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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
fünfzig Tausend Gulden Goldrente vinfuliren lassen. Ich will von nun an regelmäßig einen Theil unseres Gewinnes für die Kinder deponiren, so bleibt das Stammvermögen intakt, und für die Kinder sammelt es sich allmälig an... Irene hat ihre hundert Tausend schon beisammen."
Nach vierzehn Tagen trat in der Pfarrkirche während des Vormittags- Gottesdienstes ein Ereigniß ein, das namentlich die Gläubigen weiblichen Geschlechtes ganz besonders zu interessiren pflegt. Von der Kanzel herab wurde nämlich verkündet:
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„ Es beabsichtigen in den heiligen Stand der Ehe zu treten:
Herr Otakar Zaul, ledigen Standes, katholisch, Ingenieur, ehelicher Sohn des seligen Anton Zaul, Töpfermeister und seiner Ehefrau Katharina, geb. Nowak, geboren am 27. Oftober 1847 in Chynow, Bezirk Tabor,
mit der
Jungfrau Celestyne Ticz, ledigen Standes, katholisch, Gouvernante, geboren am 16. Mai 1857 in Niesendorf a. d. Schwarzen Halster in der Lausis, ehelicher Tochter des seligen Wilhelm Tieb, Bergmann, und seiner Ehefrau geb. Garbens...."
Celestyne regten die unerläßlichen amtlichen Formalitäten, welche der Trauung vorangingen, furchtbar auf. Sie suchte es zwar zu verbergen, aber Zaul merkte es doch; er schonte sie, so viel er konnte, indem er sie nur dann in Anspruch nahm, wenn es unbedingt nothwendig war.
Der Ingenieur wünschte die Hochzeit in Prag zu feiern; als aber die Deputation der Bahnarbeiter mit Galat an der Spitze erschien, blieb er in Staliz und willigte auch ein, daß die Hochzeit an einem Sonntage stattfände. Das liebenswürdige Anerbieten der Frau Chladef, die unter allen Umständen und mit aller Gewalt die Festlichkeit in ihrem Hause haben wollte, lehnte Zaul sehr höflich, aber ganz entschieden ab.
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Und laut genug ging es her bei dieser Hochzeit. Die Tische bogen sich fast unter der Fülle der aufgetragenen Speisen, und alles das hatten die Arbeiter selbst zusammen gebracht. Vor der Kirche wurde ein Triumphbogen aufgestellt und mit herzlich naiven und sogar unorthographischen, aber gut gemeinten Inschriften versehen. Und als die Hochzeitsgäste zur Kirche schritten, bildeten die Bahnarbeiter die Vordersten, ausgesuchte Leute im Sonntagsgewande - zwei lange, dichte Neihen. Galat's Partie verschoß den Tag über alles Pulver, das in Skaliz und meilenweit im Umkreise aufzutreiben war, und Herr Chladek hatte sogar den Magazineur stark im Verdacht, daß er aus den ihm anvertrauten Vorräthen beigesteuert hätte, und lebte den ganzen Tag in ständiger Furcht, daß da, hinter dem Städtchen, wo die Böller aufgestellt waren, irgend ein Unheil passiren würde.
In einer stillen, abgelegenen Gasse in Prag , in zwei von Celestynens geschäftigen Händen wie Ostereier ausgeschmückten Stübchen, mit vier Fenstern in den Garten, schaute Otakar Zaul mit seinem trauten Weibchen dem dahin wirbelnden Laub und den ersten fallenden Schneeflocken zu. Der Herbst und der Winter vergingen den Neuvermählten im gegenseitigen Wetteifer einer zärtlichen, unersättlichen Liebe, wie ein föstlicher Maienmorgen.
Der Ingenieur erwarb sich eine Konzession und übernahm in einer Vorstadt die Regul rung einiger Gassen, das leberwölben eines Grabens, Verlänge rung der Straße und den Bau einer kleinen Brücke, Alles in Allem Arbeiten von nicht bedentendem Umfange. Die Vorstadtgemeinde war noch jung, schnell wachsend und emporstrebend, hatte nur geringe Einnahmen und um so größere Ausgaben. Diese Umstände hatten natürlich auf den Preis der Arbeiten eingewirkt und ihn stark herabgedrückt.
Gingedenk der schlechten Lage des Kleingewerbes, suchte der Ingenieur nur die ärmeren Bauhandwerker als seine Hülfskräfte heranzuziehen, meistens solche, die im Winter, wenn alle Bauthätigkeit brach liegt, am Hungertuche nagen müssen. Einem Jeden von ihnen schaute die stumme Bitte um ein paar Kreuzer aus den Augen...
Der Maurer bekam einen Vorschuß, und Vor
schüsse wurden auch dem Steinmetz und dem Pflasterer nicht verweigert. Dem Töpfer wurden die zur Drainage nothwendigen Nöhren im Voraus bezahlt und der Beihülfe Derjenigen, die Sand, Schotter und Anderes zu fahren hatten, hatte sich der Ingenieur durch Anzahlungen versichert.
In den Unterhandlungen mit den Lieferanten von Materialien zeigte er sich jedoch über alle Maßen fuickrig. Der Besizer der Ziegelei und des Steinbruchs warf ihm eine unsinnige Werthunterschäzung vor, und der Holzhändler verschwor sich hoch und theuer, daß er nur bei einer so kleinen Lieferung den Schaden ertragen könne, daß ihn aber bei diesen Preisen ein großes Geschäft unfehlbar an den Bettelstab bringen müßte. Und ähnlich klagten auch die anderen Geschäftsleute, die gewohnt waren, ihren Nugen nicht unter zwanzig Prozent zu berechnen. Die Arbeiter mußten freilich fleißig sein. Der Ingenieur duldete nicht, daß sie die Arbeitszeit mit dem Stopfen und Ausklopfen ihrer Pfeifen ausfüllten. Dafür bezahlte er anständige Löhne, und Manchem von ihnen ward der Vorschuß geschenkt. Und wenn Einer mit der Klage fam, daß sein Weib frank liege, wurde er unterstützt, und klagte ein Anderer, daß er seine Kinder nicht genügend versorgen könne, ging auch er nicht leer aus.
Diese gute Seite des Ingenieurs nüßten sie allmälig Alle aus. Sie spekulirten darauf und schleppten schließlich systematisch von ihm Alles weg, Geld, Kleider und was die Küche bot.
Und Zaul gab immer. Celestyne war es, die in der Regel zu einem verständigen Maßhalten rieth. Nach ihrer Verheirathung erwachte in ihr, wie in den meisten Frauen, die zukünftige Mutter, die sich für verantwortlich hielt, mit dem ihr anvertrauten Pfund im Interesse der erhofften Kinder hauszuhalten.
Und im Sommer hatte sie ihrem Gatten unter tausend Küssen die ihn beglückende Nachricht anver= traut, daß ihre Hoffnungen und Sorge nicht ohne Grund sei.
Der Ingenieur war wie Wachs in ihren Händen; er willfahrte ihr in Allem. Er gab auch dem Rathe seines sparsamen Weibes nach und verschloß fester Ohr und Taschen. Als jedoch nach einiger Zeit Jemand kam und ihm recht herzbrechend etwas vorweinte, oder wenn bei der Auszahlung anstatt des Mannes eine schwache Frau mit ein paar kränklichen Kindern erschien, war es aus mit allen Vorsägen und aller hartherzigen Sparsamkeit. Der„ Herr" fühlte sich beschämt und gab doppelt und entschuldigte sich bei seinem Weibchen:" Sie benöthigen es dringender als wir, und wir können uns ja einschränken...."
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Als im Herbst die Arbeiten vollendet waren, und Zaul seine Schlußrechnung machte, stellte sich heraus, daß er zwei Drittel seiner Ersparnisse verloren hatte.
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Mit diesem kleinen Rest werde ich nichts mehr unternehmen können, und möglicherweise werden wir ihn früher aufzehren, bevor sich etwas für mich Passendes gefunden hat," beichtete er mit schwerem Herzen Celestyne, als sie den Stand der Dinge zu erfahren wünschte.
Sie fuhr ihm kosend mit den Fingern durch die Locken, und den Arm um seinen Nacken legend, tröstete sie:
„ Kannst Du nicht Dein Vermögen in die Wagschale legen, so thue es mit Deinem Können und Wissen, und die Früchte Deiner Thätigkeit werden Dir wieder zufallen. Fangen wir von Neuem an und seien wir nach den gemachten Erfahrungen etwas flüger und gewigter."
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So sei es!... Ich will wieder dienen," entschied sich der Ingenieur, und begann zu suchen, bis es ihm endlich gelang, eine Stelle zu finden. Freilich nicht in Prag , sondern in weiter Ferne, in einer Gegend des nordwestlichen Mährens.
Celestyne war hocherfreut. Als sie sich jedoch vergegenwärtigte, daß ihr Bestimmungsort sich nahe an der schlesischen Grenze befände, erbleichte sie. Der Athem ging ihr aus, und die Augen nahmen wieder denselben Ausdruck an, der dem Ingenieur den Schluß ihrer Erzählung auf Alt- Duba sehr lebhaft und beänstigend in Erinnerung brachte.
Bald hatte sie sich jedoch wieder erholt, und es gelang ihr, mit Zärtlichkeiten und fleinen Schmeiche leien die aufsteigende Sorge des Gatten zu zerstreuen.
Das Zusammentreffen verschiedener Umstände brachte es mit sich, daß sie sich genöthigt sahen, am Weihnachtsabend von Prag abzureisen. Ihre Möbel und das gesammte Gepäck hatten sie vorausgeschickt. Nachdem sie von den wenigen Bekannten, denen ſie bei ihrer zurückgezogenen Lebensweise einige Aufmerksamkeit gewidmet hatten, freundlichen Abschied genommen, und zum letzten Male in Prag ein stilles, bescheidenes Weihnachtsabendmahl verzehrt hatten, verließen sie mit dem Nachtzuge der Staatsbahn die Stadt.
VII.
Es herrschte eine grimmige Kälte. Die Fenster des Coupés bedeckte eine dicke Gistruste, die mit warmem Wasser gefüllten Staften auf dem Fußboden fühlten bald mehr, als daß sie wärmten. Das in der Wagendecke angebrachte Gaslicht glomm mide, als könnte auch es sich des Frostes nicht erwehren. Ingenieur Zaul wickelte sein Weibchen und sich selbst in einen weiten Reisepelz, in dem versteckt sie sich zärtlich aneinander schmiegten. Sie schliefen nicht, und sich gegenseitig neckend, scherzend und lachend, fühlten sie sich wohl in ihrem warmen Nestchen.
Auf dem Bahnhofe, welcher den Kreuzpunkt der Staatsbahn und der Nordwestbahn bildete, in Wildenschwert, stiegen sie aus. Der hartgefrorene Schnee fnirschte unter den Füßen der eilenden Reisenden und der Bahnangestellten, die an der Wagenreihe entlang geschäftig hin und her eilten.
Das Zuschlagen der Thüren, der schrille Klang der Signalglocken, das Keuchen und Zischen der Lokomotive, so wie das Durcheinander schreiender und rufender Menschenstimmen belebte für eine Weile den in nächtliche Finsterniß gehüllten Bahnhof. Wer durch sein Amt nicht draußen gehalten wurde, stürmte nach dem durch einige matt erhellte Fenster erkennbaren Bahnhofsgebände.
" Zwölf Uhr und einundzwanzig Minuten; Anfunft richtig," meldete der Beamte du jour dent Oberkondukteur.„ Aber in fünf Minuten können Sie nicht abfahren, Sie werden zehn Minuten warten miissen. Der Zug der Nordwestbahn hat wegen Schneeverwehungen Verspätung und wurde soeben erst signalisirt."
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,, Und sollte acht Minuten vor uns da sein," brummte der Oberkondukteur, sich nach dem Wartesaal begebend.
Das gemeinschaftliche Bahnhofsgebäude in Wil denschwert ist zwischen den beiden Bahnen durch eine Längsgasse getheilt. Auf der südlichen Seite befinden sich die Bureaux und die Ausgänge aus den Wartesälen für die Staatsbahn. Auf der nördlichen Seite liegen die Zugänge zu den Geleisen der Nordwestbahn.
In den Wartesaal dritter Klasse, dessen Eingänge von beiden Seiten direkt nach den Perrons führen, drängten sich einige Reisende. Baul mit seiner Gattin, ein Soldat, der für die Feiertage Urlaub bekommen hatte, eine Krämerfrau, die mit einem Haufen von Schachteln von irgend einem Markte zurückkehrte, und ein Bauersmann, der in seinem Schafspelz ein Parfüm von nicht gerade feiner Beschaffenheit mit sich herum trug. Schließlich der Oberkondukteur und ein Bremser des Zuges.
In dem durch einige Petroleum- Hängelampen nur mangelhaft erhellten Wartesaal ging ein ver schlafener Kellner herum. Auf der Bank an einem langen Tische schnarchte Etwas in einem Bahnpelze. Daneben stand eine brennende Laterne.
" Thee mit Num!" herrschte der Oberkondukteur den Kellner an. Aber beeilen Sie sich!"
"
"
Mir auch!. Mir auch!..." riefen der Bremser und der Bauer. Der Soldat zählte, von einem Fuße auf den anderen tretend, inzwischen seine aus allen Taschen zusammengesuchten Kreuzer nach, während die Judenfrau sich noch mit ihren rebellischen Schachteln beschäftigte.
Was ist das für ein Höllenlärm hier?" ärgerte sich der Oberkondukteur." Sie, Bremser, figeln Sie dort drüben den nordwestbahnlichen Nachtwächter ein