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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Streifen von Ziegenhaut als Faden. Ergänzt durch eine Ziegenfellmüze, war dies eine Ausstattung, die sich für das Laufen durch dornige Gebüsche vor­ziiglich eignete. In derselben primitiven Weise ver­fertigte er sich Hemden aus dem Leinenzeug, das er mitgebracht hatte. Hierbei verwendete er als Faden die aufgezogene Wolle von seinen alten Strümpfen. Sonst waren ihm diese doch nichts mehr nuz, als sein Schuhzeug aufgetragen war. Seitdem ging er barfuß und bekam dadurch eine völlig verhärtete und unempfindliche Sohle. Das eine Messer, welches er besaß, war bald bis an den Rücken aufgebraucht. Er fand aber am Ge­stade einige eiserne Faßreifen, aus denen er sich neue Messer anfertigte.

Anfangs hatte er viel von den Ratten zu leiden, die ihm Nachts Hände und Füße benagten. Um sich dagegen zu schützen, fing und zähmte er einige Kazen, die ihn bald von der Plage befreiten. Die Kazen Die Kazen vermehrten sich so start, daß er stets von einer Un masse umgeben war, die ihm auf Schritt und Tritt folgten. Einige davon, wie auch ein paar Ziegen, hatte er zum Tanzen abgerichtet, wobei er die Be­gleitung fang. Aber auch diese anhänglichen Thiere bereiteten dem grübelnden Geist des Einsiedlers Qual, denn sie gaben ihm den Gedanken ein, was werden solle, wenn er eines Tages stürbe und die Kazen nicht ihr gewohntes Futter bekämen, ob sie dann nicht ihren Wohlthäter auffressen würden.

So hatte unser Einsiedler seine regelmäßige Beschäftigung, sowie einige Zerstreuung an seinen zahmen Thieren und der Jagd. Auch vertrieb er sich wohl die Zeit damit, daß er seinen Namen und den Tag seiner Ankunft in die Bäume schnitt. Seine einzige geistige Nahrung bildeten seine nautischen Bücher und Instrumente, in deren Kenntniß er sich sehr vervollkommnete, und die Bibel, die er immer wieder las.

Eigentliche Abenteuer hatte Selfirf während seines Aufenthaltes auf der Insel nur zwei: Ein­mal passirte es ihm, daß er beim Verfolgen einer Ziege einen jähen Abhang hinunterstürzte und vier undzwanzig Stunden besinnungslos liegen blieb. Ein zweites unangenehmes Erlebniß kam ihm von einer Seite, von der er es am wenigsten erwartete, nämlich von einem Schiffe, das seine Insel berührte. Selkirk hatte sich einen Lugaus" ausgesucht, von wo er die Meeresfläche weithin überblicken konnte; hier brachte er einen großen Theil seiner Zeit zu, indem er den Horizont nach Segeln absuchte. Aber obgleich er manches Segel sah, so ging doch nie ein Fahrzeug an seiner Insel vor Anker. Allein eines Tages erblickte er zu seiner großen Freude zwei Schiffe, die vor Juan Fernandez Anker warfen. Wonnetrunken stürzte er nach dem Gestade, um zu seinem Schrecken die Entdeckung zu machen, daß es Spanier waren. Von ihnen hatte er vielleicht den Tod, im günstigsten Falle Verschleppung in die peruanischen Silberminen zur Zwangsarbeit zu er= warten. Dem zog er seine Einsamkeit vor und entfloh. Aber man hatte ihn bemerkt und sandte ihm einige Kugeln nach, die jedoch nicht trafen. Sogar eine Abtheilung Matrosen wurde an's Land gesetzt, um ihn aufzuspiiren und machte zu einer gewissen Verrichtung unter dem Baum Halt, in dessen Wipfel Selkirk sich verborgen hatte, entdeckte ihn aber nicht.

Sonst flossen Selkirk die Monate und Jahre eintönig dahin, und es war schließlich so weit mit ihm gekommen, daß er seine Einsamkeit liebgewonnen hatte. Endlich, als er vier Jahre und beinahe vier Monate auf seinem Eiland gehaust hatte, kam die Befreiung. Am Nachmittag des 1. Februar 1709 befand er sich auf seinem Lugaus und spähte über die weite Wasserfläche, als er plößlich am Horizont zwei Segel auftauchen sah. Allmälig wurden die Schiffe größer und kamen schließlich so nahe, daß er sie zu seiner Freude als Engländer erkennen konnte. Da es rasch Abend wurde, so schleppte er einen Stoß Holz zusammen und zündete ein Feuer an, das er die ganze Nacht unterhielt, damit die Schiffe nicht wegfahren sollten, ohne etwas von seiner Eristenz zu merken. Da die Aufregung ihn nicht schlafen ließ, so schlachtete und briet er mehrere

Ziegen, um die Gäste, die er für den nächsten Tag Ziegen, um die Gäste, die er für den nächsten Tag von den englischen Schiffen erwartete, bewirthen zu können.

Es war eine Kapererpedition unter dem Kom­modore Woodes Rogers , die auf ihren Kreuzfahrten sich Juan Fernandez näherte, um dort Wasser ein­zunehmen. zunehmen. Als der Feuerschein in der Richtung der Insel sich zeigte, gerieth man an Bord der Schiffe, des Duke" und der Ducheß", in nicht geringe Aufregung: denn da man die Insel gänz­lich unbewohnt glaubte, so nahm man an, daß feindliche Schiffe vor Anker lägen und machte des­halb in der Nacht klar zum Gefecht. Als der Morgen anbrach und von Feinden keine Spur zu Morgen anbrach und von Feinden keine Spur zu sehen war, sandte Rogers ein Boot mit seinem Unterkapitän Dover , einem Offizier und sechs Mann, Unterkapitän Dover, einem Offizier und sechs Mann, Alle bewaffnet, an's Land. Als sie sich dem Ge­stade näherten, traf ihre Augen ein erstaunlicher Anblick: es stand dort ein Mensch mit langem Haar und struppigem Bart, mit nackten Füßen, in Ziegenfelle gekleidet und mit einer Ziegenfellmüze auf dem Kopfe und schwenkte in der Hand einen Ast, an den er ein Leinentuch gebunden hatte. Noch mehr erstaunten sie, als Selfirk ihnen in einem Englisch, das nur mehr silbenweise und kaum ver­ständlich herauskam, mittheilte, daß er seit mehr als vier Jahren auf der Insel weile. Nachdem Sel­kirk seine Gäste bewirthet hatte, lud Dover ihn ein, mit an Bord zu gehen, wozu er sich erst nach längerem Zögern entschloß. Auch hier war das Erstaunen über seine verwilderte Erscheinung und seine Erlebnisse groß. Rogers bot ihm eine Lieutenantsstelle an, was er afzeptirte. Am Nach­mittag ging es wieder an's Land, um Wasser und Lebensmittel einzunehmen. Selkirk gab gleich eine Probe von seinen auf der Insel erworbenen Fertig­feiten, indem er zwei Ziegen fing; die schnellsten Leute aus der Mannschaft und eine Bulldogge konnten ihm nicht folgen. Während der Woche, welche die Schiffe vor Juan Fernandez lagen, ver­sorgte Selkirk sie mit einem Vorrath von frischem Fleisch. Der Zivilisation war er ganz entfremdet: nicht nur daß er seine Muttersprache beinahe ver­gessen hatte, auch die Lebensweise seiner Lands­leute fonnte er nicht mehr vertragen, geistige Ge­tränke mochte er nicht und an Schuhe konnten seine Füße sich anfangs garnicht gewöhnen.

Am 12. Februar 1709 verließ die Erpedition Juan Fernandez; Selkirk sah das Eiland, von dem sich zu trennen ihm jetzt schwer fiel, in der Ferne verschwinden. Noch über zwei Jahre voller Aben­teuer, die ihm 800 Pfund Prisengelder einbrachten, vergingen, ehe Selkirk seine Heimath wiedersah. End­lich am 14. Oftober 1711 warfen der Duke" und die Ducheß" in der Themse vor London Anker.

Nach achtjähriger Abwesenheit betrat Selfirf wieder britischen Boden. Aber er war nicht mehr derselbe, als der er 1703 Schottland verlassen hatte. Die lange Trennung von menschlicher Gesellschaft war auf sein Gemüthsleben von großem Einfluß gewesen. Schon Sir Richard Steele gegenüber, der ihn bald nach seinem Eintreffen in London kennen lernte, beklagte er seine Rückkehr zur Zivilisation und verrieth in Gesichtszügen und Auftreten, daß er lange von menschlichem Umgang getrennt ge­wesen. wesen. Die Bevölkerung der Londoner City seßte er damals oft in Erstaunen, indem er ohne jeden Grund plößlich in rasender Eile durch die Straßen jagte. Im Frühjahr 1712 begab er sich zu seinen jagte. Im Frühjahr 1712 begab er sich zu seinen Verwandten nach Largo. Hier schweifte er den ganzen Tag allein umher, nahm sein Essen mit und kehrte erst am späten Abend wieder, um sich schlafen zu legen. Oft fanden ihn seine Verwandten in Thränen, und auf Befragen gab er seinem Schmerz Ausdruck, daß er seine geliebte Insel je verlassen habe. Um Erinnerungen daran zu haben, richtete er an einer Hochgelegenen Stelle in seines Vaters Besitzthum eine Höhle ein, von wo er den Forst überschauen konnte. Zu Hause waren sein einziger Umgang ein paar Kazen, die er abgerichtet hatte.

Mit Selfirf's Menschenfeindschaft nahm es ein komisches Ende. Nachdem er nur wenige Monate in Largo gewesen war, verschwand er eines Tages spurlos unter Hinterlassung seiner sämmtlichen Hab­

seligkeiten. Aber er war nicht etwa davongegangen, um nach dem geliebten Juan Fernandez zurückzu fehren; vielmehr hatte er sich in ein Landmädchen, das er auf seinen einsamen Spaziergängen kennen gelernt hatte, verliebt und sie entführt. Er heirathete sie und lebte mit ihr in London . Nach ihrem Tode heirathete er nochmals, diesmal eine Wittwe. Sein alter, gewaltthätiger Sinn war noch nicht ganz von ihm gewichen; in den Aften von Queens bench figurirt er unter dem 23. September 1713 wegen eines thätlichen Angriffs auf einen Schiffszimmerman. Schließlich trieb es ihn wieder auf See. 1720 nahm er eine Stellung als Lieutenant auf dem englischen Kriegsschiff Weymouth " an und starb an Bord im nächsten Jahre; in dem Zahlbuch des Schiffes ist verzeichnet: Alexander Selkirk , gestorben, 12. De zember 1721."

Seine Seemannstiste und ein Becher, den er sich auf Juan Fernandez verfertigt hatte, befinden sich jetzt im Antiquarischen Museum in Edinburgh , sein Gewehr in Lathallan House. Auf Juan Fernandez, an seinem Lugaus, wurde 1868 von den Offizieren des britischen Kriegsschiffes Topez" eine Inschrifts­tafel zu seinem Andenken angebracht, und in Largo erhebt sich seit 1885 eine Bronzestatue, die das Urbild des Robinson darstellt.

Alexander Selkirk's Lage auf Juan Fernandez kommt ohne Zweifel der eines isolirten Menschen" viel näher, als die von Defoe's Robinson Crusoe ; uns verhältnißmäßig viel geringer ist aber auch der Kom fort, den er sich zu verschaffen vermag, und vollends von den großen Erfindertalenten des Crusoe zeigt er herzlich wenig. Man denke sich aber das weg, was ihn indirekt noch mit der Zivilisation verfniipfte, nämlich das, was er mit an Land brachte, und die Ziegen auf der Insel; denke sich hinzu etwas weniger ausnahmsweise günstige Naturbedingungen, und man kann zweifelhaft sein, daß der Einzige" sein Eigen thum" nicht lange würde besessen haben. Der Mensch fann eben nur als Gesellschaftswesen eristiren. No­binsonaden mit Phantasie- Nobinsons sind ein altes Hausmittel der Individualisten; aber die historischen Erlebnisse Selkirk's beweisen nicht die individualis stische These, sondern das gerade Gegentheil.

Die Bewegungen der Erdaxe.

Von Bruno Borchardt.

irgends in der Welt giebt es vollkommene

Ruhe; Alles ist in ewiger Bewegung d Veränderung begriffen. Veränderung ist das Zeichen und der Beweis des Lebens, gleichmäßiges Beharren dagegen wäre Aufhören jeder Entwickelung und damit des Lebens selbst. Und nicht nur das Leben, sogar das bloße Sein, das Eristiren ist ohne fortdauernde Veränderung nicht denkbar.

Freilich ist die Erkenntniß, daß Sein und Sich verändern auf's Innigste zusammenhängt, der Mensch heit nicht leicht geworden; das ewig bewegte unruhige Leben läßt die Menschen den Zustand der Ruhe als den der Erholung betrachten, zugleich als denjenigen, in welchem die Gedanken sich von den Alltagssorgen hinweg zu edlerer Bethätigung des Geistes richten. Zur Zeit der Erholung in der Stille der Natur, fern von dem rauschenden Lärm der Stadt, unbes helligt von dem Streite des Tages, fühlt man einen göttlichen Frieden in das Gemüth einziehen, den göttlichen Funken in seinem Geiste gleichsam erwachen. So wurde die unwandelbare Ruhe, die gleichmäßige Beständigkeit zu einem Symbol göttlicher Eigens schaften, zu einem Attribut der Vollkommenheit.

Die immer wiederkehrende Ordnung im Laufe der Gestirne, ihre immer in gleichen Zeiträumen sich wiederholende Stellung zur Erde und gegen einander schien dieser Auffassung auch durchaus zu entsprechen. Die Erde selbst war das ewige, unerschütterliche Funs dament, auf welchem das wechselvolle Leben sich abs spielte, zugleich das feste Zentrum, um das alle Bewegungen am Himmel sich vollzogen. Zwar zeigten Erschütterungen, wie die Erdbeben, daß auch der feste Leib der Erde nicht ganz ruhig war, sondern