Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

bach, daß er sich darüber glücklich schon selbst ver= loren hat, wie jenes Bild dort in seinen Auswüchsen und pathologischen Unnatürlichkeiten zeigt."

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, Und was ist daran schuld?"

Sie, Herr Kaplan!"

Und warum?"

Weil Sie sich unterfangen, Dinge, die Sie nicht verstehen, besser wissen zu wollen als Andere. Eine Künstlerseele muß man sich entwickeln lassen wie eine fosibare Blume, und wer sie ihrem Erdreiche entnimmt und einer anderen Sonne, anderem Negen und anderem Licht ausseßt, als sie braucht, der richtet sie zu Grunde. Und wenn Sie das nicht einsehen, verderben Sie Ihres Bruders Leben, und dringt dies in die Deffentlichkeit, ziehen Sie sich unaus öschlichen Hohn und Spott und entristete Angrie zu."

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,, ich verachte den Spott der Welt, und ihre Angriffe will ich gern ertragen," erwiderte der junge Staplen stolz, aber, Herr geistlicher Nath, liegt nicht die Richtigkeit meiner Anschauung, daß mein Bruder Pfade verfolgte, die ihn der Sünde zuführten, darin begründet, daß sie ihn bis zu jener so verdammens­und abscheuviirdigen That führten, die in jenem Briefe steht?"

" Hm!" sagte der Vorgesezte des jungen Geist­lichen, Sie wollen Alles wissen? Nicht die Pfade der Sünde, von denen Sie beständig in einer selt= samen Verwirrung der Begriffe sprechen, sind daran schuld, daß Ihr Bruder das gethan hat, mein Herr Kaplan, sondern Sie!"

Ludwig fuhr zurück. " Ich?"

" Ja! Und zwar ist das Verhältniß so: Ihr Bruder hat, sich selbst kaum bewußt, in unschuldigem Triebe, dem man garnicht die Berechtigung ableugnen fann, geliebt."

Ludwig fuhr hier entsegt auf, daß ein schier spöttisches Lächeln die glattrafirten Lippen des geist lichen Herrn umspielte, das eine verhaltene Wuth in den jungen Kaplan warf.

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Dann fuhr der geistliche Herr fort: Solche Triebe besserer Naturen führen zu feinen Störungen ihres Seelenlebens, wenn sie sich selbst überlassen bleiben. Statt das einzusehen, haben Sie dem jungen Menschen gewaltsam die Augen geöffnet, um ihm die Sünde zu zeigen, wo feine war, es miißte denn die Natur eine sein; und die Unschuld in ihren natür­lichen Trieben sah er für Sünde an. Das fam selbstverständlich zu Zurückhaltungen und Erstickungen, seine Kunst hatten Sie ihm ebenfalls genommen, und all' das forderte unbedingt einen Ausbruch nach irgend einer Seite hin. Und so geschah, was geschah, nud hier liegt Ihr Bruder; und wenn er stirbt, seines Todes klage ich Sie nicht an, aber die unschul­dige Ursache desselben sind Sie. Darum lassen Sie sich, was ich Ihnen da gesagt habe, zu Herzen gehen und überlegen Sie sich Ihre weiter zu unternehmenden Schritte unter Berücksichtigung der Erkenntniß des eben Gesagten."

( Schluß folgt.)

Wortspiele, Scherz- und Räthselreden des Volkes.

B

Von Manfred Wiftich.

eluftigungen des Verstandes und Wizes" find

dem Volke geläufig und beliebt ebenso wie den gelehrten und schulgebildeten Leuten. Uebungen des Scharfsinns und Wettstreiten in Wiz­und Näthselrede sind vielleicht der Anfang aller Religionen, Philosophie oder Weltweisheit. Wie oft schon hat volksthümlicher Mutterwitz über Studirten­weisheit und Stubengelehrsamkeit triumphirt, wie oft hat sich Gellert's Wort: die Gelehrten, die Ver= tehrten" luftig bestätigt! Man dente nur an Eulen­spiegel und seine Schwanke! Wie listig und wißig weiß Till die unlösbaren Fragen der Professoren und Doktoren der Universität zu Prag   nicht zu lösen, aber doch zu beantworten, so daß er die Lacher auf seiner Seite hat!

Der Triumph volksthümlichen Mutterwiges ist der Gegenstand der bekannten altenglischen Ballade vom König John und dem Abt von Canterbury  , allgemein bekannt durch Bürger's Umdichtung: der Kaiser und der Abt. Der Kaiser dies kurz der Juhalt will einem faulen, unwissenden Abt Eins aus: vischen und giebt ihm drei Fragen zu lösen: Wie viel er, der Kaiser, in vollem Ornat werth sei? Wie lang man Zeit branche, um die Welt zu umreiten? Was er im Augenblick der Frage lösung denke, das doch falsch sei? Drei Monate werden dem Abt Frist gegeben, aber all' sein Sinnen und Umfragen bei klugen und gelehrten Leuten hilft ihm nichts. Da klagt er seinem Schäfer Haus Bendir seine Noth, der sich erbietet, an des Abtes Statt zur Tagfahrt vor den Kaiser zu treten und die Aufgaben zu lösen. Er taxirt, trotz allem Brunk, den Kaiser auf 29 Silberlinge, denn um 30 ward Christus verrathen und verkauft, und um einen mindestens müsse der Kaiser, troß aller Pracht, doch weniger werth sein. Die Welt könne man, mit der Sonne immer gleiches Tempo haltend, in 24 Stunden umreiten. Endlich drittens denke jezt der Kaiser, er, Hans Bendir, sei der Abt von St. Gallen, das stimme aber nicht. Erheitert über den Schwank, will der Kaiser nun den Abt abseßen und dem Schäfer dessen Würde und Ginkünfte geben; der aber lehnt dies ab und erwirkt Gnade fiir seinen Herrn.

Denselben Schwank behandelt der Meistersinger Hans Folz   in einem Fastnachtsspiel. Die Ereignisse sind dieselben wie bei Bürger, nur daß dessen Schäfer hier zu einem Müller wird, und die Fragen lauten: Wie viel Wasser ist im Meer? Wie viel ist der Kaiser werth? Wem wohut das Glück am nächsten bei? Der Miller antwortet: Im Meere sind drei Kufen Wasser, wenn diese Kufen nur groß genug sind, um alles Wasser zu fassen; der Werth des Kaisers wird ähnlich wie bei Bürger angegeben; für den glücklichsten Mann erklärt der Müller sich selbst, denn bisher sei er nur Müller gewesen, jetzt aber Abt geworden. Das bestätigt denn der Kaiser auch. Der Schluß des Spiels lautet( Der neue Abt spricht):

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Guren kaiserlichen Gnaden dank ich sehr. Ich bitt' Euch, beurlaubt mich acht Tag, Vis ich meine Mühl' verkaufen mag, Daß ich sag' meiner Müllerin, Wie sie nun sei eine Aebtissin, Und meinen Töchtern und Knaben, Daß sie einen Mönch zum Vater haben, Im Kloster sei ich das höchste Haupt. Kaiser:

Ja, Müller, das sei Euch erlaubt.

Der neue Abt:

Ihr edlen Fürsten und Herren seid gewährt,* Wer vor mein Kloster reitet, geht oder fährt, Dem will ich guten Willen beweisen] Mit Kost, mit Futter, Nagel und Eisen. Und thut mich darum nicht verschmähen, Daß man mich als Müller hat geschen.

In der Schwanksammlung Schimpf( Scherz) und Ernst" des elsässischen Mönches Pauli ist der Müller ein Sauhirt und der Kaiser wird ein Junter". Er tarirt den Kaiser ebenso wie Hans. Bendir und der Müller. Die andere Frage: Wo ist der mittelste Punkt der Erdoberfläche? beant­wortet er ausweichend: seine Kirche stehe auf diesem Bunft; wenn man's nicht glaube, möge man's nach­messen. Die dritte Frage lautet hier: Wie weit ist Glück und Unglück voneinander? Darauf lautet die Antwort: Nicht weiter als über eine Nacht, denn gestern war ich ein Sauhirt und heute bin ich ein Abt." Der Schluß lautet: Der Junker( der adelige Patron, der die Abtei zu vergeben hat) sprach: Bei meinem Eid, so mußt Du Abt bleiben!- und blieb auch also Abt."

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Im Esopus", einer Fabel- und Schwänke­sammlung in Bersen von Burkard Waldis  , spielt sich dieselbe Geschichte zwischen einem Sauhirten und einem Fürsten ab. Die Fragen sind: Wie hoch ist der Himmel? Wie viel Wasser ist im Meer und wie tief ist es? Wie weit ist Glück von Unglück? Von den Antworten interessirt am meisten die auf die

* Versichert, ich biete Euch Gewähr.

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Frage nach der Tiefe des Meeres: einen Stein­wurf tief!

Daß ein Anderer als der eigentlich Gefragte antwortet und den Bedrohten aus der Noth hilft, findet sich in der volksthümlichen Literatur auch noch anders angewendet.

Die altschwedische Sage meldet: Vor den weisen und gerechten Götakönig Hejdrif ward ein reicher, mächtiger, aber blinder Mann Nantens Cester vor­geladen, der sich vielfach gegen den König vergangen hatte. Dieser Letztere hatte den Branch, nie im Zorn zu strafen, sondern Frevler durch ein Zwölf­männer- Gericht verurtheilen zu lassen, aber selbst die Verurtheilten noch zu begnadigen, wenn sie ihm Räthsel aufgaben, die er nicht lösen konnte.

Da opferte Cefter dem Gotte Odin, der an seiner Statt und in seiner Gestalt vor Hejdrit trat und ihm Räthsel aufgab, die Jeuer alle löste. Unter Anderem fragte din den König:

Von Hause fuhr ich, Fort zog ich weithin, Sah dann viel Wege: Weg war unten, Weg war oben

Und Wege auf allen Seiten.

Hejdrik antwortet:

Gut ist dein Räthsel, Du blinder Cester! Gefunden ist es:

Der Vogel flog oben, Der Fisch schwamm unten, Ueber die Brücken du fuhrst. Gester:

Was war das Wunder, Das ich draußen gewahrte? Acht Füße es hatte, Vier Augen es hatte, Und seine Kniee leberragten den Magen. Hejdrik antwortet: Die Spinne.

Gester:

Wer ist der Dunkle, Der über Land fährt, Verschlinget See und Wald; Den Wind er fürchtet, Nicht aber den Menschen. Die Sonne verzehrt ihn.

Hejdrit rief richtig: Das ist der Nebel. Gester:

Vier gehen, Vier hängen,

Den Weg zwei zeigen Und den Hunden wehren, Einer hängt hinten.

Hejdrik:

Eine Kuh war es, Die du dort sahst Vierbeinig umhergehn; Vier Euter hängen, Der Hörner zwei

Den Hunden wehren, Der Schwanz hängt hinten.*

Gester:

Wer sind die Beiden, Zur Versammlung sie ziehen. Haben miteinander Der Augen drei, Der Füße zehn Und einen Schweif. So ziehen sie Ueber Land weg.

Hejdrik:

Odin   es ist,**

Auf Sleipnir er reitet, Den guten Pferde

Mit zweimal vier Beinen.

Zulegt fragt Gester- Odin den König, was er, Odin   selbst, seinem Sohne Baldur in's Ohr gesagt

* Dasselbe auf Schwäbisch   lautet: Viere ganget und viere hang t, zwei spizige, zwei gigige und Einer zottelt hinten nach.

** Der nur ein Auge hat, das Symbol der Sonne, das dem Himmelsgott gebührt.

Von jedem Reiter schlechthin, nicht dem göt lichen Wodan   mit seinem zauberhaften Roß Sleipnir, heißt es in Holstein: Kam ein Thier aus Norden, hat vier Ohren, sechs Füße und einen langen Schwanz.