142
Die Iteuc Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
und sich in der alten nicht niehr heimisch fühlt. Und doch fußte Dante noch auf mittelalterlichem Boden und träumte noch vom römischen Welt- imperinm. Aber schon hatte er als freigewordene Persönlichkeit ein hochgesteigertes Selbstgefühl. Er kam ans dem stolzen Florenz  , das durch die Renaissance so bedeutsam für die europäische   Kultur- tvelt werden sollte. Ein ganz anderes, subjektives Werthbewußtsein erfüllt seine Sprache als selbst die des fahrenden Sängers Walther von der Vogelweide  , der wie ein armer, gedrückter Teufel vom feudal- mittelalterlichen Standpunkt aus ausrufen konnte: Ich han ein Lehen!" das heißt, nun bin ich wer! Eine Ständeverschiebnng muß vor sich gegangen sein; alte Autoritäten wanken, neue Elemente drängen jäh und ungestüm in die Höhe.(Schluß f-igt.) Gin deutscher Despot. Bon M. Danlnian. kii Anfang und um die Mitte des vorigen Jahrhunderts seufzte Deutschland  , aus vielen Dutzenden von Staaten bestehend, zum weit- aus größten Theil unter der Despotie von Herrschern, die alles Andere waren, nur nicht deutsch. Ver- sailles und der Sonnenkönig war ihr Ideal. All die Ausschweifungen Ludwig XIV.   wurden von ihnen getreulich nachgeahmt, so weit die vorhandenen Mittel reichten. Waren diese zu Ende, das Land mit Schulden überladen, die Steuerschraube beim besten Willen nicht mehr anzuziehen, dann wurden die ge- treuen Unterthanen, ob jung oder alt, ledig oder Familienväter, wie eine Heerde willenloser Thiere zusammengetrieben und als Kanonenfutter an die Holländer und Engländer verschachert. Die für das Leben und die Gesundheit der Landeskinder gezahlten Summen kamen ungeschmälert französischen Buhl- dirnen, Abenteurern und italienischem Opern- und Balletpersonal zu Gute. Indessen gesellte sich zu der französischen   lleberknltur bei den Herrschern ein gut Theil Rohheit, die im Vereine mit dem Bewußtsein absoluter Machtvollkommenheit Despoten von römi- schein Cäsaren-Gepräge hervorbrachte. Ein geradezu typisches Beispiel dieser Art Landes- fürsten ist der vorletzte Blackgraf von Ansbach, Karl Friedrich Wilhelm. Dieser Herr regierte vom Jahre 1723 bis 1757 sein fünfundsechzig Onadratmeilen großes Fürstenthnm so, wie die spanischen Konquista- dores in den amerikanischen   Kolonien hausten. Nichts war ihm heilig, am wenigsten aber das Leben seiner Unterthanen. Seiner Maitresse zum Spaß schoß er einen Schornsteinfeger vom Dach, um sich mit dieser Dirne am Falle des Unglücklichen zu ergötzen.Der seine Gnade anflehenden Wittwe des frevelhaft Er- mordeten gab der biedere Fürst fünf Gulden." Wenn man die in der Mitte des vorigen Jahr- Hunderts in Ansbach   herrschenden Zustände türkische nennen wollte, so wäre das eine durchaus ungerecht- fertigte Beleidigung der Muselmänner; sie nähern sich vielmehr der durch das Königreich Dahomey  repräsentirten Kulturstufe: Serenissimus ist echt patriarchalisch Ankläger, Richter und Henker in einer Person!" sagt Friedrich Kapp  , und die vor- liegenden, doknmentirten Beweise lassen sein Urtheil noch zu gelinde erscheinen. Hinrichtungen waren in Ansbach   an der Tages- ordnnng. Ebenso wie der Jude Rab Jscherlein, der den Landgrafen betrogen hatte, in grausamster Weise den Tod erleiden mußte, fiel 1740 Oberst Enzcl und kurz darauf ein Graf von Schanmburg wegen Staatsverbrechen durch Henkershand. Christoph Wil- Helm von Räuber hatte Pasquille und Bilder gegen die Regierung und die Rathskollegien verbreitet. Durch den Jnqnisitionsrath Joh. Chr. Schnitzlcin wurde ihm auf der Feste Wülzbnrg, wo er verhaftet lag, in Gegenwart mehrerer Ober- und Unteroffiziere und Konstabler das Urtheil vom 30. Mai 1740 dahin verkündet: daß er sich selbst freiwillig auf
das Maul zu schlagen habe, was außerdem durch den Scharfrichter vollzogen werden soll, seine Pas- quille unter seinen Augen vom Scharfrichter zu ver- brennen seien, er selbst aber hierauf mit dem Schwerte  hingerichtet werden solle, Ivelches Letztere jedoch der Markgraf aus Gnaden in eine ewige Gefangen- schaft zu Wülzbnrg verwandelte. Sein schon 1722 also 18 Jahre früher unter Vorbehalt des lebenslänglichen Nießbrauches der fürstlichen Kammer verkauftes Rittergut Steinhart bei Oettingen   wurde eingezogen, I7ö8 aber dein von Krailsheirnischen Fideikommiß um 78 500 Fl. wieder verkauft. Die Gattin des Unglücklichen, Friederika Helena, war selbst eine geborene von Krailsheim." Seine hochfürstliche Durchlaucht verstanden das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. Sie bestraften einen Lästerer, indem sie ihn gründlich unschädlich machten, und verdienten dabei noch eine für die damaligen Geldverhältnisse außerordentlich große Summe. Das Geldverdienen verstand der Markgraf überhaupt besonders gut, beinahe so gut, wie das Verschwenden. Seine Landeskinder, die er heerdenweis nach England verkaufte, wußten ein Lied davon zu singen. Sein würdiger Sprößling hatte auf der damals nicht umgehbaren Auslandsreise des Guten etwas zu viel gethan und kehrte siech und entnervt in's Vaterhaus zurück. Durch Ruhe und Pflege genas er zwar bald wieder, aber sein Reisebegleiter, Hof- rath Meyer, hatte die Ausschweifungen des fürst  - lichen Wüstlings schwer zu büßen. Da der Mark- graf kein eigenes Zuchthaus besaß, so that ihm sein Kollege von Hannover   den Gefallen, Meyer durch hannoversche Dragoner in das berüchtigte Gefäugniß von Celle   führen zu lassen, wo er einfach für immer verschwand. Daß er dort hingerichtet worden sei, ist nicht verbürgt, er wird also wohl in Ketten dahin gesiecht sein. Der Günstling des Fürsten  , der Reise-Oberstall- meister von Reitzenstein mit Titeln waren die Dnodez-Lndwige stets sehr freigebig war trotz seines schmutzigen Geizes und seiner allbekannten Be- stechlichkeit überall beliebt, da er ein offenes Wort dem Fürsten   gegenüber nicht scheute und selbst mit Gefahr seiner Stellung und seines Lebens den Herrn von Gewaltthätigkeiten zurückhielt. So, als der Markgraf einstmals die Pistolen von ihm forderte, um einen Hirten niederzuschießen, der ihm und seinem scheuenden Pferde nicht schnell genug die Heerde aus dem Wege trieb, verweigerte er die Waffe mit dem Bemerken, sie seien nicht geladen. Kurz darauf schoß er beide Pistolen ab, und als der Markgraf erschreckt nach der Ursache fragte, meinte er kalt: Ich glaube, daß Sie, gnädigster Herr, heute Nacht ruhiger schlafen werden, weil Sie meine Pistolen erst jetzt, statt eine Weile früher krachen gehört haben!" Des Fürsten   Pünktlichkeit im Besuche des Gottes- dienstes hinderte ihn niemals, für ein Nichts Menschen- leben, ost in der gransamsten Weise, zu opfern. Sein Biograph Lang zählt eine ganze Reihe solcher Vor­kommnisse auf, ans welcher nur eine kleine Blüthen- lese auserwählt sei. In den Jahren 1733 bis 1745 fanden neun militärische Exekutionen statt. Ein Soldat wurde erschossen, sechs gehängt, einer lebendig gerädert und einer verbrannt. Am 11. August 1738 wurdedie Katharina Gallin, ein preußisches Sol-. datenweib, an einem Lindenbaume, unweit des Falken- Hauses, aufgehängt, weil sie einen Gefreiten der Leibkompagnie, Namens Johann Heublin, zur Teser- tion verleitet, wobei sie, der Soldat und der pren- ßische Werbeofsizier bei Stein ertappt worden. Der preußische Werbehanptmann mußte die Exekution mit ansehen und wurde dann auf die Feste Wülzbnrg gebracht. Den Deserteur hatte man wahrscheinlich zum Aufhängen allzu schön befunden." Einen diebischen Soldaten, den der Wirth Neumann bei der ans- bachischen Kirchweih auf frischer That ertappte, ließ der gerechte Herr an einem rasch errichteten Galgen in niimittelbarster Nähe des Thatortes hinrichten. Eine Dienstmagd, die mit einem Soldaten geflohen
und in die Hände der Verfolger gefallen war, hängte man auf des Kurfürsten Befehl ohne weiteres gerichtliche Verfahren in Ansbach   auf. Eine» zum Soldaten gepreßten Bürger, der sich nicht sol- datisch genug benahm, ließ der Markgraf von zwei Husaren an die Schwänze ihrer Pferde binden und durch die Altmühl   schwemmen,worauf er bald hernach krank geworden und gestorben ist." Dein Stallmeister von Günzenhausen  , dennnzirt, des Fürsten  Hunde nicht sorgsam genug zu pflegen,ritt er als- bald vor das Hans, rief ihn an die Hansthür und schoß ihn dann auf seiner eigenen Hans-- schwelle nieder." Aber der Fürst hatte doch ein edles Herz", denn, so kündet sein Biograph,nach etlichen Tagen, als der Fürst einem langen Zug von Menschen ans allen Orten her begegnete und er ohne Antwort von den anderen Höflingen blieb, was denn das für ein Auflauf sei? ritt endlich auch hier der Reise-Oberstallmeister von Reitzenstein herbei und sagte: ,Es wird der Mann begraben, den Euer Durchlaucht vor drei Tagen erschossen haben.' Der Markgraf war heftig ergriffen und befahl, man solle ihm die Wittwe schicken, damit sie sich eine Gnade ausbäte." Selbstverständlich war ein solcher Fürst auch be- geisterter Anhänger des edlen Waidwerkes. Alles jagbare Gethier war fürstliches Privateigenthum und Zuchthausstrafe verbot die Tödtung jedes Wildes. Als 1791 Ansbach preußisch ivnrde, erlaubte der damalige Statthalter und spätere Staatskanzler Hardenberg den Bauern, das Wild auf ihren Feldern niederzuschießen. Seither hatten sie Sommer und Winter die Nächte mit Schreien zubringen müssen, um ihre Felder vor dem in Massen herum- streifenden Hochwilde zu schützen. Verschliefen sie eine Nacht, so war auch die Saat zertreten. Den» nur schrecken durften sie das Wild, und es war ihnen bei Zuchthausstrafe verboten, ein Gewehr oder einen Knüttel, ja selbst einen Hund mit sich Z» führen." Kein Wunder, daß, als der hohe Herr endlich die Augen schloß und sein Sohn die Regierung an- trat, das Land mit etwa fünf Millionen Thaler Schulden belastet war. Allerdings wurde es seinem Nachfolger leicht, einen Theil dieser Summe durch die von England für den Verkauf seiner Soldaten erhaltenen Gelder zu decken. Dieser würdige Nach- folger seines Vaters, an dessen Hofe die dentsche Sprache verpönt war, verstand doch die allmächtige Geliebte des deutschen Fürsten   diesepöbelhafte" Sprache nicht, genoß trotz alledem ein derartiges Ansehen bei seinem lieben Volke, daß seine bloße Anwesenheit genügte, eine Revolte unter den nach Amerika   verladenen Soldaten für jeden Maiin dreißig Kronen Werbegeld, für jeden Gefallenen dreißig Kronen, drei Verwundete galten für einen Todte» sofort zu dämpfen. Von seinen nach Amerika  gelieferten 1644 Mann kehrten nur 1183 Man» nach der Heimath zurück, das war für das Land, nicht aber für dessen Oberhaupt, ein Unglück, denn händereibend strich der Fürst dafür das runde Sümin- chen von 106 337 Pfund Sterling ein, nach heutigem Geld zwei Millionen, einhundert sechsnndzwanzig- tausend, siebenhnndertvierzig Btark. Hierzu kamen noch rund P 231024-�4 620 480 Mark Löhnung an die Truppen, von denen der Markgraf gleichfalls einen Theil einheimste. So bedeutend diese Erträge des Großhandels mit Btenschenfleisch auch waren, reichten sie doch für die Bedürfnisse des Fürsten   nicht aus, und so trat er denn 1791 gegen eine Jahres- reute sein ausgesogenes Land an den König Friedrich Wilhelm II.   von Preußen ab, von dem es 1806 an Bayern   kam. Der Markgraf, dem Schiller   inKabale und Liebe  "(2. Akt, 2. Szene) eine Schandsäule gesetzt, die leider nur das Porträt, nicht aber den Namen des Gebrandmarkten aufweist, starb am 5. Januar 1806 in England einsam und vergessen. Mit ihm erlosch die Linie Brandenbnrg-Ansbach, die so unendlich viel Herzleid über ein kleines denk- sches Land gebracht hatte.