Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
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sonderlichen, auch bei ihr die triviale Umgebung, die ihr Seelenleben nicht verstand!.. Sie ließ das Buch sinken und sah vor sich hin; eigentlich war sie heute verdrießlich, ärgerlich auf die ganze Welt, in erster Linie auf Fedor Russell. Der dumme Junge, daß er die Sache so tragisch genommen, das bischen iiumpoussirerei! Nun lag er im Krankenhause schon bald zwei Wochen und Gott allein mochte wissen, wie diese Gehirnentzündung ablies, über deren un- bekannte Ursache sich alle Welt den Kopf zerbrach. Sie gähnte. Wie langweilig doch das Leben war! Ihr Wann lief umher mit verdrossenem Gesicht, und Sparmann ließ sich auch nicht mehr sehen, nicht einmal Sonntags. Ob er wenigstens heute kommen würde? Sie hatte ihn gebeten, ein Buch zurück- zubringen, das noch vom Sommer her in seinen Händen war. Sie richtete sich auf und horchte. Er konnte jetzt hier sein.... War er das da draußen? Das Mädchen sprach auf dem Korridor mit Jemand. Ja, jetzt, das war seine Stimme. Im Nu stand ie vor dem Spiegel, schob mit ein paar Handgriffen die etwas verstörte Frisur zurecht und ging ihm ent- gegen:„Na, es wurde'mal Zeit." Er schlug in ihre dargebotene Hand nicht ein, mit zeremonieller Verbeugung trat er an ihr vorbei in das Zimmer:„Ich bringe das Buch, gnädige Frau." „Danke, gnädiger Herr Doktor"... sie ahmte seinen küblen Ton nach.„Die Leichenbittermiene steht Ihnen famos! Haben Sie das große Loos ver- loren, oder kommen Sie von einem Katerfrühstück?" „Ich komnie aus Bethanien." „Ach!" Sie wurde um eine Nuance bleicher, ! faßte sich aber schnell,„schon wieder einnial, ich wußte Wmcht, daß Sie solch' Interesse an ihm nehmen. llebermorgen kommt übrigens seine Mutter. Wie wird ste ihn finden?" Er antwortete nicht gleich, er maß sie mit einem langen Blick, und ohne ein Ange von ihr zu ver- wenden, sagte er:„llebermorgen wird er begraben." „Sparmann!!" Sie stürzte ans ihn zu.„Spar- wann... nein! Unmöglich! So schnell... nein, Sie wollen mich nur schrecken. Ach, Sie..." „Gestern Nachmittag ist er gestorben." „Aber.. das ist furchtbar... furchtbar... ist..." Ihre Stimme brach, sie preßte das feine Spitzentuch an die Augen.„Nein, wie ist das ge- kommen? Eine Verschlimmerung? Sprechen Sie doch! Sehen Sie denn nicht, wie schrecklich mir das Alles ist?" „Ja, es muß für Sie schrecklich sein!" Er sagte es langsam und jedes seiner Worte schwer betonend. „O, zu schrecklich!"— sie schauderte zusammen, ohne den eigenthümlichen Klang seiner Stimme zu beachten,—„zu schrecklich... überhaupt der Tod, dieses Auslöschen... ganz fort sein— und nun der Tod; ich schlafe drei Wochen nicht... Sagen Sie nur, wie ist es gekommen?" „Sollten Sie das nicht am besten wissen?" „Ich?" Das Tuch sank in ihren Schooß.„Ich? was soll?... Ich?.- Er klopfte ein Stäubchen von seinen, Nockärmel und sagte, ohne sie anzusehen:„Nicht Jeder ist so ruhig wie— ich es war." „Wie Sie? Sie meinen?... Oh!..." Eine dunkle Blutwelle schoß in ihr Gesicht.„Das... oh, das ist schlecht von Ihnen, die Vergangenheit soll todt sein... Sie gaben Ihr Wort." „Und ich habe es gehalten... aber... aber ... wenn nun die Tobten wieder lebendig werden? Und sie sind lebendig geworden, Kläre. Alle sind sie wieder lebendig geworden. Mit ihren leeren Augen stehen sie um mich herum und glotzen mich an. Kläre..." Er trat ans sie zu und faßte ihren Arm, sein Athem ging schwer und keuchend: „Kläre, Sie hießen mich wiederkommen damals... ich Hab' es gethan!... Keiner hat geahnt, was zwischen uns war. Sie haben mich einen Narren genannt, ich habe weiter an Ihrem Tisch gesessen. Mit blutigem Hohn habe ich mein Ich vor mir selber in den Staub gerissen, weil es noch immer nicht frei kam aus Ihren Banden. Jetzt aber der Knabe... Knabe, ivie ich es war, und das alte I Spiel, das Spiel... das ich kannte... Kläre, ein
Wort... nur ein einziges! Der stille Tobte... hat er. Kläre, hat er auch vor Ihnen gestanden, wie ... ich einmal vor Ihnen stand? Sagen Sie nein! ... Können Sie nein sagen, Kläre?" „Ich... ich... ich weiß nicht... Ich ver- stehe Sie nicht... Was wollen Sie denn? Ich... ich habe ihn doch nicht getödtet!" Sie versuchte sich frei zu machen. „Können Sie nein sagen?" Seine Stimme wurde laut, beinah' schreiend, wie glühende Kohlen bohrten sich seine Augen in die ihren. „Ich... ich... Lassen Sie mich los... Ich... Sie thnn mir weh! Sparmann!... Sind Sie wahnsinnig?" „Wahnsinnig?... Jawohl, wahnsinnig..." er schleuderte sie von sich wie ein ekles Gewürm, „wahnsinnig, wie damals, als ich an Ihre Liebe glaubte, wahnsinnig wie der Knabe da drin! Weib!" seine Hände ballten sich zu Fäusten,„Weib, Du hast uns gehetzt, bis wir toll wurden, bis wir nichts mehr sahen und fühlten als Dich allein— um uns dann als Narren von Dir zu stoßen... Weib, wenn Du wärst, wie Du Dich zeigst— man könnte Dir verzeihen. Aber es ist nichts echt an Dir als die Eitelkeit, man muß Dich verachten. Du..." Seine Stimme verlor sich in einem uiiartiknlirten Laut, er griff nach dem Tisch, als brauche er einen Halt. Erst allmälig gewann er seine Selbstbeherrschung wieder. Er trat zu ihr, und mit einer Ruhe, die unnatürlich war, sagte er:„Mag Ihr Gatte jetzt davon denken, was er will, ich breche mein Wort, ich komme niemals wieder..." Sie ließ ihn gehen. Ohne sich zu rühren, lag ste zusanimengekanert in ihrem Sessel. In ihrer Seele war nichts als eine große Furcht, die Furcht, daß man ihn hören könne, daß es zum Skandal kam, einem Skandal, der sie komproniittirte. Die Dämmernng kam, und sie lag noch immer so. Dann dachte sie an Fedor Russell. Sie machte sich keine Vorwürfe, eher empfand sie etwas wie Stolz. Es war doch hübsch gewesen, daß er ihr seine Liebe weihte, diese erste, junge, unverbrauchte Knabenliebe — ihr, der beinah' vierzigjährigen Frau. Nun war er todt. Oder war er nicht todt? Lebte er weiter? Sie schauderte zusammen. Die Mystik, die ihr so oft zum Spiele gedient, kroch langsam heran und krallte sich fest in ihren Sinnen. Sie glaubte Gestalten zu sehen, starre Augen, die ihr aus dem Dunkel zuwinkten, weiße Gewmider, die an ihr vorüber huschten, und jetzt Schritte, Schritte, die langsam näher kamen, schwere, müde, sorgenvolle Schritte... Einbildung! Sie hob den Kopf und versuchte zu lachen? aber— die Schritte blieben, sie tappten sich weiter, den Korridor entlang. Eine Thür klappte, die Thür zu ihres Mannes Zimmer. Mit einem jähen Ruck stand sie auf den Füßen: Ihr Mann? Was wollte der hier, jetzt? In der stärksten Geschäftszeit?... Wie eine dumpfe Angst stieg es plötzlich in ihr ans, einen Moment noch stand sie lauschend, dann flog sie nach der Thür, nach seinem Zimmer. Er war es wirklich. Er saß vor seinem Schreib- tisch, mit dem Rücken ihr zugewendet. Die kleine grüne Arbeitslampe beleuchtete seine breitschultrige, gebengte Gestalt. Vor ihm lag ein Haufen Papiere nnd neben ihm... da ans dem Schreibttsch... zu seiner Rechten... Er griff darnach...„Karl! ... Ka— rl—!" Mit einem Schritt war sie an seiner Seite, riß sie den Revolver aus seiner Hand. „Karl— was!... Was ist geschehen?!" „Du... Du...!" Er starrte sie an wie eine Erscheinung, nach und nach erst flackerte in seinen irre blickenden Augen ein Licht des Verstehens auf, ein Begreifen, daß sie es war, die da vor ihm stand. Er schwankte und sank in den breiten Armstuhl zurück, ans dem er sich schwerfällig erhoben hatte. Ein dumpfes Schluchzen würgte in seiner Kehle, zer- rissene Worte, unverständlich fast, ohne jeden Zu- sammenhang:„Ersparen wollen... Schlimmstes... verloren... Alles... verloren... vorbei..." „Was ist vorbei?" Sie rüttelte seine Schulter. „Was soll vorbei sein? Rede doch nur! Sprich! Du bist krank? Nein? Hast Deine Stelle verloren? Schlimmeres?... Nein, aber rede doch! Rede!"
Er richtete sich auf unter ihren Worten. Seine Augen suchten die ihren, hülfeflehend wie der Blick des Ertrinkenden und doch mit dem müden Aus- druck des Hoffnungslosen... Und dann, nach einer langen Pause,— einer Pause, in der man nichts hörte als den Wind, der draußen im Garten durch die Bäume fuhr— sagte er, und seine Stimme klang fast brutal in ihrer knappen, schneidenden Deutlichkeit:„Ich habe siebentausend Mark unter- schlagen." „Du?..." Sie stand auf Sekunden regungs- los, dann packte sie seinen Arm:„Du... Du hättest ... Nein, unmöglich! Es ist nicht wahr! Kann ja garnicht wahr sein... Du fieberst!... Doch? O Du... und das mir... das inir?!..." Mit einem Wehlaut fing er sie in seinen Armen auf nnd ließ sie ans das Sopha niedergleiten: „Kläre!... mein... mein armes... Weib!... Kläre!" Er sank an ihrer Seite auf die Knie nnd tastete nach ihrer Hand.„Kläre, Verzeihung! Ver- dämme mich nicht, Kläre! Wahnsinnig war ich, toll... ich... aber ich Hab' nicht gewußt, woher nehmen, die schrecklichen Nächte... die... schreck- lichen... Eins zum Anderen... Deine Reise... und die vielen Thränen... Deine Thränen... Ich konnte Dich nicht weinen sehen, Kläre, ich... Aus Liebe zu Dir... ach, nur aus Liebe zu..." „Vorwürfe?" Sie sprang auf nnd stieß ihn von sich? ihre Augen sprühten.„Vorwürfe auch noch und mir?... Mir?... Ich...?" „Kläre!" Er eilte auf sie zu— sie wich zurück. „Rühr' mich nicht an... Du... Du... Erbärmlich hast Du gehandelt. Gemein nnd er- bärmlich! Und mir möchtest Du die Schuld ans- halsen? Hab' ich verlangt, daß Du zum Diebe wurdest... zum Diebe..." „Ach!" Er taumelte zurück, als hätte man ihn geschlagen? sein großer, starker Körper schwankte, erbrach zusammen wie ein hülfloses Kind. Hart nnd schwer schlug sein Kopf ans die Tischplatte. Sie trat an seine Seite:„Und was soll nun lverden?" Er antwortete nicht, nur ein unverständliches Stöhnen rang sich aus seiner Brust. Sie stampfte mit deni Fuß auf, ihr ganzer Körper bebte:„Und was soll nun werden? Sitze nicht nnd jammere. Ueberlege!" Er hob langsam den Kopf, völlig willenlos: „Ich weiß es nicht." „Natürlich nicht..." sie lachte hart ans nnd dann ihre Stimme zum Flüstern dämpfend:„Es ist noch nicht entdeckt? Nein?" „Doch... seit heute Mittag." Er sagte es, ohne sie anzusehen. Sie schrie wieder auf:„Und sie... sie... haben Dich angezeigt?" „Nein." Er richtete sich vollends ans. Tobten- starre lag auf seinem Gesicht:„Nein, noch nicht... Ich soll erst ersetzen— in drei Tagen." „Ilch... und Du kannst nicht?" Sie gewahrte sein Achselzucken.„Du mußt können! Du mußt das Geld beschaffen! Du bist es mir schuldig! Mir, hörst Du?" „Ja," er stand auf, schwerfällig stützte er sich auf den Tisch,—„wenn wir Alles verkaufen, die Knnstsachen, das Silber, den Teppich... Bier- tausend kommen heraus, und den Rest... vielleicht abzahlen... ich kann Agenturgeschäfte machen... wir ziehen nach Berlin ... billige Wohnung..." „Nie! Niemals!" Sie trat vor ihn hin.„Das wagst Du mir auch noch zuzumuthen? Unser Hans auflösen? Zum Gespött werden? Damit sie Alle fragen, warum? Vielleicht... vermutheil, ahnen... Nein... nein, niemals!" Sie zupfte nervös an der Tischdecke.„Es muß einen anderen Ausweg geben. Keiner darf etwas ahnen... oder es ist niein Tod... Ah! Ich Hab' etwas!" Ihr Gesicht strahlte auf. „Weißt Du, Eure Faktorei in Afrika ... Ihr suchtet einen Geschäftsführer, bekamt aber keinen..." „Ja?" Er merkte ans, verstand sie aber noch nicht. „Du mußt hin,"— sie beachtete sein Auffahren nicht,—„ja. Du mußt hin!... Du verstehst es, und
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