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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Frau, die sich zum Gehen wandte mit den Armen umschlingend:„ Hören Sie ihn nicht... bleiben Sie... er muß um Verzeihung bitten, es muß Alles gut werden, ach nein, bitte, bleiben Sie doch!"
Aber die Andere stieß ihre Hände von sich, als wären sie glühendes Eisen; ein tödtlicher Haß sprühte aus ihren Augen: Lassen Sie nich los, ich geh schon... fort!... fort!" Und mit einem letzten Ruck sich frei machend, stiirzte sie hinaus.
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Als sie nach endlosem Umherirren ihre Wohnung wieder erreichte, fand sie Auguste an der Thür ihrer harrend. Die Cousine streckte ihr die Hände entgegen:„ Na, ich will doch hören, was geworden ist. Ihr seid nicht gekommen, was macht Dein Sohn?"
Rauh fiel ihr die alte Frau in's Wort:„ Ich habe keinen Sohn mehr."
Dann trat sie in ihr ödes Heim, und ohne die draußen stehende Verwandte weiter zu beachten, schloß sie die Thür hinter sich zu.
Wie sie die nächsten Wochen verbrachte, sie wußte es nicht. Vielleicht wäre sie völlig zusammen gebrochen, wenn die Sorge um's Brot sie nicht aufrecht erhalten hätte. Mit Felix' Fortgang war die Einnahme versiegt, die ihr in den letzten Jahren Unterhalt gegeben. Sie mußte arbeiten, wenn sie
leben wollte, und so saß sie denn wieder an der Nähmaschine und schaffte wie früher Tag und Nacht.
Aber es war fein freudiges Schaffen mehr. Nur mit innerem Groll nahm sie die Arbeit zur Hand. Das also war das Ende? Dafür hatte sie gedarbt und sich gemüht, daß sie jetzt auf ihre alten Tage wieder an der Maschine ſizen mußte? Sie mußte sich mühen und quälen, und der Sohn, der ihre Stiiße sein sollte, er wandte ihr den Rücken für diese... Eine maßlose Verbitterung fraß sich in ihr fest. 3orn gegen Felir, noch mehr gegen Lucie, gegen die ganze Welt. Sie mochte Keinen sehen Sie mochte Keinen sehen und hören mehr; wie eine Schnecke zog sie sich in ihre Wohnung zurück. Ihr Haar wurde grau, in ihr Gesicht gruben sich tiefe Falten, und um ihren ihr Gesicht gruben sich tiefe Falten, und um ihren Mund lag ein scharfer, abstoßender Zug.
Das Entfeßlichste waren für sie die Abende, jene stillen Stunden, wo die Straßen ruhiger und die Häuser desto hellhöriger werden. Wenn dann auf den Treppen die Schritte der heimkehrenden Männer erklangen, wenn sie in den Wohnungen unter und neben sich helle Kinderstimmen vernahm, fiel ihr die eigene trostlose Einsamkeit doppelt schwer auf das Herz. Dann konnte sie sich auf ihr Lager werfen und weinen, weinen, Stunden lang.
Einmal erhielt sie einen Brief von ihrer Cousine. Auguste schrieb ihr, daß sie schon mehrmals an ihrer Thür gewesen, ohne Einlaß zu finden, nun wolle sie ihr doch mittheilen, daß Jelig jezt eine Stelle habe und wirklich verheirathet sei und ihnen auch mit seiner Frau Besuch gemacht hätte. Diese Lucie sei doch eigentlich eine ganz nette Person und entschieden nicht von schlechtem Charakter. Ihre Ver gangenheit wäre ja allerdings nicht die beste, aber schließlich hätten recht viele hochvornehme Damen noch eine bösere, und ob es denn überhaupt nicht das Beste sei, sie mache ihren Frieden mit den Kindern, besonders jetzt, wo bald ein Enkelchen an kommen würde. Felix sei ja ein Trozkopf, woran sie übrigens die Hauptschuld habe, und würde den ersten Schritt nicht thun, man könne es ja aber ein richten, daß sie bei ihr zusammenträfen. Ob sie denn nicht kommen wolle? Lucie bäte recht herzlich darum und würde Felix auch schon zum Frieden stimmen.
Ein bitteres Lachen kam über die Lippen der alten Frau, als sie den Nachsatz las. Nach Allem, was geschehen, sollte sie wohl also noch um ihres Sohnes Gnade betteln, sollte diese Gnade der Für sprache jenes Mädchens verdanken? Sie warf den Brief in's Feuer und beantwortete ihn nicht.
( Schluß folgt.)
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Feuilleton.
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Genesen.
Nun athmen deine Worte wieder Teben.
Im Ziffern deiner Lippen feht's geschrieben, In deinen seligen Augen kann ich's lesen, Ich lausch' es mir aus deinem stillsten Wesen, Wie's in dir jubelt: Ihm geblieben!
Bun fühlt auch meine Seele wieder Leben. Als räng' ich willenlos um all' mein Lieben, So hielt ich dich in deinem Fieberkrampf, Mein ganz Gefühl ein einziger Todeskampf, Ein einziger Dank jekt: Mir geblieben! Bun athmet Alles, Alles wieder Teben. Hinaus zum Frühling hat es mich getrieben, Als müßte jede Knospe davon springen, Als müßt's im Tiedchen jedes Vogels klingen, Dak Alles, Alles uns geblieben!
Manerblümchen. Wilhelm Hasemann , der dieses Bild geschaffen, ist einer der Maler, die auf einem Fleckchen der deutschen Lande sich festgesetzt haben und nicht müde werden, dessen Schönheit mit dem Pinsel zu schildern. Anders als die Worpsweder , hat er sich ein Land ausgesucht, das um seiner landschaftlichen Reize willen weithin berühmt ist: den Schwarzwald . Aber ebenso wie die Worpsweder ist er in die tieferen, intimen Reize dieser Natur eingedrungen. Nicht die großen berühmten Gegenden und Ausblicke, die der Tourist wohl aufsucht, malt er, sondern schlichte Szenen, zu denen die Berge des Schwarzwaldes den schönen Hintergrund bilden. Bald ist es eine Dorfstraße, bald die Straße oder der Markt einer Kleinstadt; meist sind es Szenen aus dem Leben der Landleute, die er im Bilde vorführt. Unseren Lesern ist er schon durch ein solches Bild aus dem Vorjahre bekannt, in dem er einen alten Bauern beim Pfropfen zeigt. Ein bescheidenes, ansprechendes Motiv ist auch auf unserem heutigen Bilde gegeben. Im Hintergrunde die charakteristische Natur, die Vergzüge des Schwarzwaldes. Vorn, auf einer Grenzmauer aus schweren Feldsteinen, fißt ein frisches Mädel. Sie mag nicht die lauten Spiele der Gleichaltrigen; ihr ist es lieber, draußen, unter den blühenden Obstbäumen zu fizen und zu träumen und die Blumen, die jetzt im Frühling in Fülle blühen, einzusammeln. Ein an muthendes Bild, die junge Schwarzwälderin in ihrer fleidsamen Tracht!
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Vaters Schiff ist in Sicht. Am Vormittage schon wollte der Vater vom Fischfang von der See zurückfehren. Als aber in der Nacht ein schwerer Sturm über das Land ging, wurden die Seinen unruhig und ängst
lich. Die Kinder litt es nicht im Hause, früh schon saßen sie draußen am Strande und harrten in banger Erwartung des Heimkehrenden. Diesmal ist es noch gnädig abgegangen. Noch war die Sonne nicht zu ihrer Mittagshöhe emporgestiegen, noch hatte sie das Gewölk, das bleiern schwer den Himmel verhängte, nicht zu zer= streuen vermocht, da erschien über der Horizontlinie des weiten Wassers eine Mastspize, dann die Segel eines Schiffes; sie brauchten nicht viel, um zu erkennen, daß cs des Vaters Schiff war, das in Sicht fam. Und mm kommt es näher und näher. Die Kinder wenden keinen Blick von ihm. Still ist die Aeltere, sie stüßt sich mit ihren beiden Armen und schaut in stiller Freude und Erwartung hinüber. Die kleine Schwester schmiegt sich an sie, Ball und Spiel sind vergessen, auch für sie ist nur noch das Schiff da, in findlichem Eifer streckt sie den Arm aus. Kinder des Südens sind es, die der Maler, ein Italiener, uns vorführt. Die weichen Formen des Gesichts, seine dunklere Tönung, die schweren, dunklen Flechten der Aelteren geben dies zu erkennen.
Das Necken. Zu diesem unterhaltenden Kapitel der Psychologie theilt Karl Groß in seinem neuen Buche " Die Spiele der Menschen"( Jena , J. Fischer) eine Reihe bon Thatsachen mit, von denen einige hier wiedergegeben werden mögen. Sie beziehen sich auf das Reizen durch herausfordernde Worte. Bei kleinen Kindern kann man oft beobachten, daß sie es versuchen, Schimpf- oder Scheltwörter in neckischer Weise auf ihre Eltern anzuwenden; häufig wagen sie es aber doch nicht, das schlimme Wort wirklich gegen solche Respektspersonen auszusprechen, und sie suchen dies zu bemänteln. So rief ein fleines Mädchen ihrem Vater zu:" Papa, Du bist ein Ofen, Du bist ein Teller!" wobei ihr Gesichtsausdruck berrieth, daß sie im Innersten an viel weniger harmlosere Bezeichnungen dachte. Von Interesse ist dabei, daß diese aufreizenden Zurufe, besonders wenn sich mehrere Personen daran betheiligen, häufig in rhythmischer Form wiederholt werden und so eine primitive Lyrik bilden. Solche rhythmisch wiederholten Säge werden in der Regel auch in einfachster Melodie gesungen. So verhält cs sich z. B. bei den Neckrufen in der Pfalz . Einem Kutscher rufen die Kinder dort nach:
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' s hängt Eener hinde dran, ' s hängt Eener hinde dran.
Einen Betrunkenen vergleichen fie wißig mit einem schief geladenen und darum schwankenden Wagen:
Er hot, er hot,
Er hot zu schepp gelade.
Einen jungen Engländer necken sie mit den Versen: Beefsteat, Wasserweck,
Auf dem Kopp e große Schneck,
und einen verrätherischen Kameraden höhnen fie: Angeber, geb' mich an,
Kriegst' e hohle Backenzahn.
Die Spottlieder der Naturvölker haben eine große Aehnlichkeit mit solchen kindlichen Neckereien. In Australien
fingen die Eingeborenen folgendes Lied zur Verhöhnung eines Lahmen: O was für ein Bein, O was für ein Bein, Du känguruhüftiger Kerl!
und vor dem Thore einer Berliner Schule verfolgte ein Kindertrupp ein kleines lahmes Mädchen mit den Worten:
Aletsch, ätsch, ätsch,
Anna hat ein frummes Bein,
Aetsch, ätsch, ätsch.
und
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„ Ri
daß
Ach,
ist e
Schi
Nic
ach!
das
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der
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Ueber den Neckrufen erheben sich die volksthümlichen Spottgedichte. Die Neckerei zwischen den Geschlechtern fängt schon beim Kinde an. Im Elsaß singen die kleinen Mädchen:
Räge, Räge, Tropfe!
D' Buäwe mueß mä flopfe,
D' Maidle fummen is Himmelbett, D' Buäwe fummen in Knotensäck! Dagegen heißt es in Böhmen : Zeifig, Zeifig,
Die Buben sind fleißig, Stieglitz , Stieglitz ,
Die Mädchen sind garnichts nüß.
Im bayrischen und österreichischen Gebirg liefern sich bei festlichen Gelegenheiten, besonders bei Hochzeiten, die Burschen und Mädchen ganze poetische Schlachten, bei denen es meist ziemlich derb hergeht. Für die Anzapfung von Dorfgemeinden untereinander liefert die Schweiz ein Beispiel:
Wenig Brot und wenig Wi:
Ach Gott , wer möcht au' z' Klinglau si! Bei den Behli- Negern werden manchmal zwischen zwei Dörfern an vorher bestimmter Stelle Schimpfreigen" abgehalten, wobei sich die beiden Parteien, zum Taft der aneinander geschlagenen Stöcke tanzend, ab wechselnd mit Beschimpfungen überschütten.
Bei der Verspottung der Berufsarten geht es dem Schneider am schlechtesten:
Der Schneider und die Muck,
Gine
Stop
ten
Duf
in de
hof
stein
Stief
fahr
Schlie
Die stoßet enander z'ruck:
Wär kei' Floh dazwische komme,
So wär der Schneider um's Lebe komme,
Pfla
pelte
Hän
pend
die
tofte
zujar
ließ
die
über Sie
die
berla
Ein Volt fann eine Großmachtsstellung, welche es durch physische Kraft und durch eine die realen Verhält nisse flug berechnende Staatskunst sich gewonnen hat, nur dann auf die Dauer behaupten, wenn es dieselbe durch eine höhere Kultur zu stüßen vermag. G. Körting,
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Gesch. des griech. u. röm. Theaters, S. 211.
Nachdruck des Jnhalts verboten!
Alle für die Redaktion der Neuen Welt" beſtimmten Sendungen sind nach Berlin , SW 19, Beuthstraße 2, zu richten.