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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

den siebenunddreißigjährigen Goethe die Flucht nach Italien  ". In Italien   wurde Goethe's   Kunst sonnen­reif. Er war ausgezogen, um die klassische Autie zu erkennen, und brachte nach Deutschland   Lebendigeres heim; zur heidnisch- freien Anschauung der Welt, zur Erkenntniß der Natur als eines all einheitlichen Organismus ge ellte sich eine neu erworbene geistige Freiheit; ein heiteres Weltbürgerthum, cin freudig betontes Humanitäts- Ideal, wie es in reifster An­muth in der Iphigenie" sich darstellt. Die mensch liche Milde

der Iphigenie ist nicht hellenistisch; für die Hellenen gab's ringsum Barbaren und im Lande den Helotisms.

Aeußerlich mochte das Ges dicht an antife Formen erin= nern, innerlich war ein grund­modernes Ideal erhoben. Man hat die Verse in der Iphigenie, wie im Tasso", marmorglatt und marmortalt ge= heißen. Aber man hat über ihrem Gleichmaß und ihrem Wohllaut, der wie ruhig süße Musik hin­fließt, die beseelte Wärme nicht ge­achtet. Iphigenie sowohl, wie der Tasso, in dem Goethe verſtieges nes dichterisches Wähnen wie dich terische Gereizt heit vom Halse sich lud, waren wohl früher ent standen, aber in Italien   erhielten sie erst die voll­endete Form. Unter der Sonne Italiens  

reifte auch der

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Egmont  ", ein

echt poetischer

Held", unbes fümmert in hei­terer, finnfroher Menschlichkeit wird er, weil er vertrauens freudig, einOpfer der verschlagen­düsteren Here Politik.

satirisch gegen ihre Wirkungen vorzubringen suchte, satirisch gegen ihre Wirkungen vorzubringen suchte, wie das Komödienfragment vom Bürgergeneral  , ist weit, weit fleiner als Goethe's sonstiges Maß. Es weit, weit kleiner als Goethe's sonstiges Maß. Es ist zu verstehen, wie Ludwig Börne  , der pathetische Demokrat und leidenschaftliche Hasser, sich kleinlich an Goethe's Kleinlichkeiten flammert. Wer die Ge­sammterscheinung Gcethe's sieht, wie sie nothwendig sich entwickelt hat, wird vom Menschen Goethe nicht be­gehren wollen, daß er ein einsamer Den er und Dichter und zugleich ein hipiger Ag tator hätte sein sollen.

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sich mit Handwerksburschen, die ihm etwa begegneten, ungezwungen unterhielt und daß er diesen seinen menschlichen Freunden gerne einen Thaler als Zehr­geld zusteckte. Und an seinent süßen Bettschatz", wie die Christiane Vulpius   von der ungenirten Mutter Goethe's   genannt wurde, hat er auch nicht seig gehandelt. Troß dem Naserümpfen der Vornehmen und dem Weimarschen Geschwät ehelichte er sie.

Es ist nicht möglich, in Stizzenform auf alle Werke und Dichtungen einzugehen, die für den überaus

thätigen Goethe charakteristisch find. Goethe war ja auch fritisch geschäftig. Nur noch der Meister arbeiten sei furz gedacht, die den

geistigen Gehalt

unseres Bolts

thums vermehren halfen.

Noch vor Auss gang des vorigen Jahrhunderts entstand zunächst das liebliche Idyll Hermann und Dorothea  ", das zum Volfsbuch geworden ist oder ivenigstens ver dient hätte, es zu werden. Tro feiner antitiji

renden äußeren

Form, die der

spätere Goethe fo sehr bevorzugte und die unserem Sprachgeist sich doch niemals so anschmiegt, wie der freiereRhyth mus und der Neim. Die Wei sen des klassischen Alterthums haben manchmal unseren Goethe zu sehr in ihrem Bann gehalten. " Hermann und Dorothea  " haucht das Be hagen eines still umfriedeten Glückes aus. Draußen wettert es, in der engen und gefestigten Kleinstadt fühlt man sich aber in ficherer Hut. G ist ein Gliid im Winter", wie es auch die Poeten der Gegenwart zu preisen lieben. Aber feine Spur von der müden Entsagung, die die jezigen Boeten geleitet, ist in dem fernfesten Gedicht, dessen Gemiithlichkeit selbst durch manch zopfiges Schnörkelchen noch erhöht wird.

Sehte Sonnenstrahlen. Nach dem Gemälde von Paul Höcker  .

Die naive, so garnicht moralisirende Goethe'sche Humanität bildet nun ein Band in Goe.he's Lebens­werk. In der Ballade von Mahadöh dem Gott, der die gefallene Bajadere erbarmend zu sich erhebt, bis zur Tragödie vom bißenden Gretchen, dem die Stimme von oben zuruft: Gerettet!" überall be­gegnet man modern- menschlichem Empfinden und der Sagung: Begreifet und vergebt und richtet nicht!

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Dieser heiter freien Menschlichkeit können wir so dankbar sein, daß wir uns heute nicht mehr um Goethe's politische Apathie gegenüber großen gesell­schaftlichen Umwälzungen zu grämen brauchen. Goethe stand in so Vielem über der Masse seiner Zeitgenossen, sein künstlerischer Sinn, der intensive Konzentrirung brauchte, war so mächtig in ihm, daß man getrost bekennen darf: Die machtvolle franzö­ sische   Revolution hatte ihn verwirrt, und was er

( Photographieverlag der Photographischen Union in München  .)

Was Goethe sonst immer menschlich verfehlt haben möge, wer wollte jezt noch darüber ingrimmig rechten?! lleber Menschlichkeiten wächst Gras; das geistige Erbe bleibt. Goethe wurde häufig als falt, diplomatisch zurückhaltend geschildert. Aber wie oft mag man seine sensible Poeten- Natur verlegt haben, wie bitter wurde dieser Goethe behandelt, und wie leicht konnte sein empfindliches Wesen sich dann ver­schließen und unzugänglich erscheinen. Dann, als er Weltruf gewonnen hatte, drängten sich müßige Neugier, fofette Eitelkeit an ihn heran. In all' diesen Dingen ist fühle Abwehr eine erprobte Waffe.

Theilnahmslos war Goethe   nicht. Die Zeng nisse eines Schiller wiegen zehnfach mehr, als die nisse eines Schiller wiegen zehnfach mehr, als die Seufzer verlegter Aushorcher. Wir wissen auch, Wir wissen auch, daß Goethe mit ausgesuchtem Taft Wohlthaten zu erweisen verstand, wir wissen, daß der Wandersmann Goethe, wenn er frei in den Bergen sich erging,

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Allein sogar dies gemüthliche Idyll wurde bitter angefeindet. Der fast fünfzigjährige Goethe mußte sich Dinge sagen lassen, wie sie in der Gegenwart ,, die schmußigen Realisten" von den Schönsprechern und Akademischen" anhören müssen, die Kunst , soll erheben, in ideale Sphären riicken." Statt dessen hätten im Hermann alle neun Musen für die Dorfschente gesungen". Man ersieht, es war damals, wie es noch heute ist, und selbst das an muthreiche, gefällige Genie Goethe's   hatte rauhe Widerstände zu fesiegen.

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Ein Jahr vor dem Hermann war das trefflichste erzählende Buch. Goethe's erschienen: Wilhelm

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