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Die Aene Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

stellte, den er führte, kam sie fast auf den Gedanken, ob es nicht am besten wäre, ihn zu verheiralhcn, so jung und schwach er war. Früher hatte sie imnier abgewehrt, wenn Jemand ans ein Verhältuiß bon ihrem Anton zu Frau 5knudsen anspielen wollte. Aber jetzt fing sie an, darin Rettung zu finden. Frau Knudsen war schon verheirathet gewesen, noch dazu mit einem alten Manne; sie würde verstehen können, mit ihr könnte eine Mutter reden; die Beiden würden über ihren Anton wachen und ihn glücklich machen. Aber der nächste Tag ivar noch schlimmer für Herrn Jessen . Denn auch diese Nacht war Törres zu Fräulein Thorsen hineingekommen. Sie hatte wirklich die Thür schließen wollen; aber Jemand hatte den Schlüssel fortgenommen, und sie genirte sich, darnach zu fragen. Er ivar übrigens ebenso friedfertig und gehorsam gewesen wie gestern, aber spaßiger, so daß sie doch ein paar Mal hatte lachen müssen, wie angst ihr auch war. Er käme, hatte er gesagt, sie um Ver- gebung zu bitten für seinen häßlichen Verdacht, und das schien ihr nett von Herrn Wall. Darum lag heute eine stille Vertraulichkeit Uber den Beiden, welche Herrn Jessen schlimmer quälte als der offene Hohn. Er flüchtete hinein in's Comptoir und machte sich mit den Büchern Arbeit. Aber er machte einen so verwirrten Eindruck, daß Frau Knudsen sehr freundlich und theilnehmend fragte, ob er krank wäre. In der Stimmung, in welcher er war, wurde er so ergriffen von ihrer Freundlichkeit, daß er ihr warm in die Augen sah; Frau Knudsen erröthete. Es war nicht das erste Mal, daß ihr erster Kommis sich diesen Blick erlaubte, und sie würde vielleicht kein weiteres Gewicht darauf gelegt haben. Aber seit sie Wittwe geworden, war es das, worauf alle Welt anspielte, Krüger auch. Sich selbst über- lassen, wäre es ihr niöglichcrweise eingefallen, sich wieder zu verheirathen. Der alte Cornelius Knudsen hatte sie genommen, als sie Ladenfräulein war; es war eine Erleichterung, als er starb, und sie behielt einen Widerwillen gegen die Männer. Aber jetzt sumnite es ihr beständig um die Ohren; beständig hatte sie diese Mannsleute um sich, zu allermeist Herrn Jessen mit seinen schwärmerischen Augen, dann Gustav Krüger's offenherzige Späße all' das machte sie unsicher, als ob es unentrinnbar wäre. Während sie in ihre Wohnstube ging, welche an das Comptoir stieß, sagte sie, so kalt sie konnte: Wenn Sie nicht wohl sind, Herr Jessen, können Sie sehr wohl für ein paar Tage zu Hanse bleiben." Sobald Törres erfuhr, daß Herr Jessen krank wäre, fingen alle seine Pläne sich in seinem Kopfe zu rühren an. Schon lange hatte er ein Gefühl gehabt, daß der Handel im Laden nicht den rechten Schwung hätte. Er mußte ansehen, daß gute Kunden hinein- kamen, ohne sich Zeit zu gönnen, bis man aus den mannigfachen Fächern und Schubladen herausfinden konnte, was in den gewünschten Artikeln vorhanden war. Und umgekehrt konnten einige feine Damen den halben Tisch in den' besten Vormittagsstunden mit unendlichen Stößen von Zeug belegen, die sie nur ansehen" wollten. Dazu war Cornelius Knudsen's Geschäft seit alter Zeit so gemischt, daß die Mannigfaltigkeit der Waaren das doppelte Suchen erfordern konnte. Es war, als ob ein Zweig dem anderen die Kraft aussaugte, ohne selbst zu gedeihen. Der lange, altmodische Laden, welcher die verschiedensten Dinge beherbergte von Blonden und Ballblumen bis zu Theer und Salz, war nicht anders geordnet, als daß die feineren Waaren oben bei dem großen Schaufenster nach der Straße gehalten wurde», während man die gröberen Sachen unten nach dem Speicher und den Lagerplätzen zu fand. Törres hatte oft darüber nachgedacht, was wohl das Klügste sein würde: entweder eine Menge Artikel aufzugeben und eine begrenzte Branche zn wählen, oder zwei Läden mit zwei Eingängen daraus zu machen.

Schließlich war er dazu gekommen, daß keines davon nöthig wäre. Die ganze Kunst bestand darin, daß man Ordnung schaffte, daß die zusammen­gehörigen Waaren zusammen und möglichst Alles offen zur Schau gestellt würde, so daß die Leute von selbst den Eindruck erhielten, daß man hier alles Mögliche finden könnte. lind die alte Ordnung, nach der das Feine ans dem einen und dgs Grobe auf dem anderen Ende sich befand, die mußte gebrochen werden. Es war dumm, das sah er ein, daß die Damen das helle Fenster mit Beschlag belegten, von wo sie gleichsam die kleinen Leute und Dienstmädchen verdrängten und verscheuchten, die doch nicht immer im Staat sein konnten, wenn sie Ties oder Jenes einholen sollten. Die Leute mußten zusammengebracht werden. Man mußte das Gefühl erwecken, daß hier alle Wege sich kreuzten, dann würde sich Nieniand zurück- halten. Alles mußte offen ausgestellt daliegen, um die Leute dazu zu bringen, lange zu verweilen und den Laden von früh bis Abend zu füllen. Diese Ideen entwickelte Törres vor Frau Knudsen, während er mit ihr so weit war er schon avancirt. Er wurde jetzt immer lebhafter, sprach leicht und gut, und sie hörte ihm mit Ueberraschung zu. Dieser Banernjunge war nicht nur anstellig und stark, sondern er hatte Gedanken, er wollte etwas, und was er sagte, schien verständig. Ich hätte große Lust, mit Krüger darüber zu reden," sagte sie. Mit Krüger, Frau Knudsen?" rief Törres erschreckt. Warum nicht?" Unser schlimmster Konkurrent!" Es ist niemals von Konkurrenz zwischen uns die Rede gewesen," antwortete Frau Knudsen. Törres lächelte boshaft:Krüger würde natür- lich sagen, daß das dummes Zeug ist, und es dann selbst machen." Sie sah den häßlichen Ausdruck in seinem Ge- sichte und dachte an Krüger's Warnung vor dem jungen Menschen. Aber als er um Erlanbniß bat, ein bischen im Laden zu ändern und zn ordnen, während Herr Jessen fort wäre, konnte nicht sie Nein" sagen; sie wagte es geradezu nicht. In fliegender Hast erklärte Törres Fräulein Thorsen, was er thun wollte. Er stand fast über sie gebeugt und sie sah ihm treu und wohlergebcn in die Augen. Ihr Herz war ganz; es gehörte ihm. Er hätte ihr vorschlagen können, Feuer an den Laden zu legen, und sie würde es herrlich gefunden und das Streichholz selbst angezündet haben. Daraus setzte Törres den Hausknecht und den Laufburschen in Bewegung, die überdies»och den stillen Halvor Röidevaag zu Hülfe bekamen, und er selbst legte mit Anspannung seines ganze» Eifers und aller Kraft Hand an. Den ganzen Nachmittag wurde gearbeitet, während die Leute kamen und gingen; aber erst am Abend, als der Laden ge- schlössen war und die Jalousien herunter, fing die Veränderung an, sich in der fürchterlichsten Unord- nnng zu zeigen. Der Hausknecht Simon Varhaug brummte, immer während er sich abrackerte, er hätte unfehlbar den Teufel. Denn alte Kisten nnd Salzfässer, welche von Anfang an im Laden gestanden hatten, sollten jetzt losgeschlagen und nach dem Speicher verbannt werden, lind dort draußen, wo Simon gewohnt war, mit einer kleinen Laterne herumznkramen, da erschien jetzt ein Mann von der Gasanstalt und brachte zwei Flammen an, so daß selbst der Speicher so hell wurde, wie ein richtiger Laden. Halvar Röidevaag würde auch etwas gesagt haben, aber er war so überwältigt, daß er nur den Kopf schüttelte. Je iväter es am Abend wurde, desto muthigcr wurde Törres und uni so fruchtbarer an Einfällen. Von all' den gröberen Lagerartikeln sammelte er Proben nnd ließ die großen Rollen Tauwerk, die dastanden und nach Theer rochen, hinaus ans den Speicher schaffen. Dagegen ärrangirte er eine ganze Dekoration von Angelschnüren, Haken, Nägeln, Thran in hellen Flaschen, Tabak, Kornproben, Salz und

Erbsen in einer Reihe lackirter Theeschalen, welche er unter dem Tische verwahrt fand. Alles zog er hervor nnd benutzte es. Er nahm keine Rücksicht auf Farbe und Symmetrie; sein einziger Maßstab war Reichlichkeit bis zum Ileberflnß, so daß das Auge überall die mannigfachsten Dinge sah imd doch mitten in der Mannigfaltigkeit das einigermaßen Gleich- artige gesammelt fand. Erst als es nach zwölf Uhr war, bekamen die Leute Erlanbniß, heimzugehen: das Meiste von der Ausräumung des unteren Theiles war beendigt; und Fräulein Thorsen und Törres machten sich nunmehr daran, diesen Theil nach seinem Plane zu arrangiren. Frau Knudsen war mißvergnügt zu Bett ge- gangen; sie hoffte nur, daß Herr Jessen morgen kommen und das Ganze wieder in Ordnung bringen würde. Inzwischen waren zwei Frauen gekomnien, welche die Masse Papier und Abfall, die sich angesaimnelt hatte, forträumen und den Fußboden fegen und scheuern sollten. Aber der Tisch!" rief Fräulein Thorsen Plötz- lich und schlug die Hände zusammen. Der ganze lange, polirte Tisch war vollständig mit allerlei Sachen beladen. Da lagen Stapel von 5ileiderstoffen, Seide, Sammet, gemusterten Stoffen, Blonden, Seife, Galanteriewaaren, Alles so, als ob es ans den Regalen ausgepackt und vorgelegt wäre. Das soll so liegen, Alles zusammen!" nnt- worlete Törres und lachte. Zum ersten Male sah sie ihn zweifelnd an. Ja, etwas könnte es schon geordnet werden," sagte er,wenn Sie nicht zu müde sind." Sie war nicht im Geringsten müde nnd griff sofort mit ihren flinken, kleinen Händen zu. Aber da nahm Törres ihren blonden Kopf in seine Hände und küßte sie auf den Mund. Sie ergriff ihn am Handgelenk und sah nach den Scheuerftauen. Aber da die nichts sehen konnten, ließ sie ihn los und setzte mit gesenktem Kopfe ihre Arbeit fort. Seine Absicht war, daß selbst der Tisch eine große Ausstellung sein sollte, nnd die Ordnung be- stand meist darin, daß die Stoffe so ausgebreitet wurden, daß sie in den vortheilhaftesten Falten fielen. lind als sie endlich damit fertig war, sagte Törres, nun sollte sie Dank für heute haben, und dann wollte er selbst die Schaufenster ordnen. Er begleitete sie hinaus in den dunklen Alkoven an der Treppe, wo die Angestellten ihre Sachen aus- zuhängen pflegten. Hier umfaßte er sie, hob sie ein wenig in die Höhe und sagte:Darf ich heute Abend kommen?" Sie antwortete nichts; er fragte wieder; aber sie gab keinen Laut von sich, sondern schlich still und eilig die Treppe hinauf. Als Törres wieder in den Laden kam, wollte er sich sofort auf das Arrangement der Schaufenster werfen; aber er blieb stehen und versank in Ge- danken vor diesem Ueberfluß, der bisher so friedlich in Fächern und Schubladen verpackt gelegen, und den er nun mit einem Male ausgestreut hatte. Eigentlich war all' das seiner vorsichtigen Bauern- natur im Grunde entgegen. Aber ihm hatte so etwas Aehnliches vorgeschwebt, wie die bunten Stäbe, an welche er in seiner Jugend so viel gedacht hatte, bis es auf einmal mit Macht über ihn gekommen war, daß es gerade die Stadtleute so haben sollte», diese dummen Nienschen, welche das Geld ver- qnasten und Alles kauften, was sie sahen jeden Plunder. Aber als er weiter arbeiten wollte, fühlte er, daß es sich ihm jetzt nicht mehr formen wollte, da sie gegangen war. Nur unter ihren Augen hatte er die glückliche Hand. Nachdem er die überflüssigen Gasflammen aus- gelöscht nnd die Frauen ermahnt hatte, den großen Ofen recht warm zu halten, damit der Fußboden morgen trocken sein könnte, zog er in dem dunkle» Alkoven seine Stiefel ab und schlich sich hinauf. (Fortsetzung folgt)

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