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( Fortsetzung.)

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

er geistliche Sath" war das Beruhigen und Beschwichtigen gewöhnt und hatte den Professor, der als Choleriter bekannt war, mit der Ver­ficherung begütigt, daß er die ganze Geschichte schon wieder in's Reine bringen werde. Aber der Vorfall kam ihm doch sehr ungelegen. Nicht nur, daß er ihm den jungen, hartköpfigen Mann, der ihm gegenüber mit dem verständnißlosen Hochmuthe des beschränkten, seine Pflichten getreulich versehenden Menschen auftrat, unleidlich machte, er konnte auch durch sein Bekannt­werden höchst unangenehme Folgen haben. Seine Beliebtheit in den gebildeten Kreisen der Kunststadt konnte dadurch sehr leicht verloren gehen, sowie auch die Auseinanderseßungen mit seinen Behörden, die nothgedrungenerweise durch eine Veröffentlichung des Verhältnisses der beiden Brüder, das sich sein klarer Verstand bald auseinandergelegt hatte, entstehen mußten, sein stilles, friedlichem Genusse und freund­licher Pflichterfüllung gewidmetes Leben unangenehm aufregen konnte.

Er beschloß deshalb, den jungen Geistlichen sich ordentlich vorzunehmen, und als derselbe am folgenden Tage nicht kam, statt dessen aber seine Mittheilung, beschloß er kurzer Hand, um unter Umständen irgend welche andere unangenehme Folgen nach sich ziehende Unternehmungen desselben möglichst zu beeinflussen, ihn aufzusuchen.

Einen Brief, der für Ludwig an seine Adresse gefommen war, nahm er noch mit und war so in die Wohnung des jungen Künstlers gekommen.

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Sie sind wohl erstaunt," begann er, mich hier zit sehen, Herr Kaplan? Ja, das hat zweierlei Gründe. Erstens einmal hier. Na," sagte er halb zu sich, während er seine Rocktaschen durchsuchte, bis er mit mehreren anderen Papieren den Brief an Ludwig herausbrachte. Lesen Sie das einmal, dann komme ich auf das Andere."

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Der behäbige alte Herr holte bedächtig ein roth­seidenes Schnupftuch hervor, puzte seine Brille, stellte seinen Zylinder auf einen Stuhl und betrachtete sich dann die allerorts an den Wänden angebrachten Stizzen, theils um Ludwig ungestört lesen zu lassen, theils um für sich selbst einen möglichst harmlosen Anknüpfungspunkt für seine Mission zu finden.

Unterdessen öffnete Ludwig mit der ihm eigenen gewissenhaften Interesselosigkeit den Brief, noch in der Mitte des Zimmers stehend, wohin er seinem Vorgesezten höslich entgegengegangen war.

Das Schreiben stat in einem blauen Geschäfts­kouvert, und am oberen Ende seines Quartformats war über rothen Linien die Abbildung eines Gast­hofes nebst Empfehlungen desselben angebracht.

In großen, geschäftsmäßigen Zügen stand da Folgendes:

Herrn Kaplan Breitenbach.

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Theile Ihnen hiermit mit, daß Ihr werther Bruder Besucher der hiesigen Akademie der bildenden Künste gestern Abend um zehn Uhr einen Anfall auf die Ehre des jungen Fräulein Eberlein, der Nichte der Kostgebereihälterin Frau Urban dahier, gemacht hat.

Dant meinem Hinzukommen wurde derselbe zwar vereitelt, aber ich halte es füir nothwendig, Ihnen Obiges mitzutheilen.

Sowohl mein sittliches Gefühl zwingt mich dazu, als auch der Wunsch, daß Derartiges in Zukunft vermieden werde.

Sollte es Ihnen nicht gelingen, Ihren Bruder auf die Wege der Vernunft und Sittlichkeit zurück zuführen, indem so etwas noch einmal vorkommen sollte, so würde ich andere Mittel und Wege er­greifen müssen, die Ihnen vielleicht doch unange­nehm wären.

In der Hoffnung, daß diese Worte ein ge­schäztes Ohr finden werden

Achtungsvollſt und Ergebenst Christian Gallinger, Hotelbefizer.

Die Brüder.

Erzählung von Hermann Horn.

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Als er das gelesen hatte, erwachte in Ludwig ein verächtliches Gefühl gegen seinen Bruder, und er warf einen falten Blik nach dessen Bett.

Er hielt das Papier noch in der Hand, als er sich von seinem Vorgesetzten angesprochen hörte. Nun, haben Sie Ihren Brief gelesen?"

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" Ich danke, ja, Herr geistlicher Rath!"

Der geistliche Herr stand vor den neuerdings von dem jungen Künstler begonnenen Bilde und schüttelte den Kopf. Dann einer Eingebung folgend, wandte er sich an Ludwig.

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" Was in aller Welt hat Ihr Bruder denn da für ein furchtbares Zeug begonnen, nachdem er," er für ein furchtbares Zeug begonnen, nachdem er," er deutete rings an die Wände, bereits so hübsche, unleugbares Talent verrathende Sachen gemacht hat?" Ludwig erwiderte mit einem befangenen Lächeln, das ihm ein häßliches Gefühl der unsicheren Be­klommenheit gab: flommenheit gab: Er hat sich ernsteren Stoffen zugewandt, als friiher."

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" Hm!" war die Antwort, das wäre ja wohl ganz recht, aber das ist ja vollständig unmöglich, was er da will... Lieber Breitenbach," fuhr er nach einer ablenkenden Pause dann, auf den Zweck seines Hierseins kommend, fort, mir ist heute von unerwarteter Seite eine Beschwerde über Sie ge­kommen, die ich erst nicht recht glauben konnte, die ich aber jetzt leider fiir berechtigt halten muß."

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Ueber mich?" fragte Ludwig, und ein Erstaunen ließ ihn für einen Augenblick seine gemessene Haltung schier vergessen.

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Der Kranke begann zu stöhnen: Ludwig, o Ludwig!" jammerte er, ich kann nicht mehr, ich fann ja nicht mehr," bis sich der laute Ton wieder in ein immer leiser gefliistertes Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr," ersterbend auflöste.

Sein Bruder eilte an sein Lager und erneuerte den falten Umschlag auf dem Kopfe.

" Bleiben Sie, mein Herr Kaplan," sagte der ältere Mann, und kommen Sie Ihren Pflichten gegen den armen Menschen nach. Wegen dem bin ich nämlich da. Sehen Sie, lieber Breitenbach, Sie sind noch ein junger, ich darf wohl sagen unerfahrener Mensch, kommen aus kleinen Verhältnissen heraus, haben noch nichts von der Welt gesehen, und so ist es begreiflich, wenn Sie die Anforderungen, die das große und großstädtische Leben an den Menschen stellt, nicht verstehen."

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,, Verzeihen Sie, Herr geistlicher Nath", unter­brach Ludwig den Sprecher ernst, muß ich nicht die Anforderungen, die Gott an die Menschen stellt, diesen verkünden, und sind diese Anforderungen nicht immer dieselben?"

" Hm! hm!" erwiderte der Unterbrochene und nickte fein lächelnd mit dem Kopfe, während seine Hand leicht dozirend durch die Luft fuhr, Gott verlangt immer, daß wir streben sollen, ihm gleich zu werden, gewiß, aber je nach ihren Anlagen und Verhältnissen, verlangt er Verschiedenes von den Menschen."

Der junge Kaplan sah betreten zu seinem Vor­gesetzten empor.

" Ja," fuhr der fort, oder weswegen meinen Sie, daß er die Menschen verschieden geschaffen hat? Er wägt mit gerechten, aber mit verschiedenen Maßen, eben deswegen jawohl," er lächelte wieder fein dabei, wenn Zwei dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe. Das will freilich schwer in einen jungen Kopf hinein, aber nur so können Sie die Milde der Anschauung gewinnen, die ein wahrer Priester, der Hirte seiner Heerde haben muß. Denn das Amit tes Pfarrers ist, zu versöhnen, zu mildern und aufzu klären, wir müssen die Menschen zu Gott aufzurichten versuchen, nicht sie vor ihm beugen."

" Ich weiß nicht, Herr geistlicher Rath," ant­wortete Ludvig, und ein abscheuliches, zuckendes Lächeln umspielte seinen Mund, als wolle er damit überlegene Gedanken, die er nicht äußern durfte, hinabdrücken. Ich weiß nicht..." wiederholte er und blieb die Fortsetzung schuldig.

Ich verstehe wohl, Sie wissen nicht, was diese breite Einleitung soll... nun sehen Sie, Sie zur Erfenntniß führen, daß Sie versuchen sollen, Ihren Bruder zu verstehen."

" Ah," machte der junge Geistliche, Herr, wenn er aber Schlechtes thut, und ich verstehe das, muß ich es denn nicht unterdriicken."

" Ich fürchte eben, Sie haben eine falsche Auf­fassung von dem, was schlecht ist, Herr Kaplan."

Erlauben Sie," erwiderte der Augeschuldigte ernst, verließ seinen Standort neben seines Bruders Bett und holte den Nahmen mit der Leinwand hervor, die er neulich zerstört hatte und die noch unter anderen Stizzen und Zeichnungen lag.

Er glättete sie jeßt, daß man ungefähr no.h erkennen fonnte, was auf ihr gemalt war, und schaute dann zu dem lächelnden geistlichen Herrn auf.

,, Und was ist das?" fragte er.

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Der Herr Pfarrer hatte etwas umständlich seinen­Zwicker hervorgeholt und betrachtete die Leinwand eingehend.

" Das ist eine ganz vorzüglich aufgefaßte Stizze," sagte er nach einer Weile, von der es zu bedanern ist, daß sie so vandalenhaft zerstört wurde."

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Und seine Folgen," sagte Ludwig heftig und holte hastig den vorhin empfangenen Brief hervor, ,, sind diese!"

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Der ältere Mann las, nicht ohne sein Lächeln, das ständig zu wachsen schien, das seltsame Schreiben. Das ist ein Brief," konstatirte er dann, der in höchst gelungen anmuthender Form die Auffassung und das Erlebniß eines Gasthofbesitzers wieder­spiegelt."

" Ich weiß nicht, wie ich Ihre humoristische Auffassung der Sachlagen aufnehmen soll, wenn ich Ihnen mun noch erzähle, daß das Mädchen, das mein Bruder auf diesem Bilde mit so seltsamen Augen, in einer so seltsamen Toilette betrachtet, identisch ist mit dem Mädchen, dessen Ehre er be droht hat. Wenn ich Ihnen ferner erzähle, daß ich meinen Bruder beschwor, seine Liebe zu diesem Mädchen, die sündig war, zu unterdrücken, daß er dies auch mit heiliger Versicherung, unter Anrufung des Höchsten versprach, und dann dann troßdent diesen Sittlichkeitsanfall unternahm."

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,, So," sagte der geistliche Nath, unn beruhigen Sie sich, bitte, einen Augenblick und hören Sie mir ruhig zu! Gestern Abend fam der ehemalige Professor Ihres Bruders in großer Erregung zu mir und erzählte mir von Ihrem Bruder. Er sprach davon, daß er ihn sehr gern habe, weil er ungemein liebens­werther Gemüthsart und sehr talentooll sei. Vor etwa vierzehn Tagen, fuhr er fort, sei ein junger, fanatisch aussehender Kaplan bei ihm gewesen und habe ihm mit seltsamen Worten erklärt, daß jener junge, liebenswerthe Mensch die Pfade leichter Unter­haltungsmalerei nicht mehr verfolgen wolle und dürfe, eine andere Nichtung einschlagen und deshalb nicht mehr zu ihm kommen werde. Der fanatische Kaplan waren Sie?"

Ich hielt es für meine Pflicht, Herr geistlicher Rath."

Hören Sie weiter. Der Professor hielt den Kaplan für einen unverständigen Menschen und dachte, mein junger Breitenbach wird schon noch einmal zu mir foumen, und dann bringe ich die Geschichte wieder in's Neine. Als sein Schüler sich aber über vierzehn Tage nicht sehen ließ, suchte er ihn auf, und fand statt des freundlichen, jungen, gesunden Künstlers, den er gefannt hatte, einen verstörten, frank aussehenden Menschen, der nicht einmal im Stande war, ihm in einem kurzen Gespräche Rede und Antwort zu stehen. Was erhellt nun all dieses, Herr Kaplan?"

Herr geistlicher Rath, mein Bruder ist in einen heilsamen inneren Kampf gerathen, der eine Um­wälzung seiner Gefühle und Ansichten zum Besseren herbeiführen wird."

" Ja, so seltsam ist dieser Kampf, Herr Bretten