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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Klumpen zusammen, während er den Nägeln die Köpfe abz vidt und sie so werthlos macht. Den Bäckermeister fragt er, was aus dem eingekneteten Teig gebacken werden soll; ärgerlich über diese Frage ruft ihm der Meister zu: Nun was bäckt man denn? Etwa Eulen und Meerkazen?! Flugs wacht sich Eulenspiegel an's Werk, und am Morgen geht aus dent Ofen ein ganzes Heer von gebackenen Eulen und Meerkazen( Affen) hervor zum Verdruß des Meisters. Dieser nöthigt Eulenspiegel, ihm den Teig zu bezahlen, ärgert sich aber später sehr, als er hört, daß sein Schaltsgesell mit seiner sonderbaren Waare ein sehr gutes Geschäft gemacht habe; er will ihm nun den Gewinn abjagen: aber Eulenspiegel ist bereits über alle Berge.
Den wahren Schlüssel zum richtigen Verständniß findet man in der Erkenntniß, daß die Eulenspiegel berichte das dichterische Erzeugniß einer ganzen Klasse, des niedersächsischen Bauernstandes, ist. Der hat seinen Standesgenossen zu seinen Lieblingshelden gemacht und mit Wohlgefallen und befriedigter Sehnsucht nach Wiedervergeltung immer und immer wieder erzählt, wie geschickt und wirksam Till aller Welt eine Nase dreht, und wo er wirklich selbst einmal etwas unangenehmes erdulden muß, gewiß allemal auf einen Schelmen anderthalben setzt. Alle Stände hackten auf dem Bauer herum, alle rieben sich an ihm, saugten ihn aus, unterdrückten und verhöhnten ihn auch noch dazu. Auch die Spieß birger des städtischen Handwerks machten davon keine Ausnahme. Man denke nur an die Rolle, welche die Bauern in den Fastnachtsspielen der städtischen Dichter, der Meistersinger wie Hans Sachs u. a. spielen. Die Stadtherren, welche Herrschaft und Gerechtsame über Bauern hatten, mißbrauchten diese ganz ebenso wie die Fürsten und geistlichen Herren, die Nitter und Adeligen. Gegen die ihnen nach der Standesstufenleiter am nächsten stehenden Bedrücker und Dränger, die noch dazu, meist aus ihren Neihen hervorgegangen, von den herrschenden Klassen auch geradezu ummauerte Bauern" gescholten wurden, richtete sich des Bauernstandes hauptsächlichster Groll. Die Eulenspiegel- Schwänke sind die poetische Nache des Bauernstandes, der dichterische Niederschlag des Klassenkampfes zwischen Bürger und Bauer. Ein neuerer Litteraturforscher, Jellinghaus, formulirt diese Thatsachen in die bündigen Worte:„ Der Eulenspiegel ist der Ruf des in seinem innersten Rechtsgefühl vom romanisirten Städter und einem fremdartigen Fürstenthum gekränkten Bauern, der durch die Welt kommt, indem er die Befehle der Herren mißversteht und lacht, wo er weinen soll, schmußig in Druck und Elend, aber moralisch nicht so unsauber, wie es die städtischen Handwerker waren."
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Abgesehen von dem letzten Saz, der gewiß nicht so allgemein richtig sein dürfte, ist hiermit der Nagel auf den Kopf getroffen. Unstreitig haben wir im Till Eulenspiegel ein bedeutsames Denkmal der Klassenfämpfe in älterer deutscher Zeit vor uns, ebenso wie etwa in Lillo's Drama:„ Der KaufDer Kaufmann von London ", in Beaumarchais ' Lustspiel: " Figaros Hochzeit " und anderen ähnlichen Dichtungen aus klassenkampfbewegten Zeiten.-
In der„ Giftbüffe".
Bon Heinrich Vogel.
ie in den großen Banken sich der Arbeitsertrag eines ganzen Landes verdichtet, so werden in den großen Industriebetrieben mannichfache Fabrikationszweige unter einer gemeinsamen Leitung vereinigt. Wer in Essen gewesen ist, weiß, welches große Terrain im Westen der Stadt die Krupp 'schen Werke einnehmen, und wie hier verschiedene Betriebsarten vereinigt sind. So bilden auch die großen chemischen Fabriken abgeschlossene Ortstheile für sich und vereinigen sehr verschiedene Betriebszweige je nach den am besten zu beschaffenden Rohmaterialien, Absatzverhältnissen und sonstigen Be
dingungen. Die einen beschäftigen sich hauptsächlich mit der Herstellung von Farbstoffen, die anderen mit der von Alkaloiden, die dritten mit der von künstlichen Düngemitteln usw.
Aber alle diese Fabriken basiren auf der Herstellung von Schwefelsäure und von Soda. Daher treffen wir, wenn wir Zutritt in eine chemische Fabrit erhalten haben, fast immer Anlagen und Apparate zur Herstellung von Schwefelsäure. Das Rohmaterial, Pyrit oder Schwefeleisen wird in den Parterre- oder Kellerräumen, nachdem es zerklopft ist, in großen Röstöfen geröstet. Die hierdurch entwickelten heißen und stechenden Dämpfe von Schwefelwickelten heißen und stechenden Dämpfe von Schwefeldioryd oder schwefliger Säure werden dann zugleich mit Luft- und Wasserdampf in große längliche, in Abtheilungen getheilte, in den oberen Stockwerken liegende Bleikammern geleitet, wo sie zu Schwefeltriorydhydrat oder Schwefelsäure orydirt werden. Dies geschieht mit Hülfe von Salpetersäure, die ihrerseits den an das Schwefeldioryd abgegebenen Sauerstoff sich wieder aus der zugeführten atmosphärischen Luft ersetzt, so daß dieselbe Menge Salpetersäure in fast unbegrenzter Weise immer neue Mengen zugeführten Schwefeldioryds zu Schwefelsäure orydiren kann. Wenn wir dem uns führenden Beamten auf die schmalen, zwischen den einzelnen Kammersystemen befindlichen Bretter folgen, bekommen wir gleich einen kleinen Begriff von den Annehmlich keiten der Beschäftigung in den chemischen Fabriken, indem unsere Nase von den hier nie fehlenden indem unsere Nase von den hier nie fehlenden Dämpfen von Salpetersäure und schwefliger Säure recht unangenehm überrascht wird, so daß wir die Arbeiter nicht beneiden, die die häufig nöthigen Reparaturen und Löthungen an den Bleikammern ausführen und den Verlauf des Orydationsprozesses regeln müssen, der Tag und Nacht, Sonntag und Wochentag ununterbrochen fortgeht. Nachdem die Säure diese langen aus Bleiplatten hergestellten Kammern passirt hat, wobei allmälig ihre vollständige Orydation erfolgt, und sie zugleich wieder von der Salpetersäure befreit worden ist, wird sie in großen bleiernen Pfannen und zuletzt in Kesseln von reinem Platin abgedampft, da andere Materialien der Einwirkung der heißen Säure auf die Dauer nicht widerstehen. Ein solcher Kessel aus zirka 80 Kilogramm Platin fostet das nette Siimmchen von etwa 160 000 Mark, woraus man ersieht, daß diese Fabrikation nicht von unbemittelten Leuten betrieben Fabrikation nicht von unbemittelten Leuten betrieben werden kann. Dabei ist die Abnußung der Platinapparate garnicht unbedeutend. Auf 20 Zentner passirter Säure beträgt sie 6 bis 8 Gramm. Aus diesen Platinapparaten läuft die konzentrirte Schwefelsäure ununterbrochen in einem farblosen, krystallklaren Strahl ab in untergestellte Glasballons, in denen sie dann auf in der Fabrik auf Schienen haltenden Eisenbahnwagen oder auf große Kähne zum Versand verladen werden. Im Jahre 1897 find allein in Deutschland 845 582 000 Kilogramm Schwefelsäure hergestellt worden.
Andere Eisenbahnzüge bringen ganze Wagenladungen reines Kochsalz in die Fabrik. Aber diese Wagen sind unter Steuerverschluß; denn dieses Salz ist unversteuert, daher kostet der Zentner ab Staß furt zirka 25 Pfg. Es wird sofort beim Entladen der Wagen mit einer gehörigen Menge Schwefel säure versetzt, wodurch es ungenießbar wird. Für die Fabrikation ist das Salz trotzdem noch verwendbar. Denn es wird meist zur Herstellung von Bisulfat und Salzsäure gebraucht, wozu es mit Schwefelsäure gemischt in großen Retorten der Des stillation unterworfen wird. Hierbei wird durch die Schwefelsäure aus dem Kochsalz Salzsäure ausgetrieben, die in einem System von zahlreichen miteinander verbundenen Krügen aufgefangen wird. Da die Verbindungen mit der Zeit undicht werden, verbreitet sich hierbei in der Luft viel Salzsäuredampf, der sich namentlich dem Neuling unangenehm bemerklich macht. In ähnlicher Weise wird durch Destillation von Chili-( Natron) salpeter mit Schwefelsäure Salpetersäure hergestellt. Die hierbei sich säure Salpetersäure hergestellt. Die hierbei sich entwickelnden Dämpfe von Salpetersäure sind noch unangenehmer und schädlicher. Auch die Salzsäure und Salpetersäure werden sofort in Glasballons übergefüllt.
Das bei der Destillation von Kochsalz mit Schwefelsäure in der Retorte zurückbleibende Natriumsulfat resp. Bisulfat wird nach den älteren Leblanc'schen Verfahren zur Herstellung von Soda durch Zusammenschmelzen mit Kalf und Kohle verwendet. Hier sehen wir vor den niedrigen Herdöfen Arbeiter mit riesigen eisernen Krücken die glühende Masse durcheinander schüren resp. herausfrücken, worauf die Masse mit Wasser ausgelaugt und die gelöste Soda zur Krystallisation gebracht wird. Die moderne Sodafabrikation ist eigentlich ein Kind der französischen Revolution. Bis dahin war Soda fast nur aus der Asche einiger Seepflanzen, namentlich in Spanien , gewonnen worden. Als nach Ausbruch der französ sischen Revolution diese Einfuhr stockte, dekretirte der Wohlfahrtsausschuß( 1793), daß ihm über alle Fabrifationsverfahren der Soda die genauesten Angaben gemacht werden sollten. Damals hatte der Fabrikant Nicolas Leblanc zu Maison de Seine bei St. Denis eben eine Sodafabrik nach einem neuen ingeniösen Verfahren eingerichtet, und sein Verfahren wurde als das zweckmäßigste anerkannt. Er sollte auch von Staatswegen eine Belohnung erhalten; es scheint aber im Verlauf der Revolution vergessen worden zu sein; denn Leblanc theilte das Loos vieler be deutender Erfinder: er starb 1806 im Glend.
Bis zum Jahre 1861 ist das Leblanc'sche Ver fahren in allen Ländern ausschließlich angewendet worden, seitdem wurde es mehr und mehr durch das Solway'sche Verfahren verdrängt. Nur für einzelne Zwecke wird Leblancsoda noch vorgezogen. Die Ents deckung Leblanc's ist, wie er selbst prophetisch vorher sagte, eine der folgenreichsten des modernen Wirthschaftslebens geworden; man kann sie ohne Ueber treibung der Erfindung der Spinnmaschinen an die Seite stellen. Sie griff mehr oder weniger in alle Gewerbe ein, veranlaßte den Aufschwung der Glass und Seifenindustrie, die Vervollkommnung der Blei cherei, der Gewebe- und Papierfabrikation, der Fär berei, des Zeugdruces und vieler metallurgischer Operationen. Gegenwärtig werden in Deutschland allein mehr als 200 Millionen Kilogramm Soda im Jahre produzirt.
Ein Theil der Salzsäure wird zur Herstellung von Chlorgas benußt, indem man sie auf Brauns stein wirken läßt, dessen überschüssiger Sauerstoff einen Theil des Chlors der Salzsäure austreibt. Auch dieser Braunstein wird, wie die zur Schwefelsäurefabrikation verwendete Salpetersäure durch ein geeignetes Verfahren immer wieder regenerirt. Das Chlorgas wird in Kammern geleitet, in denen gelösch ter Stalt ausgebreitet ist, der dadurch in Chlorkalk verwandelt wird. Dabei muß der Stalk, wenn die eine Seite geniigend mit Chlor gesättigt ist, ums gewendet werden. Dieses Umwenden des halbfertigen Chlorkalks und das Einfüllen des fertigen in die Fässer gehört zu den unangenehmsten und schädlichsten Arbeiten; denn das Chlorgas greift die Athmungs organe noch weit energischer an, als die Salzsäure. Man kann daher zu diesen Arbeiten nur sehr kräftige und gesunde Arbeiter gebrauchen, und auch diese unterliegen noch häufig der Einwirkung des Chlors, obwohl sie zur Vorsorge Mund und Nase bei der Arbeit mit einem Tuche oder einem Respirator ges schiizt haben. Wir selbst bekommen schon bei einem ganz furzen Aufenthalt in einer solchen Chlorfalt tammer einen heftigen Hustenanfall und spiiren del quälenden Neiz noch den ganzen Tag in der Luft röhre. Einige jüngere Fabriten haben in Rücksicht auf diese Uebelstände mechanische Vorkehrungen eins gerichtet, bei denen das Betreten der Kammern zum Wenden und Verpacken des Chlorkalks nicht mehr nöthig ist. In den älteren Fabriken müssen aber die Arbeiter den Chlorkalk in den Kammern in die Fässer füllen. In neuerer Zeit führt man das Chlorgas durch Druck und Kälte auch in den tropfbar flüssigen Zustand über und versendet es wie fliissige Kohlens säure in stählernen Flaschen. Es findet so namentlich in der Papierfabrikation viel Verwendung. Wir be merken dabei, daß, während das Chlorgas eine hell griine Farbe hat, das flüssige Chlor orangegelb aussieht.
Auch das Ammoniakgas, das man durch Destilla tion des Gaswassers der Gasanstalten mit Stalt