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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

was die Gerechtigkeit über Dich verhängt, als ein heilsames Kräutlein für Deines Herzens böses Ge­lüfte dienen. Gott   sei mit Dir!"

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Wie sie dasteht! Sie hat wahrhaftig kein Herz im Leibe! Noch nicht eine Thräne weint sie," konnten sich die Weiber, welche bei der Anrede des Pfarrers laut in die Schürze geschluchzt hatten, nicht zu bemerken enthalten.

Lene dachte daran, was ihr der Pfarrer vor drei Wochen gesagt hatte:' s ist ein armes Wesen, das Kind, und es wäre ihm besser, wenn's nicht

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geboren. Da es nun aber einmal da ist, so bist Du mit Deiner Seele Seligkeit für sein geistiges und leibliches Gedeihen verantwortlich."

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Freilich, die Verantwortung auf die schwachen Schultern der Mutter der Vater hat's in der der Vater hat's in der Hand, bei solchen Geschichten frei auszugehen. Die Verantwortung, von der der Pfarrer sprach, dinkte dem Mädchen zu groß, da war der unselige Plan seiner Vollendung um einen Schritt näher gerückt...

Ein paar Tage später hatte sich Dingsfirchen beruhigt und nach einem Jahr hatte sich ein Sprüch

wort eingebürgert, das lautete: machen wie Holländers- Lene."

Die wird's noch

Der ehrenwerthe Gottfried Gabelmann hatte noch so viel Anstandsgefühl, daß er die Ohrfeigen des besagten armen Teufels stillschweigend einsteckte und auf Drängen des Ortsoberhauptes die Kosten für die Beerdigung der alten Holländern und seines Kindes trug. Als das erledigt war, drehte er seinen Schmurrbart nach oben, steckte die Füße in ein paar neue Stiefel und verließ Dingskirchen auf Nimmer wiedersehen.

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C

Feuilleton  .

Ferne Stadt.

ruhen leuchtend über'm Dach des Himmels Weiten, Durch Baumeswipfel über'm Dach die Winde gleifen.

Die Glocke in die Lüfte könk

mit leisem Schlage,

und aus des Baumes Heffen tönk des Vogels Klage.

Fern athmet sie, die große Stadt, es pulst das Leben,

Gedämpfte Stimmen von der Sladk herüberschweben.

So künd' mir deiner Seele Both, der du in Thränen,

Wo blieb in deiner Seele Both dein Jugendsehnen?

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Nach Paul Verlaine  .

Der verlorene Sohn. Benjamin Vautier  , der im vorigen Jahre gestorbene Düsseldorfer   Maler, ist neben Knaus der bekannteste deutsche Genremaler. Das Bild, das wir heute von ihm bringen, kann als typisches Beispiel für Beider Art gelten. Es erzählt die Geschichte vom verlorenen Sohne in einer neuen Wendung, in das Leben eines Bauern aus unseren Tagen versezt; aber der Künstler hat sich nicht mit den wenigen Zügen be= gnügt, die ihm von seiner Vorlage gegeben waren, sondern er hat eine Reihe von Personen hinzugefügt, die er, jede für sich, umständlich charakterisirt. In dieser Fülle von Einzelmotiven, die es bei jeder dargestellten Person völlig flar werden lassen, was sie im Augenblick denkt und welche Gefühle se bewegen, liegt das entscheidende Merkmal jener Kunst. Und es ist nicht schwer, diese Einzelzüge zu erkennen, da der Maler sie alle durchsichtig und flar gezeichnet hat. Die Wirkung, die das Eintreten des verloren geglaubten Sohnes, sein frankes Aussehen und seine abgerissene alledem enthüllen sich mit einem Schlage seine Geschicke auf die bei Tisch ver­sammelte Familie ausübt, giebt die einzelnen Motive. Der alte Bauer ist aufgesprungen, er wendet sich fort, die Rechte kehrt sich zwar abweisend gegen den Heim­gekehrten und mit der Linken stößt er den Stuhl zurück, als wolle er zeigen, daß es mit dem Sohne ebenso sein solle, aber in dem Gesicht zuckt es vor innerer Bewegung und den harten Ausdruck um den gepreßten Mund und die finster in Falten gelegte Stirn straft der Blick Lügen, der finnend in die Ferne geht und die aufkeimende weichere Regung verräth. Zwischen den beiden Hauptpersonen, dem Vater und dem heimkehrenden Sohne, ist die Auf­merksamkeit der übrigen Mitglieder des Hauses getheilt. Die Mutter ist schnell entschieden, kaum hat sie den Sohn, elend und hülfsbedürftig, gesehen, da weiß sie, daß sie ihn mit Freuden wieder aufnehmen würde, und sie wendet sich begütigend und bittend an den Vater, dessen Denk­weise sie kennt, von dem sie aber auch weiß, welche wider­streitenden Gefühle in ihm kämpfen. Im dem Gebahren der Geschwister malen sich verschiedene Empfindungen: Unmuth in dem jüngeren Bruder, der zu Hause geblieben ist und den Preis seiner Mühen durch den Heimkehrenden bedroht sieht, Theilnahme bei der Großmutter, Neugier bei dem jüngsten Mädchen, Schreck bei der einen, demüthiges Bitten um Verzeihung für den Bruder bei der anderen, der ältesten Schwester. Die alte Magd, die an der Thür gestanden, hat sofort den Eintretenden erkannt, Staunen und Sorge wegen seines Aussehens, aber auch reine Freude drückt sich in ihrem Gesicht und ihrer Bewegung aus. Auch der alte Hund weiß sofort, wer da gekommen ist, und er springt ihm freudig bellend entgegen und an thm hinauf. Es ist der erste Liebesgruß an den Heim­gekommenen; dankbar streichelt er dem treuen Thiere bie Stirn.

Kugelblitze. Troß der großen Fortschritte, die unser Jahrhundert in der Erkenntniß der Naturerscheinungen gemacht hat, giebt es doch noch manchen Vorgang, der auch den Naturkundigen vollkommen räthselhaft und unerflärbar ist. Zu den merkwürdigsten dieser Erschei­nungen gehören die sogenannten Kugelblize. Erst im vorigen Jahrhundert erkannte man, daß es sich bei den Blizen nicht um die Entzündung brennbarer Dünste handelt, sondern um elektrische Entladungen, die theils zwischen Wolfen, theils zwischen einer Wolfe und der Erde vor sich gehen. Während nun die Bedingungen der gewöhnlichen Blize genau studirt sind und wir sie in unseren Laboratorien in kleinem Maßstabe nachmachen können, fehlt uns jede analoge Erscheinung zu einem Kugelblizz.

Der Zickzackblik springt von der Wolfe auf die Erde über und hat eine Dauer von einem ganz geringen Bruch­theil einer Sekunde; ein Kugelblig dagegen erscheint meist in der Nähe der Erde als eine feurige Kugel, die zuweilen furze Zeit an einem Orte stillsteht und sich dann während mehrerer Sefunden mit nicht übermäßiger Geschwindigkeit fortbewegt. Die Größe dieser elektrischen Feuerfugeln ist eine sehr verschiedene, ebenso ihre Farbe, die weiß, gelblich oder röthlich, zuweilen tiefroth ist; bei ihrer Bewegung verursacht sie meistentheils kein Geräusch, bisweilen hört man jedoch ein starkes Knattern, und schließlich der= schwindet sie unter einem heftigen Knall, bei welchem das gewöhnliche Rollen des Donners nicht gehört wird. Defters zerplagt die Kugel hierbei und sendet nach allen Seiten hin Strahlen, die erhebliche Zerstörungen und Brandschaden verursachen können.

Zuweilen entstehen die Kugelblize nicht an der Erde, sondern schweben direkt aus einer dunklen Wolkenmasse langsam herab, um in der Luft zu zerplazen. Auch im Anschluß an andere Blize können Kugelblige entstehen. So traf am 13. Juli 1869 während eines starken Ge­witters ein Zickzackbliz einen Bappelbaum auf der Rhein­insel bei der Kehler   Schiffbrücke. Gleich darauf bewegte sich von der Gegend dieses Pappelbaumes aus fast horizontal eine Feuerkugel gegen cinen 840 Meter ent­fernten Kastanienbaum, wo sie unter Explosion verschwand. Zu diesem Wege brauchte sie 3%, Sekunde. Ein Theil des Kugelblizes, der die Kastanie getroffen, drang am Stamme herab in den Boden; ein anderer Theil traf drei Soldaten, die auf einer Bank unter dem Baume gesessen hatten, und tödtete zwei derselben sofort, während der dritte schwer verlegt wurde. Harmlos sind also diese räthse haften elektrischen Feuerkugeln ebensowenig, wie die wohlbekannten Zickzackblige.-

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t.

Das ,, Festmahl". Anne- Brita war eine reine Lapp= länderin, aber das wollte sie niemals wahr haben, ob= gleich ihr bekannt war, daß das ganze Dorf darüber Bescheid wußte. Als sie zehn Jahre alt war, kam sie zu einem norwegischen Hofbefizer als Hütemädchen, und seitdem war sie auf dem Hof geblieben. In den ersten Jahren sprang fie immer auf den Hof hinaus, wenn sie Jemand sich dem Hause nähern sah, und schrie ihm ent­gegen: Nur Bauern feine Lappen!" Die Eltern kamen oft auf den Hof, um nach ihrer Tochter zu sehen, und der Bauer füllte ihnen dann den mitgebrachten Sack mit Mehl; aber die Tochter wollte meist das lappisch gekleidete Paar nicht anerkennen. Die Schwester der Anne- Brita war mit einem Fischer- Lappen verheirathet. Es war in der Fischerhütte mit dem Essen nur schwach bestellt, und man erzählte denn auch im Dorfe, daß man wegen der Fischer- Sara keine Kazen halten könnte, da fie sie abfing und die feinste Suppe daraus kochte, wenn der Mann müde und hungrig von der See heimkehrte.

" Huhu," sagte Anne- Brita und warf den Kopf zurück und rümpfie die Nase. Ach, nein, wenn ich denke... Kazenfleisch essen... puh... pfui... gitsch!"

Die will nun wirklich auch ein feines Bauern­mädchen sein... die Aalpieke ihre eigene Natur verleugnen... pfui... puh!" sagte die Fischer- Sara. Aber

na, warte nur!"

Sara hatte ein großes, fettes Lamm, das sie mit Fischabfällen und dergleichen großgezogen hatte; das sollte der Weihnachtsbraten werden. An einem Samsta

nachmittag im Herbst kommt Sara zu Anne- Brita und sagt: Höre, Du, Anne- Brita, es geht ganz jämmerlich mit Larsen's Fischerci! Wir sind nahe daran, zu ver hungern... jest in dieser Zeit... und daher müssen wir ja, es ist traurig in diesen harten Zeiten daher müssen wir unseren Kleinen schlachten, siehst Du." " Euer Lamm?" fragte Anne- Brita.

" Ja, uns bleibt kein anderer Ausweg. Aber du großer Moses, was das für eine Suppe giebt!. Selbst Pharao in all' seinem Glanz und seiner Herrlich­feit konnte nichts Besseres haben!"

" Das ist ja gut für Dich," erwiderte Anne- Brita gleichgültig und nahm wieder ihre Arbeit vor.

Aber ich dachte auch an Dich, Anne- Brita. Es wäre schade, wenn Du nicht einen Löffel Suppe und einen fleinen Bissen von diesem schönen Fleisch haben solltest; so was ist ja auch für Dich keine Alltagskost!" ,, Nein, das freilich nicht!"

Du mußt zusehen, ob Du nicht für einen Augen blick Dich zu uns hinschleichen kannst."

Der

Und Sch

Ein

Wo

Höre, Brita, glaubst Du, daß Du auch ein bischen Brot hinschmuggeln könntest?"

Mit

" Ja, ich dank Dir, Sara, ich werd' mich schon zu Euch hinschleichen."

" Ich werde sehen!"

Und... hör' noch, Anne- Brita, wenn Du auch ein Schnäpschen erwischen könntest.. Denn... zu so fettem Fleisch, siehst Du o Jemine!"

Ja, sie wollte mit dem Bauern reden; ste hätte schon früher Schnaps bekommen, wenn sie diese Magenkrämpfe friegte, die sie von Kindheit auf hatte... Ja, sie würde die Sachen schon mitbringen und kommen; es wäre ja sozusagen auch für sie ein Festtag!

" Ja, ia, wir verstehen auch, Essen zu kochen, wir in der Fischerhütte, Anne- Brita, Du brauchst nicht über Deine Schwester die Nase zu rümpfen."

,, Wirklich, es war sehr gut, man kann nichts Anderes sagen. auch reines Weihnachtsessen... Alles. so gut zubereitet

Plöglich unterbrach sich Anne- Brita mitten im Sabe das Lamm, das, wie sie meinte, gefotten vor ihr auf dem Tische gestanden, kam blökend am Fenster vorbei­gesprungen; aber die große, schwarze Kaze, die immer den Weg zum Tisch zu finden wußte, war nirgends 3 sehen. Da ging Aune- Brita ein Licht auf; mit einem Saz sprang sie von ihrer Bant.

Die Fischer- Sara hatte sich ebenfalls erhoben und stand, die Hände in den Seiten, da und lachte so herzlich und laut, daß sie sich rein rerschluckte. Sie begleitete Anne- Brita bis zur Thür und brachte unter Lachanfällen hervor: Ach ja, gewiß, die Natur verleugnet sich selten; auch die Anne- Brita konnte Kazenfleisch essen!"

Russische Sprüchwörter.

Mit Gewalt zu überzeugen, Strebt oft grausam ein Tyrann; Aber Recht behält die Knute Nur, so lang' fie peitschen kann.

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Es plagt oft mancher Napf Vor Stolz und Uebermuth, Weil grad' in ihn der Zar Zu speien hat geruht.

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Ole Bang.

Wer arm ist und nur eine Birke hat, Dem stirbt sie bald,

Wer ihrer zehn besitzt, dem treiben sie Den schönsten Wald. Maximilian Bern  .

Alle für die Redaktion der ,, Neuen Welt" bestimmten Sendungen sind nach Berlin  , SW 19, Beuthstraße 2, zu richten.

Nachdruck des Inhalts verboten!

Berantwortlicher Rebatteur: Oscar Kühl in Charlottenburg.  - Verlag: Hamburger Buchdruckeret und Berlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg.  - Drud: Mar Bading in Berlin  .

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