißigen Stickerinnen, die frische Dirn, das liebe Gesicht der silberhaarigen Alten in seinem Gegensatz zu dem runden Kinderköpfchen, all' diese Motive haben ihn angezogen, und er hat sie zu einem freundlichen Bilde gefügt.
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Hartnäckig.„ Na, Mutter Loßmann, wie geht's denn noch?" rief ein Mann über die breite Hecke.
Die Angerufene, die schrittweise, gebückt an einem Beet entlang ging, sah empor, ohne in ihrer Arbeit innezuhalten; die kleinen Sala stecklinge mit zwei Fingern in die weichgeschlagene Erde drückend, antwortete sie:„ Immer dorchwachsen, Herr Jahn! Immer dorchwachsen! Man hat sien Arbeet."
„ Aber dafor bringt't oock wat in!" Der Mann, der auf einem kleinen, einspännigen Wagen saß, hatte angehalten. Nach seinem langen Mantel, dem fetten Gesicht und dem Käfig auf dem hinteren Theil des leichten Fuhrwerks war er ein Schlächter. Er sah der knochigen Alten, deren abgescheuerte, hochgeschürzte Kleider um ihren Körper schlotterten, bei ihrer Arbeit zu, als sei dies für ihn ein ganz besonderer Genuß, als habe er das noch nie gesehen. Nur ganz flüchtig glitten seine kleinen, dunklen Augen nach den Nachbargärten, die wüst und vernachlässigt erschienen neben dem Garten der Alten. Sie hatte jedes Eckchen bepflanzt. Selbst unter den Obstbäumen zogen sich Bohnen und Erbsen hin; Alles in genau abgegrenzten Reihen auf gleichmäßig abgemessenen Beeten.
Die Alte steckte ruhig weiter ihre jungen Pflänzchen ein. Sie wußte ganz genau, weshalb der Schlächter hinter dem Dorf entlang gefahren war. Es mußte ihm wohl bekannt sein, daß sie um diese Zeit, wo die Frühlingssonne hinter dem nahen, hochstämmigen Föhrenwald ver
Feuilleton.
glühte, stets im Garten arbeitete, um das Gemüse zu pflanzen, das Abends nicht so rasch unter den Händen vertrocknen konnte, wie in der heißen Tagessonne. Als sie endlich alle Pflanzen eingedrückt hatte, richtete sie sich mühsam auf. Ihren Rücken konnte sie nicht mehr ganz gerade drücken; doch den Kopf mit den gedörrten, eingefallenen Backen trug fie eigensinnig aufrecht.
„ Na, Mutter Loßmann, wie is't denn jetzt mit den Schweinen?" fragte er unvermittelt.
Sie schien die Frage erwartet zu haben.„ Jau, Se weeten jau; Stück for Stück sösunddreißig."
Der dicke Mann wurde erregt. Er fuchtelte mit seinen Armen, daß sein dünner Staubmantel aufflatterte: Ne, ne! Mutter Loßmann, wie können Se so unmenschlich fün? Dat macht ja for drei Stück hundertundacht Dhaler!"
Sie sah ihn ruhig an:" Drei Stück sünd all man nich mehr."
Er erschrak. Vorwurfsvoll sagte er:„ Na, Mutter Loßmann; dat' s aber nich schön! Ich dachte, wir beede find alte Freunde, ick habe Ihnen doch schon so manches abgekooft und immer gut bezahlt. Dat müssen Se selbst sagen. Und nun machen Se hinter meinem Rücken sonn Kassoren. Nu lassen Se't eenen Andern zukommen!"
" Jau, jau! Dem Seefensieder," nickte die Alte. „ Ens hat'n Rothlauf gekregt."
" Sehn Se, sehn Se!" machte der Schlächter triumphirend. Betrübt setzte er hinzu:" Dat schöne Vich! Nu hat's doch nir inbracht!"
„ Na, wollen Se nich en bisken inträten?" fragte die Alte. Der Schlächter hafte einen Strang seines Pferdegeschirrs ab und kam durch die angelehnte Thür herein. Stillschweigend gingen sie nach dem Hause, dessen ge= flicktes Schilfdach über die kleinen, winkligen Stallgebäude ragte, wie die Henne über ihre Küchlein. An jeder Seite des Hauses war ein kleiner Stall oder ein Schuppen oder ein Schutzdach angelehnt. Jede Handbreit der Hausmauer war als Stüzpunkt ausgenutzt. Wie in Trauer hatte der Schlächter seinen Kopf hängen lassen, als er der Alten folgte. Er sah erst auf, als ihn ein alter Mann anrief, der, mit einer furzen Porzellanpfeife im Munde, aus einem der niedrigen Hinterfenster des Hauses sah. ,, Ah,' n Dag ook,' n Dag ook! Herr Loßmann!" sagte Ser Schlächter und reichte ihm die Hand. Ueber das Gesicht des Alten glitt es wie Befriedigung. Er machte in seiner phlegmatischen Ruhe ganz den Eindruck des Herrn dieses Hofes. Doch als ihn der Schlächter fragte: Wat meenen Sie zu den Schweinen?" lachte er nur. Durch Augenblinzeln wollte er sich die Bedeutung eines Schlaufopfes geben. Aber seine Frau achtete nicht darauf, sondern rief den Schlächter:„ Herr Jahn! Hier, fiefen Se, Alle sien noch frisch und floar, wie' ne Stadtjungfer. Keen rothen Fleck nich haben Se."
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" Ja, ja, aber mehr als zweiunddreißig fann ick nich
geben."
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„ Ne, se sundreißig!" Damit warf sie den Deckel des Schweinekobens wieder zu.„ Jetzt grad, wo was verreckt ist. Dat muß doch wedder rut kamen." ehe die anderen auch noch krepiren Ne, ne! dat giww't nich! De siin frisch un munter. Sie stampfte in einem Bottich Grünzeug für die Schweine.
„ Aber.
Der Schlächter ging unruhig auf und ab. Aber bedenken Se doch, ch' Se Alles verlieren! Stück für Stück zweiunddreißig blanke Thaler!" Er klapperte mit dem Geld, das er über dem Bauch in einer Ledertasche trug. " Ne, ne! Sösundreißig!" antwortete sie, ruhig weiterstampfend.
Na, denn meinswegen dreiunddreißig!" schimpfte der Schlächter.
Ne, ne! Sösundreißig!" beharrte die Alte. Aber... Vater Loßmann," wendete er sich all den Allten, jagen Sie mal, das ist doch aller Ehren werth. Ich fann doch nicht mehr geben!"
Der Alte lächelte nur wieder in seiner halb blöden, halb pfiffigen Weise.
Na?" fragte der Schlächter, nach dem Garten 31 gehend.
Sösunddreißig!" antwortete die Alte. " Denn god' Nacht!" sagte der Schlächter ärgerlid und ging. Sie rief ihm freundlich nach:„ Kommen's
good nach Hus!"
Gleich darauf hörte sie, wie er auf sein Pferd ein schlug und in die Dämmerung hineinjagte mit seinem
leeren Wagen.
Nach drei Tagen, die Vormittagssonne schien hell fam er wieder hinter'm Dorf entlang gefahren. Die Alte öffnete die Gartenthür und trieb ein Schwein vor sich her, das roth und feurig glänzte.
" Namu?" rief er bestürzt. Mutter Loßmann?" " Jeer, dat Dings het em nu ook," antwortete fie gelassen. Et schall sich' n bisfen sonnen."
" Na... also, dreiunddreißig."
" Ne, sösundreißig!" meinte fie, das Schwein auf den Sandhügel treibend, der sich nach dem Walde hi aufzog. Er fuhr wüthend davon.
Am nächsten Tage kam er, als Loßmann's beim Mittagessen saßen, in die Stube:„ Also vierunddreißig ohne eine Miene zu verziehen und in aller Gemüthlichkei " Nu ist dat annere ook rothläufsch," sagte die Alte
die Kartoffeln abschälend. Hädden Se man gewen. Nu is de Schaden doa!"
fösundreißig
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Welt"
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