Die Neue Welt
Nr. 18
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Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Fest der Arbeit.
Heft
sicht Herrscherlaune war's, die dich erkoren,
Dich schuf kein Schwert, dich stützt kein Flintenlauf; Mit bunten Blüthen wurdest du geboren, Ein lichter Frühlingstag, ziehst du herauf. Herauf aus kampferfüllten, weiten Massen Rang sich dein Lenzgedanke jauchzend los, Dich trug das Volk der Arbeit in dem Schooẞ Du bist ein Kind der stillen, dunklen Gassen.
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Nicht wo die Lust wildtaumelnd überschäumt, Beim Becher nicht und nicht beim Freudenmahle Dort, wo die Sehnsucht von der Zukunft träumt, Ist deine Heimath- unten in dem Thale : Wo festgefügt die Riesenmauern stehn, Wo breite Riemen um die blanken Scheiben, Wo Tag für Tag sich Rad und Welle drehn Und dunkle Wasser ew'ge Mühlen treiben.
Dort, wo um's Dasein jede Stunde ringt, Wo harte Hände um das Leben streiten, Wo jeder Tag im grauen Strom versinkt Der ruhelosen, kampfgeword'nen Zeiten;
Wo schwer der Pflug durch harte Schollen drängt, Des Landmanns Schweiß die durstige Erde tränkt, Wo nur der Arbeit heiße Athem gehen- Dort, Fest des Frühlings, sollst du auferstehen.
Dort, Tag der Blüthen, sollst du jubelnd künden, Was tausendfältig jede Stunde zeigt: Daß sterbend sich die Zeit des Unrechts neigt Und sich der Wahrheit helle Feuer zünden. Daß hoffnungsleer nicht unser Leben stirbt, Und freudelos nicht die Sekunden weichen, Daß jeder Tag für uns're Freiheit wirbt Und schaffend greift in alle Räderspeichen.
Wir zieh'n empor! Ob dunkle Wetter auch Wie Sturmgefahr und Donner uns umdrohen Hus hoher Riesenschlote schwarzem Rauch Sehn wir die Feuer uns'rer Hoffnung lohen.
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Und häufen thurmhoch sie den blinden Haß Ob tausend Foltern ihre Wuth erdächte Und brechen sie das letzte uns'rer Rechte Roth uns're Sonne! Doch ihr Stern ist blaß.
Ihr Stern verblaßt, doch mächtig ist der Feind, Und Opfer fordert's, wo die Wogen branden Wie manche Thräne wurde schon geweint, Wie Mancher fiel, der sonst mit uns gestanden. Es lebt ein Haß, der uns die Fehde schwor:
Zu tödten alles glühende Verlangen Wie Mancher trauert hinterm Gitterthor Und preßt die Stirn an kalte Eisenstangen!
Das ist der Krieg, wo tiefe Wunden bluten Der Nächte Haß, der vom Verderben träumt! Doch, wenn das Maienlicht die Dächer säumt, Wirft's über Kerker auch die rothen Gluthen. Es fällt ein Strahl wohl in das tiefste Leid, Und wo nicht Alles, Alles schon versunken, Glüh'n wieder auf der Hoffnung stille Funken Und fordern Kämpfer für die junge Zeit.
Und ein Gedanke lebt in Millionen, Der wie ein Sieger sich die Herzen neigt, Der alle Grenzen lächelnd übersteigt Und seine Fahnen schwingt, wo Menschen wohnen: Blitzt noch von Waffen rings die ganze Welt, Droht Brudermord dem blühendsten Gelände Wir schlagen auf des Friedens weißes Zelt Und reichen freudig heut' uns schon die Hände.
Wir grüßen uns am lichten Maientag Und athmen auf vom allzuheißen Ringen, Wenn aus den Hütten und aus grünem Hag Der Arbeit frische Maienlieder klingen.
Und zittert finst'rer Groll durch uns're Brust- Durch Wolken zuckt's in tausend Wetterzeichen: Es kommt der Tag, der uns in heller Lust Wird froh die Palme der Erfüllung reichen.
1899